Szene ④


Ausgehüllte Kürbisse, billige Plastik-Skelette und alte Hexenhüte säumten am nächsten Tag die Fassade Jesingens.

Bunte Blätter fielen von den Bäumen und über den Wald hatte sich ein seichter Nebel gelegt.

Es war Halloween, ein Tag, der in Jesingen eigentlich groß gefeiert wurde. Sonst gingen die Bewohner in schaurigen Kostümen in den mit Laternen geschmückten Wald, erschreckten sich gegenseitig und schrien um die Wette. Die Kinder klingelten an Türen und verlangten „Süßes, sonst gibt's Saures."

Doch dieses Jahr war alles anders. Denn in diesem Jahr traute sich keiner, im Dunkeln in den Wald zu gehen.

Die Freunde, die sich sonst immer ein Thema zum Verkleiden gesucht hatten, welches sie als Gruppe umsetzten, hatten die letzten Tage nicht am Planen eines Kostüms verbracht. Stattdessen hatten sie sich durch Schulbücher und Geheimnisse gequält.

„Ich hasse dieses Jahr", beschwerte sich Fria gerade. Die Freunde standen auf dem Schulhof und warteten darauf, ins Schulgebäude zu kommen. Die Polizei hatte das Gelände am Vorabend wieder freigegeben, doch nun herrschten neue Sicherheitsvorkehrungen.

Jeder, der ins Schulgebäude wollte, musste sich vorher einer Taschenkontrolle unterziehen.

Nach dem blutigen Spruch auf der Wand gestern wollte die Schulleitung sichergehen, dass keine Waffe, rote Farbe oder andere Beweisstücke mitgeschmuggelt wurden.

„Dabei hat das Jahr so gut angefangen", antwortete Lilia traurig. „Wisst ihr noch, die zwei Wochen Schneeferien im Januar? Schlittenfahren in den verschneiten Wäldern? Das war toll."

„Es fühlt sich an, als wäre das schon eine Ewigkeit her", sagte Benno gedankenverloren und trat einen Schritt nach vorne. Die Schlange, in der sie standen, war so eben um eine Schülerin kürzer geworden.

„Es ist eine Ewigkeit her. Danach ist so viel passiert. Ich vermisse die alte Zeit." Lilia zog einen Apfel aus ihrer Schultasche, den sie eben noch von zuhause eingepackt hatte, und bis genüsslich hinein. Die Äpfel, die ihre Familie im eigenen Garten anpflanzte, schmeckten immer besonders gut.

„Vielleicht haben wir ja Glück, und bald ist es wieder so weit. Ferien, Schnee und Weihnachten."

„Das dauert noch fast zwei Monate." Fria verdrehte die Augen. „Und es wird nicht so schön wie letztes Mal."
Weil Malea fehlt.

Fria sprach es nicht aus, aber jeder wusste, was sie meinte.

„Vielleicht klären sich ja wenigstens die Geheimnisse bis dahin auf", schlug Benno vor. „Die Polizei wollte doch den Bunker suchen. Sind sie da schon vorangekommen?"

Alle sahen zu Jasper. Dieser wischte jedoch gerade mit seinem Pulli über die Brille, die er heute ausnahmsweise mal aufhatte. Als er sie wieder aufzog und zu seinen Freunden sah, hob er beschwichtigend die Hände. „Seht mich nicht so an. Ich weiß auch nicht mehr. Mein Vater ist momentan nicht viel zu Hause. Nachdem die Polizei heute Nacht die Schule wieder freigegeben hatte, kam er erst um zwei Uhr nachts nach Hause. Ich hatte keine Zeit mit ihm zu reden."

„Na gut. Aber wenn du ihn siehst, fragst du ihn?"

„Ja."

Wieder bewegte sich die Schlange einen Schritt nach vorne.
Irgendwie fühlte es sich nicht an, als würde man gerade in die Schule gehen.

Eine Taschenkontrolle. So etwas kannte man normalerweise nur von Konzerten. Dort fühlte es sich nicht sonderlich beängstigend an. Immerhin freute man sich auf das bevorstehende Konzert. Doch nun war es ihre Realität geworden, vor der Schule nach Waffen kontrolliert zu werden.

„Denkt ihr, an der Botschaft gestern war was dran?", fragte Benno langsam. Sicher war die Wand schon wieder übermalt worden. Doch das würde die Worte nicht aus dem Gedächtnis der Kinder löschen.

„Da der Förster auch schon vor neunzehn Jahren Menschen entführt hat, denke ich mal nicht, dass er hier zu Schule geht", antwortete Jasper trocken.

„Das nicht. Aber die Schüler können doch anders involviert sein. Irgendwer muss ja die Beweisvideos von Verhaag gefälscht haben. Vielleicht war das jemand aus dem Computerclub."

