18 J.C
Wollte er immer noch nach Sydney gehen? Die Antwort hätte klar sein müssen. Es war das, wofür er so hart gearbeitet hatte. Doch in diesem Moment fühlte sich Justin zerrissener als je zuvor. Der Gedanke, von Abby wegzuziehen, machte ihn fertig, aber wie konnte er den Job ablehnen und seinen Chef in Stich lassen?
Abby würde das sicher nicht tun, wenn ihre Situation umgekehrt wäre. Zwei Monate lang hatten sie ein Bett und ein Haus, Freundschaft und Leidenschaft geteilt, aber sie hatten beide schon viel länger auf diese Beförderung hingearbeitet. Obwohl seine Gefühle widersprüchlich waren, konnte er nicht Nein sagen. Er konnte es nicht. Es abzulehnen war ... keine Option.
"Ja, ich will gehen.", sagte er, der Knoten in seinem Bauch zog sich enger zusammen, als er daran dachte, wie wenig Zeit ihm mit Abby blieb.
James griff über den Schreibtisch, um Justins Hand zu schütteln. "Wir werden ein formelles Schreiben aufsetzen und dir zusenden. Und wenn es dir recht ist, möchte ich das Team sofort darüber informieren. Ich möchte noch heute mit der Ausschreibung deiner Stelle beginnen."
"Das ist großartig.", erwiderte Justin und zwang sich, begeistert zu klingen.
James zählte ein paar Termine auf, zu denen Justin nach Sydney fliegen musste, so wie einige Besprechungen, zu denen er in der Zwischenzeit per Skype zugeschaltet werden musste, aber Justin hatte Mühe, irgendwas davon zu begreifen.
Sobald James in entlassen hatte, ging er aus der Tür und die Treppe hinunter, den Blick auf Abby gerichtet. In den letzten Monaten hätte er Abstand halten sollen, hätte sich mehr bemühen sollen, sein Herz zu schützen.
Bei all der Arbeit, die er investiert hatte, sollte er nicht so viel Kummer haben. Doch hatte er ihn. Die Vorstellung, sie zu verlassen, sie zu verletzen, ihre Beziehung zu beenden, ließ den körperlichen Schmerz in seiner Brust anschwellen. Es raubte ihn den Atem.
Er hatte sich so sehr bemüht, die Beförderung zu gewinnen, weil er den Schmerz, Abby zu verlieren, nicht ertragen wollte. Er hatte sie nicht gehen sehen wollen, aber er würde sie trotzdem verlieren. Nur weil er derjenige war, der ging, hieß das nicht, dass er sie nicht verlor. Er war nur zu dumm gewesen, das zu erkennen.
Als Abby aufblickte und ihn auf sich zukommen sah, war ihr Blick von der gleichen rauen Traurigkeit erfüllt, die sich plötzlich in ihn eingenistet hatte. "Glückwunsch.", murmelte sie.
Er hatte eimerweise Arbeit zu erledigen, aber daran dachte er im Moment nicht im Entferntesten, als er zu ihr hinüberging und den Platz ihr gegenüber einnahm.
Sie starrten sich gegenseitig an, während sie dasaßen und keiner von ihnen sprach. Eine Barriere, die heute Morgen noch nicht dagewesen war, schimmerte zwischen ihnen. Ihre Verzweiflung war spürbar, und er wollte die Hand ausstrecken und sie berühren, aber er war sich nicht sicher, ob sie den Trost, den er ihr anbieten wollte, annehmen würde. War sie wirklich so einverstanden mit dieser Situation, wie James dachte?
"James hat mir gesagt, dass du glaubst, dass dies die richtige Entscheidung ist."
Sie nickte. "Ich glaube, du wirst Großes erreichen, J.D. Ich freue mich für dich."
Er wusste nicht, was er sage sollte. Wenn es andersherum gewesen wäre, hätte er sich sicher nicht für sie freuen können. Er würde an alles denken, was er verlieren würde. Und er meinte damit nicht nur die Beförderung.
"Ich nehme an, du wirst ein paar mal nach Sydney müssen, bevor du umziehst." Ihr Lächeln war traurig und grenzte an Tragik. "Und ich schätze, ich muss nach einem neuen Mitbewohner suchen."
"Ich bin noch nicht weg, Abby."
