Kapitel 25- Vorfall im Hause Ross
Belämmert stand ich da, trat von einem Beim auf das andere. Die Worte des Arztes ziehen unendlich viele Dauerschleifen durch meinen Kopf. »Du hast ihre Mutter umgebracht«
Sprachlos starre ich den Mann an. Diesmal trägt der Doktor keinen Kittel, sondern einen hellbraunen Mantel.
„Du weißt es besser, als ich. Liebe Theresia", ein breites Grinsen macht sich auf dem Mund des Arztes breit.
„Es war ein Unfall", stammelte ich. Erinnerungen an dem Tag kamen wieder hoch. Allison war meine Halbschwester. Ihre Mutter, die nicht meine leibliche Mutter war, erzog mich sehr streng. Als uneheliches Kind wurde ich generell nicht gut im Hause behandelt. Mein Vater war anders. Er akzeptiere mich stets als seine Tochter und behandelte mich gut. Aber seine Ehefrau Nancy empfand mich wie ein Dorn im Auge.
Damals bemühte ich mich sehr ihr zu gefallen.
Doch egal was ich tat, es war immer falsch. Irgendwann gab ich es auf. Ihre Tochter Allison und ihren Sohn liebte sie über alles.
Sätze wie: „Hast du dein schlechtes Benehmen wieder von Theresia übernommen" oder „bleib von der Fern, die ist schlecht für dich", bekamen meine Geschwister viel zu oft von ihr zu hören.
Allison hielt sich selten daran und mein Halbbruder Maison auch nicht wirklich. Wie auch? Wir sind zu dritt aufgewachsen. Unser Band, das nur Geschwister verbindet, löst sich nicht einfach so. Deshalb schmerzt der Satz, meine Schwester habe mich gehasst sehr.
Ich kann es ihr aber auch nicht übel nehmen. Vor zwei Jahrhunderten floh ich zusammen mit Nathaniel nach London. Der Grund dafür hatte zwei Seiten. Die eine Seite, dass meine und seine Familie unsere Beziehung nie unterstützt hätten und die andere, der Unfall.
Die Wahrheit über den Unfall ist eine der schlimmsten Ereignisse in meiner Vergangenheit, als Theresia.
17 Jahre lang lebte ich bei meinem Vater und seiner Frau Nancy ohne zu wissen, dass sie nie meine biologische Mutter war. Durch Zufall fand ich es heraus, denn die Bediensteten in unserem Herrenhaus sprachen gern über Gerüchte. So kam das Gerücht- meine Mutter sei eine Markt- auf, als ich gerade die Küche betrat. Zuerst konnte ich es nicht glauben, schließlich war es auch nur ein Gerücht, doch dann stellte ich meine "Eltern" zur Rede.
Mein Vater erzählte mir an dem Tag alles. Ich wurde meine gesamte Kindheit über belogen, meine Geschwister auch. Nur nahmen es meine Geschwister so hin wie es war. Ich dagegen nicht, denn im Gegensatz zu ihnen, wurde ich meiner leiblichen Mutter weggenommen.
Aufgrund meiner damaligen Sturheit, machte ich mich sofort auf den Weg sie zu finden bzws. wollte ich es.
Bevor ich überbaut das Herrenhaus verlassen konnte, stellte sich Nancy mir in den Weg.
Sie konnte es nicht fassen, dass ich so ein „undankbares" Kind sei und verbot mir die Suche nach meiner leiblichen Mutter zu starten.
Wut entbrannte mir und ich drängelte mich an ihr vorbei, denn sie versperrte mir damals tatsächlich den Weg durch die Haustüre.
Während ich mich an ihr vorbei zwängen wollte, packte sie mich am Arm fest und zog mich die Treppen wieder nach oben. Den gesamten Tag und die darauffolgende Woche verbrachte ich eingesperrt in meinem Zimmer. Fast zwei Wochen vergingen, in denen ich weder raus durfte noch mit anderen sprechen. Gottseidank war Nathaniel zu dieser Zeit nicht im Lande, da er mit seinem Vater auf Geschäftsreisen war. Wäre er da gewesen, hätte er sicher alles mögliche versucht, um herauszufinden, wo ich war.
Mein Vater wusste nichts über meine Strafe. Er besuchte die Zeit über einen alten Bekannten und war somit außer Hause.
Nach zwei Wochen ließ mich Nancy endlich aus diesem „Gefängnis" heraus. Sie dachte, ich sei endlich zur „Vernunft" gekommen. Die Wahrheit aber war: Sie löste in mir ein Gefühl, dass ich noch nie so stark verspürte- Hass.
