02 Waffenstillstand
"Was. Zum. Teufel?"
Justin schaute in Richtung des Eingangs von O'Reillys, um zu sehen, was Jane Diegos Aufmerksamkeit erregt hatte. Was er dort sah, ließ ihn, mit dem Bierglas halb zum Mund geführt innehalten. Seine angespannte Mitarbeiterin Abby stand unsicher da, trug ein paar hautenge schwarze Jeans, ein hautenges rotes T-Shirt und ein paar rote High Heels, mit 10 cm hohen Absatz.
Sie trug keine Brille und ihr hellbraunes Haar fiel in weichen Wellen bis zu den Schultern, anstatt wie üblich zu einem Dutt zusammengebunden zu sein.
"Was hat sie da an?", fragte Jane.
"Sie sieht gut aus.", hörte Justin sich selbst sagen.
Sein Blick an den Brüsten hängen, die durch das enge T-Shirt, das sie trug, zur Geltung kamen. Er spürte, wie sein Blut schneller zu pumpen begann und sein Körper sich erhitzte und anspannte, als ihm bewusst wurde, wie viel Körper ihre geschlechtsneutralen Anzüge all die Jahre verborgen hatten.
Zugegeben, er hatte Abby immer für süß gehalten. Gewiss hatte er bemerkt, dass sie attraktiv war, aber er hatte das Offensichtliche übersehen. Abby Gillis war ... heiß. Und zwar verdammt heiß. So heiß, dass sie Gefahr lief, alle Fenster zu beschlagen. Ein Blick ins O'Reillys verriet Justin, dass er nicht der einzige Mann war, dem das aufgefallen war.
"Was macht sie hier?", fragte Renee Williams.
Nach dem Gespräch, das er am Montag mit Abby geführt hatte, war Justin nicht sonderlich überrascht sie im O'Reilly zu sehen. Sie war eindeutig verärgert gewesen, von dem Gespräch zu hören, das er letzte Woche mit James Kale geführt hatte. Jetzt war sie entschlossener denn je, ihre Chance auf eine Beförderung zu verbessern.
Auch wenn ihre Persönlichkeit so stachelig wie ein Kaktus war, konnte Justin nicht anders, als die Art und Weise zu bewundern, in der sie nie vor einer Herausforderung zurückschreckte. Das brachte ihn dazu noch härter zu arbeiten und er würde ihre Rivalität wahrscheinlich vermissen, wenn er die Beförderung gewann und nach Sydney zog.
"Sie sieht aus, als wäre sie hier, um flachgelegt zu werden.", kommentierte Jane.
"Dabei könnte ich ihr helfen.", sagte Chris Bradshaw.
"Ich wette, sie ist im Bett genauso kalt wie im Büro.", bemerkte Renee gehässig.
"Ja, da hast du wahrscheinlich recht.", stimmte Chris ihr zu. "Wenn ich es mir recht überlege, würde ich sie nicht mal mit einer drei Meter Stange anfassen."
Wenn Abby zum Rest des Teams im Melbourne passen würde, wäre Justin sehr besorgt über seine Chance zum Kreativdirektor befördert zu werden. Aber die anderen Mitarbeiter von Kale & Wells mochten sie nicht. Abby hatte allen klargemacht, dass sie die Leute, mit denen sie arbeitete, nicht kennenlernen wollte. Als sie in der Firma anfing, hatte sie alle Einladungen zu gesellschaftlichen Anlässe ausgeschlagen, was den meisten den Eindruck vermittelte, dass sie sich über sie stellte.
Das war ein sehr schlechter Zug gewesen.
Jetzt sah es so aus, als würde sie versuchen, das wiedergutzumachen. Zu ihrem Pech würde wahrscheinlich jeder ihre Anwesenheit hier heute Abend als das sehen, was es war - ihr verzweifeltes Bemühen, in der Firma voranzukommen, und nicht aus aufrichtiger Versuch, etwas wiedergutzumachen und Freundschaften zu schließen.