Aber er könnte es genauso gut sein. Er konnte es in ihren Augen sehen. sie wollte nicht, dass er ging, aber sie tat ihr Bestes, um damit fertig zu werden - um weiterzumachen und das zu tun, was unter den gegebenen Umständen getan werden musste.
Wenn er nur wüsste, wie er damit umgehen sollte.
"Das bist du nicht, aber das wirst du in ein paar Monaten sein. Wir können nicht so tun, als wärst du es nicht."
Warum nicht? Das wollte er fragen. Aber er kannte die Antwort bereits. Das war der Grund, warum sie am Samstagabend in der Küche von Tony und Yvette dieses Gespräch geführt hatten.
"Abby, wegen dem, was du am Samstag gesagt hast ... sollten wir das beenden?"
"Ich wusste, dass unsere Zeit im März vorbei sein würde, Justin. Ich wusste, dass dies kommen würde. Und du wusstest es auch. Ich will jetzt nicht aufhören, wo wir nur noch ein paar Monate haben. Ich will sie ganz ausnutzen. Willst du das nicht auch?"
"Doch.", sagte er ohne zu zögern.
Bevor er darüber nachdenken konnte, wo er sich befand oder über ihre Regel, ihre Affäre geheim zu halten, griff er über den Schreibtisch und legte seine Hand auf die ihre. Sie verschränkte ihre Finger mit seinen und sah einen Moment lang auf ihre Hände hinunter, bevor sie ihren Blick wieder auf ihn richtete.
"Gut. Wann werden sie es bekannt geben?", fragte sie.
"E-Mail geht heute raus."
"Wir sollten heute Abend ausgehen. Feiern." Sie schenkte ihn ein schmales Lächeln. "Immerhin kannst du jetzt wahrscheinlich alle Überstunden abbauen."
Das konnte er. Ein wenig. Der Hauptgrund, warum er so hart gearbeitet hatte, war die Beförderung, und die war jetzt beschlossene Sache.
"Du hast recht.", sagte er. "Ich werde einen Tisch reservieren."
"Sollte ich nicht diejenige sein, die dich ausführt?"
"Nein, ich möchte dich ausführen. An einem schönen Ort."
Und es war ihm egal, wer sie sehen konnte. Die Beförderung gehörte ihm. Welchen Sinn hatte es, ihre Beziehung jetzt noch zu verbergen?
*****
"For he's a jolly good fellow, for he's a jolly good fellow. For he's a jolly good fellow, and so say all of us."
Abby lächelte und sang zusammen mit ihren Kollegen bei O'Reillys, aber innerlich brach ihr das Herz. Es war der vierundzwanzigste Dezember und das Team von Kale & Wells hatte früher Feierabend gemacht. Nach ihrem halben Arbeitstag waren die meisten von ihnen nach O'Reillys hinübergewandert, um am Heiligabend gemeinsam einen Drink zu nehmen.
Doch statt über die Feiertage zu reden, waren alle damit beschäftigt, auf Justins Erfolg und die vor zwei Tagen bekannt gegebene Beförderung anzustoßen. Während er glücklich aussah, hatte sie das Gefühl, dass sie bereits um das zukünftige Ende ihrer Beziehung trauerte.
Sie wollte sich unbedingt für ihn freuen, aber sie fragte sich, warum er den Schmerz der bevorstehenden Trennung nicht zu spüren schien. Würde er sie denn gar nicht vermissen?
Die Wahrheit war, dass er es wahrscheinlich nicht tun würde. Zumindest nicht für lange. Diese Beförderung war von Anfang an sein Ziel gewesen, und Justin hatte schon seit langem hart darauf hingearbeitet. Sogar nachdem ihre Affäre begonnen hatte, hatte er den Einsatz erhöht und sein Arbeitspensum verdoppelt.
Ihre Beziehung war nie geplant gewesen, und jetzt hatte sie den Eindruck, als sie kaum auf seinem Radar auftauchte. Er hatte offensichtlich keine Bedenken, sie aufzugeben. Der Umzug nach Sydney und die Eingewöhnung in einem neuen Staat und einem neuen Job würden ihn beschäftigen, und er würde sie bald vergessen.
Abby beobachtete, wie Justin von seinem Gesprächspartner aufblickte und nach ihr suchte. Als sein Blick den ihren fand, lächelte sie und winkte ihm zu.
