Kapitel 3 - Ryan

Ryans p.o.v.

Kilian war ein Arschloch. Und ein dummes noch dazu. Es brauchte weniger als fünf Minuten für Ryan, das zu erkennen. Gut, vielleicht urteilte er auch etwas voreilig. Schließlich war Kilian gerade erst aus der tagelangen Bewusstlosigkeit aufgewacht. Er musste sich nicht nur damit zurechtfinden, noch zu leben und dazu sogar kaum noch Schmerzen zu haben, sondern auch in diesem Graszelt aufzuwachen, das auf den ersten Blick wirklich kurios aussah.

Dennoch. Obwohl er gleich nach dem Aufwachen fragte, wie es Xenia ging, obwohl seine Kehle staubtrocken war und er die Worte kaum verständlich heraus brachte, machte er keine Anstalten, nach ihr zu sehen. Er bat auch nicht darum, dass Ryan sie her brachte. Selbst als Ryan antwortete, es gehe ihr gut, nickte Kilian nur erleichtert, hakte danach das Thema Xenia aber offensichtlich ab.

Stattdessen erkundigte er sich genau, was mit den Hexen auf der Lichtung geschehen war. Und als er erfuhr, dass sie noch nicht tot waren, wollte er ernsthaft aufspringen und sich diesem Problem widmen.
Er war ein Idiot, ein echt dummer noch hinzu. Natürlich hielt Ryan ihn auf, was ihm nicht besonders schwer fiel, da Kilian noch schwach war.
Böse funkelte der ihn an und Ryan konnte nur ungläubig den Kopf schütteln.

"Willst du dich vielleicht nicht erst mit eigenen Augen vom Zustand deiner Seelengefährtin überzeugen?", fragte er nach, wobei er die Worte "deine Seelengefährtin" besonders betonte. Seiner Meinung nach war Kilians Verhalten sehr untypisch für einen männlichen Werwolf. Nicht dass er besonders viel Ahnung davon hätte, seinen eigenen Seelengefährten hatte er schließlich noch nicht gefunden.
Aber nichtsdestotrotz hatte er mehrmals das Verhalten von Mates beobachten können und Kilian? Der schien ein richtiges Mate-Arschloch zu sein. Er hatte Xenia nicht verdient, entschied Ryan. Es war ihm egal, wenn er vorschnell urteilte.

Irgendwie hatte er in den drei Tagen, die Xenia nun schon wach war, einen Beschützerinstinkt für dieses arme Mädchen entwickelt.
Und Kilian kam ihm wie eine Bedrohung für Xenia vor, obwohl das eigentlich lächerlich sein sollte, schließlich war er ihr Mate. Dennoch blickte ihn Ryan jetzt mit hoch erhobener Augenbraue und verschränkten Armen an. Kilian biss die Zähne zusammen.

"Ich vertraue dir, dass du mir die Wahrheit sagst", presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. Dann holte er mit geschlossenen Augen tief Luft und stieß sie gleich darauf wieder zischend aus.

"Außerdem glaube ich nicht, dass sie mich überhaupt sehen will", murmelte er leise und bitter. Es war Ryan egal.

"Kein Wunder", schnaubte er. Überrascht bei Ryans mitleidlosen Worten sah Kilian auf. Ryans sah ihm fest in die Augen.

"Statt überhaupt zu fragen, ob sie dich sehen will, gehst du gleich vom Schlimmsten aus. Mir kommt es fast so vor, als wolltest du sie nicht sehen. Ihr aus dem Weg gehen. Dabei hat sie auf dieser Lichtung beinahe ihr fucking Leben für dich gegeben. Du schuldest ihr mehr als nur ein Danke. Stattdessen willst du dich gleich an diesen Hexen rächen. Du bist echt ein beschissener Mate."

Nun trat Zorn in Kilians blaue Augen.
"Was geht dich das überhaupt an?", knurrte er. "Du kennst sie doch kaum und verhältst dich trotzdem wie ihr Beschützer."