Die nächsten Tagen redete ich kein Wort mit ihr. Meistens verbrachte ich meine Zeit in der Küche, um mich mit den Haushälterinnen zu unterhalten- natürlich wollte ich so viele Informationen wie nur möglich über meine Mutter in Erfahrung bringen.
Es dauerte nicht lange und Nancy erfuhr es. Ganz außer sich griff sie wieder fest meinen Arm, um mich nach oben zu schleifen.
Sie schaffte es mich bis in den Flur zu zerren. Von dort aus versuchte ich mich zu wehren und griff nach allem Möglichen. Unsere Holzkommoden standen damals im Flur und auf jeder breiteten sich Dekorationen wie Vasen, Figuren aus Glas oder Kerzenleuchter aus.
Meine Hände fassten irgendeine Glasfigur, ich glaube es war die Dame im Blumenkleid (Nancys Heiligtum). Ohne nachzudenken ließ ich die Figur fallen. Sie zerbrach in tausend Scherben auf dem Boden. Als Nancy das sah, war sie vollkommen außer sich. Meine Stiefmutter fühlte sich schon wegen mir sehr aufgebracht, dass ich ihr Heiligtum zerstörte, trug dabei nichts gutes bei.
In der kurzen Zeit, in der sie meinen Arm los ließ, rannte ich Richtung Haustüre. Sie rannte mir nach, stoß aus Versehen gegen eine der Kommoden, auf der ein Kerzenleuchter mit angezündeten Kerzen stand und brachte den gesamten Holzschrank zum Umkippen.
Die Kerzen fielen zu Boden und ergriffen gerade noch das seidene Kleid von Nancy. Ich sah ihren blassen schockierten Gesichtsausdruck, als sie und alles um ihr herum in Flammen aufging. Nicht nur Nancy brannte, sondern auch ein Teil des Flurs. Meine Stiefmutter schrie am Spieß und rannte wirr umher- da sie eh schon unter Flammen stand, war das keine sinnvolle Idee.
Auch wenn ich diese Frau zu diesem Zeitpunkt hasste, erzog sie mich dennoch groß. Ich spielte niemals mit dem Gedanken ihr nicht zu helfen, doch dann entdeckte ich Allison am anderen Ende des Flurs. Der Teil, den die Flammen in der nächsten Zeit verschlingen wollten.
Nancy rannte schnurstracks auf die schockierte Allison zu, die mit offenem Mund angewurzelt dastand. In diesem Moment wurde mir klar, dass Nancy sie töten wird, wenn sie weiterhin auf sie zu stürmt.
An diesem Tag, einer der schlimmsten Tage in meiner Vergangenheit, entschied ich mich für meine Halbschwester, anstelle meiner Stiefmutter.
Ich rannte los, so schnell ich konnte, um Allison vor Nancy zu erreichen. Meine Hände griffen nach der kleinen Allison und zerrten sie nach unten. Von da an passierte alles sehr schnell.
Hätte Allison seit diesem Tag die Vermutung gehabt, ich habe ihre Mutter getötet, so hätte sie ein wenig recht gehabt.
Aber Nancys Tod war ein Unfall und ich entschied mich für Allison Rettung.
Monate vergingen. Der Vorfall im Herrenhaus der Ross wurde als ein tragischer Unfall abgestempelt. Man sagte Nancy sei selbst Schuld gewesen, da sie stolperte und gegen den Kerzenleuchter stoß.
Die Wahrheit hinter dem Vorfall behielt ich bei mir. Allison sagte auch kein Wort. Sie schwieg vor sich hin. Niemand erfuhr, dass die beiden Ross-Kinder an diesem Tag im Haus waren. Vor jeden, sogar vor Nathaniel behauptete ich nicht im Haus gewesen zu sein. Ich hatte zu sehr Angst, vor der Wahrheit. Ich redete mir immer wieder ein, dass es nur ein Unfall war, doch sicher bin ich mir bis heute nicht. Der Vorfall prägte meine Kindheit sehr.
Bei Allison war es nicht anders. Sie redete kaum noch ein Wort mit mir, geschweige denn mit anderen. Ich dachte mir zu diesem Zeitpunkt, dass es ihre Art war mit der Trauer umzugehen.
Doch irgendwann bekam ich es mit der Angst zu tun- Sie könnte den Unfall falsch interpretiert haben und mich als den Schuldigen sehen. Ein Mord bedeute in dieser Zeit die Todesstrafe.
Aus Angst vor der Wahrheit floh ich zusammen mit Nathaniel nach London. Ein Teil von mir wollte auch unbedingt mit ihm endlich zusammen sein, schließlich erlaubten es unsere beiden Familien nicht, aber ein anderer Teil von mir hatte auch Angst vor der Vergangenheit.
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