Kapitel 8
Samstag- 09.08 Das Turnier
Viel zu früh begann der Samstagmorgen. Über den Feldern hing noch der Nebel und die Wiesen waren getränkt von Morgentau.
Ich hatte noch den Geschmack von Kaffee auf der Zunge, als ich zum Stall lief. Es war zwar immer noch Sommer, dennoch hielt ich meine Fleecejacke eng an meinen Körper gepresst.
Die Müdigkeit saß noch in meinen Poren. Es war zu früh für mich und ließ mich, wieder einmal daran zweifeln, ob Turnierreiten wirklich das war, was ich mein Leben lang tun wollte. Wie immer, wenn es so früh losging.
David war schon im Stall, genauso wie Hassan und Nila. Wenn ich Glück hatte, dann waren meine Pferde sogar schon fertig. Ich könnte sie jedes Mal küssen! So einen Service bekam man schließlich nicht immer überall.
Leise Musik drang an mein Ohr, vermischte sich mit dem Rascheln von Stroh und Schritten auf der Stallgasse, als ich eintrat. David war, wie immer, wenn es zum Turnier ging, supergut gelaunt, pfiff leise die Lieder mit und wirbelte mit einer Leichtigkeit durch den Stall, wie ich sie mir morgens immer wünschte.
Hassan schlurfte mindestens genauso müde, wie ich über die Gasse und gähnte, als er zur Begrüßung die Hand hob.
Ich nickte ihm zu. Der Mann war mein Spiritanimal!
In dem kleinen Anbindestand flocht Nila schon eines meiner Pferde ein. Der kleine Braune machte es ihr wirklich nicht leicht, weil er ständig den Kopf hochriss und von einem Huf auf den anderen trat.
„Guten Morgen", nuschelte Oleg, der neben mir stehen blieb. „Wird ein anstrengender Tag. David sagte, ihr müsst abends noch zu einer Bauernversammlung?"
Ich nickte. „Ich weiß gar nicht, ob ich mitgehe. Vielleicht bin ich auch so müde, dass ich vor dem Fernseher einschlafe."
Er lachte kehlig. „Na, lass den Jungen nicht alleine gehen. Das bringt nur Unglück."
„Aberglaube, von dem ich nichts verstehe, oder steckt mehr dahinter?"
Oleg zuckte mit den Schultern. „Bauchgefühl!"
„Ok. Ich überlege es mir und ansonsten gucken wir drei eben den Samstagskrimi." Gemütlich in eine Decke eingekuschelt auf dem Sofa liegen, klang tausendmal besser, als in einer stickigen Kneipe zu sitzen und sich das Gejammere über Subventionen und Getreideernten anzuhören. „Ist alles schon gepackt?"
„Das Fräulein kam spät. Alles gepackt!" Oleg schmunzelte und zwinkerte mir zu. „Nur die Brote von Pola fehlen noch."
„Gut, dann werde ich wohl wieder ins Haus!" Was ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass ich sonst im Weg wäre. Danke Oleg.
Als wir auf dem Gelände des Reitvereins ankamen, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Wir parkten zwischen den Anhängern und Transportern von Privatpersonen und ich entdeckte nur einen weiteren Lkw eines Verkaufs- und Zuchtstalls. Schade. Ich ritt lieber gegen Profis, als gegen Leute, die nur zum Spaß hier waren und dann verärgert in die Röhre guckten, wenn man besser war als sie. Es war auch unfair.
Hassan sah mich prüfend von der Seite an. Wir standen bei den Pferden und David machte sich für die erste Prüfung fertig. „Warum siehst du so nachdenklich aus?"
Ich zog die Schultern hoch. „Ich dachte nur, dass es unfair ist, dass wir hier starten. Guck dich um. Die meisten sind zum Spaß hier."
„Und? Wir müssen Geld verdienen. Platzierte Pferde verkaufen sich besser als Pferde ohne Platzierungen. Ich denke immer, dass auf solchen Turnieren vielleicht jemand in einem meiner Pferde seinen neuen Wegbegleiter finden wird."
Ich mochte den Gedanken ja auch und freute mich jedes Mal, wenn jemand nach einem Start zu einem kam und fragte, ob das Pferd zum Verkauf stand und für wie viel wir es abgeben würden. Trotzdem, so richtig fand ich das nicht.
Reiter liefen an uns vorbei. Einige starrten Hassan auffällig an, dabei sah er ganz normal in seinen weißen Turniersachen aus. Die Stimmung gefiel mir nicht!
Ich suchte Davids Blick, aber der war viel zu sehr mit seinem Pferd beschäftigt, um meine Zweifel mitzubekommen.
Auch als wir am Zaun standen und gespannt Davids Runde mitverfolgten, wurde das Starren nicht besser. Am liebsten hätte ich mir Hassan gepackt und gesagt, dass wir nachhause fuhren, aber er würde niemals klein beigeben! Auffallend gerade stand er neben mir. Die Schultern gestrafft und so Stolz, wie eh und je.
Während ich in mir selbst versinken wollte, bot er offen die Stirn. Wie ich ihn dafür bewunderte!
Noch schlimmer wurde es, als Hassan ritt. Sein Pferd für dieses M-Springen war ein wunderschöner Brauner, mit einem so korrekten Fundament, dass das Reiten einfach nur Spaß machen konnte.