Ryan zuckte mit den Schultern.
"Sie ist ein tolles Mädchen. Ich mag sie. Und ich kenne sie gut genug, dass ich weiß, dass sie jemand Besseren als dich verdient hat."

Das waren offensichtlich die falschen Worte, denn nun spannte sich Kilians ganzer Körper an und der Zorn schwappte nur so in Wellen von ihm. Er machte den Anschein, als wollte er sich auf Ryan stürzen, konnte sich aber scheinbar gerade so noch beherrschen. Doch seine Stimme bebte nur so vor Zorn, als er knurrte:
"Und dieser bessere Typ bist anscheinend du, oder was?"

Ryan verdrehte die Augen. Typisch. Vorher machte er sich kaum Gedanken um seine Mate, aber wenn er Schiss bekam, Konkurrenz zu bekommen, ließ er den großen bösen Wolf raushängen. Er mochte diesen Typen wirklich nicht. Was auch immer Xenia daran gehindert hatte, er war froh, dass sie sich nicht von diesem Arschloch hatte markieren lassen.

"Hör mal zu", meinte er jetzt und beugte sich näher zu Kilian, starrte ihn eindringlich an, "entweder du benimmst dich ganz wie ein richtiger Mate oder du lässt es bleiben, okay? Dieses: ich sehe Xenia nur als Mate, wenn es mir passt, kannst du dir echt sparen. Verstanden?"
Er sah genau, dass Kilian seine Worte nicht gefielen. Er hoffte nur, dieses Arschloch nahm sie ernst. Woran er allerdings irgendwie zweifelte. Sie lieferten sich noch einige lange Sekunden ein Blickduell, bis Kilian schließlich eine Entscheidung getroffen zu haben schien und den Blick senkte.

"Du hast Recht", murmelte er geschlagen. "Du kannst sie haben."

Ryan erstarrte. Hatte er richtig verstanden? Er musste sich verhört haben. Er hoffte, er hatte sich verhört. Aber die folgenden Worte zerstörten diese Illusion.

"Ohne mich ist sie sowieso besser dran", murmelte Kilian.

Ryan konnte nur den Kopf schütteln über so große Idiotie. Am liebsten hätte er ihm Recht gegeben. Hätte ihn beleidigt. Aber etwas in Kilians Tonfall ließ ihn innehalten. Da lag so viel Ernsthaftigkeit und Resignation in seiner Stimme. Dieser Typ schien nicht mehr an die Seelenverbindung zwischen Xenia und ihm zu glauben. Dieser Typ hatte offensichtlich aufgegeben. Tatsächlich schien es, als wäre ihm nur noch die Rache an den Hexen wichtig. Und da verstand Ryan auch, warum Xenia nach diesem einen Mal nicht mehr nach Kilian hatte sehen wollen.

Obwohl es ihm gehörig gegen den Strich ging, entschied Ryan da, Kilian und Xenia zu helfen, ihre Beziehung auf die Reihe zu bekommen. Zwar hielt er Kilian noch immer für einen Vollidiot, aber er hatte auch Xenia in den letzten Tagen gesehen. Traurig war gar kein Begriff für ihren Zustand. Sie brauchte ihren Seelengefährten. Und der sie auch. Obwohl er sich das offensichtlich nicht eingestehen konnte. Mann, das würde echt harte Arbeit werden. Aber Seelengefährten gehörten nunmal zusammen. Ohne einander würden sie noch zugrunde gehen.
Also seufzte Ryan tief und betätigte sich das erste Mal in seinem Leben als Verkuppler.
Hoffentlich war er ein Naturtalent und brachte sie nicht noch weiter auseinander. Wobei...das schien gar nicht mehr möglich zu sein.

"Du weißt hoffentlich, dass du gerade bullshit erzählst", sagte Ryan ganz direkt. Kilian sah ihn gar nicht erst an, sondern starrte nur ins Leere, den Rücken gegen die Bettlehne gelehnt. Ryan machte dennoch weiter.
"Ihr seid Seelengefährten. Ohne einander seid ihr viel schlechter dran als miteinander. Also reiß dich endlich Mal zusammen und krieg das zwischen euch auf die Reihe."