Seit der Bekanntgabe von Justins Beförderung hatte sie sich zu so vielen Lächeln gezwungen, dass sie Angst hatte, ihr Gesicht könnte vor lauter Anstrengung zerspringen. Vielleicht war das der Grund, warum sie zum ersten Mal seit langer Zeit wieder am Rande der Gruppe stand.
Es lag nicht daran, dass sie jetzt nicht zu ihnen gehörte. Sondern weil sie sie gut genug kannten, um zu sehen, dass sie verletzt war. Vor allem Justin.
"Wie geht es dir, Abby?"
Abby drehte sie um und sah Jane neben sich stehen, deren Babybauch bei der Feier an diesem Freitagabend nicht zu übersehen war.
"Mir geht es gut.", Abby setzte ein strahlendes Lächeln auf. "Auf der Beförderung stand von Anfang an Justins Name."
"Du bist wirklich nicht sauer, dass du nicht gewonnen hast, nicht wahr?", fragte Jane und beobachtete sie aufmerksam.
"Er ist der Beste für diesen Job, und er verdient es. Ich bin kein bisschen sauer."
"Und was sind jetzt deine Pläne? Bleibst du in der Firma?"
"Natürlich. Ich werde das tun, was ich bisher getan habe."
Und dabei versuchen, nicht auseinanderzubrechen.
"Und natürlich möchte ich hier bleiben, damit ich dir helfen kann, wenn das Baby kommt. Natürlich nur, wenn du meine Hilfe willst.", fügte Abby hinzu.
Jane drückte ihren Arm. "Danke, Abby. Das tue ich. Ich glaube, ich werde jedes bisschen Hilfe brauchen, das man mir zukommen lässt."
Solange Abby die andere Frau kannte, war Jane immer die Ruhe selbst gewesen. Doch jedes Mal, wenn sie über das Baby sprachen, sah Abby die Angst in den Augen der anderen Frau. Das erinnerte sie daran, dass Abby nicht die einzige Person war, die Probleme hatte.
Hoffentlich würde die Hilfe für Jane mit dem Baby eine gute Ablenkung sein. Erst diese Woche hatten Abby, Renee und Kelly bei der Arbeit einen Pakt geschlossen, Jane auf jede erdenkliche Weise zu helfen.
"Pech gehabt mit der Beförderung, Abby.", sagte Chris, der aus der Menge zu ihr und Jane hinüberkam. "Aber du bekommst wenigstens den Trostpreis. Deine Wohnung ist fantastisch."
Das Letzte, woran sie denken wollte, war die Suche nach einem neuen Mitbewohner. Keiner konnte Justin ersetzen. Aber sie hatte in dieser Angelegenheit nicht wirklich eine Wahl.
"Ja, die ist toll, aber ich muss schnell jemanden finden. Alleine kann ich sie mir nicht lange leisten. Wenn du also jemanden kennst, der eine Wohnung sucht oder ein Zimmer braucht, sag ihm bitte, dass ich eines zu vermieten habe. Das würde mir Geld für Werbung sparen.
"Worum geht's?"
Abby hatte Justin nur für eine Minute aus den Augen gelassen, und schon hatte er sich an sie herangeschlichen. Sie erschrak leicht, als er seinen Arm um sie legte und sie zu sich zog.
Justin war seit der Bekanntgabe der Beförderung in der Öffentlichkeit viel liebevoller zu ihr gewesen, und Abby war besorgt, dass ihre Kollegen bald herausfinden würden, dass da etwas zwischen ihnen war. Die hochgezogene Augenbraue von Jane verriet, dass sie ihnen möglicherweise schon auf der Spur war.
"Wir haben gerade darüber gesprochen, dass Abby eure Wohnung bald für sich alleine haben wird.", sagte Chris.
"Abby hat uns gefragt, ob wir jemanden kennen, der Interesse an dem bald frei werdenden Zimmer hat.", fügte Jane hinzu.
"Sicherer als eine einfache Anzeige.", sagte Abby so beiläufig wie möglich und weigerte sich, Justin anzusehen, obwohl sie spürte, dass sich sein Blick in sie bohrte. Sie wollte nicht, dass er wusste, dass der Gedanke, dass er ausziehen würde, sie dazu brachte, sich zusammenrollen zu wollen und in den Schlaf zu weinen.
"Ich kenne da vielleicht jemanden.", sagte Chris.
"Wen?", fragte Justin.
