Szene ①
Wenige Minuten später sah die Welt schon wieder ganz anders aus. Die Freunde waren wohlbehalten aus dem Wald entkommen und hatten sich im seichten Laternenlicht voneinander verabschiedet.
Jasper wünschte sich schon jetzt den Sommer zurück. Auf dem Nachhauseweg musste er eine Jacke tragen und es war bereits so früh dunkel geworden, dass sich der Ausflug in die träumenden Wälder gar nicht richtig gelohnt hatte. In ein paar Wochen würden sie das Baumhaus wohl winterfest machen müssen.
Jasper war gerade zuhause angekommen. Er hatte Lilia zum Bauernhof gebracht und sich die Kamera gut gesichert unter den Arm geklemmt. Nun zog er das Gartentürchen auf, was seinen Vorgarten vom Bürgersteig trennte.
Die Freunde hatten beschlossen, das Beweismaterial auf der Kamera Jim Wittig zu geben, damit dieser es zur Polizeiwache bringen konnte.
Jasper war ein wenig unwohl, als er den Schlüssel in die Haustür steckte, daran drehte, und sie dann langsam aufzog. Natürlich war ihm die Aufgabe überlassen worden, seinen Vater einzuweihen. Darüber hatten seine Freunde erst gar nicht diskutiert, obwohl sie es sonst so oft taten.
Doch so gerne, wie sich Jasper auch herausreden wollte, er wusste, dass es die richtige Entscheidung war. Immerhin war es sein Vater.
„Jasper, bist du das?", fragte Jim. Der Klang seiner Stimme hallte durch den Flur. Er musste in einem der oberen Zimmer sein.
„Ja", antwortete Jasper zaghaft und schloss die Haustür hinter sich. Unsicher entfernte er den Kameragurt von seiner Schulter und zog seine Jacke aus. Irgendwie überkam ihn gerade die Panik. Obwohl er noch nicht einmal angefangen hatte, seine Geschichte zu erzählen, bekam sein Vater in seinen Gedanken bereits einen kleinen Tobsuchtsanfall. Jasper schüttelte sich, um all die Flüche von sich abzuwerfen.
Oben vernahm er Jims Schritte. Sie schienen langsam näher zu kommen. Jasper schloss zur Vorsichtsmaßnahme schon einmal die Augen.
„Alles in Ordnung mit dir?" Jim Wittig stand am oberen Ende der Treppe und wischte sich mit einem Handtuch Wasser aus den kurzen Haaren. Anscheinend hatte er gerade geduscht. Unschlüssig beobachtete er seinen Sohn. „Du siehst aus, als hättest du Tage nicht geschlafen. Dabei habe ich dich gestern bei einem Mittagsschlaf erwischt."
„Haha, sehr lustig." Nicht gerne wurde Jasper daran erinnert, wie er über seinen Chemie-Hausaufgaben eingeschlafen war. Danach hatte ihm Zeit gefehlt, die er eigentlich für ein anderes Fach eingeplant hatte. „Naja, ist jetzt auch egal. Ich muss mit dir reden."
„Hat das noch zwei Minuten Zeit? Dann würde ich kurz noch meine Zähne putzen gehen." Jim deutete mit seiner Hand in Richtung Badezimmer.
Jasper schüttelte bestimmend den Kopf. „Nein!"
„Also gut. Willst du was trinken?" Sein Vater folgte ihm in die Küche und griff nach seinem halbvollen Wasserglas.
Wieder schüttelte Jasper den Kopf. „Nein. Und jetzt hör mir zu." Sein Tonfall war erschreckend ernst und Jim wurde klar, dass dieses Gespräch seinem Sohn viel bedeutete.
„Gut. Dann schieß los."
Jasper hielt die Kamera nach vorne und übergab sie seinem Vater. „Sobald ich fertig gesprochen habe, guckst du dir dieses Video an. Verstanden?"
Sein Vater nickte. Jasper schien den Ablauf des Gespräches genau geplant zu haben. Typisch.
