Fünfundzwanzig
Der klang von dir
Geschmack von dir
Als ich auf die Uhr sehe nach dem späten Abend war es Mitternacht als wir das Teehaus betraten. Es war ein langer Abend ohne jegliche Spuren—bis auf der Falke aus schwarzem Graffiti auf der Wand.
Der Falke, schwarz und drohend, schien mich aus der Wand heraus anzustarren, als wäre er der einzige Zeuge meiner inneren Zerrissenheit. In diesem Teehaus, das von einer schweren Stille umgeben war, fühlte ich mich wie ein Schatten meiner selbst, verloren in einem Meer aus Erinnerungen, die ich nicht loslassen konnte. Der Rucksack, der mit der Last meiner unerfüllten Träume und verletzten Gefühle vollgestopft war, fiel mit einem dumpfen Geräusch zu Boden, als wollte er mir die Schwere meiner Existenz vor Augen führen.
Ich ließ mich auf den kalten Boden sinken, als ob ich damit die Hitze der aufgestauten Wut und Trauer ablassen könnte. Der Raum um mich herum verschwamm, während ich in Gedanken versank. Warum war ich hier? Warum fühlte ich mich wie ein Gefangener in meinem eigenen Leben? Die Fragen schwirrten in meinem Kopf, wie ein unaufhörlicher Sturm, der keine Ruhe kannte.
Der Falke, das Symbol der Freiheit, war für mich nur noch ein Sinnbild meiner Gefangenschaft. Ich wollte fliegen, wollte die Ketten sprengen, die mich an diese schreckliche Realität banden. Doch stattdessen saß ich hier, gefangen in einem Netz aus Rachegedanken, die wie scharfe Klingen in meinem Herzen stachen. Die Wut, die sich in mir aufstaute, war ein Feuer, das alles verzehren wollte—mich selbst, die, die mir wehgetan hatten, und die ganze Welt, die mir so ungerecht erschien.
Ich löste mit einem Ruck den Dutt und fuhr mir durch mein Haar.
Ich schloss die Augen und ließ die Tränen freien Lauf. Trauer und Verzweiflung überkamen mich wie eine Welle, die mich unter Wasser drückte. Es war nicht nur der Verlust, der mich quälte, sondern auch die Erkenntnis, dass ich nichts dagegen tun konnte. Die Ohnmacht nagte an mir, ließ mich in der Dunkelheit tappen, während der Falke weiterhin beobachtete, als würde er darauf warten, dass ich endlich die Entscheidung traf, die ich so lange hinausgezögert hatte.
In diesem Moment, umgeben von der Kälte des Raumes und der Kälte meines eigenen Herzens, schwor ich mir, dass ich nicht länger tatenlos zusehen würde. Rache würde mein Antrieb sein, mein Weg zur Befreiung. Doch während ich mich auf diesen dunklen Pfad begab, spürte ich auch die leise Stimme der Vernunft, die mir zuflüsterte, dass Rache oft das eigene Herz verzehrt. Doch was wusste ich von Herzen? Es war nur ein weiteres Stück Fleisch, das blutete und schmerzte.
Ich sehe auf, der Falke in meinem Blick, und fühlte, wie die Wut in mir zu einem Sturm anwuchs. Ich würde nicht aufgeben. Ich würde kämpfen. Und vielleicht, nur vielleicht, würde ich eines Tages die Freiheit finden, nach der ich so verzweifelt suchte—oder zumindest einen Ausweg aus diesem endlosen Labyrinth von Schmerz und Verlust.
Ich höre die Jungs vor der Türe, flüstern, nuscheln, fragen sich, ob sie zu mir kommen sollten, oder ob sie mich lieber alleine lassen sollten. Ich höre Rio sagen, dass sie mich für heute in Ruhe lassen sollten, dann war es still. Ich höre eine Tür. Die neben Tür. Ich runzelte meine brauen leicht. Beruhigte mich langsam, langsam, langsam.
Atme. Atme, wie es der Mensch tun sollte. Dann stehe ich auf und öffnete die Tür. Es war stockdunkel. Ich schaue einen Moment den Gang entlang, dann laufe ich auf die Treppen zu, steige sie hinunter. Ein knarren der Stufe. Ich hielt inne, laufe dann weiter hinunter. Ein Luftzug. Ich sehe von den Stufen auf. Komme unten an. Laufe dem Gang des Teehauses entlang. Die selbe geöffnete Schiebetür wie letzte Nacht. Heute schien die Nacht noch kühler als die letzte, dass mir jetzt eine Gänsehaut über den Körper steifte.
