20. Wenn die Vergangenheit dich wieder einholt
Mit einem Grinsen betrachtete ich meine Freunde und Familie vor mir liegen. Bewegungslos und tot. Mit Blut an meinen Händen betrachtete ich sie einzeln. Amy, Josh, David und meine Familie. Ich hatte dies getan. Es war nicht zu verhindern. Ich sollte dem System doch gehorchen. "Ich hätte nie gedacht, dass du so schwach bist....Alle umbringen konntest. Ich will dich nie wieder sehen!" schrie Ethan mich an. Ich ging auf ihn zu und blieb einige Zentimeter von ihm entfernt stehen. So nah an ihm dran, doch so weit entfernt. Ich nutzte meine Gabe und lies ihn auf die Knie fallen. Ich hatte mich noch nie so stark gefühlt wie in diesem Moment. "Wieso?! Wieso tust du uns das an Emily! Du bist nicht das Mädchen in das ich mich verliebt hatte." Für eine Sekunde zögerte ich, doch dann vollendete ich das, was ich angefangen hatte. Ich drehte mich um und fühlte noch, wie sein Körper leblos zu Boden fiel. Automatisiert steuerte ich zum Fenster zu. Mit Leichtigkeit hob ich mich auf die Fensterbank und breitete meine Arme aus. Mein Kleid flatterte im Wind und meine dunkelbraunen Strähnen wurden umher gewirbelt. So sollte alles also ein Ende nehmen. Meine Augenlider fielen zu und ich sprang raus.
Schreiend öffnete ich meine Augen und fand mich schweißgebadet in meinem Bett wieder. Ich schaute mir meine Hände an, die noch vor Sekunden voll mit Blut von meinen Freunden und meiner Familie waren. Der Traum hatte sich so real angefühlt. Schuldgefühle, Schmerz und Trauer überwältigten mich und ich lies mich auf mein Bett fallen. Ich hielt mich nicht zurück und weinte meine Bettdecke voll. Auch wenn es nur ein Traum gewesen war, änderte es nichts an der Situation. Gestern Abend hätte ich sie nahezu umgebracht. Was ist bloß los mit mir? Wieso konnte ich nicht dagegen ankämpfen? War ich so schwach, dass ich fast meine eigenen Freunde umgebracht hätte? Als die Tränen nicht aufhören wollten, lief ich ins Badezimmer und stellte mich unter die Dusche. Meine Tränen verschwanden unter dem kühlen Wasser, doch meine Sorgen blieben dort wo sie waren.
Nachdem ich aus der Dusche kam und mich angezogen auf das Bett gesetzt hatte, ging ich den gestrigen Abend mehrere Male in Gedanken durch. Ich verstand nicht wie ich diese Menschen verdient hatte. Sogar als ich nicht mehr ich war, wollten sie mir keinen Schaden zu fügen. Sie haben all meine Angriffe eingesteckt. Wie sollte ich ihnen wieder ins Gesicht sehen? Mir war klar, dass das nicht wirklich meine Schuld war. Ich war das letztendlich nicht, jedoch hätte ich dies von Anfang an verhindern können, wäre ich nicht so schwach gewesen. Vorsichtig klopfte jemand an meiner Tür. "Wer ist da?" flüsterte ich vor mich hin.
"Schätzchen. Ich bin es." die sanfte Stimme meiner Mutter drang durch die Tür zu mir zu. Sie schritt rein und schaute mich mitfühlend an. Ohne lange nachzudenken, rannte ich in ihre Arme. Ich drückte sie fest und für einen Moment hatte ich all meine Sorgen vergessen.
"Mum. I-Ich habe dich so vermisst. Ich..." brach ich ab und genoss die Geborgenheit. Bei meiner Mutter fühlte ich mich immer geborgen und in Sicherheit. Sie streichelte meinen Rücken auf und ab. "Ach Emily. Ich weiß von allem Bescheid Kieran und Ethan haben mir alles erzählt." sagte sie seufzend und wir setzten uns auf meinen Bett. "M-mum, wo wart ihr eigentlich? An dem Tag als ich wieder zu Hause war, meinte Kieran zu mir, dass ihr für ein paar Tage nicht da sein würdet, aber nicht wieso ihr weg wart.
