4. Nicht allein

Hongjoongs panische Versuche Aurora zu beruhigen, schlugen nicht einmal bei ihm selbst an. Viel eher schaffte er es nur sie beide stärker zu verwirren, uneinig zu werden im Angesicht der Situation.

"Du hast doch gesagt, du hast ihn geprüft!"

"Das habe ich auch, er war definitiv tot! Keine Frage!"

Auroras Stimme überschlug sich in ihrer Panik, die Beine kickten unruhig in der Luft.

"Wo ist er dann hin? Er wird ja wohl nicht aufgestanden und gegangen sein!"

Hongjoong verharrte, als ihm eine weitere Möglichkeit einfiel und er legte bedächtig seine Bauteile ab, fuhr sich dann mit bemüht ruhigen Händen durch das Haar. Er zitterte wie ein Blatt im Wind, die Sinne übersensibel, als er versuchte jede mögliche Regung im Schiff zu hören.

"Uns könnte auch etwas anderes gefolgt sein. Vielleicht war die Höhle doch bewohnt und sie haben ihn sich einfach... geholt.", flüsterte er bebend, wagte es kaum die Stimme zu heben, wie als könnte das was auch immer wecken, was hier bei ihnen war.

Aurora schwieg betroffen, die Augen weit, während Hongjoong hastig begann in seiner Tasche zu kramen, das Gehirn auf Hochtouren arbeitend. Er hatte eine Flasche Stoff, er könnte sich schnell heilen, wenn es zu einem Angriff kam. Außerdem war da noch das behelfsmäßige Seil aus Lianen, das er im Wald gebastelt hatte, um sich den Abstieg zu erleichtern. Das Modell seiner Waffe war noch nicht fertig und lag noch unnutzbar auf seinen Klamotten, aber mit etwas Glück könnte er es fertig bekommen, bevor etwas schlimmeres geschah.

"Lass uns einfach die Technik wieder zum Laufen bringen und uns hier verbarrikadieren. Was auch immer es ist, es wird hier nicht so einfach herein kommen und vielleicht von uns lassen, wenn die Energien wieder aufleben. Ich fürchte, wir sind auf der Verliererseite, wenn wir jetzt versuchen zu fliehen."

Er wollte auch nicht unbedingt das Schiff hinter sich lassen. Diese Chance war einmalig und er sollte direkt lernen nicht vor allem davonzurennen.

Sie teilten sich einen ähnlich starren Blick, die Augen voller Unruhen und Sorgen. Die Finsternis im Schiff wirkte mit einem Mal erdrückend, zu lebendig für Hongjoongs Geschmack.

Aurora nickte irgendwann zögerlich und Hongjoong machte sich voller falscher Zuversicht an die Arbeit. Die verzerrten Schatten in den Ecken des Raumes leisteten ihnen Gesellschaft, während er arbeitete, Auroras Griff um seine Lampe zittrig.

Es hätte normalerweise nicht lange gedauert, kaum ein paar Stunden, aber Hongjoongs Nerven lagen zu blank zur Konzentration. Seine Finger gehorchten ihm nicht, rutschten an dem polierten Metall ab und immer wieder biss er starr die Zähne zusammen.

Er weigerte sich in die Dunkelheit zu blicken. Obwohl man es hörte, wenn jemand die schweren Türen aufschob, so ließ ihn die Paranoia nicht ruhen. Doch sein Stolz verbat es ihm ebenfalls Aurora zu bitten einen schnellen Schwenker durch den Raum zu fliegen.

So gesehen waren sie im Moment sicher. Aber was auch immer hier war, hatte es durch die Türen herein und wieder hinaus geschafft, den Körper des Toten dabei rückstandslos mit sich genommen.

Hongjoong musste zwischendurch eine Pause machen und zu den Vorräten in seiner Tasche greifen. Sein Gehirn funktionierte nicht auf den Hunger und rief ihm auch viel eher zu sein Überleben zu sichern, statt an einem dummen Verteiler herumzubasteln.

Er rutschte ein weiteres Mal ab und kickte wütend seine Füße in den tatsächlich sehr geräumigen Fußraum unter sich, sie erreichten nicht einmal den Boden.