Ich starre seinen Rücken an, gefangen in der Stille des Moments. Die Schatten der Nacht umhüllen uns, während ich an dem alten Balken lehne, der mir Halt gibt, als wäre er ein Anker in dieser aufgewühlten Welt. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, ein wildes Trommeln, das mir das Gefühl gab, als könnte die ganze Nacht mich gleich verschlingen. Der Mond, hoch am Himmel, schien uns aus einer fernen Perspektive zu beobachten, als ob er sich vor der Intensität unserer Begegnung fürchtete.
Inmitten all der Aufregung des heutigen Tages hatte ich nicht bemerkt, dass ich Suo zum ersten Mal in Alltagskleidung mustern konnte. Das dunkle chinesischgeknöpfte Hemd, das er trug, mit dem Mandarin-Kragen und den feinen Stoffknoten, verlieh ihm eine Aura von Anmut und Geheimnis. Es war, als ob er die Essenz eines alten Kriegers in sich trug, und doch war da etwas Vertrautes, das mich an die Momente erinnerte, als er die seidigen Stoffe unter seiner Furin-Jacke trug.
Doch heute war da noch mehr. Die dunkle, lockere Jeans, die seine Beine umschmeichelte, überraschte mich zunächst. Es war ein unerwarteter Anblick, da ich ihn immer in den eleganten, seidigen Stoffen gesehen hatte, die so perfekt zu seiner Präsenz passten. Diese Jeans schienen ihn erdiger, greifbarer zu machen, und ich konnte nicht anders, als darüber nachzudenken, wie eine einfache Änderung in der Kleidung so viel über einen Menschen aussagen kann. Sie ließ ihn weniger wie einen Geist und mehr wie einen Mann erscheinen, der in der Realität verwurzelt war.
»Willst du dich nicht zu mir setzen?« Seine Stimme durchbrach die Stille, warm und einladend, doch gleichzeitig mit einem Hauch von Ungewissheit.
Ich zögerte einen Moment, die Worte in mir nachhallend. Es war mehr als nur eine Einladung. Es war eine Möglichkeit, die Distanz zwischen uns zu überbrücken, die Kluft, die meine Gedanken und Gefühle in den letzten Tagen gegraben hatten. Er drehte sich leicht zu mir um, und ich konnte die Intensität seines Blicks spüren, der wie eine sanfte Berührung auf meinem Gesicht lag.
Langsam löste ich mich von der Wand und trat näher, die Kühle des Holzes auf meinem Rücken gegen die Wärme seines Körpers austauschend. Ich setzte mich auf die Bank neben ihm und spürte die Spannung in der Luft, die zwischen uns schwebte, wie ein unsichtbares Band, das uns miteinander verband. Der Garten hinter uns war ein verwunschenes Reich, das im Mondlicht schimmerte und uns in eine andere Welt entführte.
»Es ist schön hier«, murmelte ich, während ich den Blick über die sanften Konturen der Pflanzen und die schimmernden Blüten schweifen ließ. Doch in meinem Inneren brodelte ein Sturm aus Fragen und Unsicherheiten.
Suo nickte, seine Augen blitzen im Licht des Mondes. »Ja, es hat seinen eigenen Zauber, nicht wahr?« Seine Stimme war leise, fast wie ein Geheimnis, das er mit mir teilen wollte.
»Du denkst viel nach.«,murmelt er dann in die Stille hinein. Ich nickte. »Ich habe dir doch von dem Falken erzählt. Und jetzt taucht es einfach dort auf...sind sie es etwa doch gewesen?«
Stille.
Suo lehnte sich weiter zurück, seine Hände stützten ihn auf dem hölzernen Boden, während er mir mit einem durchdringenden Blick begegnete, der mir das Gefühl gab, als könnte er direkt in meine Seele sehen. Die Stille zwischen uns war fast greifbar, und ich spürte, wie sich unser Gespräch in eine tiefere Dimension verwandelte. Seine Frage, die so einfach schien, entblätterte Schichten von Emotionen, die ich lange verborgen gehalten hatte.
»Was wünschst du dir am seligsten?« wiederholte er, und ich konnte nicht anders, als die Schwere dieser Frage zu spüren. Mein Herz schlug schneller, und ich wandte den Blick ab, unfähig, die Intensität seines Blicks zu ertragen.
»Wie kommst du plötzlich auf diese Frage?« fragte ich, versuchte, die Unsicherheit in meiner Stimme zu kaschieren. Es war eine Flucht, eine Ablenkung von dem, was in mir brodelte.
