Kapitel 11
Samstag - 09.08 Nachts schimmern die Sterne
Sabses Vater, Fred, hielt den Wagen an der Einfahrt zum Hof an. Schweigend blickten wir alle die Allee entlang zum erleuchteten Haupthaus.
„Soll ich euch vor der Tür absetzen?"
David schüttelte den Kopf. „Brauchst du nicht, danke."
Fred drehte sich zu uns um. Seine Züge erinnerten so sehr an Sabse. Sie hatten dieselbe Nase. Kurz musterte er uns. „Wir müssen was machen! Das kann doch so nicht funktionieren! Die Leute drehen hier komplett frei!"
Ich schluckte. Was sollte man noch tun? Es war vieles doch schon verloren, wenn ich Diskussion von gerade dachte.
David spannte sich schon wieder an. „Was ist deine Idee?"
Fred zuckte mit den Schultern. „Ich ... ich weiß es nicht. Aber ich kann nicht kommentarlos zusehen." Er wandte den Kopf wieder nach vorn. „Allein schon, damit Sabse und der Kleine weiterhin eine Zukunft haben. Ohne die Saisonarbeiter kann ich den Hof nicht halten und er ist alles, was wir haben."
Ich biss mir auf die Unterlippe, als seine Stimme brach. In meiner Brust wurde es eng. Genau das! Das mussten diese Menschen, die blind dieser Ideologie nachrannten, hören! Es hingen Existenzen an dem, was sie als schlecht und böse labelten.
„Ich verstehe es auch nicht! Hier in der Gegend ... seit ich denken kann, waren sie hier. Es sind vielleicht höchstens mal Kleinigkeiten vorgefallen, aber da hatte die Herkunft keinen Einfluss drauf." David legte eine Hand auf den Griff der Autotür.
Fred nickte und blinzelte. „Sie wollen das nicht hören. Sie wollen daran glauben, dass nicht Jahre der schlechten Politik an ihrer Lage schuld sind, sondern dass es einen Sündenbock gibt. Eine Schande!"
David öffnete die Autotür. Kühle Nachtluft drang in den Wagen. Die Bäume rauschten und Grillen zirpten. „Wir werden sehen, wie es weitergeht. Danke für's Nachhause bringen, Fred."
„David, pass auf. Die Bauern trauen dir nicht. Du bist jung, die internationalen Geschäfte passen ihnen nicht und ..." Fred sah zu mir. „Nichts gegen dich, Johanna, ich mag dich. Aber dass du sie mitgebracht hast, neben sie dir auch übel. In ihrem konservativen Denkmuster passt ihr nicht in dieses Dorf. Haltet euch bedeckt."
Ich wollte gerade hinter David von der Rückbank des Geländewagens rutschen und hielt inne. Mein Herz schlug mir plötzlich bis zum Hals. Ich starrte Fred einfach nur an. „Wie meinst du das? Bedeckt halten?"
Fred atmete schwerfällig ein und drehte sich zu mir um. „Haltet euch aus allem raus, was im Dorf passiert. Ich werde es im Auge behalten. Wir müssen jetzt zusammenhalten."
„Glaubst du, es gibt schon Listen?"
Er lachte trocken auf. „Ja. Nach heute auf jeden Fall! Deswegen müssen wir auch geschlossen gegen sie stehen."
David hielt mir galant die Hand hin. „Mach dir nicht so viele Gedanken, Hanni. Vielleicht zerlegen sie sich auch selbst, jetzt, wo sie endlich das haben, was sie immer wollten."
Das glaubte er wohl selbst nicht!
Er wandte sich noch einmal an Fred. „Grüß Sabse und den Kleinen."
„Mach' ich. Ich erzähle ihr lieber nicht, was passiert ist."
Bitte? Was sollte das? Sabse sollte genauso wissen, dass das Dorf sich heute in zwei Lager aufgespalten hatte.
David nickte, sein Griff um meine Hand wurde fester. „Wahrscheinlich besser so."
Ich wollte protestieren, aber David zog mich da schon aus dem Auto und warf mir einen vielsagenden Blick zu und schloss die Autotür.
Fred hob die Hand zum Abschied, bevor er davon fuhr. Noch einen kurzen Moment sahen wir dem Wagen nach, bis die Scheinwerfer nur noch kleine Punkte waren.
„Sollten wir Hassan und Nila davon erzählen?", fragte ich zögerlich, als ich mich bei David unter harkte.
Er schüttelte den Kopf. „Wir erzählen niemandem davon. Ich will keine Angst schüren."
Ich dachte wieder an Hassan. Daran, wie es ihm gehen musste, seit dem Turnier. Trotzdem fühlte sich das falsch an. Widerwillig nickte ich, presste allerdings die Lippen fest zusammen.
Der Boden knirschte unter unseren Schritten. Die Sterne funkelten über uns und ich suchte schon wieder aus der Gewohnheit nach dem kleinen Wagen.
