15 Offenbarungen
Justin bemühte sich, seinen Kiefer und seine Fäuste zu entspannen, als er auf Abbys Rücken starrte. Sie hatte sich mit dem Rücken zu ihm gesetzt und ihn ausgeschlossen, während sie mit Chris und den anderen Mitarbeiten von Kale & Wells redete.
Justin war verwirrt und dann verletzt gewesen, als sie angedeutet hatte, dass sie nicht wollte, dass er zu ihr kam und mit ihr redete. Und als sie dann mit Chris weggegangen war und fröhlich so getan hatte, als wäre der heutige Abend nie passiert, hatte Justin sich verletzt gefühlt.
Jetzt jedoch kochte die Wut an die Oberfläche und überschattete den Schmerz. Abby hatte gesagt, dass es ihr gut ging und dass sie Freunde bleiben sollten. Warum also hatte sie das Bedürfnis, ihm aus dem Weg zu gehen?
Scheiß drauf. Er hatte nicht vor, dazustehen und sich zu fragen, warum. Seit Abby mit Tony und Yvette an ihrer Seite die Party wieder betreten hatte, hatte er kein einziges Wort mehr gehört, das jemand zu ihm gesagt hatte. Er wollte Antworten, und er war nicht in der Lage, sich auf das zu konzentrieren, was um ihn herum geschah, bis er sie hatte.
"Ich glaube das Eis schmilzt.", sagte er zu seinen Kumpels und ging weg, bevor sie ihn auf die Dummheit seiner Ausrede, das Gespräch zu verlassen, ansprechen konnten.
Er kam nicht sehr weit, bevor Tony ihn sah und sein Vorankommen stoppte.
"Wo willst du denn so eilig hin?", fragte er.
"Ich muss mit Abby sprechen."
"Ja, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist."
Justin wandte seinen Blick von Abby ab und starrte seinen Kumpel an. "Warum nicht?"
Wusste Tony, warum Abby das Ignorier-Spiel spielte? Hatte Abby mit Tony gesprochen, bevor sie auf die Party zurückgekommen waren? War das der Grund, warum Tony Justin in der letzten Stunde so genau beobachtet hatte?
"Sie brauchte nichts zu sagen.", antwortete Tony. "Es war ziemlich klar, dass etwas nicht stimmte, als ich sie in Yvettes Auto fand und sie sich dort die Augen ausheulte."
"Was?" Justin fühlte sich, als hätte er gerade einen Schlag in den Magen bekommen. "Abby war aufgebracht?"
"Aufgebracht ist eine Untertreibung."
"Warum hast du mich nicht geholt?"
"Weil du offensichtlich die Ursache warst und Abby mich angefleht hat, es nicht zu tun."
Justin fluchte. Abby hatte ihn gehen lassen, nachdem sie ihm gesagt hatte, dass zwischen ihnen alles in Ordnung wäre - dass es ihr gut ginge. Offensichtlich war es eine Lüge gewesen. Sie hatte gelitten und er hatte keine Ahnung gehabt.
Er glaubte nicht, dass er sich noch schlechter fühlen konnte, selbst wenn er es versuchte. Kein Wunder, dass sie nicht wollte, dass er sich ihr näherte. Sie wollte nicht, dass er wusste, dass sie geweint hatte.
"Du wolltest dich bei ihr entschuldigen.", sagte Tony. "Was zum Teufel ist passiert?"
"Ich habe es vermasselt."
"Ach nee."
Justin fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. "Ich habe mich entschuldigt, aber erst, als es schon zu spät war."
Tonys Gesichtsausdruck war hart. "Warum war es zu spät?"
Justin schüttelte den Kopf. "Ich habe sie geküsst, und dieses Mal habe ich nicht aufgehört."
"Willst du mich verarschen? Du hattest Sex mit ihr? Heute Abend? Auf der Party?"
"Es war, als ob ich nicht anders konnte. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, rief Sarah direkt danach an. Abby nahm das Handy und reichte s mir, bevor ich sie aufhalten konnte. Ich ging nicht ran, aber das machte alles noch viel schlimmer."