"Ich wette, sie ist hier, weil sie gehört hat, dass James letzten Freitagabend hier war.", sagte Jane.
"Von wem sollte sie das gehört haben?", wunderte sich Renee.
"Von mir." teilte Justin ihnen mit.
"Gut gemacht, D'Marco, jetzt wird sie jeden Freitagabend hier sein und ein Gespräch mit dem Chef suchen."
"Vielleicht will sie versuchen, ihn zu verführen.", sagte Jane und sah sich Abbys Outfit noch einmal an.
Renee lachte laut, was Abby dazu veranlasstem ihren Kopf in ihre Richtung zu drehen. Normalerweise hielten sich die Angestellten von Kales & Wells an den drei Billardtischen in der anderen Ecke der Bar auf, aber heute Abend waren sie von einem Junggesellenabschied überholt worden. Sie hatten den Bräutigam und seine ohnehin schon gut gelaunten Männer allein gelassen und sich an den nächstbesten Platz gesetzt - die Tische neben der Jukebox in der am weitesten von der Tür entferntesten Ecke.
Justin beobachtete, wie Abbys Blick über ihre Kollegen schweifte. Sie biss sich auf die Lippe, als sie einen kleinen, zaghaften Schritt in deren Richtung machte. Dann blieb ihr Blick an seinem hängen. Er erkannte, dass sie nicht nur nervös war, sondern regelrecht Angst hatte. Wahrscheinlich weil sie wusste, dass sie heute Abend kaum mit offenen Armen empfangen werden würde. Abby war nur wenige Monate nach Justin Arbeitsantritt bei Kales & Wells eingestiegen, und dies war das erste Mal, dass er sie bei einem ihrer geselligen Zusammenkünfte gesehen hatte.
Anfangs hatte ihn Abbys völliges Desinteresse daran, ihre Kollegen kennenzulernen, verärgert und verwirrt. Wer, der bei klarem Verstand ist, lehnt die Gelegenheit ab, gute Arbeitsbeziehungen zu seinen Kollegen zu haben? Justin hatte alles daran gesetzt, Abby aus ihrem Schneckenhaus herauszuholen.
Als sie dort anfing, war er an ihrem Schreibtisch vorbeigegangen und hatte ihr angeboten ihr zu helfen, wenn er sah, dass sie mit etwas zu kämpfen hatte. Er hatte bei vielen Gelegenheiten versucht, sie in der Kantine in ein Gespräch zu verwickeln, und er hatte sie mehrmals gebeten, zu O'Reillys zu kommen. Sie hatte ihm klargemacht, dass sie an nichts interessiert war, was er zu bieten hatte. Nicht an seiner Freundschaft. Nicht seine Hilfe. An nichts.
Jetzt, da sie um die Stelle in Sydney konkurrierten, war er erleichtert, dass sie ihn auf Distanz gehalten hatte. Es war schwierig, mit einem Freund um eine Beförderung zu konkurrieren, und jetzt brauchte er sich keine Sorgen mehr zu machen, dass er sich bei Abby in die Nesseln setzen würde. Wenn überhaupt, dann spornte sie ihn an, noch härter zu arbeiten und klüger zu kämpfen. Sie war außergewöhnlich gut in ihrem Job und extrem wettbewerbsorientiert, was sie zum perfekten Gegner machte. Es machte auch verdammt viel Spaß, sie zu ärgern. Er liebte es, ihr unter die Haut zu gehen und an ihrem Käfig zu rütteln. Das schien die einzige Art von Beziehung zu sein, die sie zuließ.
Nachdem sie ihre Nervosität abgeschüttelt hatte, setzte Abby einen Fuß vor den anderen und kam auf sie zu.
Als sie nah genug war, um über die lautstarken Geäste des O'Reillys gehört zu werden, waren alle von Kale & Wells in ein Gespräch über das große AFL-Finale vertieft, das in ein paar Wochen stattfinden würde.