David zog mich enger an sich. „Es wird alles schon irgendwie gut werden!"
„Ja. Irgendwie." Ich sank gegen seine warme Schulter. „Trotzdem macht mir das Kopfschmerzen. Fred hat recht. Wir haben ein wirklich schlechtes Standing innerhalb des Dorfes."
„Und? Hanni, das hat uns vor wenigen Wochen auch nicht gestört. Du hast dich noch über die wilden Geschichten lustig gemacht."
Ich rollte mit den Augen. Das war etwas anderes gewesen!
Wir liefen direkt auf das Haupthaus zu. Im Wohnzimmer brannte Licht und das bläuliche Flackern deutete darauf hin, dass der Fernseher lief. Pola und Oleg waren anscheinend wach geblieben und hatten auf uns gewartet. Wie lieb!
David fischte schon den Schlüssel aus seiner Jackentasche, da hielt er inne und blieb stehen. „Was ist da denn los?"
Irritiert folgte ich seinem Blick zu dem kleinen Bungalow, in dem Hassan und Nila ihre Wohnungen hatten.
Hassan saß vor dem Bungalow, in eine Decke gehüllt, und starrte abwesend auf den Hof. Mir wurde schlecht. Er sah aus wie eine Hülle seiner selbst. Der Funken fehlte. Gebrochen saß er zusammengesunken auf einem der Gartenstühle, die Schultern hochgezogen und die Decke fast bis zur Nasenspitze, als wolle er sich in ihr verstecken. Er sah aus, als würde er den Dingen harren wollen und jederzeit erwarten, dass jemand ihn mitnahm.
„Geh schon mal!" David drückte mir den Schlüssel in die Hand und schob mich zur Treppe, dann lief er mit schnellen Schritten zu Hassan herüber.
Kurz überlegte ich mitzugehen, aber dann entschied ich mich, doch die Treppe hochzugehen, die Tür aufzuschließen und Oleg und Pola aus ihrer Wartehaltung zu erlösen.
Pola kam aus dem Wohnzimmer als ich den Flur betrat. „Wie war es?"
Ich zog meine Jacke aus. „In Ordnung. Ich weiß nicht, was wir dort sollten." Ich wollte ihr sagen, was passiert war!
„Wo ist David?"
„Draußen. Er spricht mit Hassan. Der sitzt total apathisch vor dem Bungalow." Der Gedanke reichte, um ein schlechtes Gewissen in mir auszulösen. Wir hätten härter durchgreifen sollen, als nur das Turnier zu verlassen. Seinetwegen! Nach allem, was er schon durchgemacht hatte.
Pola atmete scharf ein. „Er kam nicht zum Abendessen. Ich hatte ihn eingeladen. Er tat mir leid."
Oleg tauchte hinter ihm im Türrahmen auf. Schlaftrunken fuhr er sich über das Gesicht. „Ist etwas?"
„Hassan macht Kummer." Pola klang melancholisch und sah auf den Boden. „David ist bei ihm."
„Das ist gut." Oleg blinzelte und sah mich an. „Wie war die ... äh ... Versammlung?"
„Sehr irrelevant für uns." Ich schlüpfte aus meinen Schuhen. Da war dieses komische Gefühl in meinem Rücken. Etwas stimmte nicht!
Es kam Leben in Pola. Sie schlüpfte in ihre Schlappen, zog einen Mantel von der Garderobe und schob sich an mir vorbei. „Ich rede mit dem Jungen. Wenn er nicht schlafen kann. Ich mache ihm das Gästezimmer fertig!"
„Das kann ich auch machen", bot ich an.
Oleg nickte. „Ja, das machen wir schnell. Hol die beiden rein! Wenn Hassan nicht allein bleiben will, dann bleibe ich die Nacht bei ihm."
Pola sah zwischen uns hin und her. „Kein Chaos! Ich habe eine Ordnung und ein System!"
„Keine Sorge. Wir schmeißen dir nichts durcheinander!", versicherte ich ihr mit abwehrend gehobenen Händen. Ich war nicht David!
Auch Oleg nickte ihr beschwichtigend zu und machte eine scheuchende Handbewegung.
Gemeinsam steigen wir die Treppe rauf.
„Was ist wirklich passiert?", fragte Oleg unvermittelt, als wir am ersten Absatz angekommen waren.
Ich schüttelte den Kopf und atmete tief ein.
Oleg seufzte. „Ich weiß, David sagte, du sollst nichts sagen. Fräulein Hanni, ich bin so alt, ich kann die Wahrheit vertragen!" Was wie ein Witz klang, ließ mir einen Schauer über den Rücken rieseln.
„David hat sich mit den falschen Leuten angelegt. Es kann sein, dass das Dorf jetzt gespalten ist." Ich belog ihn nicht, aber ich sagte auch nicht alles. Das schien mir ein passender Kompromiss.
Oleg stöhnte leise auf. „Verdammter Dickschädel!"
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top