Doch Kilian hatte offensichtlich keine Absicht dazu, denn er sagte nur:
"Bitte geh. Ich hab gerade echt keinen Bock darauf."

Das war Ryan allerdings egal. Zugegeben, er verhielt sich gerade selbst nicht sehr toll. Sonst war er nicht so. Aber dieser Typ regte ihn auf, und das, kombiniert mit dem Beschützerinstinkt, den er in Bezug auf Xenia fühlte, tja ...das war nicht gut. Deshalb lag ihm auch nichts ferner, als jetzt zu gehen. Geschweige denn damit aufzuhören, diesen Idioten bisschen Vernunft einzureden.

"Einen Scheiß werde ich tun", verkündete er also bestimmt.
"Weißt du, dass Xenia kurz nachdem sie aufgewacht ist, gleich zu dir wollte? Sie hat dich nicht aufgegeben. Und nachdem sie unerträgliche Schmerzen für dich gelitten hat und dabei fast gestorben wäre, ist es das Mindeste, dass du zu ihr gehst. Ihr müsst euch echt Mal aussprechen und alles auf die Reihe bekommen. Oder bist du echt so feige für ein Gespräch?"

Das entlockte diesem Kerl eine Reaktion. Mit gefletschten Zähnen sah er ihn an.
"Wir hatten bereits ein Gespräch", knurrte Kilian, "und das Ende vom Lied war unsere Trennung. Ich liebe sie, aber ich liebe auch meine Familie, die von Hexen ermordet wurde. Und ich habe mir geschworen, sie zu rächen. Glaub mir, nach dem, was auf der Lichtung passiert ist, hat sich das nicht geändert. Ich werde diese Hexen leiden lassen und du kannst dir bestimmt vorstellen, dass das Xenia nicht gefällt. Deshalb ist es ja egal, dass wir uns lieben. Es ändert nichts an meinen Absichten oder Xenias Moralvorstellungen. Und ich bin ihr wirklich dankbar, dass sie mein Leben gerettet hat, auch wenn es mich gleichzeitig innerlich zerreißt, dass sie so gelitten hat und trotzdem...es gibt keine Hoffnung für uns, okay? Also kannst du dir deine Worte echt sparen."

Er sah ihn fest an und Ryan konnte die Bitterkeit und Qual in seinen Augen sehen. Sowie feste Entschlossenheit. Ryan verstand ihn. Aber das änderte nichts daran, dass er dennoch ein Idiot war. Nur eben ein verständlicher Idiot. Er seufzte.

"Jeder von uns hat jemanden an die Hexen verloren", erklärte Ryan ihm ernst. Er musste an seine Eltern denken, verdrängte aber sogleich die schmerzhafte Erinnerung. Fest sah er Kilian an.

"Das ist nicht schön. Aber so ist nunmal das Leben. Es läuft weiter, ob wir wollen oder nicht. Und glaub mir, wenn ich dir sage, dass Rache nicht hilft. Rache bringt sie dir nicht zurück und lässt dich auch nur für einen kurzen Moment besser fühlen. Aber das ist es nicht wert. Es ist es nicht wert, zum Monster zu werden und es ist es auf keinen Fall wert, seine Liebe dafür aufzugeben. Denn weißt du was? Wenn du dich rächst, wirst du für einen kurzen Moment Genugtuung fühlen. Aber danach fühlst du dich genauso leer wie zuvor. Vermutlich noch schlechter. Glaub mir, ich habe Erfahrung darin."

Ryan musste kurz stocken, als die Erinnerung ihn wieder überkam. Dann atmete er tief ein, fixierte Kilian wieder fest und erzählte weiter:

"Aber Liebe? Liebe bleibt ewig. Liebe lässt Wunden heilen. Sie ist so viel besser als die Rache. Und Xenia liebt dich. Keine Ahnung wieso, aber sie tut es. Du solltest dieses Geschenk nicht als selbstverständlich ansehen, sondern darum kämpfen. Denn wenn du es nicht tust…"

Ryan zuckte mit den Schultern.
"Sie wird nicht ewig auf dich warten. Das zerstört einen auf Dauer."
Er erhob sich aus seinem Grassessel und ging zur Zeltwand. Davor drehte er sich noch einmal zu Kilian um.