"Hallo zusammen.", begrüßte Abby sie lautstark.
Abgesehen von ein oder zwei gemurmelten Begrüßungen ignorierten alle sie und diskutierten weiter darüber, ob der Hawthorn Football Club wieder einmal den Pokal gewinnen würde.
Justin beobachtete sie und wartete darauf, was Abby als Nächstes tun würde. Sie stand einen Moment unbeholfen da, bevor sie einen Stuhl von einem freien Tisch herüberzog.
"Danke.", sagte sie steif, als er seinen Stuhl zur Seite schob, damit sie Teil des Kreises um den Tisch sein konnte, die die Gruppe zusammen geschoben hatte.
"Football.", glaubte er sie leise murmeln zu hören. "Toll."
"Kein Football Fan?", fragte er sie interessiert.
"Ah ..."
"Ich nehme an, das ist ein Nein. Sag ihnen das nur nicht. Sie werden denken, du bist ein Alien."
"Es liegt in der DNA aller Melbourner, Football zu lieben.", meldete sich Chris zu Wort, der Justins Kommentar gehört hatte.
Abby schüttelte den Kopf. "Nicht in meiner."
Chris sah einen Moment lang verdutzt aus, bevor er nickte, als hätte er es verstanden. "Für welches Team bist du?"
"Ähm, Melbourne. Los Dees."
Abbys wenig enthusiastischer Faustschlag in die Luft und ihr unbehaglicher Gesichtsausdruck verrieten, dass sie wahrscheinlich einfach nur ein Team genannt hatte.
"Nun, das erklärt alles.", sagte Chris. "Die sind scheiße."
"Wirklich?"
Justin lachte. "Sie waren dieses Jahr fast ganz unten in der Rangliste."
"Oh."
"Das wusstest du nicht?", fragte Chris.
Sie schüttelte den Kopf. "Ich bin zu sehr mit der Arbeit beschäftigt, um die Spiele zu sehen."
Renee und Jane kicherten beide. Zu erwähnen, wie viel sie arbeitete, würde Abby hier keine Pluspunkte einbringen. Ihre Wangen färbten sich rosa, als sie ihren Fauxpas bemerkte, und sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, offensichtlich unsicher, was sie jetzt sagen sollte, da es eindeutig war, dass sie nichts über Football wusste.
Justin versuchte sich auf das Gespräch zu konzentrieren, dass um ihn herum stattfand, aber er spürte, wie Abbys Elend neben ihm mit jeder Sekunde die verging, größer wurde. Sobald das Thema von Football zu den Landtagswahlen wechselte, war er eigentlich dankbar, dass sie mitreden konnte. Aber jedes Mal, wenn sie eine Bemerkung machte, wurde sie ignoriert. Langsam gab sie den Versuch auf, und obwohl er wusste, dass Abby sich das selbst zuzuschreiben hatte, machte es ihm keinen Spaß, sie leiden zu sehen.
Die wütende Abby war lustig. Die unglückliche Abby war es nicht.
Und er wusste genau, wie er Abby aufrütteln und die Leute dazu bringen konnte, mit ihr zu reden.
"Vielleicht solltest du dir einen Drink holen.", schlug er leise vor.
Sie drehte sich um und schaute zur Bar, bevor sie ihm dankbar ansah. "Ja, das ist eine gute Idee."
"Ich komme mit.", sagte er und stand auf. Er wartete bis Abby auf den Beinen war, bevor er der Gruppe ankündigte. "Die nächste Runde geht auf Gillis."
Links, rechts und in der Mitte wurden Bestellungen gerufen, und er hatte Mühe, sich alle zu merken. Er brauchte Abby nicht anzuschauen, um zu wissen, dass sie wütend auf ihn war.
"Warum hast du das getan?", zischte Abby, als sie auf die Bar zugingen.
"Du brauchst diese Leute, damit sie dich mögen, also gib ihnen einen Drink aus."