"Mein Gott, J.D."
"Ich weiß, ich habe es versaut. Jetzt ist Abby verletzt, und ich muss Sarah erklären, was zwischen Abby und mi passiert ist. Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, alles so sehr zu vermasseln."
"Von allen Dummheiten, die du hättest machen können, ist das die Krönung. Du bist der erste Mann, den sie seit Jahren mag und mit dem sie schläft, und du bist in eine andere verliebt. Sie weiß nicht, wie sie damit umgehen soll - nicht, nachdem sie so lange aus dem Dating-Spiel raus war."
Schuldgefühle wegen der ganzen Situation machten es Justin schwer zu atmen. Sein Herz fühlte sich an, als würde es sich zu einem Knoten verdrehen. "Das ist es ja gerade.", erwiderte er. "Ich bin nicht mehr in Sarah verliebt. Ich meine, das kann ich doch nicht sein, oder? Nicht, wenn ich so viel für Abby empfinde."
Tony schien über die Frage nachzudenken, während sein Blick Yvette in der Menge suchte. "Du könntest mich nicht dafür bezahlen, mit jemand anderen zu schlafen. Zur Hölle, ich glaube nicht mal, dass ich für ein anderes Mädchen einen hochkriegen könnte. Sie ist mein Ein und Alles."
Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Justin seinen Freund vielleicht ein Riesen-Weichei genannt, aber er verstand dieses Gefühl. Er fühlte einen Anflug von Traurigkeit über die Tatsache, dass er einst so über Sarah gefühlt hatte.
Jahrelang hatte er geglaubt, dass er nie über Sarah hinwegkommen würde. Er hatte geglaubt, Sarah sei die Richtige, weil sie die einzige Frau gewesen war, bei der er das Gefühl gehabt hatte, dass die Erde bebte, wenn er mit ihr zusammen war. Aber er hatte sich geirrt.
"Wann habe ich aufgehört, sie zu lieben?", fragte er sich.
"Wen kümmert es, wann es passiert ist? Das, worauf du dich konzentrieren solltest, ist Abby. Du hast eindeutig Gefühle für sie, und die kannst du nicht ignorieren.", sagte Tony.
"Egal, wie sehr ich sie mag, es wird nicht funktionieren. Die Beförderung wird uns trennen."
"Willst du immer noch befördert werden?", fragte Tony. "Ich meine, wenn du nicht in Sarah verliebt bist, musst du dann immer noch nach Sydney gehen?"
"James braucht jemanden, der diese Rolle ausfüllt."
"Kann es jemand anderes sein?"
"Die einzige andere Person, die sich beworben hat, ist Abby. Wenn ich die Stelle nicht annehme, wird sie es tun."
"Könnt ihr beide zusammen zurücktreten?", fragte Tony.
Justin dachte darüber nach. Sie könnten sich zurückziehen, aber ihr Chef würde nicht glücklich darüber sein. Und Justin war sich nicht sicher, ob er sich aus den Rennen zurückziehen sollte. Er hing an den Gedanken befördert zu werden.
Auch wenn er anfangs gedacht hatte, dass er nur gerne befördert werden würde, um näher bei Sarah zu sein, hatte er dieses Jahr hart gearbeitet - härter als je zuvor in seinem Leben. Die Vorstellung, all das getan zu haben und mit leeren Händen dazustehen, fühlte sich an wie ... nun ja, als hätte er eine Menge harter Arbeit vergeudet.
"Ich bin mir nicht sicher, ob ich das will. In Vic zu bleiben, war nicht mein Plan."
"Das ist das Problem mit dir, J.D.. Du bist so sehr damit beschäftigt, dich an die Pläne zu halten, die du machst, dass du nicht weißt, wie du damit umgehen sollst, wenn Scheiße passiert. Willst du mir sagen, dass du dir die Gelegenheit entgehen lässt, mit der einzigen Frau zusammen zu sein, die dich jemals dazu gebracht hat, nicht mehr an Sarah zu denken?"