"Tu mir den Gefallen, tu Xenia den Gefallen und denk über meine Worte nach. Das ist wirklich das Mindeste, was du ihr schuldest."

Danach drehte Ryan sich um und ließ den Vollidioten in seinem Bett zurück. Er hoffte, Kilian würde sich seine Worte wirklich zu Herzen nehmen. Hoffte es um Xenias Willen. Allerdings hatte sein stures Gesicht keinen Anschein darauf gemacht. Ryan seufzte, dann schickte er per Telepathie, die jedem Rudel eigen war, an alle die Nachricht, dass jemand anderes auf Kilian aufpassen sollte. Dass er wach war, hatte er ihnen schon vorhin gesagt. Jetzt konnte ruhig jemand anderes das Vergnügen haben, auf Kilian aufzupassen. Er hatte wirklich keine Lust mehr darauf.

Vielleicht hätte er jetzt zu Xenia gehen sollen. Ihr erzählen sollen, dass ihr Seelengefährte wach war. Aber dann hätte er ihr auch von dem Mist erzählen müssen, den Kilian verzapft hatte, und er wollte im Moment wirklich nicht Bote schlechter Nachrichten sein. Also verwandelte er sich in seine Wolfsgestalt, webte einen starken Schutzzauber und Unsichtbarkeitszauber um sich - einer der wenigen, den er wirklich geübt hatte - und verkündete seinem Rudel, dass er eine kurze Runde drehen würde. Hier sah das zwar keiner wirklich gerne, aber er war gut geschützt, diese zwei Zauber beherrschte er perfekt. Zwei der wenigen.

Und im Moment wollte er niemandem mehr über den Weg laufen, das Gespräch mit Kilian hatte unangenehme Erinnerungen an seine Vergangenheit geweckt und obwohl das alles schon lange her war, schmerzten diese Bilder dennoch noch immer. Ein kurzer Lauf würde sie hoffentlich vertreiben.

Also lief er aus ihrem Versteck und drehte eine kleine Runde, die Ohren gespitzt. Es war schon später Nachmittag, als er neben dem sanften Blätterrauschen und raschelnden Tieren sowie singenden Vögeln etwas anderes hörte. Nämlich vorsichtige und bemüht leise Schritte. Sofort ging Ryan vorsichtig auf das Geräusch zu, kontrollierte nochmals seinen Schutzzauber, der nach wie vor stark und intakt war. Einige Meter von den Geräuschen entfernt hielt Ryan schließlich inne und blinzelte beim Anblick des jungen brünetten Mannes, der vorsichtig durch den Wald schlich. Ryans Lefzen verzogen sich unwillkürlich zu einem wölfischen Grinsen. Sah ganz so aus, als könnte dieser Tag doch noch schön werden.

Denn dieser äußerst attraktive junge Hexer war allein. Zumindest sah es ganz danach aus. Das letzte Mal als Ryan ihn bemerkt hatte, hatte er zumindest immer auf einen bestimmten unsichtbaren Fleck geguckt, wahrscheinlich ein anderer unsichtbarer Hexer. Doch jetzt tat er das nicht.

Dennoch war Ryan nicht dumm. Er wollte kein Risiko eingehen. Also legte er sich einfach auf den Boden und begnügte sich damit, diesen hübschen Typen anzusehen.

Er fragte sich, ob der auch ihn erkennen konnte, schließlich wäre das nur logisch, da Ryan ihn trotz des Unsichtbarkeitszaubers sah, der wie eine feste Schicht Luft um den attraktiven Mann schien. Nun, er würde abwarten. Und in der Zeit diesen sexy Anblick genießen.

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