Kapitel 2
Am Abend erleuchteten Kerzen das Esszimmer. Sie standen auf dem Tisch zwischen dem Essen, auf der alten Kommode unter dem Spiegel mit dem dicken Goldrahmen, selbst auf der Fensterbank flackerte ein Kerzenständer im lauen Lüftchen des geöffneten Sprossenfensters auf der steinernen Fensterbank.
Pola strahlte in die Runde. Sie war sichtlich zufrieden mit den vielen Schüsseln auf dem Tisch. Dass er sich unter dem ganzen Gewicht nicht bog, wunderte mich beinahe schon.
Oleg neben ihr besah sich alles ganz genau und hielt den Blick dann auf seine Lieblingsessen fixiert. Roulade vom Rinde und mit Senf und Gurken gefüllt.
Nila und Hassan sahen David und mich aufmerksam an.
David räusperte sich. „Also ... Die Saison lief bisher außerordentlich gut und ich freue mich, dass ihr nächsten Monat alle einen großen Bonus bekommen werdet. Ohne euch würde hier gar nichts laufen und Hanni und ich kämen gar nicht hinterher." Feierlich hob er sein Wasserglas. Hassan zur Liebe hatten wir auf den Wein verzichtet. Den würden wir später zusammen mit Oleg und Pola im Wintergarten trinken.
„Nein!", beschied Pola da auch schon und hob anders als Hassan und Nila nicht ihr Glas. Auch Oleg schüttelte mit dem Kopf.
„Wir brauchen keinen Bonus. Wir haben hier alles. Wohnung, Essen, Familie. Behaltet das Geld und spart es!" Oleg klopfte bestimmt mit den Fingerknöcheln auf die dicke Tischplatte. „Für eine Hochzeit."
„Oleg, wir heiraten nicht!" Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg.
Der alte Stallmeister mit dem wettergegerbten Gesicht schüttelte tadelnd den Kopf. „Wird Zeit!"
Nila konnte man ansehen, dass sie am liebsten losgelacht hätte, aber Hassan nickte ebenfalls.
„Ich gebe Oleg recht. Er ist ein weiser Mann. Zeit vergeht schnell."
Pola schnaubte leise auf und griff nach dem Löffel aus der riesigen Schüssel mit Kartoffelsalat. „Das sind andere Zeiten, Hassan. Diese Deutschen. Schlafen schon zusammen, aber Heiraten ist wie ein Schimpfwort. Bei uns in Polen würde man sie zum Altar prügeln."
In ihrem Polen vielleicht, aber auch da hatten sich die Zeiten bestimmt geändert und waren sehr viel weniger verstockt geworden.
„Im Dorf reden die Leute schon", warf Hassan zu ihrer Unterstützung ein.
„Die Leute reden viel. Und viel Schwachsinn! Hassan, du solltest ihnen einfach nur nicht zuhören." David griff nach meinem Teller und gab ihn an Pola weiter.
„David?" Nila zog die Aufmerksamkeit auf sich. „Du hast doch Politik studiert, oder nicht? Wie weit?"
Er zuckte mit den Schultern. „Bis zum Master. Hätte ich mir auch sparen können. Warum fragst du?" Vor einem Jahr hatte er noch von seiner Masterarbeit geschwärmt. Ich hatte sie Korrektur gelesen und war mir beinahe vorgekommen, als hätte ich einen Text von meinem Vater vor mir, als er noch jünger und voller Ideale war.
Nila sah zu mir. „In den Nachrichten reden sie davon, dass die Rechten immer stärker werden. Muss man Angst haben?"
Ich schluckte. Das war eine Frage, die ich mir auch stellte. Schon seit den letzten Landtagswahlen. Ich sprach sie nur nicht aus. Die Angst vor der Antwort war zu groß. „Mach dir keine Sorgen, Nila! Hier wird uns nichts passieren."
„Selbst wenn die Rechten am Sonntag die Wahl gewinnen, sie müssten erst ein Mal einen Koalitionspartner finden und da sieht es für sie gerade eher schlecht aus. Keine noch einigermaßen normal tickende Partei koaliert mit diesen Arschlöchern", pflichtete David mir bei. „Und selbst wenn, dann würde es dauern, bis sie ihre Ziele erreichen würden, wenn sie sich davor nicht selbst zerlegen." Er nahm Pola meinen Teller ab. „Das werden die Leute, die sie gewählt haben, auch verstehen."
„In Polen waren die Rechten eine so blöde Entscheidung, dass sie ganz schnell wieder weg waren." Oleg lächelte Nila sanft an. „Du musst keine Angst haben, kleine Blume."
Hassan beugte sich über den Tisch und zog den Brotkorb zu sich. „Es haben trotzdem wieder Asylheime gebrannt. Das lässt einen schon überlegen, ob es hier noch sicher ist. Ich will nicht noch einmal fliehen müssen. Ein Regime habe ich überlebt und wer weiß, ob Allah noch einmal so gnädig mit meinem Schicksal ist."
Ein kalter Knoten formte sich in meinem Bauch. Er hatte mir mal beim Kartoffelschälen alles erzählt. Seine Flucht. Die Angst. Wie seine kleine Tochter so schwach war, dass sie kurz vor der rettenden Grenze verstarb. Danach hatte ich ihn nur noch bewundert. Niemand konnte so stark sein. Niemand konnte noch so grade stehen nach allem, was ihm passiert war. Ich könnte das zumindest nicht und war mir auch ziemlich sicher, dass er einige Details ausgelassen hatte.
„Ist dein Bleiberecht immer noch begrenz?", fragte David sofort.
