Szene ②
Der nächste Tag war ein Montag. Ein mieser, matschiger Montag, an dem die Freunde wieder in die Schule mussten. Widerwillig schleppte sich Lilia die Stufen des Gymnasiums hinauf.
Auf allen Seiten spürte sie die Blicke auf sich. Jesingen war ein kleiner Ort, und natürlich hatte sich schon herumgesprochen, dass die Freunde auch die dritte Leiche gefunden hatten.
Sie waren nun schon so etwas wie eine Attraktion. „Seht her, hier kommen die Leichen-Entdecker!"
Ein kleines Lächeln konnte Lilia bei diesem Gedanken nicht unterdrücken. Die Leichen-Entdecker – gar keine schlechte Idee für ein Buch. Sie sollte sich die Idee in ihrer Plotliste notieren.
„Hi Lil", wurde das Mädchen kurze Zeit später von Fria begrüßt. Diese stand in der Mitte des Schulganges, in ihrer Hand ein duftender Becher Kaffee.
Auch Fria sah müde aus. Sie schien besser gelaunt zu sein als gestern, doch tiefe Ringe lagen unter ihren Augen. „Du siehst beschissen aus", antwortete Lilia deshalb auf die Begrüßung.
„Oh danke", sagte Fria mit einem ironischen Unterton und fuhr sich durch die Haare. „Ich habe mich extra zurechtgeputzt."
„Habe ich sofort gemerkt." Lilia schlurfte zu ihrem Schließfach und versuchte jedem Blick auszuweichen, den ihre Mitschüler auf sie richteten. „Hat sich Jasper bei dir gemeldet?"
„Natürlich nicht." Fria griff in Lilias Schließfach und zog eine Haarbürste hervor. Weil Fria selbst zu spät dran gewesen war, sich ein eigenes Fach zu mieten, verstaute sie ihren Kram in Lilias. Doch es fanden sich kaum Schulsachen darunter. Das meiste war Zeug wie die Haarbürste. Gummibärchen, Labellos, Pfefferminzbonbons.
„Denkst du, das Gespräch ist schlecht verlaufen? Vielleicht hat Jim Jasper den Kopf abgeschnitten." Ihr Freund hatte sich gestern, nach dem Gespräch mit seinem Vater, nicht mehr gemeldet. Dabei interessierte es die Freunde verständlicherweise brennend, ob sie nun für ein Jahr ins Gefängnis mussten, oder Jim ein gutes Wort für sie eingelegt hatte.
„Ich glaube, wäre Jim wirklich sauer geworden, hätte uns Jasper vorgewarnt. Dann würden wir an diesem Morgen nicht in die Schule, sondern in die Polizeiwache gehen", antwortete Fria wissend, und fuhr sich mit ihrer Bürste durch die Haare.
„Stimmt auch wieder." Seufzend wartete Lilia, bis ihre Freundin die Haarbürste zurücklegt hatte und schloss dann das Schließfach wieder.
„Wenn man vom Teufel spricht, da kommen die Jungs", sagte Fria in diesem Moment.
Und tatsächlich näherten sich Jasper und Benno vom Eingang. Jasper schien eine weitaus bessere Laune zu haben als seine Freunde, was für ihn eher untypisch war. Normalerweise war er doch der Pessimist.
„Dieser Mistkerl wollte mir nicht ohne euch verraten, was gestern Abend passiert ist. Ich musste den ganzen Weg vom Schultor bis hier hin warten, bis wir euch gefunden hatten", erklärte Benno beleidigt, als er in Hörweite war.
„Das hat er gut gemacht, sonst hätte er dich bevorteilt." Fria umarmte Benno kurz und versuchte dann das Gleiche bei Jasper.
Dieser hob seinen Zeigefinger. „Untersteh dich."
Fria streckte ihm nur die Zunge heraus und fragte dann: „Und? Wie ist der gestrige Abend für dich ausgegangen?"
„Gut ...", antwortete Jasper gelassen und griff in seine Manteltasche. Er zog sein Handy heraus und hielt es seinen Freunden hin. „Mein Vater hat uns verziehen und die Kamera auf der Wache abgegeben. Seht her."
Lilia nahm ihm das Handy ab und las den Chatverlauf mit Jaspers Vater. Jim hatte seinem Sohn eine Nachricht von der Arbeit geschickt. Der Text lautete: „Die Kollegen haben euch verziehen, aber ihr hattet großes Glück! Und macht so etwas nie wieder!"
Jasper hatte sofort mit: „Versprochen! Nie wieder!", geantwortet.
„Ein Glück!", rief Fria erleichtert. „Danke Jasper, ohne dich hätten wir das nicht geschafft."
Jasper lachte. „Nein, ohne meinen Vater hätten wir das nicht geschafft."