Sein Grinsen war vertraut, doch in diesem Moment war es mehr als nur ein Scherz. »Ich würde gerne deinen Wunsch wissen, außerhalb dieses dunklen Feldes. Sag mir etwas, das dich beruhigt, etwas, das du schön findest.«
Die Stille senkte sich wie ein schwerer Vorhang über uns. Ich dachte an die Klänge, die mich immer begleitet hatten, die Melodien, die ich im Herzen trug, und die Worte, die ich nie auszusprechen gewagt hatte.
»Ich wünschte, ich hätte ein paar bessere Klänge gefunden, die noch niemand gehört hat,« murmelte ich schließlich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
Sein Gesichtsausdruck wurde ernst, als ob meine Worte eine verborgene Wahrheit berührt hätten. »Ich wünschte, ich hätte eine bessere Stimme, die ein paar bessere Worte singen könnte,« fügte ich hinzu, und in diesem Moment schien die Luft um uns herum schwer zu werden, als ob die Welt für einen kurzen Augenblick stillstand.
Die Kälte in seinem Blick erweckte in mir ein Gefühl der Verletzlichkeit. »Ich wünschte, ich hätte einige Akkorde in einer neuen Reihenfolge gefunden,« sprach ich weiter, und es fühlte sich an, als würde ich meine innere Zerrissenheit offenbaren.
Ich drehte meinen Kopf zu ihm und sah direkt in seine Augen. Dieser Blick durchbohrte mich, als wäre er ein scharfer Dolch, der die Schichten meiner Abwehr durchdrang.
»Ich wünschte, ich müsste mich nicht jedes Mal reimen, wenn ich sang,« gestand ich, und ein kalter Wind blies durch den Garten, der die Blätter zum Flüstern brachte und die Stille mit einem sanften, aber eindringlichen Klang durchbrach. Der Klang des Windspiels über uns vermischte sich mit meinen Worten und schuf eine melancholische Melodie, die mich zugleich beruhigte und aufwühlte.
»Mir wurde gesagt, dass alle meine Ängste verschwinden würden, wenn ich älter werde,« fügte ich hinzu, die Bitterkeit meiner Worte hallte in der Stille wider. Die Lüge, die ich so oft gehört hatte, schmerzte wie ein alter, nicht verheilter Schnitt.
Suo beobachtete mich aufmerksam, und ich spürte, wie der kalte Wind in mein offenes Haar blies, es wie einen Wirbel in mein Gesicht zog. Er war wie ein Zeuge meiner inneren Kämpfe, und in diesem Moment, als ich seine Augen nicht ausweichen konnte, fühlte ich, dass alles anders war.
»Aber das ist gelogen. Und ich habe es satt, dass man mich anlügt,« meine Stimme klang jetzt kühl, die Enttäuschung und der Schmerz waren unverkennbar.
In dieser Stille, die zwischen uns schwebte, war es Suos Blick, der mir die Kraft gab, weiterzusprechen. »Du wirst sie finden,« sagte er dann, und seine Stimme war fest und klar. »Dann wirst du eine Reihenfolge finden, deine Akkorde—dein Leben in eine Reihenfolge bringen. Und bessere Klänge werden über deine Lippen schweifen, als die Worte des Hasses.«
»Und was ist, wenn ich scheitere?« fragte ich, die Angst schwang in meiner Stimme mit.
Suo lächelte sanft, und sein Blick war warm. »Scheitern ist nur ein Teil des Prozesses. Es ist eine Lektion, die uns lehrt, was wir wirklich wollen. Du bist stärker, als du denkst, und ich werde hier sein, um dich zu unterstützen, egal wie oft du fällst.«
Seine Worte schwebten wie ein zartes Versprechen zwischen uns, und ich fühlte, wie die Ketten, die mich festhielten, langsam zu bröckeln begannen.
Dann löste er den Blick. Wendet ihn ab, dreht seinen Kopf zu Seite. Sein Haar verdeckt mir sie Sicht auf seine Augen. »Was ist?«,frage ich vorsichtig nach, unsicher.
Dann höre ich ihn schmunzeln, die Finger auf seine Lippen, dann fuhr er sich durch sein braunes Haar und seufzt.
Dann, mit einem spielerischen Funkeln in seinen Augen, sah er mich wieder an.