Dafür traf er allerdings auf etwas weiches.

Es war immer wieder faszinierend, wie der Körper in eine Schockstarre verfiel. Es war so überflüssig, blockierte so viel, ohne tatsächlich zu nützen. Die meisten Gefahren ignorierten einen nicht, bloß weil man sehr, sehr still stand.

Und Hongjoong war absolut unfähig sich zu rühren.

"Aurora.", formten seine Lippen schier lautlos ihren Namen, sein Herz schlug kaum so sehr schien eine fiktive eisige Hand es in ihrem Griff zu halten.

Er glaubte einen kalten Luftzug an seinem Knöchel zu spüren, jedes Haar in seinem Nacken stellte sich auf.

Er zwang sich so meisterhaft nicht hysterisch zu werden, nicht wild zu schreien und zu kicken und sofort die Flucht zu ergreifen. Er schob es auf seine unglaubliche Selbstbeherrschung, aber letzten Endes war es nur die nackte Angst, die ihn auf seinem Stuhl festhielt.

Eine eisige Hand griff nach seinem Bein.

Diese hier war schon wesentlich weniger fiktiv als die in seiner Brust. Sie packte nicht, zog nicht, sie umschloss nur neutral seinen Knöchel.

Hongjoong biss einen Schrei zurück, sah weiterhin nur das schlichte Pult vor sich, der schwache Schein seines Lichtes. Gar nichts deutete auf die bedrohlichen Finger hin, die nun begannen langsam an seiner Hose nach oben zu wandern.

Aurora schien es zu bemerken, wie er aufgehört hatte sich die Haare zu raufen und wütende Blicke auf den Verteiler zu werfen. Ihr Gewicht landete sanft auf seiner Schulter, wäre tröstlich gewesen, wenn nicht eisige Finger gerade über sein Knie kriechen würden.

"Es- Es ist unter dem Pult."

Die Hand verharrte kurz wo sie war, wie als hätte sie ihn gehört, wie als würde sie ihre Chancen abwegen.

Kalter Angstschweiß benetzte seine Oberlippe, sein Atem kam schwer und stoßweise.

Sein Kopf war blank genug, dass selbst wenn er eine Idee hätte, wie er der Situation entkommen und überleben konnte, sie würde ihm verwehrt bleiben. Noch immer konnte er keinen Finger rühren.

Eine zweite Hand gesellte sich zu der ersten, fand sein anderes Knie. Seine Beine waren so einladend geöffnet, boten keinerlei Schutz, sollte das Wesen plötzlich aus der Dunkelheit herausschießen.

"Was ist unter dem Pult?" Aurora klang skeptisch, nicht ganz so unruhig wie Hongjoong. Ängstlich zwar, aber nicht so, als würde sie die Antwort erwarten.

Hongjoong lehnte seinen Oberkörper mithilfe der beweglichen Stuhllehne etwas zurück, steif wie ein Brett und ach so achtsam seine untere Hälfte nicht zu bewegen.

Der schwache Schein des Lichtes auf der Tischplatte reichte, um gerade so etwas in der Dunkelheit zu erkennen, in die Hongjoong nun keinen Schatten mehr warf.

"Er."

Es war der Mann von zuvor, der tote Mann von zuvor und es war nicht mehr so tot, wie Hongjoong ihn gerne gehabt hätte.

Sein bleiches Gesicht war zwischen Hongjoongs Knien positioniert, schwarze, unmenschliche Augen starrten hinauf in was nur der lächerlichste Anblick seines Lebens sein konnte. Hongjoong mit weiten Augen und offenem Mund, ein kleiner grüner Kaflera mit einer Taschenlampe in den Pfoten auf seiner Schulter.

Hongjoong fragte sich später oft, wie es an dieser Stelle weitergegangen wäre, hätten sie sich nicht gerührt. Hätte der Mann ihn getötet? Wäre seine weiße Hand irgendwann aus den Schatten gekommen, nur um direkt nach Hongjoongs Herzen zu greifen? Hätte er überhaupt reagiert, hätte Hongjoong ihn nicht gekickt?