"Johnno. Ich glaube, du kennst ihn nicht, aber ich kann für ihn bürgen. Er ist ein guter Kerl. Er hat sich gerade von seiner Frau getrennt und wohnt bei seinen Eltern, bis er etwas gefunden hat."
"Klingt so, als würde er sofort etwas suchen. Mein Zimmer wird erst in ein paar Monaten frei.", sagte Justin und zog Abby noch fester an sich.
Abby zog innerlich eine Grimasse. Er sprach so ruhig und gelassen über seinen Auszug. Er spürte wirklich keine Verzweiflung über das, was sie verlieren würden.
"Er wird auf die richtige Wohnung warten. Vor allem, wenn ich ihn von der Männerhöhle im hinteren Teil des Hauses erzähle.", gluckste Chris. "Ich sollte einen Anteil von der Miete für diese Wohnung bekommen. Ich scheine immer wieder Mieter dafür zu finden."
"Was ist, wenn er wieder mit seiner Ex zusammen kommt?", fragte Justin. "Dann wäre Abby wieder auf der Suche nach einem neuen Mitbewohner."
"Warum ziehst du nicht einfach aus, Abby?", fragte Jane.
Abby spürte, wie sich Justins Körper neben ihr versteifte, und er antwortete, bevor sie es konnte. "Ihr Name steht auf dem Mietvertrag, und wir haben vereinbart, dass derjenige, der bleibt, jemand anderen findet, der bei ihm einzieht."
"Aber es hindert mich doch nichts daran, auszuziehen, oder?", fragte Abby impulsiv und drehte sich zu Justin um. "Ich meine, wenn wir den Immobilienmakler nicht im Stich lassen und ihm rechtzeitig Bescheid geben, könnten wir den Mietvertrag im März beenden."
In Justins Blick lag so viel Verwirrung und noch etwas anderes, das Abby nicht ganz identifizieren konnte, als sie sich gegenseitig anstarrten.
"Warum willst du denn ausziehen?", fragte er. "Es ist eine tolle Wohnung."
"Ich weiß, dass sie das ist."
Das Haus war in der Tat wunderschön, aber in den drei Monaten, in denen sie zusammen gelebt hatten, hatten sie Erinnerung geschaffen, die sie verfolgen würden, wenn Justin sie verließ. Sie hatte zuvor nie daran gedacht auszuziehen, aber jetzt, da Jane das Thema angesprochen hatte, fragte sich Abby, warum sie nicht selbst daran gedacht hatte.
Der Abschied von Justin würde sie zerreißen, und sie war sich nicht sicher, wie sie das überleben sollte. Und in diesem Haus zu bleiben - ein Ort, an dem sie Justin an jeder Stelle sehen würde - konnte unmöglich gut für ihre geistige Gesundheit sein.
"Man kann nie wissen.", sagte Jane. "Dein Nachfolger braucht vielleicht eine Wohnung, J.D."
"Ja.", stimmte Chris zu. "Die Anzeige wurde am Montag veröffentlicht, und James sagt, es gibt bereits einen Haufen Bewerber, die darauf warten, aussortiert zu werden."
"Er beginnt nächste Woche mit den Vorstellungsgesprächen, richtig?", fragte Abby.
Glücklicherweise schien niemand zu bemerken, wie ihre Stimme leicht verstummte, als Justins Hand unter ihr Oberteil glitt und seine Finger über die Haut auf ihrem Rücken und nahe ihrer Hüften strichen.
Trotz der niederschmetternden Verzweiflung, die sie über Justins unbekümmerte Art zu gehen empfand, schien sie ihre Reaktion auf ihn nicht kontrollieren zu können. Ihre Brustwarzen spannten sich an, ihr Körper erhitzte sich und ein Puls pochte tief in ihrem Bauch, was sie von dem Gespräch ablenkte.
In ihr prallten Wut und Verlangen aufeinander. Warum berührte er sie jetzt auf diese Weise? Sie hatten vereinbart, ihr Affäre geheim zu halten, und während es ihm vielleicht egal war, ihr Privatleben geheim zu halten, jetzt, wo er die Beförderung gewonnen hatte, war es ihr nicht egal.
Ihre Kollegen würden ihr Elend sehen und den Grund dafür verstehen, wenn sie von ihrer Beziehung wüssten. Sie wollte nicht, dass jeder sie später fragte, ob es ihr gut ging. Nicht, wenn sie sich so verdammt anstrengen würde, vor ihnen nicht zusammenzubrechen.
