Zoe ♡
Ich hätte mich echt ohrfeigen können! Warum war ich so feige gewesen und hatte sie nicht angesprochen oder zumindest irgendwie auf mich aufmerksam gemacht? Warum? Warum bitte?
Jetzt lag ich in meinem Bett, starrte an die Decke und ärgerte mich über mich selbst. Es hätte sich alles klären können, es hätte sich alles klären können, sodass ich mir keine Gedanken mehr machen müsste, ob ich verrückt bin oder mir alles nur einbildete oder sonst irgendwas. Manchmal hasste ich meine Schüchternheit wirklich zutiefst.
Zornig drehte ich eine Haarsträhne um meinen Finger. Wahrscheinlich würde ich sie nie wieder treffen! Maaaaan, ich könnte echt ausrasten! Schnell stand ich auf, nahm mir ein Kissen und boxte dagegen. Das half zwar nicht, es war aber immerhin ein bisschen befreiender.
Innerlich aufgewühlt stolzierte ich die Treppe hinunter, torkelte halb, stolperte und klammerte mich am Geländer fest, um nicht herunterzufallen. Grinsend über meine Tollpatschigkeit betrat ich das Wohnzimmer. Mein Vater hatte gerade begonnen den Weihnachtsbaum aufzustellen und fluchte so laut, dass man es nicht überhören konnte. Der Baum wollte einfach nicht stehen bleiben.
Lachend stellte ich mich hinter ihn und tippte ihm auf die Schulter.
„Nicht ausrasten!", riet ich ihm.
„Ich raste nicht aus!", beteuerte er. Gleich darauf ließ er erneut einen lauten Schrei ertönen, weil genau in diesem Moment hunderte Tannennadeln zu Boden fielen. Okay, hunderte ist vielleicht etwas übertrieben, aber nach der Stimmung meines Vaters zu urteilen, hätten es auch tausende sein können.
„Mein Gott Papa, soll ich dir helfen?"
„Nein, geht schon, ich ... hab es ... ja jetzt schon.", angestrengt presste er die Worte hervor, während er, so wie es aussah, seine ganz Kraft anwenden musste, um den Baum endlich zum Stehen zu bekommen. Schließlich schaffte er das dann auch endlich.
„So, sag ich doch!" Grinsend schaute er mich an und richtete sich auf.
„So mein Teil wäre dann erledigt." Mit diesen Worten schlurfte er aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
„Der ist so was von genervt.", kommentierte mein Bruder aus der Ecke, in der das Sofa stand.
„Das kannst du laut sagen.", grinste ich. So war es aber eigentlich jedes Jahr, wenn es um den Weihnachtsbaum ging. Ich schaute aus dem Fenster, es hatte bereits wieder angefangen zu schneien, ich wollte endlich Ski fahren, das hatten wir bis jetzt immer noch nicht gemacht. Naja, wir hatten ja noch genug Zeit.
„Komm, lass uns mal den Baum schmücken.", rief ich meinem Bruder zu, der daraufhin aufstand und zu mir kam. „Steht der nicht ein bisschen schief?", fragte er mit kritischem Blick in Richtung Tanne. Ich folgte seinem Blick, legte den Kopf schief und grinste.
„Stimmt, aber das behalten wir besser für uns, sonst platzt hier noch die Bombe." Lachend drehten wir uns zu der Weihnachtskiste um und begannen Kugeln, Sterne, Schleifen und die Lichterkette auszupacken.
Ich liebte diese Zeit des Jahres, die ganze Weihnachtsdeko, das gemütliche Licht, der köstliche Duft, die schöne Musik, Schnee und Geschenke. Ich grinste vor mich hin, während ich anfing die Lichterkette um den Baum zu wickeln. Julian fing in der Zwischenzeit an, die roten und silbernen Kugeln aufzuhängen.
Vergeblich versuchte ich das letzte Stück der Lichterkette zu entknoten und ließ selbst einen kurzen Fluch los.
„Hey, jetzt fang du nicht auch noch an.", warnte mich Julian. „Nein, keine Sorge. Ich krieg nur gleich die Krise, wenn dieser Knoten nicht aufgehen will." Ich wedelte mit dem Kabelsalat in der Luft herum.
„Boah, stech' mir nicht das Auge aus!" Er klang wirklich ein kleines bisschen ängstlich.
