Hannah ☆
Ich joggte gerade die letzten paar Meter bis zu unserer Haustüre und kam kurz davor zum Stehen. Mit einem lauten Klimpern beförderte ich meinen Schlüssel ans Tageslicht und schloss mit einem leisen Knarzen die Tür auf. Als ich eingetreten und die Tür mit einem lauten Knall zugefallen war, realisierte ich erst woher das aufgeregte Zittern in meinen Beinen kam. Es war Vorfreude, Vorfreude auf den morgigen Tag. Dann würde ich nämlich mit Zoe Ski fahren gehen. Ich war gerade von dem Treffen mit ihr zurückgekommen, da hatten wir das abgesprochen. Sie hatte vorgeschlagen, sich morgen einer Gruppe anzuschließen, sie hatte einen Werbeflyer davon gesehen.
Ich freute mich, außer dem Schlittschuhlaufen, was jetzt auch schon wieder zwei Tage her war, noch etwa mit ihr zu machen, was mir Spaß machte und was sie glaube ich auch ganz gut konnte.
Entspannt und zufrieden lächelnd ließ ich mich auf mein Bett fallen, zog mir die Decke über den Kopf und genoss einfach nur die Stille, die sich gerade in meinem Zimmer breit machte. Wie herrlich beruhigend das sein konnte, einfach mal nichts zu hören und an nichts denken zu müssen. Ich wollte mich gerade noch tiefer in meine Kissen kuscheln, als meine Zimmertür schwungvoll aufgerissen wurde und niemand Geringeres als Tim hereinspaziert kam.
„Können wir los?" Quengelnd zog er mir die Bettdecke weg. Ich verstand nicht, was er meinte.
„Was ist?", fragte ich und blinzelte ihm entgegen.
„Hallo? Hast du es etwa vergessen?" Sein Gesicht verzog sich zu einer bösen Grimasse.
„Was hab ich vergessen?" Wie ein Volltrottel stand ich bzw. lag ich da vor ihm und hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung. Entschuldigend legte ich meinen Kopf etwas schief.
„Du blöde blöde blöde Kuh!", meckerte er und schlug mir dabei ein Kissen an den Kopf.
„Du hast das Schlittenfahren vergessen!"
„Ohhhhh!" Stimmt, da war was, wir hatten abgemacht, heute Schlitten fahren zu gehen. Meine Eltern, Tim und ich. Das hatte ich dann wohl vergessen.
„Das hab ich doch nicht vergessen! Ich hab nur gerade im Moment nicht dran gedacht.", versuchte ich zu flunkern.
„Gelogen!", warf Tim mir vor. Genervt drückte ich mich in meine Kissen und holte mir meine Bettdecke wieder.
„Ich komme gleich!"
„Schon wieder gelogen!"
„Nein, das stimmt nicht."
„Na gut, aber in ein paar Minuten wollen wir los." Er beäugte mich mit seinem Wenn-du-dann-nicht-da-bist-kannst-du-was-erleben-Blick und verließ dann mit einem leisen Stöhnen das Zimmer.
„Das hab ich gehört!", rief ich ihm hinterher. Er lachte nur. Was dachte der sich denn? Ich lächelte, wurde aber gleich wieder ernster. Aus dem chilligen Stillelauschen wurde wohl jetzt nichts mehr. Widerwillig schob ich die Decke weg und machte mich auf den Weg nach unten in den Flur.
Wenig später starrte ich in den tiefblauen wolkenlosen Himmel. Die Sonne strahlte und lachte uns von oben herab an. Ich grinste ihr entgegen. Ich liebte es, wenn es im Winter so herrlich warm war, weil die Sonne schien, der Schnee aber trotzdem liegen blieb, weil der Boden kalt genug war. Mit ausgestreckten Armen drehte ich mich einmal im Kreis und ließ mir den kalten Wind um die Nase wehen. Da spürte ich auch schon wie eine kleine Patschehand nach meiner griff und mich mit sich zog. Ich brauchte nicht mal hinzusehen, um zu wissen, wer das war.
„Ei niin myrskyistä! Täällä on myös muita ihmisiä!"
„Mitä sitten?" Er grinste mich schelmisch an.
„Die Leute wollen vielleicht auch Schlitten fahren, du bist hier nicht alleine!", versuchte ich es nochmal auf Deutsch.
„Na und?", war die gleiche Antwort wie eben, nur auf Deutsch.
„Röyhkeä!", sagte ich, was so viel heißt wie „Frechdachs" und verpasste ihm einen Klapps auf den Hinterkopf. Augenblicklich setzte er einen Schmollmund auf und ich griff lächelnd nach der Schnur des Schlittens. Gemeinsam krackselten wir den Berg hinauf, wir beide vorneweg, unsere Eltern hinterher. Als wir oben angekommen waren, musste ich mir die Hand schützend vor die Augen halten, da die Sonne mir direkt ins Gesicht schien. Ich spürte die Wärme auf meinem Gesicht bis in die Nasenspitze. Ein Blick in den Schnee und ich musste beim Anblick dieser kleinen Eiskristalle augenblicklich grinsen. Sie glitzerten und funkelten mir entgegen, als würden sie mir sagen wollen, wie schön der Winter doch war. Aber glaubt mir, das wusste ich schon lange, sehr lange.