"Ich hoffe, der Neue ist nett anzuschauen.", sagte Jane und zwinkerte Abby zu.
"Schön zu wissen, dass du den neusten Mitarbeiter von Kale & Wells willkommen heißt, indem du ihm das Gefühl gibst, ein Stück Fleisch zu sein.", sagte Justin mit einem Hauch von Verärgerung in seiner Stimme. "Es könnte ja auch eine Frau sein."
Jane grinste. "Könnte sein, aber ich hoffe nicht. Ich sehe zwar aus wie eine dicke, fette, schwangere Kuh, aber ich weiß einen Mann in seinen besten Jahren immer noch zu schätzen. Ich bin mir sicher, Abby hätte auch nichts dagegen, etwas Nettes zu sehen. Stimmts, Abby?"
Abby beschloss, den zweiten Teil von Janes Bemerkung zu ignorieren. "Du siehst überhaupt nicht wie eine Kuh aus, Jane."
"Kannst du die beiden fassen, J.D?", fragte Chris. "Wenn es darum ginge, ein heißes Mädel für die Arbeit zu gewinnen, würden sie über sexuelle Belästigung und die Objektivierung von Frauen schimpfen."
Jane verdrehte nur die Augen. "Als ob du J.D nach seinem Besuch im Sydney nicht nach den heißen Bräuten im Büro fragen würdest."
Chris lächelte. "Nun, das ist etwas anderes."
"Kalr ist es das.", spottete Jane.
Justin zwang sich, über das lächerliche Geplänkel von Jane und Chris zu lachen, aber innerlich geriet er wegen Abbys Bemerkung über ihren Auszug in Panik. Sie sollte nicht ausziehen wollen. Sie sollte nicht weggehen.
Er wusste, dass er egoistisch war, weil er jede letzte Minute mit ihr verbringen wollte, aber er hasste die Vorstellung, dass sie ausziehen würde, bevor ihre Zeit vorbei war. Er hatte ihr immer wieder gesagt, dass er noch nicht weg war, aber in der kurzen Zeit der Bekanntgabe war sie ... anders gewesen.
Ein wenig zurückgezogen. Eindeutig verschlossener. Die Veränderung war so subtil, dass er nicht wusste, ob sie sich überhaupt bewusst war, dass sie sich von ihm entfernte, aber er konnte es spüren. Sie baute langsam eine Mauer zwischen ihnen auf.
Morgen war Weihnachten, und er hatte Abby gebeten, mit ihm zu seiner Familie zu kommen. Abby hatte jedoch seine Einladung zum Mittagessen mit seinen Eltern und Geschwistern abgelehnt, weil sie sich nicht wohl dabei fühlte, wenn er sie als seine Freundin vorstellte, denn das war sie ja nicht.
"Was bringt es, Leute zu treffen, die ich nie wieder sehen werde?", hatte sie gefragt. "Ich kann nicht einfach so tun, als wäre ich nur deine Mitbewohnerin."
Natürlich konnte er ihr Zögern verstehen, aber er hasste den Gedanken, dass sie den größten Teil des Tages allein verbringen würde - etwas, von dem er sicher war, dass sie es jedes Jahr tat. Er wollte zurückkommen, um mit ihr ein Weihnachtsessen zu sich zu nehmen, aber das würde erst am späten Nachmittag sein.
Er strich mit den Daumen über die weiche Haut in der Nähe ihrer Hüfte und freute sich über die Gänsehaut, die sich daraufhin bildete. Das einzige Mal, dass sie beide in diesen Tagen auf derselben Wellenlänge zu sein schienen, war, wenn sie zusammen im Bett lagen. Nur dann hatte er das Gefühl, dass sie nicht versuchte, ihn wegzustoßen und auszuschließen.
"Hey.", flüsterte er in Abbys Ohr. "Bist du bereit, zu gehen?"
Sie drehte sich zu ihm um. "Schon?"
Er grinste. "Ich habe hart gearbeitet. Ich bin müde und möchte ins Bett gehen. Ja, ich will gehen."
Abby verstand seine Anspielung und ihre Wangen wurden heiß, bevor ein Anflug von Verärgerung über ihr Gesicht huschte. Sie warf einen verstohlenen Blick in die Richtung ihrer Kollegen. "Ich denke, dann können wir gehen."