Das war eine gute Frage. Er hatte starke Gefühle für Abby, aber sollte er deswegen eine Beförderung ablehnen? Würde Abby sie auch ablehnen?
"Was ist die Alternative?", fragte Tony. "Du versuchst, diese Gefühle für Abby zu überwinden. Oh, nein, warte. Das hast du doch schon versucht, oder?"
Justin schüttelte den Kopf als Antwort auf Tonys Sarkasmus.
"Ich glaube nicht, dass du dich von Abby abwenden kannst.", sagte Tony zuversichtlich. "Und du musst wissen, dass, wenn du nichts unternimmst, es jemand anderes tun wird. Kannst du dich die nächsten Monate zurückhalten und zusehen, wie Abby sich verabredet? Oder einen Mann mit nach Hause bringt?"
Justin sah, wie Chris sich zu Abby beugte und ihr etwas ins Ohr flüsterte, was sie zum Lachen brachte. Seine Sicht verschwamm, bis auf das Rot an den Rändern. Seine Brust fühlte sich zu eng an, ein Herz raste und seine Hände ballten sich zu Fäusten.
Es war schon hart gewesen, sie mit jemanden flirten zu sehen, bevor er mit ihr ins Bett gegangen war, aber jetzt fühlte er sich, als würde sein Innerstes herausgerissen und durch einen Häcksler gejagt. Die rohen, besitzergreifenden Gefühle, die sie in ihm auslöste, waren ihm völlig fremd und unmöglich zu ignorieren.
"Ich weiß nicht, was ich tun soll.", gab Justin zu. "Unter diesen Umständen scheint es keine gute Antwort zu geben."
"Es gibt nur eine Person, die dir helfen kann zu entscheiden, was du tun sollst."
Abby war aufgestanden. Sie lächelte Chris an, bevor sie etwas sagte und wegging.
"Ich denke, das ist mein Stichwort, euch allein zu lassen.", sagte Tony.
Justin nickte und machte sich auf den Weg zu Abby, nur um von der einen Person aufgehalten zu werden, der er seit seiner Rückkehr auf der Party aus dem Weg gehen wollte.
Chloes Augen funkelten ihn böse an, als sie ihm ihr Handy hinhielt. "Anscheinend konnte Sarah dich nicht erreichen. Sie will mit dir reden."
Er konnte nicht glauben, dass Sarah so verzweifelt war, ihn anzumaulen, dass sie sogar Chloe anrief und sie dazu brachte, ihn ans Telefon zu zwingen. Er war noch nicht bereit für dieses Gespräch. Es musste geführt werden, aber hier und jetzt war weder die Zeit noch der beste Ort dafür. Nicht, dass Sarah ihn dabei eine große Wahl gelassen hätte.
Widerwillig nahm er ihr Handy entgegen. Abby schaute eine Sekunde später in seine Richtung und ihr Blick blieb sofort am Handy hängen, dass er gerade an sein Ohr gehalten hatte. Sie musste wissen, dass es Sarah war. Schmerz flackerte in ihren Augen auf, bevor sie sich schnell abwandte und so tat, als wäre es ihr egal.
Du bist der erste Mann, den sie seit Jahren mag und mit dem sie geschlafen hat, und du bist in eine andere verliebt. Sie weiß nicht, wie sie damit umgehen soll.
Er musste ihr erklären, dass er nicht mehr in Sarah verliebt war. Und er musste Abby sagen, dass sie diejenige war, die ihm das klargemacht hatte. Aber er konnte ihr nicht nachgehen. Noch nicht. Er musste sich zuerst um dieses Gespräch kümmern.
"Sarah.", sagte er so neutral wie möglich.
"Du gehst nicht an dein Handy."
Ihr Ton war anklagend und er wurde sofort stutzig. "Ich habe dir gesagt, dass heute Abend Abbys Einweihungsfeier stattfindet. Du wusstest, dass ich keine Zeit haben würde, zu reden."