"Ich brauche sie nicht, um mich zu mögen."
Er rollte mit den Augen. "Komm schon, Gillis. Ich habe mein Gespräch mit James erwähnt und die Art von Person, die er für die Rolle des Kreativdirektors haben möchte, und hier bist du, nach sechs Jahren, und machst deinen ersten Versuch, dich anzupassen."
"Es ist nicht meiner erster Versuch."
"Schön zu hören, dass du nicht leugnest, dass du nur hier bist, weil du befördert werden willst."
"Ich bin nicht nur deswegen hier."
"Dann hatte Jane vielleicht doch recht mit den Gründen für deine Anwesenheit."
Abby presste ihre Lippen zusammen, als ob sie versuchte, die offensichtliche Frage nicht zu stellen. Aber sie konnte nicht widerstehen.
"Wieso? Was hat sie gesagt?"
"Sie sagte, du wärst hier, um James zu verführen."
Er wartete darauf, dass sie ihn anfunkelte und einer ihrer üblichen sarkastischen Bemerkungen machen würde, aber stattdessen füllten sich ihre dunkelbraunen Augen mit Schmerz und sie wandte sich von ihm ab.
"Hey.", sagte er und ergriff ihren Arm.
"Lass. Mich. Los."
"Abby, es tut mir leid. Das war dumm, was ich gesagt habe."
Es war ihm über die Jahre zur zweiten Natur geworden, sich mit Abby anzulegen, aber er hatte gerade eine Grenze überschritten. Janes Bemerkung war gemein und dumm gewesen, und sie zu wiederholen war so ziemlich das Dümmste, was er seit langem getan hatte. Er wollte sie wütend machen und anspornen, damit sie heute Abend nicht aufgab, und nicht verletzen.
Wirklich clever, D'Marco.
"Lass mich los, Justin.", sagte sie wütend.
"Hör zu, es tut mir leid. Bitte sag, dass du bleibst."
"Vergiss es. Ich weiß nicht, warum ich jemals dachte, ich könnte das tun."
"Wenn du die Beförderung willst ..."
"Ich sollte nicht ihre Zustimmung brauchen."
"Ich verstehe dich nicht, Gillis. Warum in aller Welt willst du ins Management, wenn du die Menschen so sehr hasst?"
"Ich hasse die Menschen nicht."
"Das denken alle in der Firma.", teilte er ihr mit.
"Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe. Nur weil ich es vorziehe, meinen Arbeitstag tatsächlich mit Arbeit zu verbringen -"
"Aber was ist mit den Zeiten, in denen du nicht arbeitest? Was ist mit der Mittagspause? Was ist mit den Wochenenden?"
"Es gibt immer etwas zu tun."
Er schüttelte den Kopf. Sie musste wirklich lockerer werden und etwas Spaß haben. "Kale & Wells fördern eine gesunde Work-Life-Balance."
"Danke, das ist mir bewusst."
"Warum bleibst du nicht und versuchst dich daran zu erinnern, wie man Spaß hat?"
"Mit Leuten, die denken, ich sei hier, um mit dem Chef zu schlafen, damit ich weiterkomme? Ich denke nicht."
"Ich glaube, du machst einen großen Fehler, wenn du gehst, aber ... ich werde dich nicht aufhalten. Wenn du aufgibst, dann schätze ich, gehört die Beförderung mir."
Sie biss sich auf die Unterlippe. Wenn es etwas gab, das sie davon abhielt, aus der Tür zu gehen, dann war es die Position in Sydney. Er wusste nicht, warum er sie vom Gehen abhalten wollte. Wenn sie nicht in das Team von Melbourne passte, dann war die Beförderung so gut wie seine. Und er wollte diese Beförderung unbedingt. Aber nachdem ihm das, was Jane gesagt hatte, herausgerutscht war, hatte er das Gefühl, dass er ihr etwas schuldig war.
