Kapitel 10- Schock
Campus 09:45
Neugierig betrete ich den riesigen Hörsaal. Ich war überraschenderweise nicht die erste Studentin, die den Raum betritt.
Vier weitere Studenten sitzen bereits verteilt im Hörsaal. Ich nehme mir einen Platz in den hinteren Reihen und lege meine Notizen auf den Tisch.
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass die Vorlesung erst in einer Stunde anfangen wird. Bis es soweit ist, könnte ich noch kurz die Bibliothek anschauen.
Sie soll laut vielen Aussagen atemberaubend schön sein. Mit Marmor verzierten Säulen und Bücherregale, die bis an die Decke reichen.
Kein Wunder, dass die Bücherei drei Etagen besitzt.
Außerdem gibt es keine andere Bücherei in Amerika, die originale Bücher aus dem 18 Jahrhundert besitzt.
Schnell packe ich mein Zeug in meine Tasche und verlasse den Raum.
Zu meinem Glück befinden sich gleich am Eingang des Hörsaals ein Plan, wo sich die Bücherei befindet.
Ich folge einen langen Flur und gehe ein paar Treppen bis ich endlich vor einer großen, bogenförmigen Holztür stehe.
Das muss die Bücherei sein!
Obwohl der Außenbereich bereits edel verziert aussieht, weckt ein riesiges, mit Gold geschmücktes Schild, die volle Aufmerksamkeit.
In einer geschnörkelten Schriftart steht darauf.
„Eine Scott Scalten Stiftung"
Ich unterdrücke mir gerade noch einen Würge Reiz, als ich das lese.
Selbst in meiner Uni ist Nathaniel. Es ist ganz egal, wohin ich gehe. Er ist überall.
Ich hoffe ihn nie wieder zu sehen, zu mindestens nicht persönlich.
Ein wenig hätte es mich schon interessiert, was im Club nach meiner Bewusstlosigkeit passiert ist?
Das wenige, was ich dank James erfahren habe, ist nun mal nicht viel.
Ich könnte Zuhause Milo fragen, aber dafür müsste ich mit ihm reden und darauf verzichte ich liebend gern.
Wow! Staunend drehe ich mich zweimal um meine eigene Achse, die Bibliothek ist wirklich atemberaubend.
Sofort banne ich mir einen Weg zu den älteren Teil des Gebäudes. Dort wo sich Bücher aus meinem Geburtsjahr befinden.
Die meisten Bücher waren mir fremd. Als ich 15 Jahre alt war, las ich nicht viel.
Meine Familie war eine sehr wohlhabende schottische Familie, so lernte ich auch schreiben und lesen, aber dennoch las ich nie.
Meine Mutter war dagegen, dass ich meine Fähigkeiten im Lesen einsetzte. Ich sollte laut ihr eine ungebildete Frau werden, die für ihren wohlhabenden Ehemann jederzeit da ist.
Allein der Gedanke, dass sie mich damals mit meinem arroganten Cousin verheiraten wollte, lässt mir einen Schauder den Rücken hinunter jagen.
Mein Vater war anders. Er mochte es, dass seine kleine Tochter vieles hinterfragte und nicht alles so hin nahm, wie es wahr.
Im Geheimen brachte er mir das Lesen bei und zusammen lasen wir viel.
Eines, aber konnte ich nie lassen und das war das Tagebuch schreiben. Fast alles, was ich erlebte schrieb ich zugleich auf.
Meine Fingerspitzen gehen über ein Buch, dessen roter Einband mir bekannt vor kommt.
Als ich es öffne, muss ich erstmal husten, viel Staub fliegt aus einer Seite heraus.
Stirnrunzelnd betrachte ich es genauer. Nein, das kann es doch nicht sein!
Liebes Tagebuch,
heute kam mein Vater eher von der Jagd nach Hause. Ich wollte mitgehen, aber Mutter lies mich nicht. Wieder musste ich das blöde Kleid zusammennähen, das ich angeblich kaputt gemacht habe. Ich werde wohl nie etwas anderes sehen, außer ihre strengen Blicke und Schimpfereien.
Mein Cousin Colin war mit Vater zusammen auf der Jagd. Wieso denkt Colin immer er sei der Größte? Sogar meine kleine Schwester Allison findet ihn toll, das ist doch lächerlich.
Wenigstens ist Nathaniel meiner Meinung. Er und Colin haben sich letzte Woche fast gegenseitig verletzt, nur weil Nathaniel ihm einen Apfel auf dem Kopf warf.
Ja oke, ich warf eigentlich den Apfel auf Colin und Nathaniel nahm es auf sich.
Weiter las ich nicht. Weiter muss ich auch nicht lesen. Mein Tagebuch! Was zur Hölle macht mein Tagebuch hier!
Sofort reiße ich es an mich, gehe brav zur Theke, um es auszuleihen und verschwinde anschließend aus dem Raum.
Nach der Vorlesung setzt ich mich in ein für mich gemütlich aussehendes Café.
Erneut schlage ich mein Tagebuch auf und durchblättere es.
Bis auf den gelblichen Farbton und meiner an manchen Stellen unübersichtlichen Schrift, ist es gut erhalten geblieben.
Was zur Hölle sucht mein Tagebuch in einer renommierten Bücherei?
Ich brauche nicht lange zu überlegen, um auf die Vermutung zu gelangen, wer es dorthin verfrachtet hat. Nathaniel!
Ein wenig beruhigt bin ich, denn meine damalige schnörkelige Schrift kann heutzutage nicht jeder lesen. Aber Nathaniel könnte es, ob er es wohl tat?
Wut steigt in mir. Wer denkt er eigentlich wer er ist, mit seiner Masche als Scott Scalten!!
Je länger ich lese, desto mehr Erinnerungen kommen in mir hoch. Meine Kindheit war nicht immer schrecklich, sie war eigentlich sehr schön. Über meine Mutter, aber schrieb ich nie etwas Gutes.
Warum auch! Sie war zu streng zu mir, hielt fest an Traditionen und konnte mich nicht lieben. Meine kleine Schwester dagegen war ihr „Engel".
Ich liebte Allison unheimlich. Sie war ja auch meine Schwester. Aber meine Mutter neee!
Plötzlich bleibt mein Blick an einer Seite haften. Der Eintrag war von 1905. Das kann nicht sein? Seitdem ich 1812 nach London floh, sah ich das Tagebuch nie wieder.
Die Schrift des Eintrages war auch ganz anderes, aber ich kann nicht entziffern wer der Autor ist.
Ich versuche die Schrift einigermaßen zu lesen.
Julia Kabbad, Emma Gibson, Luise Willth, Natascha Narrison, Rina Rejoket, Mara Tafka, Elina Well, Miranda Kopt
Bei jedem Namen zucke ich innerlich zusammen, als ich aber dann den letzen lese, springt fast mein Herz. Mein jetziger Name ist fett geschrieben und unzählige Male unterstrichen!
All die anderen Namen sind ein paar von denen, die ich einst benutzte, um meine Identität zu verstecken.
Jemand wusste davon? Jemand wusste womöglich was ich war.
Mein erster Gedanke ist Nathaniel, schließlich war die Bücherei seine Stiftung.
Wohl oder übel werde ich diesen Scott Scalten aufsuchen müssen, obwohl es wirklich das Letzte ist, was ich möchte.
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