"Ist die Einweihungsparty der einzige Grund, warum du meinen Anruf nicht annimmst."
Er ging von Chloe weg, ohne dass es ihn interessierte, dass es ihr Telefon war, dass er in der Hand hielt. Dafür brauchte er Privatsphäre. Er ging geradewegs auf das Tor zu und ging den Bürgersteig entlang, bis er etwa auf halber Strecke der Straße war.
"Was willst du mich wirklich fragen, Sarah?"
"Chloe hat mir getexted. Sie hat ein paar Dinge über dich und Abby gesagt, die mir das Gefühl gegeben haben, dass du und ich reden müssen."
"Was hat sie gesagt?"
"Sie hat gesagt, dass du dich an Abby rangemacht hast, dass du sie die ganze Nacht beobachtet hast und dann nicht aufhören wolltest, sie zu berühren. sie sagte, du warst eindeutig ... in sie verliebt. Sag mir, dass sie sich das alles nur einbildet, J.D."
Er nahm einen tiefen Atemzug und atmete langsam aus. "Ich kann nicht."
Wut strahlte über die Telefonleitung. "Du hast gesagt, ich brauche mir keine Sorgen zu machen. Du hast gesagt -"
"Ich weiß, was ich gesagt habe.", unterbrach er sie. "Und ich wünschte, es wäre die Wahrheit gewesen. Als ich es gesagt habe, habe ich mir eingeredet, dass es so ist, aber die Dinge zwischen Abby und mir haben sich geändert."
"Du hast mit ihr geschlafen, stimmts?", verlangte Sarah.
Er schloss die Augen und betete im Stillen um Mut. "Ja."
"Oh mein Gott.", würgte Sarah hervor.
"Ich wollte dir nie wehtun, Sarah."
"Was bedeutet das für uns, J.D.?"
Er atmete tief durch. "Die Sache mit Abby ist anders als mit allen anderen Frauen. Es hat mir klargemacht, dass ich nicht sicher bin, ob ich wieder mit dir zusammenkommen will." Sein Herz schmerzte, als er ihr leises Schluchzen hörte. "Es tut mir leid, Sar. Ich wollte es dir nicht auf diesen Weg sagen. Ich hasse es, dir wehtun zu müssen."
"Du solltest gehen.", sagte Sarah heiser zu ihm. "Geh zurück zu deiner Party."
"Sarah ..."
"Ich brauche etwas Zeit, J.D."
Er verstand. Wie konnte er auch nicht? Wenn die Situation umgekehrt gewesen wäre und er um Zeit gebeten hätte, wusste er, dass Sarah sie ihm gegeben hätte. "Ich gebe Chloe besser Ihr Handy zurück."
"Wir reden später.", sagte sie, dann legte sie auf.
Er hatte es heute Abend geschafft, sowohl Abby als auch Sarah zu verletzten. Zwei von zwei. Das entwickelte sich zu einem herausragenden Abend, und er war noch nicht zu Ende.
Er setzte sich für einen Moment auf den Bürgersteig. Er wusste, dass er Chloe ihr Telefon zurückgeben und dann mit Abby reden sollte, aber eine Auszeit zu nehmen, bevor er noch etwas vermasselte, war genau das, was er jetzt brauchte.
*****
Abby schwelgte in der köstlich, prickelnden Wärme, die sich in ihrem Körper ausgebreitet hatte - das Ergebnis der drei Drinks, die sie getrunken hatte, seit sie sich mit Chris und ihren anderen Kollegen zusammengesetzt hatte. Trotz der Gläser Wasser, die sie soeben in der Küche getrunken hatte, fühlten sich ihre Glieder leicht an, und ihr ganzer Körper war locker und entspannt. Zumindest wenn sie nicht daran dachte, dass Justin gerade mit Sarah sprach.