„Hast du Angst vor mir?", fragte ich belustigt.
„Ja total.". spaßte er. Grinsend atmete ich einmal durch und beruhigte mich. Dann zog ich ein Stückchen Kabel aus dem Knoten und der ganze Salat löste sich in Luft auf.
„Was? So einfach?"
„Tja, man muss halt nur mal fluchen, ne?" Mein Bruder zwinkerte mir zu.
„Ahh, jetzt verstehe ich Papas Taktik." Ich lachte und schaute erneut zum Fenster, die Scheibe war beschlagen, es hatte allerdings aufgehört zu schneien und die Sonne ließ die vielen Schneeflocken auf dem Boden aufblitzen. Einen Augenblick genoss ich diesen Anblick der Wintersonne, die ich so viel schöner fand als die Sommersonne. Ich betrachtete die Zweige der Bäume, wie der Schnee darauf lag und von dem Windstoß runtergefegt wurde. Wie kahl die Bäume ohne Blätter aussahen und wie voll sie wieder erschienen, wenn Schnee ins Spiel kam. Ich liebte den Wechsel vom Herbst in den Winter. Wenn es dann endlich so kalt wurde, dass der Schnee liegen bleibt, muss für mich nur noch der 1. Dezember sein und ich bin von jetzt auf gleich glücklich.
Okay, genug rumgeträumt! Gerade wollte ich mich wieder umdrehen, als mir eine Person draußen auf dem Gehweg auffiel. Es war die gleiche Jacke, die gleiche Statur, das gleiche Geschlecht. Ich traute meinen Augen nicht. Ich stolperte zur Scheibe und presste mein Gesicht dagegen. Keine Zweifel, sie war es, sie war es. Oh nein! Augenblicklich begann ich zu zittern. Geh raus! Geh raus! Geh verdammt nochmal raus!
Mit klopfendem Herzen torkelte ich in den Flur, zog mir meine Schuhe nur so halb an und nahm meine Jacke vom Haken. Scheiße, so aufgeregt war ich schon lange nicht mehr. Hüpfend öffnete ich die Tür und hopste die Treppe hinunter. Die Stimme meines Bruders ignorierte ich. Ich streifte mir die Jacke über und rannte gleichzeitig schon los. Hektisch schaute ich mich um. Verdammt, wo war sie hingelaufen? Ich schaute um die nächste Ecke, dann um eine andere, ich erblickte sie aber nicht mehr. Was ne Kacke! Fluchend drehte ich mich um. Mein Herz sackte mir gefühlt bis auf den Boden und schlug nicht mal mehr halb so schnell, wie noch vor ein paar Sekunden. War sie mir ernsthaft schon zum zweiten Mal entwischt?
Geknickt stolzierte ich zurück zur Tür und ... da stand sie. Mit dem Rücken zu mir, den Blick auf unsere Ferienwohnung gerichtet. Das Mädchen aus meinen Träumen, das Mädchen, was mir meine Fragen vielleicht beantworten konnte. Bei ihrem Anblick fühlte ich augenblicklich etwas Warmes in mir. Es versüßte mir augenblicklich den Tag. Ich hab keine Ahnung, wie sie das machte, aber ich wusste direkt, dass es verdammt nochmal die richtige Entscheidung gewesen war, aus dem Haus zu stürmen.
Langsam ging ich auf sie zu, stupste noch im Vorbeigehen einen Haufen Schnee von einer Blume auf meine Hand und ließ ihn darauf schmelzen. Mit erneut klopfendem Herzen ging ich weiter, vielmehr schlich ich weiter. Meine Hände begannen zu zittern, ich wusste nicht, warum ich es auf einmal so schlimm fand, auf ein fremdes Mädchen zuzugehen, so etwas hatte ich noch nie erlebt.
Das Mädchen schaute immer noch wie versteinert auf unser Haus, sie bewegte sich kein bisschen, als würde sie angestrengt nachdenken oder ... ach keine Ahnung. Ich war jetzt nur noch ein paar Meter von ihr entfernt. Plötzlich knackte ein Stock unter meinem rechten Fuß und sie drehte sich erschrocken um.
Ich starrte sie an, sie starrte mich an, ich traute meinen Augen kaum. Warum war mir das in den Träumen nie aufgefallen?
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