Fragen, die irrelevant wurden in diesem Moment, denn das eigentliche Geschehen verlief andes.

In einem Moment noch starrte Hongjoong in blankem Horror auf das eingefallene Gesicht zwischen seinen Beinen, im nächsten war es bereits verschwunden und ein gellender Schrei hallte durch den stockfinsteren Raum.

Hongjoong wusste, der Mann war keineswegs weg, vor seinem inneren Auge sah er immeroch das schwarze Haar, das ihm wie Spuren schwarzer Tinte in das ausdruckslose Gesicht hing und die gähnende Leere in seinen Augen.

Das einzige, das weg war, war seine Lichtquelle, die Aurora in ihrem Schock hatte fallen lassen. Das Licht war erloschen, die Lampe in eine unbestimmte Richtung davongerollt.

Es war absolut grauenerregend, wie die Finger einfach ungerührt weiter an Hongjoong empor krochen, langsam zwar, aber unaufhaltsam.

"Aurora, ich brauche das Seil."

Sie war noch nicht zurechnungsfähig, hatte sich irgendwo in den Schatten verborgen und wimmerte unter ihrem Atem, dass sie nie hätte herkommen sollen.

Hongjoong stand mit einem Fuß bereits im Grab, als die tastenden Finger von seinen Beinen an seinen Hüften ansetzen, kitzelig seine Seiten hinauf wanderten.

"Aurora.", quetschte Hongjoong angestrengt hervor, Schweiß tropfte von seinem Kinn nach unten und nun traf ihn auch der kalte Atem des Mannes auf Höhe seiner Arme.

Blind saß Hongjoong im Dunkeln, konnte immernoch keinen Finger rühren, selbst dann nicht, als der Tote aus seinem Versteck herauskletterte und ungerührt in Hongjoongs Schoß glitt.

"Aurora, langsam wird es knapp.", warnte er sie noch ein weiteres Mal, der Mann musste zu sehr in seiner Trance sein, um ihn zu hören.

Vielleicht lebte er auch gar nicht mehr genug, hatte keine Wahrnehmung, die ihm das Hören ermöglichen konnte. Eine wandelnde Leiche.

"Hongjoong, ich will nicht, ich traue mich nicht.", weinte sie leise in ihrer Ecke und Hongjoong ballte seine Hände zu weißlichen Fäusten, als er die Beine des Mannes links und rechts von seinen spürte. Die Finger hatten an seinem Kopf gestoppt, lagen beinahe zärtlich um seinen Kiefer geschmiegt, eine Berührung wie die eines Liebhabers.

Aber auf Hongjoong wartete nur der eisige Kuss des Todes.

"Aurora, ich mache alles. Du musst mir nur das Seil herüber geben, bevor er zu Sinnen kommt." Seine Stimme klang gepresst zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor, das Haar des Mannes kitzelte ihn am Kinn. Er suchte.

Aurora wimmerte noch einmal ängstlich seinen Namen, dann wurde sie wieder still und er glaubte ihre Flügel herüber flattern zu hören.

Die fremde Nase, die verfolgt von schaudernden Reaktionen von Hongjoongs Köper über seinen Hals glitt, wurde zweitrangig, als er langsam die Hände hob, sich wesentlich gefasster als zuvor an die Situation machte.

Der Mann saß ihm im Schoß, nicht zurechnungsfähig und wehrlos, er konnte das hier machen.

"Das Seil, Aurora."

Etwas berührte ihn an der Hand und geschickt griff er sich das stabile Ende der Liane, begann es kompliziert zwischen seinem Körper und dem des anderen hindurch zu führen, ohne ihn dabei zu berühren.

Der Fremde verharrte plötzlich, schien zum ersten Mal einen langen, zittrigen Atemzug zu nehmen. Kalte Luft prallte gegen Hongjoongs empfindlichen Hals, ließ eine Stelle unangenehm feucht werden von der Behandlung.

Hongjoong war vorsichtig, aber Hongjoong war nicht schnell genug.

Brennender Schmerz schoss durch seinen Hals, als der Mann den Mund weit öffnete und die Zähne brutal in seiner Haut vergrub.

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