"Ich ... ich glaube nicht, dass ich genug Geld habe, um die Getränke für alle zu bezahlen.", teilte sie ihm mit, nachdem ein oder zwei Sekunden vergangen waren.
"Mach dir keinen Stress. Ich werde bezahlen."
"Nein, absolut nicht. Ich -"
"Hast nicht genug Geld. Hast du das nicht gerade gesagt?"
"Ich will dir nichts mehr schulden, Justin. Nachdem ich Welcock übernommen habe, habe ich kaum noch Zeit zum Schlafen."
Er verspürte dabei einen kurzen Anflug von Reue. Sie zu bitten, Welcock als Gegenleistung für eine Fahrt zur Arbeit zu übernehmen, war ein ziemlich gewinnsüchtiger Zug gewesen. Er rechtfertigte es vor sich selbst, indem er sich vorstellte, was Abby verlangt hätte, wenn ihre Positionen vertauscht gewesen wären.
"Ich hatte nicht vor eine Gegenleistung zu verlangen, Abby.", sagte er.
"Warum solltest du dann die Drinks für mich bezahlen? Du willst nicht, dass man mich mag. Du brauchst sie, um mich nicht zu mögen.", entgegnete Abby.
Es stimme. Aber jetzt hatte er das Gefühl, dass er ihr etwas schuldig war, weil sie es mit Welcock aufgenommen hatte, und er war ihr etwas schuldig, weil er vorhin ein Arschloch gewesen war. Aber das wollte er ihr gegenüber nicht zugeben.
"Ich dachte, wir könnten einen Abend lang so tun, als wären wir nicht zwei Kollegen, die um eine Beförderung kämpfen. Stattdessen könnten wir so tun, als wären wir ... Menschen, die sich gut verstehen."
"Was? Wie ein Waffenstillstand?"
"Ja, wie ein Waffenstillstand."
Ehrlich gesagt hatte er sich immer gefragt, wie er mit Abby auskommen würde, wenn sie nicht versuchen würde, ihn auf Abstand zu halten. Jetzt war seine Chance, es herauszufinden.
"Okay.", stimmte sie zu. "Ich denke, ich kann mit einem Waffenstillstand umgehen."
"Großartig. Also, was willst du?"
"Wie bitte?"
"Trinken. Was willst du trinken?"
"Ähm, Limo, bitte."
"Limo?"
"Ich muss noch fahren.", erklärte sie.
Er wusste, dass Abby etwa 26 oder 27 war. Sie hatte keinen Führerschein auf Probe, und sie konnte ein oder zwei trinken und trotzdem unter dem gesetzlichen Limit bleiben, aber er stellte ihre Entscheidung, nicht zu trinken, nicht in Frage.
"Dann also Limo."
Justin gab die Bestellung für alle Getränke auf, bevor er sich umdrehte und Abby sah, die ihn anstarrte.
"Danke.", sagte sie leise, als ob es sie etwas kostete, es zu sagen, aber sie wollte es trotzdem tun. "Ich zahle es dir am Montag zurück."
"Vergiss es. Es macht mir nichts aus, zu zahlen, also mach dir keine Sorgen."
Sie schenkte ihm ein kleines, zögerndes Lächeln.
Er glaubte nicht, dass Abby ihn jemals zuvor angelächelt hatte, und er war völlig unvorbereitet auf die Wirkung, die es auf ihn hatte. Erneut war er erstaunt darüber, wie schön sie heute Abend aussah. Wunderschön und sexy. Sein Blick glitt an ihrem Körper hinunter und wanderte dann zurück zu ihren Brüsten - Brüste, die eine anständige Handvoll waren.
Ein unaufgefordertes Bild von Abby mit ihren Brüsten in seinen Händen und seiner Zunge in ihrem Mund, während sie ihn in den Himmel ritt, tauchte in seinem Kopf auf.
Alter, was zum Teufel denkst du da?
Als Mann war es eine Art Gewohnheit, auf Brüste zu schauen.
Es war normal.