»Weißt du, manchmal frage ich mich, ob du wirklich bereit bist, die Wahrheit zu hören,« begann er, seine Stimme leicht herausfordernd, aber mit einem Schimmer von Ernsthaftigkeit. »Was, wenn ich dir sage, dass du nicht nur die Melodien finden musst, sondern auch den Mut, sie laut zu singen?«
Er grinste, und ich konnte nicht anders, als über seine unbeschwerte Art zu schmunzeln, auch wenn mir gleichzeitig das Herz schwer wurde.
»Was, wenn ich dir sage, dass das größte Geheimnis darin besteht, dass du nicht perfekt sein musst?« fuhr er fort, während er seine Finger an seine Lippen legte, als wollte er das Geheimnis, das er gerade enthüllte, bewahren. »Das Leben ist wie ein unvollendetes Lied, und manchmal sind es die schiefen Töne, die den größten Eindruck hinterlassen.«
Er lehnte sich ein wenig näher, und ich spürte die Spannung zwischen uns. Sein Gesicht kam mir immer näher. »Also, was hält dich zurück? Die Angst vor dem Scheitern oder die Sorge, dass jemand deine Melodien nicht mag?«
Sein Blick war jetzt ernst, und ich erkannte, dass hinter seinem spielerischen Auftreten eine tiefere Wahrheit lag. »Du musst nicht die perfekte Stimme haben, um gehört zu werden. Manchmal reicht es, einfach du selbst zu sein—mit all deinen Unsicherheiten und Fehlern. Und genau das macht die Musik des Lebens so besonders.«
Er zog eine Augenbraue hoch, als ob er mich herausforderte, ihm zu widersprechen, und ich spürte, dass er genau wusste, wie ich mich fühlte—und dass ich bereit war, diesen Schritt zu wagen.
»Also, was ist?« wiederholte er, seine Stimme nun sanft, aber eindringlich. »Bist du bereit, deine Melodie zu finden und sie in die Welt hinauszutragen, egal wie schief sie auch klingen mag?«
Jetzt spüre ich seinen Atem auf meinem Gesicht. Eine Gänsehaut streift um meinen Nacken. Krabbelten vielleicht auch Armeisen auf meinen Körper hinauf? Ich hielt den Atem an.
Mit einem Mal stieß ich die Hand vor seinem Mund, der bloß wenige Zentimeter von meinen entfernt war. Er zuckte leicht zusammen. Mit hochrotem Kopf sehe ich ihn an, entfernte mich von ihm. »Ich- ich-«,stammelte ich. »Du idiot!«,rief ich dann aus und er sieht mich mit weiten Augen an, grinst dann breit. Wie schnell er sich bloß fasste, verdammt!
Er schmunzelt nun, steht auf. »Warte hier.«,flüstert er leise und verschwindet irgendwo hin. Verwirrt sehe ich ihm hinterher. Was...? Was zur...
Ich sehe in Richtung des Gartens, sehe den Garten an, als hätte ich soeben einen Gott gesehen, der schnell wieder verschwunden war.
Ich blinzelte. Mehrere Male. Ich stand dort wie angewurzelt, mein Herz pochte die ganze Zeit über wie eine tickende Zeitbombe, hatte mich nein Millimeter geführt, bis ich Schritte höre, dann, wie er sich wieder neben mich setzte. Ich schluckte.
Schiele nach links zu ihm. Ich sehe seine Lippen. Mein Herz rast, rast, rast. Sein grinsen. Mein Herz rast, rast, wie wild. Dann ein Geruch. Ich sehe nach unten zu Boden. Ein Tablett. Zwei elegante Waldgrüne Gaiwan. Ich habe sie damals in China und auch hier in Japan zuhause jeden Abend mit meiner Familie in meinen Händen gehalten und Tee getrunken.
Bei der Erinnerung schmerzte mein Herz.
Auf einem kleinen ebenso chinesischen Porzellanteller liegt Kräutertee. Verwundert sehe ich Suo an. Unsere Blicke streifen sich. »Wann... woher...«
»In Makochi gibt es einen Kräuterladen. Ich sagte doch, dass ich es liebe.«
Ich schwieg. Und dann berietet er den Tee zu. Schweigend. Ich beobachtete seine Hände, seine weichen Züge im Gesicht.
Dann hebt er das Porzellan an seine Lippen. Trank einen Schluck. Ich tat es ihm gleich. Schmeckte einen bitteren Geschmack auf meinen Lippen, doch dieser Geschmack gefiel mir.
»Es ist wirklich gut.«,bestätige ich ihm nervös. Ein grinsen legt sich auf seine Lippen.
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