Sie ignorierte das plötzliche ziehen in ihrer Brust, das dieser Gedanke in ihr auslöste, und versuchte, sich auf etwas weitaus Angenehmeres zu konzentrieren, z.B. darauf, wie anders ihre Kollegen heute Abend mit ihr umgingen im Vergleich zu dem ersten Freitag, an dem sie vor einem Monat das O'Reillys betreten hatte.
Das Team sprach mit ihr, teilte Informationen mit ihr, tauschte Geschichten aus und bezog sie ein. Sie fühlte sich, als gehörte sie zur Gruppe. Und obwohl ihr das Herz schwer wurde, genoss sie ihre Gesellschaft.
Chris war ein perfekter Gentleman gewesen und hatte dafür gesorgt, dass ihr Glas immer voll war. Sein Arm lag auf ihrer Rückenlehne, aber er hatte nicht mehr mit ihr geflirtet als mit den anderen Frauen, die bei ihnen saßen.
"Ich habe Neuigkeiten.", verkündete Jane plötzlich.
Alle von Kale & Wells hörten auf zu reden und sah Jane an, und Abby beobachtete, wie sie einen großen Schluck von ihrem Getränk nahm, bevor sie ihr Glas fest umklammerte.
"Es hat sich herausgestellt, dass ich schwanger bin.", platzte Jane heraus
Es herrschte einen Moment lang Stille, bevor alle auf einmal zu reden begannen.
"Heiliger Strohsack.", sagte irgendjemand.
"Herzlichen Glückwunsch.", sagte ein anderer.
"Das habe ich nicht erwartet.", sagte Chris. "Gut gemacht, Diego."
Jane lächelte und beantwortete einige Fragen über den Geburtstermin und darüber, wie lange es dauern würde, bis sie das Geschlecht des Babys wusste.
Als die Leute schließlich wieder zu den Gesprächen zurückkehrten, die sie vor Janes Ankündigung geführt hatten, beugte sich Abby vor, um besser mit Jane sprechen zu können.
"Das sind wunderbare Neuigkeiten, Jane. Ich wusste gar nicht, dass du dich mit jemanden triffst."
Jane verkrampfte sich und Abby bereute es sofort, etwas so Impulsives gesagt zu haben. Schnell schaute Abby zu Renee und Kelly, die auf beiden Seiten von Jane saßen, in der Hoffnung, dass sie sich einschalten und das Thema wechseln würden.
"Es tut mir leid.", entschuldigte sich Abby bei Jane, als klar wurde, dass Renee und Kelly Uhr nicht helfen würden. "Mir war nicht klar ..."
Was war ihr nicht klar? Sie wusste nicht, wie Janes Beziehungsstatus war. Sie hatte nie danach gefragt.
"Schon in Ordnung, Abby.", sagte Jane. "Ich spreche nicht viel über Kevin, weil wir diese on/off Beziehung am Laufen haben. Das ist einer der Gründe, warum er von der Idee, Vater zu werden, nicht gerade begeistert sind.
"Er will, dass du es loswirst?", fragte Renee unverblümt.
"Wollte er, aber jetzt ist es zu spät. Wir werden bald Eltern. Er muss sich nur noch entscheiden, ob er Teil des Lebens unseres Kindes sein will oder nicht."
"Vergiss ihn.", sagte Kelly. "Du bist eine starke, unabhängige. Wenn du es allein tun musst, wirst du es schaffen."
"Eine alleinerziehende Mutter zu sein, ist überhaupt nicht einfach, Kelly.", argumentierte Renee.
"Es ist noch ein langer Weg durch die Schwangerschaft, nicht wahr, Jane?", mischte sich Abby ein, als sie den besorgten Gesichtsausdruck von Jane sah. "Ich meine, Kevin hat noch Zeit, sich zu überlegen, was er will. Du bist doch erst im März fällig."
Jane warf ihr einen dankbaren Blick zu. "Ja, am vierten März. Heute in genau fünf Monaten."
"Wie sieht deine Unterstützung aus?", fragte Renee.
"Ich habe meine Mutter und meine Schwester."