Hassan zuckte mit den Schultern. „Die Mühlen malen langsam in eurem Land. Ich bin schon dankbar, dass ich arbeiten kann." Er war mal Tierarzt und jetzt war er Pferdepfleger und Bereiter für den wir nicht dankbarer sein könnten.
„Ist doch Irre!" Nila ließ sich von Pola einen großen Klecks Kartoffelsalat geben. „Sie schreien Ausländer raus und sagen, es wäre alles ja so schlimm, aber wer soll dann ihre alten Menschen pflegen. Meine Schwester sagte, dass bei ihnen im Altenheim so viele Migranten arbeiten. Meine Eltern sind damals auch hergekommen, um zu arbeiten. Es gibt doch viel zu viel Arbeit und viel zu wenig, die es machen wollen." Sie pustete sich eine dunkle Locke aus dem Gesicht.
„Als wir kamen, wurde auch viel geredet." Pola verengte die Augen. „Mit uns wurde nicht geredet. Oder uns nur Befehle gegeben, als wären wir Sklaven. Ich weiß noch, als ich damals mit meiner Schwester als Saisonarbeiter nach Deutschland kam und ein Bauer mit uns sprach, als wären wir zu dumm ihn zu verstehen." Sie hatte mal erzählt, dass sie sich so ihr Studium finanziert hatte. Leider war es in Deutschland damals nie anerkannt worden und sie hatte schließlich bei Davids Familie als Haushälterin angeheuert, nachdem Oleg als Stallmeister angestellt worden war.
„Wie man es dreht, es wird immer Leute geben, die einen nicht wollen." Nila seufzte leise. „Wann kommt Katja eigentlich mal wieder?"
„Sie wollte am Wochenende kommen. Ich denke am Samstag." Ich griff nach den Erbsen in der Schale vor mir. „Willst du mit ausreiten kommen?"
Sie zuckte mit den schmalen Schultern. „Vielleicht."
„Du kannst gerne mitkommen. Vielleicht kommt Sabse auch. Sie muss gucken, ob sie Nico bei ihrem Vater lassen kann."
David atmete tief ein. „Bitte! Nicht noch einen. Das halte ich nicht aus. Auf Jonas aufpassen, ist schon anstrengend genug."
Pola schnalzte wie auf Kommando. „Bring sie in die Küche! Ich passe gerne auf! Habe ich auf dich und deine Schwester auch. Hat es geschadet?"
Abwehrend hob David die Hände. „Aber du sollst doch nicht immer alles machen."
„Willst du sagen, ich bin alt, Junge?" Mahnend hob sie eine Augenbraue.
Uh David, voll aufs Glatteis. Ich würde ihm nicht helfen, die Kuh da wieder runter zu bekommen.
Davids Blick zuckte zu Oleg, der leise kicherte und den Schalk tief im Nacken sitzen hatte. Genau das liebte ich so an diesem Stallmeister. Er war für jeden Spaß zu haben.
„Du hast schon etwas mehr Speck, Kochanie." Er zwickte seine Frau grinsend in die Seite. Sofort fing er sich einen Schlag mit dem Löffel auf die Finger, gefolgt von einer Beschimpfung auf Polnisch.
Der Rest des Essens war vergleichsweise ruhig. Wir mieden Politik einfach und feierten den Deal mit den Luxemburgern.
Als Nila und Hassan gegangen waren. Saßen wir mit Pola und Oleg im Wintergarten. Glühwürmchen schwirrten wie kleine Feen über den dunkel daliegenden Rasen. Man konnte den kleinen Bach rauschen hören und das Zirpen der Grillen. Es war ein wunderschöner Sommerabend. Die Sterne glitzerten an einem navyblauem Nachthimmel. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, den Kleinen Wagen auszumachen. Das hatte ich schon als Kind mit meinem Papa immer getan. Als ich ausgezogen war zum Studieren, hatte ich ihm versprochen, immer wenn ich konnte in den Sternen nach dem Wagen zu suchen. Er tat dasselbe und so dachten wir aneinander.
Oleg entkorkte die Weinflasche mit einem lauten Ploppen. „Guter Tropfen. Kann man den überhaupt trinken?"
„Finden wir es raus!" David brachte die Gläser rein und stellte sie auf den kleinen runden weiß gestrichenen Tisch, um den wir saßen. Im Vorbeigehen strich er mir über die Schultern, beugte sich zu mir herunter und wies nach oben. „Da."
Ich musste schmunzeln, als ich seinem Zeigefinger folgte. Er war der Erste gewesen, der diese Tradition nicht albern gefunden hatte. Es war beinahe ein Wettbewerb zwischen uns geworden, wer schneller den Kleinen Wagen fand.
„Nicht so viel! Ich muss nicht betrunken werden!", mahnte Pola Oleg, der fleißig Wein in die bauchigen Gläser kippte.
Er schnalzte. „Gute Tropfen muss man genießen, wenn sie nur ein bisschen geatmet haben! Und ich mag dich selbst betrunken."
Lächelnd löste ich den Blick von den Sternen und wandte mich zu David. Er saß so dicht neben mir, dass ich seine Schulter an meiner spürte. „Lass uns auch irgendwann so sein!"
Er entgegnete mein Lächeln. Warm fiel sein Blick durch die dichten dunklen Wimpern auf mich. „Ach, ich soll auch versuchen, dich abzufüllen?" Leicht knuffte er mich in die Seite. „Das kannst du auch jetzt schon haben!"
Ich rollte mit den Augen. „Du weißt, wie ich das meine!" Sanft strich ich ihm über den Unterarm und dachte, dass dieser Sommer nie enden sollte. Letzten Sommer hatte sich alles noch einfinden müssen, aber jetzt, jetzt war er einfach nur süß. Süßer als jeder Honig.
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