Alles, woran Justin denken konnte, als sie sich verabschiedeten, war, wie schnell er Abby für sich allein haben würde. Er konnte es kaum erwarten, sie nach Hause zu bringen und sich in ihr zu vergraben - damit sie beide die Beförderung und seinen Umzug in einen anderen Staat vergessen konnten. Selbst wenn es nur für kurze Zeit war.
Als sie das O'Reillys verließen, löste sich Abby jedoch aus seinem Griff und schlenderte zu ihrem Auto. Sie schloss auf, kletterte hinein und schlug die Tür hinter sich fest zu.
"Ich dachte, wir wollten die Sache geheim halten.", sagte sie, sobald Justin im Auto saß.
Er runzelte die Stirn. "Tun wir doch."
Kaum war er angeschnallt, ließ sie den Motor an und raste wie eine Verrückte vom Parkplatz. "Wir hatten nicht vor, jemandem von uns zu erzählen."
"Ich habe nichts gesagt."
"Das brauchst du auch nicht, Justin. Die Art, wie du mich berührst und ansiehst ... das verrät es. Du hast da gestanden und mich vor Chris und Jane berührt. Ich glaube, Jane weiß es."
Er wartete darauf, dass die Reue einsetzte, dass ihm leidtat, was er getan hatte, aber er spürte überhaupt keine Reue.
"Abs, wir haben nur noch ein paar Monate. Ist es so falsch, dass ich sie nicht damit verbringen will, herumzuschleichen, und alles, was wir tun, in Geheimnisse zu hüllen? Ich will dich berühren und küssen können, wann immer ich will. Ich möchte nicht eingeschränkt werden, nur weil andere Leute da sind."
"Aber was ist mit dem, was ich will, Justin?"
Das offensichtliche Zittern in ihrer Stimme und der Kummer in ihren Augen schnitten direkt durch ihn hindurch.
"Was willst du, Abby?", fragte er. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug, als er auf ihre Antwort wartete.
"Was ich will? Ich will ... ich will, dass mich nicht jeder fragt, ob es mir gut geht, wen du weg bist. Das ist es, was ich will."
"Abby -"
"Justin, bitte.", unterbrach sie ihn. "Es ist nicht so, dass ich nicht wusste, dass dieser Tag kommen würde. Ich wusste es. Ich weiß es. Ich will nur nicht, dass es größer wird, als es sein muss. Kannst du das nicht verstehen?"
Er verstand es, natürlich, aber er bedauerte zutiefst, dass sie nie etwas wie eine normale Beziehung haben würden. Sie hätten mehr als das haben sollen.
"Ich verstehe es.", gab er widerstrebend zu. "Ich werde in Zukunft etwas diskreter sein, okay?"
"Danke.", flüstere sie.
Er griff nach ihrer Hand und wollte ihren Streit hinter sich lassen und den Rest des Weihnachtsabends retten. "Dich zu verlassen, wird eine große Lücke in meinem Leben hinterlassen."
Sie blickte zu ihm hinüber und schenkte ihn ein wässriges Lächeln, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Straße richtete. "Du wirst genug Dinge haben, um die Lücke zu füllen."
Sofort musste er an Sarah denken. In den letzten zwei Monaten hatte er kaum noch an sie gedacht. Zumindest nicht, bevor Brett sie erwähnt hatte. Zweifellos war Justins Reaktion mehr Gewohnheit als alles andere gewesen.
Denn selbst, nachdem er gehört hatte, dass er befördert wurde, hatte er nicht an Sarah gedacht. Alles, woran er gedacht hatte, war Abby. Sie hatte seine Aufmerksamkeit ständig auf sich gezogen, und er konnte sich nicht vorstellen, dass sie das änderte, nur weil sie nicht mehr im selben Staat lebten.
"Das bezweifle ich.", sagte er.
Sie erwiderte nichts, und für den Rest der Heimfahrt herrschte Schweigen zwischen ihnen.
Sobald sie jedoch im Haus waren, drückte er sie gegen die Tür, presste seinen Mund auf den ihren und erinnerte sie daran, dass er jetzt noch bei ihr war. Er war noch nicht weg.
Seine Zunge schlängelte sich an ihrer entlang, als sie ihren Mund öffnete und ihm einlas gewährte. Als sie eines ihrer Beine um seine Hüfte schlang, um ihn näher an sich heranzuziehen und ihre Hüfte gegen ihn zu bewegen, hob er sie hoch, damit sie beide Beine richtig um ihn schlingen konnte.
