8. Bittere Wahrheit
Hongjoong konnte es ehrlich gestanden kaum erwarten, bis der finstere Nachtwandler endlich mit ihm sprach. Obwohl er die Möglichkeit hatte das Schiff für sich sprechen zu lassen, behielt er seine Gedanken eher für sich und Hongjoong starb schier vor Neugier.
Yunho war wieder an die Arbeit zurückgegangen und hatte es Hongjoong überlassen sich zu überlegen, wohin er als nächstes wollte. Er hatte sich für eine der Hauptstädte entschieden, die nördliche, um genau zu sein. Sie war die näheste und auch wenn es kalt war, Hongjoong brauchte mehr Klamotten und Seonghwa ebenfalls, wenn er nicht bald seine Anwesenheit auf diesem Schiff mit dem verdächtigen Fehlen sämtlicher persönlicher Gegenstände abglich.
Sie waren zwei von drei Tagen unterwegs und Hongjoong fiel immer wieder die eisige Stille im Schiff auf, bis es Zeit für Seonghwas nächste Fütterung wurde. Es braucht eindeutig jemanden, der mehr Leben hinein brachte. Jemanden wie Yunho! Ob Yunho ihn wohl begleiten würde?
Obwohl der Mann absolute Ruhe brauchte, hatte Seonghwa sich niemals die Mühe gemacht tatsächlich in sein Bett zu gehen. Viel eher saß er den ganzen Tag an Hongjoongs Seite und ließ sich nur dann überreden in seine Kajüte zurück zu kehren, wenn Hongjoong selbst endlich Ruhe fand.
Seonghwa mochte schweigen, aber es ließ ihn zu einem umso angenehmeren Gesellen in Hongjoongs Augen werden. Er saß nur schlicht an Hongjoongs Seite und lauschte seinem Geschimpfe über kreuzende Schiffe oder seiner Sehnsucht nach Freiheit. Ab und zu zuckten seine Mundwinkel in ein Lächeln und es brachte Hongjoong ebenso zum Grinsen.
Als der erwartete Tag also kam, war Hongjoong den ganzen Morgen über kaum zu halten, seine Bewegungen hektisch und der Kopf wirr. Aurora lachte ihn aus, als er über ein Stuhlbein stolperte. Seonghwa beobachtete ihn bloß mit einem gelassenen Lächeln von seinem Platz aus.
Hongjoong lehnte sich schließlich an das Kontrollpult direkt vor Seonghwa, fand Platz zwischen dessen geöffneten Beinen, als Seonghwa langsam noch näher an ihn heran rutschte. Yunhos anzügliche Worte geisterten ihm nicht selten durch den Hinterkopf, hielten ihn nachts mit einem glühenden Gesicht in der Dunkelheit wach. Auch jetzt kamen sie ihm wieder hoch und gedanklich schlug er nach ihnen wie nach lästigen Fliegen. Wie konnten sie es wagen?
Seonghwa wartete geduldig, die Augen unablässlich auf Hongjoongs Gesicht und er akzeptierte sein abrupt in seine Richtung gestoßenes Handgelenk mit einem eleganten Nicken, zog es mit behutsamen Fingern zu seinen Lippen herauf.
Hongjoong kniff die Augen zusammen, als spitze Zähne sich in seine Haut gruben, kontrollierte danach seinen Atem wieder. Dann beobachtete er wieder.
Seonghwa traf seinen Blick mit einer Entschuldigung in seinen Augen, hielt seinen Blick für einen kurzen Moment und dann flatterten seine Lider, schlossen sich, während er seine Lippen enger an Hongjoongs Haut presste.
Der Schmerz ebbte schnell ab und was blieb, war die Faszination für Seonghwa.
Nachtwandler waren eine der wenigen Rassen, die früher einmal menschlich war. Sie waren gezüchtet, eine kranke Erfindung vom Menschen selbst, als der begann seine neue Macht über Gentechnik und Chemie voll auszunutzen.
Ursprünglich war es auch mehr eine Art Witz gewesen. Ein Experiment, das hätte scheitern sollen. Ein Meme im Internet. Aber was daraus wurde, war größer, als jeder Forscher jemals erwartet hatte und die Nachtwandler vermehrten sich wie Spinnen in ihren dunklen Schluchten am Rücken der Inseln. Letzten Endes wurden sie als vollwertige Aliens etabliert, wenn sie doch nicht fremd waren, sondern einst von menschlichen Eltern abstammten.