„Stimmt." Benno fuhr sich durch die braunen Haare. Jasper sah sich um, da er vermutete, dass Suzanne auf dem Weg zu ihnen war. Benno versuchte immer, dass er in der Nähe seiner Freundin besonders gut aussah. Doch Sue schien nicht zu kommen. „Dann ist ja alles geklärt. Na los, der Unterricht ruft. Wer hat nicht Lust auf eine gute Mathestunde?"
Fria stöhnte auf, was Lilia und Jasper zum Lachen brachte. Ihnen schien Mathe nichts auszumachen. Fria hingegen war kein Fan, vor allem nicht von Analysis, was sie gerade behandelten.
Die Freunde liefen, nun weitaus besser gelaunt, den Gang entlang und planten die nächsten Tage. Zuerst mussten sie darauf hoffen, dass die Polizei schnell den Bunker fand, dann könnten sie weiteres besprechen. Doch konnte man in dieser Zeit nicht kleinere Nachforschungen angehen? Wer das Mädchen mit der schwarzen Kapuze war, wussten sie ja auch immer noch nicht.
Gerade wollte Benno in einen angrenzenden Gang abbiegen, da er in eine andere Richtung musste, doch er stoppte mitten in der Bewegung.
„Leute?", fragte er atemlos.
Lilia, Jasper und Fria verstanden nicht recht. Unschlüssig folgten sie Bennos Blick.
Doch dann stockte auch ihnen der Atem.
Das konnte doch nicht wahr sein!
Das durfte nicht wahr sein!
Nicht schon wieder!
Es gab diese eine Wand in der Schule, die nun schon fast so berühmt war, wie die Leichen-Entdecker selbst. Erst war sie weiß gestrichen gewesen, dann war sie mit rot beschmiert worden. Dann war sie wieder weiß, und nun?
Nun hatte sie wieder einen roten Farbton angenommen.
Auf der Schulwand stand in schnörkeligen Buchstaben:
Die Schüler sind involviert.
„Oh nein!" Frias Gesichtszüge entglitten ihr. Sie fing an zu zittern und in ihren Augen bildeten sich Tränen. „Nicht schon wieder! Aber ... Hans ist ... Hans ist doch tot. Wer ... wer war es dann? Wer hat diese Botschaft angeschmiert?"
„Schsss", machte Benno sofort und legte einen Arm um seine Freundin. „Alles ist gut." Doch so wirklich überzeugt sah er nicht aus.
Lilia zog Jasper beiseite, wobei dieser schon mit seinem Handy beschäftigt war. Schnell hatte er die Nummer seines Vaters gewählt.
„Was machen wir jetzt?", fragte Lilia leise. Immer wieder schielte sie zu Fria und Benno, die sich nun auf den Boden gesetzt hatten, damit die junge Frau zur Ruhe finden konnte.
Lilia hätte ja gerne selbst geholfen, doch mehrere Menschen, die gleichzeitig auf sie einredeten, konnte Fria jetzt nicht gebrauchen. Benno leistete einen super Job. Er strich ihr üben den Rücken und sprach leise, beruhigende Worte.
Aufgeregte Schüler liefen zwischen den beiden Zweiergruppen hin und her und im Gang wurde es immer lauter. Immer mehr Menschen entdeckten die mysteriösen Worte.
Das war eine neue Art von Botschaft. Eine, die sie noch nicht vorher gehört hatten. Eine, die noch gefährlicher war als die letzte. Denn man wusste nicht, ob der Verfasser die Wahrheit sagte.
Und Lilia war sich auch nicht sicher, wer damit gemeint war. Etwa sie und ihre Freunde? Denn immerhin waren sie hinter dem Förster her.
Doch richtig involviert waren sie nicht.
Oder wollte man ihnen einen Tipp geben? Gab es einen Menschen oder gleich mehrere Jugendliche in der Schülerschaft, die dem Förster halfen?
Lilia wandte sich wieder Jasper zu, der sein Gespräch beendet hatte und verkündete: „Die Polizei ist unterwegs. Wir sollen die Schülerschaft von der Wand fernhalten."
„Gut, das bekommen wir schon hin. Auch wenn wir uns dann mal wieder in den Mittelpunkt stellen ..." Aufmerksamkeit gefiel Lilia gar nicht.
Jasper lächelte schwach. Sein Optimismus war wohl schon wieder verschwunden. Doch für ein kleines Lächeln reichte er noch. „Soll ich dich ankündigen? Hier kommt Lilia Hohn, die neue Beschützerin der Schulwand?"
Lilia schlug ihn auf dem Arm. „Untersteh dich! Und wenn, dann heißt es: Hier kommen die Leichen-Entdecker."
„Hä?", fragte Jasper.
Lilia winkte ab. „Egal."
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