Es war natürlich.
Es war gesund.
Aber er liebäugelte nicht mit den Frauen, mit denen er arbeitete. Nun, normalerweise tat er das nicht. Im Moment hatte er einen halben Ständer, der etwas anderes sagte.
Justin schüttelte schnell den Kopf, als er versuchte das Bild von Abby auf ihm, zu verdrängen. Abby mochte heute Abend verdammt gut aussehen, aber er war nicht daran interessiert, diesen Weg zu gehen. Abgesehen davon, dass es immer eine schlechte Idee war, etwas mit einer Kollegin anzufangen, hoffte er, die Beförderung zu bekommen und den Statt in ein paar Monaten zu verlassen. Und da er die Beförderung so sehr wollte, weil er die Beziehung zu seiner Ex-Freundin Sarah wieder aufleben lassen wollte, wäre es eine verdammt dumme Idee, sich mit jemanden einzulassen.
Vor drei Jahren war Sarah nach Sydney gezogen. In den ersten sechs Monaten hatten sie es mit einer Fernbeziehung versucht, aber es hatte nicht geklappt. Und er hätte den Umzug nach Sydney vielleicht schon früher in Erwägung gezogen, wenn bei seinem Vater nicht ein Hirntumor diagnostiziert worden wäre. In Melbourne zu bleiben, um seine Mutter und seine jüngeren Zwillingsbrüder zu unterstützen, war nicht verhandelbar gewesen.
Aber jetzt war der Tumor seines Vaters in Remission, und Justin war bereit, seinen Hintern nach Sydney zu bewegen, um zu sehen, ob er und Sarah zurückgewinnen konnten, was sie verloren hatten.
"Bitte sehr.", sagte der Barkeeper und stellte zwei Tabletts vor Justin und Abby hin.
Justin öffnete sein Portemonnaie und gab den Mann zwei Fünfziger, und als der Barkeeper mit seinem Wechselgeld zurückkam, nahmen Justin und Abby jeweils ein Tablett und gingen zurück zum Tisch, an dem ihre Kollegen saßen.
"Nächstes Mal bezahle ich.", sagte Abby, als sie den überfüllten Pub durchquerten.
Justin zuckte mit den Schultern. "Okay. Oder, wenn du dich dann besser fühlst, betrachte es als Trostpreis, weil du den Job in Sydney nicht bekommen wirst."
"Und ich dachte, wir hätten einen Waffenstillstand geschlossen."
Sie hatte recht. Sie hatten einen Waffenstillstand geschlossen, und es war seine Idee gewesen. Es schien ihm leicht zu fallen, sie aufzuwühlen. "Alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen.", erklärte er.
"Ja, das stimmt.", stimmte sie zu. "Deshalb fühle ich mich gezwungen, dir zu sagen, dass du mich noch nicht abschreiben solltest."
Sie lächelten einander völlig verständnisvoll an.
"Wenn du gewinnst, Gillis, erwarte ich, dass du mir hilfst, meinen Kummer dann mit ein paar Drinks zu ertränken."
Wenn er die Beförderung nicht bekam, würde er mehr als nur ein paar Drinks brauchen. Natürlich könnte er sich nach einer anderen Stelle in einem anderen Unternehmen in Sydney umsehen, aber er mochte Kale & Wells. Er mochte das Unternehmen, seine Politik und die Art, wie es geführt wurde. Er wollte dort bleiben und vielleicht eines Tages Partner werden. Außerdem würde ihm die Zugehörigkeit zu ein und demselben Unternehmen eine gewisse Stabilität verleihen, da er sein ganzes Leben umkrempelte.
"Das kann ich tun.", teilte sie ihm mit.
Er nickte. Es würde nicht leicht sein, seine Freunde und seine Familie zu verlassen, aber Sarah war es wert. Und nichts und niemand, schon gar nicht Abby Gillis, würde sich zwischen ihn und diese Beförderung stellen. Deshalb konnte dieser Waffenstillstand auch wirklich nur einen Abend lang halten.