"Und du hast auch uns.", sagte Kelly. "Stimmts, Renne, Abby?"
Abby nickte und freute sich, in das Szenario einbezogen zu werden. Natürlich würde sie Jane helfen, wenn sie Hilfe bräuchte.
Aber du wirst in fünf Monaten nicht mehr hier sein, wenn du die Beförderung bekommst, oder?
Nein, wenn sie die Beförderung bekäme, würde sie nicht hier sein, um Jane zu helfen, es durchzustehen. In ein paar Monaten würde sie sich von ihren Kollegen verabschieden und den engen Zusammenhalt der Gruppe vergessen, in die sie gerade erst aufgenommen wurde.
Und sie würde sich auch von Tony und Yvette verabschieden. Sicher, anfangs würden die drei vielleicht noch im Kontakt bleiben, aber Abbys Freundschaft mit dem Paar fing gerade erst an, sich zu entwickeln. Eine Welle der Panik durchfuhr sie, als sie an all die neuen Freunde dachte, die sie zurücklassen würde, wenn sie nach Sydney zog.
Ich bin noch nicht bereit, zu gehen. Ich will nicht gehen.
Der Gedanke traf sie so hart, dass sie fast von ihrem Stuhl fiel. Seit ihr klar geworden war, wie sehr sie sich von den Menschen abgekapselt hatte, hatte sich ihr Fokus verschoben. Während sie sich veränderte und wuchs, starb ihr Wunsch, die Beförderung zu gewinnen, einen langsamen Tod, und jetzt existierte er überhaupt nicht mehr. Sie wollte hier bleiben und die Freundschaften pflegen, die um sie herum zu blühen begannen.
Sie hatte gerade erst gelernt, mit ihrem Team umzugehen - gelernt, wie man ein Teil von etwas war. Es war unmöglich, dass sie die Fähigkeiten besaß, die sie brauchte, um das Team in Sydney zusammenzuführen, wenn sie noch so viel zu lernen hatte, und sie hatte sich etwas anderes vorgemacht.
Justin hingegen hatte sich bemüht, seine Kollegen kennenzulernen und sie zu führen. Es gab niemanden der sympathischer und freundlicher war, und es gab niemanden, der besser geeignet war, das Team zusammenzuschweißen.
Justin wäre auch mehr als froh, Melbourne hinter sich zu lassen. Und sobald er nach Sydney zog, würde ihn nichts mehr von Sarah trennen.
"Abby?"
Sie blinzelte und drehte sich zu Chris um, wobei ihr das plötzliche Loch in ihrer Brust schmerzlich bewusst wurde. Chris deutete auf ihr leeres Glas. "Willst du noch eins?"
Sie hatte wahrscheinlich schon genug. Sie war nicht betrunken, aber sie war definitiv beschwipst, und es würde nicht viel brauchen, um sie von einer Seite der Grenze zu anderen zu bringen. Wenn sie weiter trank, während sie sich mit Bildern von Justin und Sarah quälte, die glücklich bis ans Ende ihrer Tage lebten, würde ihr Abend garantiert mit ihrem Kopf in der Kloschüssel enden.
"Nein, danke.", teilte sie Chris mit.
"Bist du okay?", fragte er sie leise.
"Ja, danke.", antwortete sie, unfähig das Gefülhswirrwarr in Worte zu fassen, das sie im Moment empfand.
Nachdem Chris weggegangen war, um den Leuten Getränke zu holen, beteiligte sich Abby an der Unterhaltung um sie herum. Ihre Gedanken waren jedoch ganz woanders. Justin bedeutete ihr bereits so viel, und heute Abend waren sie Liebende gewesen, auch wenn es nur ein einmaliges Erlebnis gewesen war.
Wie sollte sie die nächsten Monate überstehen, wenn sie wusste, dass Justin bald wieder mit Sarah zusammenkommen würde? Der Instinkt sich von Justin zu distanzieren, um den zukünftigen Schmerz zu minimieren, war stark, aber sie weigerte sich, die nächsten sechs Monate damit zu verbringen, ihn zu meiden. Egal, wie kompliziert ihre Gefühle für ihn die Dinge machten, sie würde ihre Freundschaft nicht aufgeben.