Jasper stöhnte. „Fangen wir jetzt schon wieder damit an? Wollt ihr noch einmal Erik und Yasmin verdächtigen? Das hatten wir doch schon."

Lilia nickte nachdenklich mit ihrem Kopf. Kurz hob sie ihren Finger, um ihr letztes Apfelstück hinunterzuschlucken, und gleichzeitig für Ruhe zu sorgen, dann sprach sie: „Es könnten wirklich Erik und Yasmin gewesen sein."

Jasper schnaubte und machte Anstalten, sich woanders hinzustellen.

„Stopp Jasper. Ich meine es ernst. Yasmin arbeitet doch im Krankenhaus und auch dort wurden Überwachungsvideos sabotiert. Zu der Zeit, in der Hans Malea aus dem Krankenhaus geholt haben muss, sind die Kameras alle ausgefallen. Und im Dienstplan ist zufälligerweise genau zu dieser Zeit eine Lücke. Vielleicht hat Yasmin das getan."

„Und warum sollte sie das tun? Sie hat doch gar kein Motiv."

Fria überlegte laut. „Geld, Einflüsse, Erpressung. Es könnte vieles sein. Wir brauchen nur noch Beweise."

„Ihr seid doch krank." Jasper schüttelte enttäuscht den Kopf. „Versetzt euch doch mal in Yasmins Lage. Sie ist eine Einserschülerin und erhofft sich mit ihrem Eins-Nuller-Schnitt ein Medizinstudium. Wenn sie mit dem Förster unter einer Decke stecken sollte, und das auffliegt, kann sie ihre Karriere als Ärztin vergessen."

„Ach, ich weiß doch auch nicht", gestand Fria und trat wieder in der Schlange einen Schritt nach vorne. Die Freunde standen nun kurz vor den Tischen, welche die Schulleitung als Barriere aufgebaut hatte. Dahinter warteten zwei Eltern, die sich freiwillig als Einweise-Personal gemeldet hatten. Auch Schulleiter Wesp war anwesend und er überwachte alles aus sicherer Entfernung.

Er war der Allererste gewesen, der sich am Morgen der Sicherheitskontrolle hatte unterziehen müssen, denn natürlich hörte der Spaß beim Lehrpersonal nicht auf.

Fria zog nun ihren Rucksack vom Rücken und gab ihn der Frau am Eingang. Sie kannte die Mutter nicht, sicher war ihr Kind jünger als die Freunde.

Nach kurzer Zeit bekam Fria ihren Rucksack zurück und sie wurde gebeten, weiterzugehen.

Im Schulflur wartete sie auf ihre Freunde und wanderte währenddessen mit ihren Augen hin und her. Die Atmosphäre war seltsam.

Hier und da stand ein bisschen Halloween-Deko, doch im Gegensatz zu den letzten Jahren war es kaum geschmückt. Ein paar Schüler liefen im Gang hin und her, doch die Mehrzahl stand noch draußen, oder würde erst gar nicht kommen.

Schulleiter Wesp hatte den Eltern in einer E-Mail freigestellt, ob ihr Kind weiterhin am Präsenzunterricht teilnehmen wollte. Bis der Bunker im Wald gefunden wurde, mit dem man sich Erkenntnis über die Identität des Försters erhoffte, könnten die Schüler auch mit Arbeitsmaterialien von zuhause versorgt werden. So verschickte das Lehrpersonal jeden Tag E-Mails mit dem Stoff, den sie im Unterricht durchgenommen hatten.

Frias Eltern hatten sich am Abend mit Bennos und Lilias Familie unterhalten. Und sie waren zu dem Schluss gekommen, die Kinder in die Schule zu schicken. Die Freunde waren darüber nicht böse. Die Schule schien durch die neuen Regelungen sehr sicher zu sein, außerdem konnten sie sich hier sehen. Und sie befanden sich in der Qualifikationsphase. Der Schulstoff wurde immer härter und jede ihrer Noten entschied mit über ihre Abiturnote.

Vor allem Jasper stresste dies sehr.

Fria wollte sich nicht ausmalen, wie viel er die letzten Tage für die Mathearbeit gelernt hatte, die übermorgen geschrieben wurde.

Nachdem es auch Lilia, Benno und Jasper durch die Sicherheitsbarriere geschafft hatten, klingelte es, und die Freunde machten sich auf den Weg in ihre Klassenräume. Das würde ein langer Tag werden. 

Statt gruseligen Filmen, die sonst an Halloween in der Schule gezeigt wurden, mussten sie sich als aller erstes in Geschichte durch schaurige Zeitalter kämpfen. Danach ging der Horror weiter, welcher sich Sportunterricht nannte.

Wenn das kein Spaß war! 

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