Mit sicheren Worten berichtete er seinem Vater: „Gestern, als wir Hans Verhaags Leiche gesehen haben, und du deine Kollegen verständigt hast, haben meine Freunde und ich einen Fehler begangen. Du musst wissen, wir standen alle unter Schock. Und deshalb ist Lilia zu Hans hin. Sie hat nach Spuren gesucht und auch eine gefunden. Auf dieser Kamera wirst du ein Video finden, welches Hans persönlich aufgenommen hat. Er erzählt darauf, wie er vor neun Jahren doch nicht gestorben ist und was in dieser Zeit alles passiert ist. Euch werden diese Informationen helfen. Und mit ihrer Hilfe werdet ihr auch Martha Kiesbauer und Celine Rehberg finden. Es tut mir ..."
Jim unterbrach seinen Sohn, trotzt dessen Anweisung. „Ihr habt dieses Beweismaterial einfach mitgenommen? Jasper, du weißt doch sicher, dass das strafbar ist."
Jasper seufzte schuldbewusst. „Natürlich. Aber wie gesagt, wir standen alle unter Schock. Und wir wollten Informationen. Egal, wie wir sie bekamen. Wir brauchten sie sofort. Die Antworten war uns Hans schuldig." Wieder schob Jasper die Kamera ein Stück näher an seinen Vater. „Bitte, sieh dir einfach das Video an."
Am Küchentisch war es ruhig geworden. Jim musterte seinen Sohn wie einen Außerirdischen. Er schien sich noch nicht sicher zu sein, ob er nun sauer sein sollte, oder sich über die neuen Hinweise freuen wollte.
Schlussendlich entschied er sich für Zweites. Er stand auf, ging zu seinem Sohn und nahm ihn in den Arm. „Über die Bestrafung reden wir noch, aber erst einmal muss ich euch danken. Auch wenn wir die Beweise selbst gefunden hätten, heute hatten wir schon wieder die Hoffnung aufgegeben. Und dieses Video kann uns sicher viel weiterhelfen. Danke Jasper."
Auf dem Gesicht seines Sohnes erschien ein Lächeln. Auch wenn er es normalerweise nicht mochte, von irgendwem umarmt zu werden, war er jetzt froh über die Liebesbekundung. Natürlich war ihm sein Vater böse, Jasper verstand auch, warum. Er spürte es auch in der Umarmung. Sie war verhaltener als sonst. Doch trotzdem ließ er das nicht durchblicken, sondern versuchte lieber, das Positive an der Situation zu sehen. Auch wenn er es selbst nicht glauben wollte, Jasper war mal optimistisch.
Es gab neue Informationen.
Sie waren viele Schritte weitergekommen, auf dem langen Weg, den Förster ausfindig zu machen.
„Jasper?"
„Mhmmm?", fragte er in das T-Shirt seines Vaters hinein.
„Mach so etwas nie wieder, ja?"
Jasper lachte. „Natürlich nicht. Die Aufregung hat mir das eine Mal gelangt. Außerdem wird es hoffentlich kein nächstes Mal geben. Guck dir endlich das Video an. Dann weißt du, wie viel weiter wir gekommen sind."
„Also gut." Sein Vater löste sich von ihm, griff nach der Kamera und setzte sich mit ihr auf die Couch.
Jasper konnte ihn dabei beobachten, wie sich seine Miene änderte. So musste sich Lilia vorhin gefühlt haben, als sich ihre Freunde das Video angesehen hatten.
Es war komisch, Hans Stimme und seine Geschichte das zweite Mal zu hören. Man verstand plötzlich die Zusammenhänge besser und man fühlte von Anfang an mit ihm.
Jasper blieb sitzen, auch als sich sein Vater das Video noch ein viertes und fünftes Mal ansah.
Hans war all die Jahre nur das Opfer gewesen. Eingesperrt, in einer Lüge, die so viel größer war als er selbst.
Jasper kannte endlich den wahren Feind.
Den Förster.
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