"Wir hatten Kieran gebeten dir Bescheid zu geben." sie seufzte. "Deine Großmutter. Wir haben an dem Tag einen Anruf von ihr bekommen, dass es ihr sehr miserabel geht und sind dorthin geeilt. Wären wir zu spät gekommen...ach das ist jetzt nicht mehr wichtig. Ihr geht es wieder gut, aber seit 15 Jahren, also seitdem dein Großvater nicht mehr bei uns ist. Hat sie sich gehen lassen." traurig rieb sie sich die Handfläche mit ihrem Daumen. Ihre hellbraunen Haare verdeckten ihr Gesicht fast ganz. "Mum?" fragte ich besorgt.
"Weißt du...ich hätte nie gedacht, dass die Geschichten die mir dein Großvater erzählte, die Wahrheit waren. Er erzählte mir immer davon, dass es eine andere Dimension voll mit Menschen mit Gaben gab. Eine andere Dimension, die unserer so nahe war. Er erzählte mir, dass diese Dimension einst wunderschön war und sie irgendwann wieder ihre Schönheit zurück erlangen würde. Als ich in deinem Alter war, fragte ich mich plötzlich wieder ob dies die Wahrheit sein könnte. Ich sagte meinem Vater nicht, dass ich mehr über seine Geschichten herausfinden wollte. Ich machte mich auf die Suche nach Antworten. Recherchierte und fand nichts dazu. Ich gab aber nicht auf. Auch wenn ich mich nicht mehr auf die Suche konzentriere, konnte ich nicht aufhören daran zu denken. Jahre vergingen und ich lernte deinen Vater kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen und er nahm den Platz meiner Gedanken voll und ganz ein. Ich verschwand keine Zeit mehr, mehr über diese geheimnisvolle Dimension zu erfahren. Bis eines Tages dein Großvater mich anrief und mich bat ihn schnell zu treffen. Er klang nervös und beängstigt. Ich kann mich noch erinnern, wie er mir sagte, dass er mich sehr liebt und mir etwas Wichtiges mitteilen musste. Ich stürmte aus dem Haus und rannte zu unserem Treffpunkt, denn ich hatte ein schlechtes Gefühl gehabt. Als ich dort ankam, war mein Vater nirgendwo zu sehen. Keine einzige Spur von ihm.... M-mein Handy klingelte und ich erfuhr, dass er gestorben war.... Niemand wollte mir sagen wie. Sie ließen mich im dunkeln stehen. Das war der Tag an dem ich es aufgab weiter zu suchen. Es ergab keinen Sinn mehr. Alles hatte seine Magie verloren. Ich hatte meine "Magie" verloren." Tränen tropften auf ihre Hände.
"Mum." ich umarmte sie fest.
"Jetzt sitzt du vor mir. Und ich erfahre, dass du und deine Freunde diese Gaben besitzen und aus der anderen Dimension stammen. Ich bin mir sicher, dass dein Großvater mir das mitteilen wollte und deswegen umgebracht worden ist." sagte sie mit brüchiger Stimme.
"...Hast du ihn gesehen...nachdem er gestorben ist?" fragte ich zögernd. Sie schüttelte den Kopf. "Es hieß Jahre später, dass er einen Auto Unfall hatte und das Auto explodiert ist." sie wischte sich die Tränen weg und streichelte meine Wange.
"Nun mein Schätzchen. Ich weiß von allem Bescheid. Auch von dem was Gestern passiert ist. Glaube mir eins, wenn ich dir sage, dass es nicht deine Schuld war. " sie küsste mich auf meine Stirn und wollte das Zimmer verlassen als ich sie festhielt. "Mum darf ich etwas alleine Spazieren gehen. Ich brauche Zeit für mich selbst und ich fühle mich noch nicht bereit ihnen ins Gesicht zu sehen....obwohl ich keine Schuld habe." gab ich unglaubwürdig zu.