Schon als er angekündigt wurde, ging ein Raunen durch die Menge. Leise, wie ein unheilvolles Flüstern. Ich sank sofort tiefer in meine Fleecejacke, als wäre sein mein Schutzschild. Dennoch kroch mir dieses Gemurmel unter die Haut, bis in die Knochen. Es packte mich und ließ mich frösteln.
Nila stand neben mir. Angespannt presste sie die Lippen aufeinander und hielt ihren Blick stur auf Hassan, der gerade die Richter grüßte und auf die Glocke wartete.
Mein Herz schlug bis zum Hals. Die Glocke erklang und er galoppierte an. Geschmeidige schöne Galoppsprünge auf den ersten Sprung zu. Es sah so leicht aus, so wie es nur bei jemandem aussah, der liebte, was er tat. Der Braune machte einen Satz. Sauber, mit noch gut Luft, aber von Hassan so locker gesessen, wie sich das einige der Hobbyreiter nur wünschen konnten. Nila atmete merklich auf.
Und dann passierte es.
Der Braune kam gerade wieder auf und Hassan ritt ihn wieder vorwärts auf den nächsten Sprung zu, da fing das Buhen an. Erst kam es nur aus einer Ecke und dann stimmten immer mehr mit ein.
Hassan bekam nichts mit, er ritt wie immer. Konzentriert, korrekt und vor allem vorwärts. Er war beim Pferd.
Es wurde mit jedem Sprung lauter.
Nila griff nach dem Balken und ihre Finger gruben sich tief in das Holz.
Tränen brannten in meinen Augen. Ein bitterer Geschmack machte sich auf meiner Zunge breit. Jede Faser meines Körpers wollte schreien. Diesen Idioten sagen, dass sie die Klappe halten sollten. Ich fühlte mich hilflos. Ich wollte, dass das aufhörte! Hassan, ritt gut! Besser als die meisten anderen hier. Er hatte das nicht verdient! Warum taten sie das?
Hassan parierte durch, nachdem er den letzten Sprung fehlerfrei genommen hatte. Benommen blinzelte er in die Ränge. Mit weit aufgerissenen Augen suchte er mich und Nila, die immer noch hilflos dabei zu sehen, wie diese Menschen ihm versuchten, seine Leistung abzuerkennen.
Niemand tat etwas! Niemand sagte etwas!
Hassan war ganz bleich, als er vom Platz ritt. Nila stürzte los. Ich war wie gelähmt. Seine Schultern sanken tief, die Hände zitterten.
Aus den Lautsprechern schepperte etwas von fehlerfreier Runde, trotz Unmut des Publikums. Unmut – was ein scheiß Wort dafür!
Nur langsam kam Leben in mich. Ich quetschte mich durch die Menge, hastete hinter Nila her, die schon am Ausritt war. Mein Herz schlug bis zum Hals. Wer war hierfür verantwortlich? Wut packte mich, vermischte sich mit der Sorge um Hassan.
Aus dem Augenwinkel sah ich David mit hochrotem Kopf mit dem Veranstalter diskutieren, der immer kleiner und bleicher wurde.
Hassan sah verloren aus. Er hätte strahlen sollen. Glücklich über seine Leistung von einem Ohr zum anderen grinsen, aber er sah einfach nur erschüttert aus.
Mein Herz zog sich zusammen.
Nila stand bei ihm. Hatte ihm eine Hand auf den Unterarm gelegt und redete leise auf ihn ein. Ihr Blick flog nervös zu den Zuschauern, als würde sie erwarten, dass sich jeden Moment einige von ihnen auf ihn stürzen würden. Ich wollte sagen, wie leid mir das tat, dass er hätte zuhause bleiben sollen, aber ich konnte nicht. Ich wollte ihn umarmen und versichern, dass alles gut werden würde, aber log ich ihn dann nicht an?
„Wir fahren!", drang Davids Stimme laut und fest zu mir durch. „Diesen Faschismus unterstützen wir nicht!"
Der Veranstalter zuckte zusammen. „Es tut mir wirklich leid ..."
„Ach ja? Warum wollen sie ihn dann aus ihrer Wertung streichen?" David trat noch einen Schritt näher auf den untersetzten Mann zu, der sofort noch mehr in sich zusammen schrumpfte.
„Ich ... Wir ..."
„Ja?"
„Wir haben Angst vor Ausschreitungen."
„Ausschreitungen bei einem Reitturnier. Selten so gelacht!" Abfällig schüttelte David den Kopf und sah mich an. „Hanni, hol Hassan und Nila, wir fahren!" Er wandte sich wieder an den Veranstalter. Sein Lächeln wurde charmanter, gefährlicher. Eigentlich müsste ich dazwischen gehen, aber ich sah es nicht ein! Nicht nachdem, was eben passiert war. „Das Nenngeld wollen wir natürlich zurück. Ich denke mal, das werden sie uns ganz selbstverständlich erstatten, oder nicht?"
Während ich wie mechanisch Hassan und Nila folgte, hallte in meinem Kopf nur eine Frage wieder. War das nur der Anfang? Oder nur ein unglücklicher Einzelfall?
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