Sie bewegten sich gegeneinander, ihr Wimmern und Stöhnen schürte sein Verlangen nach ihr. Es war einfach nicht genug Zeit für sie. Und es war nicht fair, dass sie nie mehr als das hier haben würden.
Als er sich zurückziehen musste, um Luft zu holen, trafen sich ihre Blicke. Die einzelne Träne, die ihr über die Wange lief, sagte, dass sie ihm absolut zustimmte. Er wischte sie mit dem Daumen weg, bevor er sie in sein Schlafzimmer trug.
Ein Ort, an dem sie so tun konnten, als gäbe s keine Grenzen für das, was sie waren und was sie sein konnten. Ein Ort, an dem sie die tieferen Gefühle nicht ignorieren mussten, die sie beide nicht auszusprechen wagten.
Als er sie auf das Bett legte und sie sanft küsste, sich in dem Gefühl ihrer Hände auf seinem Körper und ihre Lippen unter seinen verlor, hoffte er, dass seine Gefühle für sie genauso offensichtlich waren wie ihre für ihn. Er war verrückt nach ihr. Er konnte es sich nicht leisten, es zu sein, und doch war es unleugbar.
*****
Die Eifersucht traf Justin wie eine Faust, als er sah, wie Jordan Cavil mit Abby aus dem Pausenraum kam.
Nach mehreren Vorstellungsrunden war Jordan Cavil von Kale & Wells eingestellt worden. Bis jetzt war Justin nicht besonders beeindruckt von dem anderen Mann. Sicher, Jordan hatte die Erfahrung, nach der James gesucht hatte, aber er nahm seine Rolle als Justins Ersatz ein wenig zu ernst. Dass er darauf bestand, dass man ihn J.C. nannte, war wahnsinnig nervig, aber nicht so nervig, wie Jordans offensichtliches Interesse an Abby.
"Arbeitest du immer noch?", fragte Jordan, als er sich auf den Sitz neben Justin setzte.
Leider musste Justin den Mann anlernen. Die letzten Wochen waren schon anstrengend genug gewesen, ohne dass er acht Stunden am Tag mit dem Kerl verbringen musste, der bei seiner Freundin einziehen wollte.
"Ja.", antwortete Justin gereizt. "Ich habe noch eine Menge zu tun, bevor ich gehe."
Jordan hatte seinen Zorn vielleicht nicht verdient, aber Justin konnte nicht umhin, sich über den Mann zu ärgern, der ihn ersetzte. Die Zeit mit Abby lief viel zu schnell ab, und es waren jetzt weniger als zwei Monate, bis er nach Sydney gehen musste.
In letzter Zeit schienen ihn immer mehr Zweifel zu plagen. Wie oft hatte er sich in den letzten Tagen gefragt, wie er sein Weggehen überleben sollte? Wie oft hatte er sich gefragt, ob es zu spät wäre, von der Beförderung zurückzutreten? Wie oft hatte er sich gefragt, ob es wirklich das Richtige war, nach Sydney zu ziehen? Aber jedes Mal, wenn er sich diese Fragen stellte, kam er zu demselben Schluss: Er konnte seine Meinung jetzt nicht mehr ändern.
Alles für den Umzug war bereits vorbereitet. Er hatte jemand von der Abteilung in Sydney beauftragt, eine Unterkunft für ihn zu suchen, und Jordan war bereits als sein Nachfolger eingestellt worden. Wenn Justin jetzt einen Rückzieher machen würde, würde er seinen Chef ohne jemanden zurücklassen, der das Ruder in Sydney übernehmen könnte. Er musste diese Beförderung annehmen. Er musste es einfach. Aber er hatte Schwierigkeiten mit dem Gedanken, Abby zu verlassen.
"Du solltest dir ab und zu eine Auszeit gönnen, sonst brennst du aus.", sagte Jordan zu ihm. "Gesunde Work-Life-Balance, weißt du?"
"Ich bin mit dem Konzept vage vertraut."
Es war fast schon lächerlich, dass er noch vor drei oder mehr Monaten derjenige gewesen war, der Abby einen Vortrag über eine gesunde Work-Life-Balance gehalten hatte. Niemand würde vermuten, dass Justin einmal der geselligere der beiden gewesen war.