********
Abby stöhnte, als sie auf ihre Uhr sah. "Ich sollte gehen."
"Bleib noch für einen Drink, ja?", bat Justin sie.
In Anbetracht der Art und Weise, wie der Abend begonnen hatte, überraschte es Abby, wie sehr sie genau das tun wollte. Vor zwei Stunden war sie bereit gewesen, das O'Reillys zu verlassen und ihren Vorsatz, die Beziehungen zu ihren Kollegen zu verbessern, zu vergessen. Jedoch hatte sie sich von Justin zum Bleiben überreden lassen, und sie war wirklich froh darüber, denn sie hatte die letzten zwei Stunden wirklich genossen.
Sie konnte nicht behaupten, dass sich alle bei O'Reillys bereits für sie erwärmt hatten, aber sie hatte schon einige Gespräche mit ihren Kollegen geführt. Auch wenn es dabei nur um das Wetter und das Wirtschaftsprogramm an der Monash Universität ging, war es doch ein großer Fortschritt gegenüber dem, was sie in der Vergangenheit mit ihnen erlebt hatte. Und so ungern sie es auch zugeben mochte, sie schuldete Justin dafür einen Haufen Dankbarkeit.
Er hatte an diesem Abend jede Menge für sie getan. Nicht nur, dass er in ihrem Namen allen einen Drink spendiert hatte, er hatte auch jede Gelegenheit genutzt, um die Unterhaltung auf sie zu lenken und ihr die Möglichkeit zu geben, sich zu beteiligen. Justin konnte wirklich gut mit Menschen umgehen. Er hörte einfach allen zu, scherzte mit ihnen und gab ihnen das Gefühl, gehört zu werden. Er erinnerte sich an Dinge aus früheren Gesprächen und stellte die richtigen Fragen. Es war offensichtlich, dass er die Leute mochte, mit denen er arbeitete, und dass das Interesse, das er an ihnen zeigte, echt war.
Sie hatte immer angenommen, dass Justin wegen seines guten Aussehens und seines Charmes beliebt war. Diese Dinge trugen sicherlich zu seiner Anziehungskraft bei, aber jetzt erkannte sie, dass er beliebt war, weil er ein netter Kerl war. Ein wirklich netter Kerl. In den letzten sechs Jahren hatte sie sich bemüht, diese Tatsache zu ignorieren, so wie sie jedem Versuch von ihm, sich mit ihr anzufreunden und ihre Abwehr zu durchbrechen, ignoriert hatte. Aber heute Abend - dank ihres vorübergehenden Waffenstillstands - hatte sie Justin gesehen, wie er wirklich war.: klug, freundlich und lustig.
Und als ob diese Wahrheit nicht schon genug wäre, um sie aus der Bahn zu werfen, konnte sie heute Abend die Tatsache nicht vergessen, dass ihr Rivale ein sehr attraktiver Mann war. Nein, dieser Gedanke kreiste ständig in ihrem Kopf und wollte einfach nicht verschwinden.
Heute Morgen war sein mittellanges braunes Haar zu einer Art Irokesenschnitt gegelt worden, aber nachdem er mit der Hand durchgefahren war, standen die Stacheln nun willkürlich ab. Ohne Krawatte und mit geöffnetem obersten Hemdknopf hätte er unordentlich und müde aussehen müssen. Stattdessen sah er einfach jungenhaft und charmant aus.
Das blaue Hemd, dass er trug, brachte die Farbe seiner Augen zur Geltung. Dieselben Augen schienen vor Humor zu tanzen, wenn sie etwas sagte, das ihn amüsierte, und seine vollen, sinnlichen Lippen zuckten in den Mundwinkeln, wenn er versuchte, nicht über sie zu lachen.
"Gillis?"
Sie starrte ihn an.
Gott.