Es war das Material aus Märchenbüchern, Vampire, die menschliches Blut tranken. Aber letzten Endes war es das, was sie bei Verstand hielt. Sicher, es gab spezielle Blutfarmen, künstliche Wege zum gleichen Ergebnis zu kommen, aber was waren diese schon? Der Nachtwandler lebte letzten Endes vom Menschen und nicht selten waren die Menschen auch unter exakt dieser Argumentation in ihrer Existenz bedroht worden.
Hongjoong war tief beeindruckt.
Seonghwa trank in schweren Schlucken, horchte auf das Signal der Sunrise und als sie es dann warnend gab, zog er sich sofort zurück, erhob sich ohne Hongjoongs Arm gehen zu lassen.
Instinktiv trat Hongjoong einen Schritt zurück, fand in seinem Rücken nichts als Kontrollpult und Seonghwas Fußspitzen waren nicht mal an den seinen. Sie waren daneben. Seonghwa müsste sich kaum drei Zentimeter bewegen und ihre Körper wären aneinandergepresst.
Wartend, auf der Hut, stand Hongjoong still, musterte den Nachtwandler von unten herauf. Er hatte eine noch etwas gesündere Farbe bekommen, die Lippen inzwischen in einem zarten Rosa und auch seine Augen wirkten nicht mehr so eingefallen in ihren Höhlen. Es wurde wieder und Yunho sollte recht behalten.
Park Seonghwa zählte mit zu den bestaussehendsten Männern, die Hongjoong kannte und der arme Mensch war hin und weg.
Hongjoong wartete immernoch darauf, dass Seonghwa einen Schritt von ihm weg machte.
Er tat es nicht, viel eher streckte der Mann nur suchend eine Hand nach Hongjoongs Ohr aus und der Schwarzhaarige verharrte, erlaubte es dem Mann nervös tastend zu suchen.
Er fand den einen wichtigen Piercing zwischen den anderen sechs mühelos, zog kaum merklich an Hongjoongs Ohr, damit das Licht darauf fiel. Der Mensch ließ es mit sich machen, sein Herz von Seonghwas Nähe und der Ungewissheit der Situation unruhig in seiner Brust.
"Kim Hongjoong, hm?"
Hongjoong registrierte es zuerst nicht, dass Seonghwa gesprochen hatte. Die tiefe und leicht kratzige Stimme war schwer zuzuordnen, aber sie war sicherlich nicht die von Aurora. Die döste seelenruhig in ihrem Regal, die Flügel mit jedem Atemzug erzitternd.
"Ich habe mich schon gewundert, warum du einen alten Dialekt sprichst, den nicht einmal die Nachtwandler alle beherrschen, aber ich nehme an, du hast hiermit auch keinerlei Schwierigkeiten mich zu verstehen, nicht?"
Ja, er sprach einen Dialekt, aber Himmel, wie er ihn sprach.
Es war, als würde er die Worte in seinem Mund anders formen, ihnen eine kunstvolle Gestalt geben, die sie zuvor noch nicht hatten. Seine ohnehin tiefe Stimme schien auf diese Art nur noch tiefer als normal und Hongjoong presste seinen blutigen Arm geschockt an seine Brust, hatte etwas weicheres erwartet.
Hongjoong räusperte sich eigenartig.
"Uh, ja... Ich habe ihn selbst gebaut, er... Funktioniert als Übersetzer." Nein, Hongjoong klang nicht so beeindruckend in seinem Dialekt wie der andere.
Seonghwa besah sich für einen Moment noch fasziniert den Piercing, dann trat er tatsächlich endlich respektvoll von Hongjoong zurück. Der Kleinere von beiden atmete unmerklich auf. Er fürchtete sich nicht vor Seonghwa, mehr von der Trotteligkeit in der er selbst verfiel, wenn er versuchte jemanden zu beeindrucken.
"Also ist das in deiner Zunge...?"
Seonghwa schien ihn wesentlich genauer zu beobachten, als gedacht. Beinahe peinlich berührt schlug Hongjoong sich eine Hand vor die Lippen.
"Ja. Es spricht die Sprache, die du am besten verstehst."
