Hannah ☆
"Affgenpiste war das, oder?"
"Ja genau, da wollte sie hin, hat sie gesagt."
"Die anderen fliegen die Gegend gerade zum dritten Mal ab, aber sie finden nichts."
Enttäuscht lässt sich Theresa auf einen der roten Stühle in der Bergrettungszentrale fallen.
"Und jetzt?", fragt sie geknickt, traut sich dabei aber nicht Tobi von der Bergrettung anzusehen.
Ihr Mann setzt sich neben sie und zieht Tim auf seinen Schoß.
"Wir werden so lange weitersuchen, bis wir Hannah gefunden haben. Wenn euch noch etwas einfällt, sagt bitte direkt Bescheid, egal, wie unwichtig es euch erscheint." Er legt Harald eine Hand auf die Schulter.
"Danke!", erwidert der.
"Und wenn ihr nichts findet?", Theresa schaut traurig hoch.
"Dann suchen wir weiter. Ich hab nachgefragt, es gingen heute keine Lawinen dort runter, also muss sie ja dort irgendwo sein. Bestimmt hat sie einen Unterschlupf gefunden."
"Aber sie, da oben alleine, in der Kälte. Du weißt doch, was das mit ihr machen kann!"
"Ja, ich weiß." Tobi schaut verzweifelt auf seinen Schreibtisch und sucht nach irgendeinem aufmunternden Spruch.
"Weißt du noch, als ich mit ihr in den Bergen war und sie hingefallen ist, sie wusste sofort, was zu tun war, obwohl sie da gerade mal acht war. Sie stellt sich ihrer Krankheit, sie macht alles genau richtig und ihr im Übrigen auch. Sie schafft das!"
Tobi hockt sich vor die Stühle der beiden und schaut ihnen in die Augen, um sie dazu zu bewegen, seinen Worten zu glauben.
"Okay", sagt Theresa schließlich. Harald nickt nur.
"Was ist denn mit Hannah? Warum ist sie nicht hier?", Tim schaut ahnungslos in die Runde und tippt mit dem Finger gegen den Arm seiner Mutter.
"Pass auf Tim, deine Schwester ist im Moment in den Bergen unterwegs und wir wissen nicht so genau, wo. Das wollen wir gerne herausfinden und dann gehen wir wieder gemeinsam nach Hause." Theresa ist den Tränen nahe, hält sich aber für ihren Sohn und stupst ihm einmal auf die Nase.
"Ooookkayyyy!", sagt er gedehnt und lehnt seinen Kopf an die Schulter seines Vaters. Dann herrscht erst einmal Stille. Tobi schaut konzentriert auf den Bildschirm seines Computers und Theresa legt ihren Kopf auf die Schulter ihres Mannes, um nicht in Tränen auszubrechen.
Niemand traut sich, die eigenen Gedanken auszusprechen und doch weiß jeder, was der andere denkt. Nur Tim schaut etwas verdattert in der Luft herum.
"Was machen wir denn jetzt?", fragt er schließlich. Sein Vater wollte gerade ansetzen und ihm seine Frage beantworten, als aus dem Funkgerät auf dem Tisch eine leise Stimme kommt.
"Achim für Tobi, bitte kommen!" Wie vom Donner gerührt zuckt Tobi zusammen, krallt sich das Funkgerät und spricht hinein.
"Ja, Tobi hört."
"Also wir sind die Piste jetzt zum vierten Mal abgeflogen, aber keine Spur von der Vermissten."
Im Raum hört man ein sehr lautes Stöhnen, obwohl niemand der Anwesenden ein Geräusch von sich gibt. Tobi starrt ins Leere und vergisst das Funkgerät vollkommen.
"Hallo? Bist du noch da?", holt ihn Achim wieder in die Wirklichkeit zurück.
"Äh, ja klar."
"Hast du noch irgendwas rausfinden können? Kannst du das Handy mittlerweile orten?"
"Nein, nichts. Das Handy muss entweder kaputt sein oder keinen Akku mehr haben."
"Okay, dann würde ich sagen, ihr lasst Lisa und mich jetzt hier runter, wir schauen uns das mal von unten an und befragen ein paar Leute. Und ihr fliegt zurück und schaut auf der Karte, ob wir irgendwas übersehen haben. Passt das für alle?"
Ein dreistimmiges "Ja" ertönt und auch Tobi stimmt dem Vorschlag zu, bevor er den Funkkontakt beendet.
Fragend schaut er zu Theresa und Harald, denen man nicht anmerkt, was diese Nachricht mit ihnen gemacht hat.
"Wir finden sie, ich verspreche es euch!"
"Sowas sollte man nicht versprechen!", wirft Theresa sofort ein.
"Ich weiß, ich aber heute schon." Zweifelnd kneift Theresa die Augen zusammen.
Das Klingeln des Telefons ein paar Minuten später lässt die Stille im Raum noch stiller wirken. Aufgeregt nimmt Tobi ab.
Er wechselt ein paar kurze Sätze mit der Person am anderen Ende der Leitung, bedankt sich und legt dann auf.
"Hannah war aber nicht auf der gegenüberliegenden Skipiste unterwegs, oder?"
"Nein!", blockt Theresa direkt ab.
"Hat sie zumindest nicht gesagt.", bezweifelt Harald die Aussage seiner Frau.
"Willst du etwa sagen, dass sie uns angelogen hat?!", meckert sie ihn an.
"Mensch, ich weiß es doch auch nicht! Was ist denn los Tobi?" Tobi ist mit der Zeit immer weißer geworden und schaut die beiden nun entsetzt an.
"Auf der Piste ist gestern eine Lawine losgegangen und zwei Leute behaupten die blaue Jacke von Hannah an dem Tag dort gesehen zu haben." Theresa verschluckt sich und Harald hält sich die Hand vor den Mund. Tim sitzt wie ein kleines Häufchen Elend auf dem Schoß seines Vaters und versteht die Welt nicht mehr.
"In einer Lawine hat sie doch so gut wie keine Überlebenschance!" Verzweifelt bricht Theresa in den Armen ihres Mannes zusammen.
"Doch natürlich hat sie das. Sie ist schlau, das weißt du doch, sie findet immer einen Weg!" Tobi schaut hilfesuchend zu Harald, der Theresa sanft über den Rücken streicht.
"Ihr geht sie doch bestimmt jetzt suchen, oder?"
"Ja klar, ich muss noch den anderen Bescheid sagen und dann fliegen die da sofort hin." Tobi greift schon zum Funkgerät.
"Ich komme mit!", sagt Harald bestimmt.
"Bist du sicher?", besorgt schaut Tobi ihn an.
"Ja, du passt hier auf meine Frau und Tim auf und ich fliege mit!"
"Aber ich kann doch hier nicht nur rumsitzen!" Seine Frau schaut ihn mit großen traurigen Augen an.
"Doch, denk' einfach daran, dass ich mit Hannah wiederkommen werde."
Zehn Minuten später stehen Raphael, Eda und Harald vor dem Hubschrauber, die Tür öffnet sich, Harald winkt Theresa ein letztes Mal zu, bevor er sich auf seinen Sitz fallen lässt und die Tür hinter sich zuzieht.
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