"Hey, ich wollte dich noch was fragen. Weißt du, ob Abby Single ist?", fragte Jordan.
Justin verfluchte im Geiste die Tatsache, dass Abby ihre Beziehung immer noch geheim halten wollte. "Ich frage sie nicht, was sie in ihrer Freizeit macht."
Er brauchte sie nicht zu fragen. Sie verbrachten ihre Freizeit zusammen.
"Du weißt nicht, ob sie mit jemanden ausgeht oder zusammen ist?"
Er wollte lügen - sagen, dass es eine Vorschrift gab, die Mitarbeitern verbot, miteinander auszugehen, aber er wollte nicht ertappt werden, wenn Jordan mit jemand anderen darüber sprach.
"Du bist noch nicht einmal eine Woche hier. Es könnte als leichtsinnig und mehr als nur ein wenig idiotisch angesehen werden, mit jemanden im Büro auszugehen." Das war keine völlige Unwahrheit. "Es ist nie eine gute Idee dort zu scheißen, wo man isst."
In diesen Moment sah Abby ihn mit einem Stirnrunzeln im Gesicht direkt an. Justin spürte, wie sein Herz schneller schlug, als sich ihre Blicke trafen. Hatte sie ihn gehört?
"Oh, jetzt verstehe ich.", sagte Jordan mit einem grinsen im Gesicht. "Du und Abby hattet was miteinander."
Sie hatten nichts miteinander gehabt, sondern hatten was miteinander. Und in den nächsten zwei Monaten würden sie ihr Ding fortsetzen.
Nach ihrem Gespräch am Heiligabend hatte er sich Sorgen gemacht, dass Abby ausziehen oder die Beziehung beenden könnte, aber sie hatte nicht erwähnt, dass sie sich nach einer anderen Wohnung umsah. Jetzt wollte er nur noch jede gemeinsame Minute nutzen.
Die Essensschlacht, die sie beim Aufräumen des Weihnachtsessens gemacht hatten, brachte ihn jedes Mal zum Lächeln, wenn er daran dachte, und ihr Ausflug in die Stadt mit Tony und Yvette an Silvester war magisch gewesen.
Für nächste Woche - nach seiner Rückkehr von seiner ersten Reise nach Sydney - hatte er eine Überraschungsparty für sie geplant, und er hoffte, dass es ein Abend werden würde, den keiner von ihnen vergessen würde. Sich vorzustellen, wie ihr Gesichtsausdruck sein würde, wenn sie hereinkam, und alle Anwesenden sah, würde wahrscheinlich das einzige sein, was ihn die Zeit ohne sie überstehen ließ.
"Hör zu, Abby ist meine Mitbewohnerin, meine Kollegin und vor allen eine Freundin. Ich will nicht, dass sie von jemanden verarscht wird, der nur auf ein bisschen Spaß aus ist. Jeder, der ihr wehtut, muss sich vor mir verantworten."
Das war die absolute Wahrheit. Ob sie nun zusammen waren oder nicht, er würde auf Abby aufpassen. Immer.
Was wirst du tun, wenn du meilenweit weg in Sydney bist? Wie willst du sie dann beschützen?
"Wer sagt denn, dass ich nur an einem kurzen Spaß interessiert bin?", fragte Jordan ruhig. "Jeder, der nur halbwegs bei Verstand ist, kann sehen, dass sie das Zeug zu einer erstklassigen Freundin hat."
Justin fühlte sich schon schuldig genug, ohne das Jordan ihn auf das offensichtliche hinwies. Natürlich hatte Abby das Zeug zu einer erstklassigen Freundin. Er hasste es zutiefst, dass er ihr nur diese Affäre gegeben hatte, von der keiner von ihnen jemanden erzählen konnte. Es war nicht fair und es war nicht richtig.
Abby hatte es verdient, alles zu haben, und dazu gehörte auch ein Mann, dem sie ihr Herz und ihre neu entdeckte Verletzlichkeit anvertrauen konnte - jemand, der ihr weiterhin helfen konnte, sich zu öffnen und Beziehungen zu Menschen aufzubauen. Aber war es zu viel zu hoffen, dass Jordan Cavil nicht dieser Mann war?
Abby und Jordan zusammen zu sehen, wann immer er nach Melbourne zurückkommen musste, würde ... nun, es würde ihm das Herz brechen.
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