In dem Moment, in dem sie ihren Entschluss gefasst hatte, füllte sich der Stuhl neben ihr. Abby wusste sofort, dass es nicht Chris war, der mit seinem Drink zurückgekommen war. Langsam drehte sie den Kopf und machte sich auf den Anblick von Justin neben ihr gefasst.
"Hi.", sagte er in dem Moment, als sich ihre Blicke trafen.
Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust und machte ihr das Atmen schwer. Als sie auf die Party zurückgekommen war, hatte sie ihn gebeten, sich fernzuhalten. Im Augenblick war sie jedoch froh, dass er beschlossen hatte, sie zu ignorieren.
"Hey.", erwiderte sie.
Er beugte sich so vor, dass nur sie ihn hören konnte, wobei seine Augen die ihren nicht verließen. "Ich muss mit dir reden."
Sein Knie kratzte durch den dünnen Stoff seiner Hose an ihrem und versetzte sie in helle Aufregung. Abby schaute sich um, sah, dass alle in einem Gespräch vertieft waren, nickte und stand auf. "Okay."
"Lauf ein Stück mit mir.", lud er sie ein.
In der Eile zu hören, was er zu sagen hatte, stolperte sie über ihre eigenen Füße. Er fing sie schnell auf, seine Hände ruhten auf ihren Hüften, während sie seine Oberarme zum Ausgleich ergriff. Sie konnte nicht widerstehen, den Bizeps zu drücken, der sich unter ihren Handflächen wölbte, und als sie aufblickte, sah sie, wie die Hitze in seinen Augen aufloderte. Ein Bedürfnis, das sie in der Nähe von Justins nur allzu gut kannte, pulsierte in ihr.
"Komm schon.", sagte er heiser und ließ sie los.
Sie folgte ihm ins Haus, durch die fast leere Küche und schließlich in das Wohnzimmer. Justin knipste das Licht an und blieb stehen, während sie auf der Couch Platz nahm. Sie fragte sich kurz, ob er es vermeiden wollte, sie zu berühren.
"Hast du mich hierher eingeladen, um eine Folge How I Met your Mother anzuschauen?", fragte sie, um die Stimmung aufzulockern und den Ball ins Rollen zu bringen.
"Ich weiß, dass du mich vorhin mit Sarah telefonieren gesehen hast."
Die Erwähnung von Sarah traf sie genau zwischen die Augen. Abby wusste, dass sie ihm gesaagt hatte, dass es ihr gut ging - dass sie immer noch Freunde sein würden - aber sie wollte nicht mit ihm über Sarah sprechen. Sie glaubte nicht, dass sie es könnte.
Abby schaute zu Boden und ließ ihr Haar, etwas von ihrem Gesicht verdecken. "Es geht mich wirklich nichts an."
"Abby -"
"Justin, könnten wir nicht ... über sie reden? Bitte?"
"Als sie anrief, habe ich ihr von uns erzählt. Ich habe ihr erzählt, was heute Abend passiert ist."
Abby hob ihren Blick und sah ihn an. Sie sah die Entschuldigung und das Bedauern in seinen Augen. Warum erzählte er ihr das? Und warum hatte er es Sarah erzählt?
"Es war nur ein wenig Spaß, Justin. Du hättest es ihr nicht sagen müssen."
"Nein.", sagte er und setzte sich neben sie. "Ich musste es ihr sagen. Sarah und ich hatten eine Abmachung."
"Ich weiß. Du schläfst, mit wem du willst -"
"Ja.", unterbrach er sie. "Wir haben diese Abmachung getroffen. Aber wir haben auch versprochen, dass wir der anderen Person Bescheid sagen, wenn wir jemanden gefunden haben, für den wir ... Gefühle haben könnten - Gefühle, die sich zu etwas anderem entwickeln könnten."