Sie musste wirklich von dort verschwinden. So verlockend es auch war, hier zu bleiben und noch etwas zu trinken, es war an der Zeit, Schluss für heute zu machen. Dieser vorübergehende Waffenstillstand mit Justin war .... nett gewesen, aber am Montag würden sie wieder zu Rivalen werden, und sie hielt es nicht für klug, die Konkurrenz zu besabbern.
"Ich sollte gehen. Gleich morgen früh finden einige Besichtigungen statt, zu denen ich gehen muss.", erklärte sie.
"Die Wohnungssuche geht weiter, was?"
"Ja. Nicht gerade die angenehmste Art, einen Samstag zu verbringen, aber -"
"Wie lange noch, bis du aus deiner jetzigen Wohnung raus sein musst? Eine Woche?"
"Worum gehts?", fragte Chris, dessen Interesse eindeutig geweckt worden war.
"Mein Vermieter zieht in meine Wohnung ein.", teilte sie Chris mit. "Also ziehe ich aus."
"Da hast du es, D'Marco.", sagte Chris. "Problem gelöst. Wenn Tony unbedingt bei Yvette einziehen will, kann Gillis bei dir einziehen."
Seinem Tonfall war deutlich zu entnehmen, dass Chris dachte, er sei clever. Oder witzig. Abby war sich nicht sicher, was von beidem.
"Tony zieht nicht aus.", verdeutlichte Justin.
"Nur weil du ihm mit körperlicher Gewalt gedroht hast, wenn er dich im Stich lässt, aber er ist die meiste Zeit kaum da, und du weißt, dass er begeistert wäre, wenn du Abby seinen Anteil an der Miete übernehmen lassen würdest."
"Das würde nicht funktionieren.", sagte Justin.
"Das stimmt.", stimmte sie, leicht verärgert darüber, dass Justin es zuerst gesagt hatte, zu. "Es würde nicht funktionieren."
"Natürlich würde es das. Es ist perfekt.", machte Chris weiter. "Ihr seid beide für die Stelle in Sydney vorgesehen. In fünf Monaten bekommt einer von euch den Job und der andere die Wohnung."
"Das ist eine schreckliche Idee.", teilte ihm Justin mit. "Dann muss einer von uns einen Mitbewohner suchen."
"Also sucht ihr gemeinsam einen, und zwar kurz vor dem Zeitpunkt, an dem einer von euch gehen muss. Jetzt ist es offiziell. Ich bin ein gottverdammtes Genie. Ihr könnt mir beide später danken."
Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war Justin nicht einverstanden. Abby war es auch nicht. Sie verbrachten acht Stunden am Tag, fünf Tage die Woche zusammen im Büro, und sie kamen dort nicht miteinander aus. Okay, heute Abend hatte sie sich ganz gut verstanden, und sie hatte gesehen, wie charmant Justin sein konnte. Aber. Sie. Waren. Rivalen.
Sie konnten nicht wirklich erwarten, dass sie ihre Rivalität auf das Büro beschränken konnten, wenn sie zusammenlebten. Und selbst wenn sie das könnten, war sie nicht daran interessiert, mit jemanden zusammenzuwohnen, der sie zum Sabbern bringen konnte, nur weil er nett zu ihr war. Das würde nicht passieren.
"Ich bin sicher, dass ich am Wochenende etwas finden werde.", sagte sie deshalb. Das musste sie auch, sonst wäre sie obdachlos.
"Wenn du nicht weiterkommst, kannst du immer noch vorbeikommen und dir die Wohnung ansehen.", sagte Justin mit sichtlichem Widerwillen.
"Danke, das werde ich vielleicht. Ich schätze, ich sehe euch alle am Montag."
Sie verabschiedete sich kurz von der Gruppe, bevor sie aus der Tür eilte. Es gab sieben Wohnungen, die sie morgen ansehen musste. Eine davon musste in Ordnung sein, denn sie konnte Justin D'Marco auf keinen Fall bitten, sie bei ihm einziehen zu lassen.
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