„Aufsitzen!" Die Stimme von Tim riss mich aus meinen Gedanken. Dieser saß nämlich schon auf dem Schlitten, der förmlich nur darauf wartete von mir gesteuert zu werden. Freudig lächelnd setzte ich mich hinter ihn auf den Sitz, nahm die Schnur in die Hand und gab dem Gefährt ordentlich Schwung. Wie vom Blitz getroffen schoss das Ding unter uns los, flog regelrecht durch den Schnee. Ich beobachtete die kleinen Kristalle, die neben uns zur Seite flogen und spürte den Wind, der durch meine Haare pfiff. Mit einer leichten Bewegung lehnte ich mich nach rechts und wir düsten um die Kurve. Ich senkte meine Füße leicht, sodass sie den Boden berührten und ich uns somit ein wenig ausbremste. Die Bäume und die restliche Umgebung um uns herum flog an mir vorbei, es war nur ein verschwommener Film, der in meinem Augenwinkel ablief und den ich auch so gut es ging ausblendete, um nicht die traumhaften Bilder unmittelbar vor mir zu verpassen. Ich lächelte und legte meinen Kopf auf Tims Schulter. Ich konnte spüren, dass er ebenfalls lächelte, was mein Grinsen noch breiter werden ließ. Ich beobachtete die Sonne, die es immer nur manchmal schaffte, uns durch die Bäume zu erreichen. Wie sie immer wieder kurz aufblitzte, um uns kurz darauf wieder im Schatten der Bäume alleine zu lassen. Wir brausten noch um die letzte Ecke, bevor der Schlitten langsam über den Schnee schrabbte und schließlich zum Stehen kam. Ich stieg ab und schaute in Tims Gesicht, das vor Lachen nur so strahlte. Er hatte nicht vor, in der nächsten Zeit aufzustehen. Lächelnd schaute ich mich um und erblickte meine Eltern, die kurz nach uns losgefahren waren und somit gerade den Berg hinuntergesaust und vor uns zum Stehen kamen. Lachend purzelten sie in den Schnee und blieben dort liegen. Da war wohl irgendetwas schief gegangen! Lachend beobachtete ich, wie mein Bruder es ihnen nachmachte und sich kichernd auf dem Boden rollte. Ich freute mich jetzt schon wieder auf die nasse Wohnung, die uns heute Nachmittag erwarten würde. Mein Blick schweifte zu den Bäumen, die um uns herum gepflanzt waren und ich erblickte einen dunklen Schatten hinter einer der Tannen. Ich reckte meinen Hals, doch ich konnte den Schatten nicht identifizieren. Es war auf jeden Fall ein Mensch. Langsam schlich ich mich hinter einen Baum, der in der Nähe des Schattens stand und versteckte mich dahinter. Ein leises Knacken von Ästen ließ mich augenblicklich aufhorchen und verpasste mir eine Gänsehaut. Langsam drehte ich mich um und blickte in ein dunkles Gesicht einer Gestalt, die um einiges größer war als ich. Mein Herzschlag beschleunigte sich um das doppelte und schlug mir fast bis zum Hals. Mein Atem wurde schneller und ich spürte, wie kalt mir auf einmal war. Wo war meine Familie hin? Bemerkten die nichts von alle dem? Der Schatten wurde etwas größer, was daran lag, dass er direkt auf mich zukam. Instinktiv machte ich ein paar Schritte rückwärts, stolperte prompt über eine Baumwurzel und fiel hin. Der Schatten legte sich über mich und ich kniff die Augen zusammen, in der Hoffnung den Schatten damit einfach in Luft auflösen zu können. Als ein paar Sekunden nichts passierte, öffnete ich die Augen und sah endlich, wem der Schatten gehörte. Mir blieb die Spucke weg und dass ich nicht losgeschrien habe, war eigentlich auch schon alles. Vor mir baute sich ein großgewachsener Mann mit dunklen Haaren auf. Seine dunkle Kleidung jagte mir Angst ein und seine Stimmlage hatte eine gruselige Farbe. „Kann ich dir helfen?", sagte er da. Ich starrte ihn völlig entgeistert an. Wusste der eigentlich, was für einen Schrecken er mir eingejagt hatte? Was schlich der hier im Wald rum?
Er hielt mir seine Hand hin, um mich hochzuziehen. Verwirrt rappelte ich mich auf, ohne auf seine Hand einzugehen. Jetzt schaute ich ihm direkt ins Gesicht und er schien bei mir das gleiche zu tun. Seine dunklen Augen schienen mich regelrecht zu durchbohren und seine Gesichtszüge wurden immer gruseliger. Sein Blick scannte mich einmal von oben nach unten, irgendetwas schien ihm dabei nicht zu passen. Anschließend verschwand er mit dem gleichen dunklen Schatten, mit dem er gekommen war, ohne noch ein einziges Wort zu sagen. Ich starrte ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen war. Was sollte das? Völlig ratlos stand ich da zwischen den Bäumen und blickte noch ein paar Minuten auf die Stelle, an der der Mann gestanden hatte, bevor ich mich auf den Rückweg zu meiner Familie machte.
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