"Aber du bist in Sarah verliebt."
"Bin ich nicht. Wenn ich es wäre, hätte ich heute Nacht nicht mit dir geschlafen."
"Du hast zuvor auch schon mit andern Frauen geschlafen."
"Ich habe nie so für sie empfunden, wie ich für dich empfinde, Abs.", sagte er sanft.
"Und was genau wäre das?", fragte sie atemlos.
"Verwirrt. Ich kann einfach nicht unterdrücken, was ich für dich empfinde. Es ist zu ... groß."
Sie konnte nicht verhindern, dass sich ihr Mundwinkel zu einem halben Lächeln verzog. "Zu groß?"
"Ja.", erwiderte er, griff nach ihrer Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. "Aber ich bin mir nicht sicher, was ich dagegen tun soll. Die Beförderung wird uns in ein paar Monaten trennen."
"Du willst sie also immer noch?", fragte sie. "Die Beförderung?"
"Ich glaube schon.", antwortete er und musterte sie eingehend. "Du nicht?"
"Ja, natürlich."
Sie wusste nicht, warum sie gerade gelogen hatte. Vielleicht war es die Art, wie er ihr einen Vortrag über das Aufgeben gehalten hatte, als er gemerkt hatte, dass sie ihren Job aufgeben wollte. Oder vielleicht lag es daran, dass sie Angst hatte, er würde all die Zeit bereuen, die er damit verbracht hatte, ihr zu helfen.
Oder vielleicht war es einfach ihre Angst, dass Justin sich auf ein Wiedersehen mit Sarah konzentriete und vergessen würde, dass er nicht mehr in seine Ex verliebt war. Was auch immer der Grund sein mochte, ihre jüngste Entscheidung, die Beförderung aufzugeben, war zu neu und zu persönlich, um sie mit ihm zu teilen.
"Ich will keine Fernbeziehung mehr führen, Abby. Ich kann das nicht."
Das verstand sie. Er hatte das schon einmal gemacht, und es war nicht gut ausgegangen. Außerdem würde er, wenn er nach Sydney zog, wieder in der Nähe von Sarah sein. Die Nähe würde wahrscheinlich seine Gefühle für seine Ex wieder entfachen.
Also, wie sollte es mit ihnen weitergehen?
Eine Beziehung mit Justin zu beginnen, wäre nicht vernünftig. Andererseits hatte sie die letzten neun Jahre ihres Lebens damit verbracht, 'vernünftig' zu sein. Sie war unglücklich in ihrer Blase gewesen, und alles ausgeschlossen, was sie möglicherweise verletzten könnte.
Jetzt, wo sie sich geöffnet hatte, hatte sie sich mit jemanden verbunden. Justin hatte Gefühle für sie - Gefühle, die ihn dazu gebracht hatten, mit Sarah Schluss zu machen. Abby war immer noch geschockt darüber.
Sie wusste, dass es ihr das Herz brechen könnte, wenn sie mit Justin zusammen war, aber sie wollte trotzdem mit ihm zusammen sein. Sie wollte leben. Sie wollte fühlen. Sie wollte furchtlos und mutig sein und alles nehmen, was sie zusammen haben konnten. Nach der Art von Liebe, die Tony und Yvette hatten, konnte sie später suchen.
"Es sind noch viereinhalb Monate, bis einer von uns die Beförderung annehmen muss, richtig?", fragte sie ihn.
"Ja."
"Also, was, wenn wir einfach ..."
Ihr Herz pochte in ihrer Brust. Sie fühlte sich, als würde sie ihn gleich einen Antrag machen.
"Was, wenn wir einfach was?", fragte Justin und wartete darauf, dass sie fortfuhr.
"Was, wenn wir die Zeit, die wir zusammen haben, einfach nutzen?", fragte sie ihn.
"Wie eine Affäre, meinst du?"
Sie nickte schnell, froh, dass er sie verstanden hatte. "Ja, genau so. Was, wenn wir ... eine Affäre hätten?"
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