"Mach das. Es wird dir sicherlich helfen, wenn du jetzt gehst sieht dich niemand. Sie unterhalten sich alle im Wohnzimmer." ich nickte, schnappte schnell meine Jacke und meine kleine Tasche und tapste leise die Treppen runter. Ich wollte nicht wissen, was das Gestern war. Nicht jetzt. Als ich aus dem Haus war, atmete ich erleichtert auf und ging zur U-Bahn. Umgeben von Menschen, doch trotzdem allein. Nach elf Stationen stieg ich von der überfüllten U-Bahn aus und steuerte auf die Treppen zu. Ich setzte meine Kopfhörer an und öffnete die Musik, die passend zu meiner Stimmung war, auf volle Lautstärke. Ich wusste wohin ich ging und ließ mich von meinen Füßen treiben. Weitere 40 Minuten schlug ich mich durch die Menschenmenge in der Stadt durch bis ich in einem bewaldeten Gebiet ankam. Ich erklomm den kleinen Hügel und ließ mich aufs Grass fallen. Der Himmel blau und wolkenlos über mir. Dies war der Ort an dem jenem Tage meine Mutter ihren Vater treffen sollte. Hier stand sie als sie die grausame Wahrheit erfuhr. Gebrochen. Ich konnte es förmlich sehen. Wie sie auf ihre Knie sackte und ihren Tränen freie Bahn gab. Ich schloss meine Augen.
Es ist nicht meine Schuld. Es ist nicht meine Schuld. ...
Als ich meine Augen wieder öffnete blickte ich in ein mir unbekanntes Gesicht. Erschrocken, wich ich zurück und starrte die Person vor mir an. Ein alter Mann setzte sich zu mich und lächelte mich an. Als ich bemerkte, dass er halb durchsichtig war, steigerte sich die Angst in mir und ich stand auf um schon loszurennen, doch er hielt mich sanft fest. "Emily. Schön dich endlich persönlich kennenlernen zu dürfen. Wie groß du geworden bist und ich konnte nicht bei dir sein. Genauso wie bei Kieran... " er lächelte traurig.
"Großvater?" fragte ich schockiert. Ich kannte ihn nur von Bilder aus seiner Jugend. Er nickte lächelnd.
"Bestimmt nicht wie du dir vorgestellt hast deinen Opa kennenzulernen. Doch ich hatte keine andere Wahl....Nun hör mir aufmerksam zu meine Liebste. Du darfst niemandem erzählen, dass du mich gesehen hast. Ich kann dir jetzt nicht erklären, was damals genau passiert ist, aber ja ich bin nicht gestorben. Das System sagt dir bestimmt was. Sie haben mich gefangen genommen und dort bin ich immer noch." er seufzte. "Ich bin nicht wirklich hier bei dir. Es ist nur eine Illusion. Nun, ich habe nicht mehr so viel Zeit. Es tut mir alles so schrecklich Leid. Oben in meinem alten Arbeitszimmer findest du in der alten Standuhr einen Schlüssel. Nimm ihn an dich und gehe in den Dachgeschoss. Dort sollte eine kleine Truhe sein. Genau dort wirst du die Antwort auf einige deiner Fragen finden. Pass auf dich auf meine Kleine. Du bist stark und lass das dir nicht ausreden. Auf Wiedersehen und vergiss nicht meine Worte." sagte er und stand auf.
Als er gehen wollte, rief ich seinen Namen aus und er blieb stehen.
"Großvater. I-ich liebe dich auch. Auch wenn ich dich nie zuvor gesehen habe, dich nicht persönlich kennenlernen durfte...du warst, bist und bleibst für immer mein Großvater. Ich weiß nicht, was damals vorgefallen ist doch ich...ich werde dich finden. Und dich zu meiner Großmutter bringen." weinend rief ich ihm diese Wörter zu und er zuckte bei der Erwähnung meiner Großmutter zusammen.
"Zwischen euch hat es gefunkt oder? Sie kann immer noch nicht aufhören an dich zu denken. Du bist ihr Tag und ihre Nacht. Ihr alles. "
"Ja...zwischen uns hat es gefunkt, aber nur ich konnte es spüren. Sie ist nämlich ein normaler Mensch und ich stamme aus der anderen Dimension. Trotzdem war ihre Liebe zu mir so stark. Sie ist mein ein und alles und kein Tag vergeht ohne das ich an sie denke. Deshalb hast du zum Beispiel als einzige diese Gaben geerbt. Eine Generationslinie ist normal menschlich bei uns... Ich muss gehen. Emily, ich habe vertrauen in dich."
Er drehte sich um und ging zum Horizont. Weiter und weiter bis er verschwand.
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