Und natürlich musste das ein unheimlich unangenehmer, viel zu attraktiver Dialekt sein. Was auch sonst?
Seonghwa ging zum Regal hinüber, um Hongjoongs Stoff und das Handtuch für Blutreste zu holen und seine Bewegungen waren wieder sicher, er konnte seine Beine stabil benutzen. Seine Linke glitt nebenbei gedankenverloren durch Auroras Fell und es war alles bereits so domestiziert. Hongjoong würde Zeit brauchen, bis er sich an den Anblick vom frei laufenden Seonghwa gewöhnen konnte.
Hongjoong harrte aus, ließ es zu, dass Seonghwa seinen Arm ein weiteres Mal ergriff. Seine Haare fielen wie ein dunkler Vorhang über seine Augen, während er arbeitete, die Finger erschreckend sanft.
Vielleicht dachte Hongjoong hierbei auch zu sehr in Stereotypen, oder er hatte einfach nie genug Kontakt zu den Nachtwandlern gehabt, denen seine Eltern misstrauten, aber Seonghwa schien besonders weich für seine Art zu sein.
"Also, dann erzähl mal. Wer bist du?"
Seonghwa tupfte noch seinen Arm sauber, zögerte allerdings nicht zu sprechen.
"Ich bin Park Seonghwa, ehemaliger Kapitän eines aerialen Batallions und inzwischen ein vom System Gejagter. Ich hatte beschlossen in dieser Höhle zu bleiben und irgendwann zu sterben, bis du auf die großartige Idee gekommen bist mich dabei zu unterbrechen."
Das war viel Information auf einmal.
Zuerst einmal war er tatsächlich einmal Soldat gewesen. Jemand gewesen, zu dem Hongjoong geworden wäre, wenn er denn sein Leben linear gelebt hätte.
Aber nun wurde er gejagt. War er kriminell? Oder hatte er sich nur zurückgezogen?
Und was war diese Sache mit dem sterben? Hatte Hongjoong sich verhört?
Seine Ratlosigkeit musste ihm auf die Stirn geschrieben sein, denn Seonghwa lächelte ihm empathisch zu und ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken, wenn er ihn auch weiter weg von Hongjoongs direkter Nähe schob.
"Du- ich bin nicht dafür verantwortlich in deiner Vergangeheit zu graben. Wir können sie diskutieren, wenn du dich dadurch besser fühlst, aber ich werde dich nicht durch sie definieren. Von daher... wenn du beschließt mir zu folgen und an meiner Seite zu bleiben, dann ist sie egal. Ich bin auf deiner Seite.", begann Hongjoong vollkommen ehrlich und Seonghwas Schultern entspannten sich etwas.
"Aber diese ganze Sterbesache... Ohne dir zu nahe treten zu wollen, immerhin kennen wir uns noch nicht besonders lange, aber..." Hongjoong hatte keine Ahnung, wie er damit umgehen sollte. Wie sprach er das sensibel an?
"Kim Hongjoong."
Sein Blick schnappte vom Boden zu Seonghwas Augen hoch und er stoppte in dem Prozess auch auf seiner Lippe zu kauen. Seonghwa lächelte verzerrt.
"Wenn du tatsächlich der bist, für den ich dich halte, wenn du tatsächlich an meiner Seite bist und mich hier behalten willst, dann liegt mein Leben nun ohnehin in deinen Händen. Bin ich richtig in der Annahme, dass du es mir nicht gestatten wirst, es einfach von mir zu werfen?"
Er war gerissen.
Ein weiteres Räuspern.
"Ganz recht. Wenn du bleibst und wir in der Tat diesen Pakt eingehen, dann erwarte ich es von dir dein Leben zu schützen und würde es wieder retten, egal wie oft.", sprach Hongjoong ernst, denn für ihn war es ganz selbstverständlich. Hierbei ging es um seine Crew, seine Freunde. Eine Gruppe an Leuten, die ihm bisher noch unbekannt war, aber für die er alles geben würde.
Seonghwa lehnte sich zufrieden zurück, die Augen fasziniert auf denen Hongjoongs.
"Dann lass uns das tun. Ich vertraue mich und mein Schiff dir an, Kim Hongjoong. Lass uns sehen, wohin es uns führt."
Und so bekam Hongjoong sein erstes Crewmitglied.
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