Kapitel 8

Lilian

Mein Morgen begann unspektakulär. Okay ertappt, das war eine glatte Lüge. Ich war total aus dem Häuschen als ich entdeckte, dass ich schon wieder eine Guten-Morgen-Nachricht bekommen hatte. Trotzdem durfte ich mich davon nicht aus dem Konzept bringen lassen, denn erstens holte Harper mich heute ab, also durften wir erst recht nicht zu spät kommen. Zweitens hatte ich heute zwei Fächer mit Caleb und er sollte nicht denken, dass er so einen Einfluss auf mich hatte. Zum Frühstück aß ich nur schnell ein bisschen Joghurt mit Früchten, packte dann meine Tasche und ging duschen.

Spätestens jetzt beim Anziehen, war ich wieder zu sehr auf Caleb konzentriert, denn ich war plötzlich viel nervöser bei der Outfit-Wahl als sonst. Es war März und relativ warm, also entschied ich mich letztendlich für eine grau-blaue Jeans mit Löchern an den Knien und ein schulterfreies, etwas lockereres T-Shirt in weiß. Unten an der Garderobe schmiss ich vorsichtshalber einen grauen Cardigan in meine Tasche und schlüpfte dann in meine weißen Sneaker. Ich lag echt gut in der Zeit, denn es war noch nicht mal halb acht. Trotzdem stellte ich mich dann schon mal auf unseren Garagenvorplatz und wartete darauf, dass der rote VW Beetle auftauchte. Währenddessen antwortete ich Caleb.

„Na bei dem Strahlen auf dem Gesicht kannst du ja eigentlich nur mit deinem Sunny-Boy schreiben." Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Harper gekommen war aber jetzt blickte sie mich durch das offene Beifahrerfenster an. „Bist du irgendwie mit dem Boden verwurzelt oder warum steigst du nicht ein?", lachte sie dann. Kaum als ich im Auto saß, quetschte sie mich dann aus, obwohl ich sie erst gestern vor dem Schlafen gehen auf den neusten Stand gebracht hatte.

„Oh man ich habe ja mal sowas von keine Lust auf Geschichte jetzt", beschwerte Harper sich während wir über den Parkplatz in Richtung Schulgebäude liefen. „Ach komm schon, wir haben heute nur zwei Stunden Geschichte und danach zwei Stunden Englisch, dann können wir wieder nach Hause, das ist ja wohl auszuhalten", versuchte ich sie irgendwie zu motivieren. Ich persönlich fand U.S. History, eines unserer Pflichtfächer, gar nicht so schlimm. Allerdings war meine Laune heute auch generell besser.

„Hey, er schaut schon wieder rüber", flüsterte meine beste Freundin mir zu, „aber nicht umdrehen." Inzwischen hatten wir Geschichte hinter uns und saßen gerade in Englisch. Ein Kurs, den ich mit Caleb zusammen hatte. Im Moment war ich ein wenig genervt von Harper, denn sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, so gut wie alles was Caleb tat zu kommentieren. Vor allem dann, wenn er in unsere Richtung schaute. Sie war im Moment eindeutig die aufgeregtere und nervösere von uns beiden. Um sie abzulenken suchte ich nach einem anderen Gesprächsthema. „sag mal, schläfst du jetzt wirklich bis Donnerstag bei mir", fragte ich dann, in der Hoffnung ihre Aufmerksamkeit auf mich lenken zu können. Und siehe da, es funktionierte. „Heute Abend gehe ich noch mit James essen, wenn es dir nichts ausmacht, würde ich aber danach vorbeikommen und dann bleiben." Ich nickte bloß und drehte meinen Kopf wieder zur Tafel, da wir schon böse Blicke von Mrs. Meyers, unserer Englischlehrerin ernteten.

Eigentlich wollte Harper mich nur zuhause absetzen und dann selbst nach Hause fahren, aber sie hatte kurzfristig entschieden, doch noch mit zu mir zu kommen. „Weißt du was, ich habe mega Lust auf Chick-fil-A, ich rufe kurz meine Mutter an und frage, was sie will, dann holen wir uns da Mittagessen", schlug ich vor, nachdem mein Bauch schon mindestens zum vierten Mal laut gegrummelt hatte. Harper liebte Chick-fil-A, daher wusste ich auch, ohne auf ihre Antwort zu warten, dass wir diesen kurzen Zwischenstopp machen würden.

Wenig später saßen wir gemeinsam mit meiner Mutter auf dem Sofa und aßen ganz unkultiviert unser Fast Food, während wir Modern Family schauten. Ich liebte solche Momente, einfach weil wir uns mal entspannen konnten. Außerdem hatte ich so noch ein paar Stunden mit meiner Mutter, bevor ich sie zum Flughafen bringen musste. „Wann sollen wir denn losfahren?", fragte ich dann meine Mutter, da wir das gestern noch gar nicht geklärt hatten. „Also um halb fünf geht der Flieger, ich würde sagen dann fahren wir um drei hier los, das sollte auf jeden Fall reichen." Ich nahm das einfach so hin, ohne noch etwas zu sagen. Irgendwann ging meine Mutter dann ihren Koffer zu ende packen und Harper und ich blieben im Wohnzimmer, um uns noch ein bisschen zu unterhalten- als hätten wir das nicht schon den ganzen Tag getan.

„Harper?", ich saß gerade im Auto, auf dem Rückweg vom Flughafen, als meine beste Freundin mich anrief. „Kannst du gerade reden?" Ich nickte, bevor ich merkte, dass Harper mich ja gar nicht sehen konnte. „Ja ich habe meine Mum gerade abgesetzt und ich hab den Freisprecher an. Also was gibt's?" „Ich hab ein ganz großes Problem Lilian. Ich weiß nicht, was ich gleich anziehen soll", teilte Harper mir ihre Sorgen mit. Wohin wollte sie noch gleich gehen? Nach einem Blick auf die Uhr fiel mir dann ein, dass sie sich wahrscheinlich langsam für ihr Date mit James fertig machte. „Hör mal Schätzchen, James ist es doch vollkommen egal, was du trägst. Ihr beide seid fast zwei Jahren zusammen, der hätte bestimmt kein Problem wenn du mit Leggings und Oversized-Pulli da auftauchen würdest." Einen Moment lang war es am anderen Ende total still. „Du bist süß, danke. Aber trotzdem will ich mich ein bisschen schick machen", Harper lachte und klang schon viel entspannter. Stolz klopfte ich mir in Gedanken auf die Schulter. „Zieh doch dein rotes Off-Shoulder-Kleid mit den kleinen Blümchen drauf an", schlug ich vor. „Danke Lili, du bist die beste. Fahr vorsichtig und bis nachher. Hab dich lieb." Harper war die einzige die mich Lili nannte, aber ich hatte mich inzwischen dran gewöhnt. Nur kurz nachdem Harper aufgelegt hatte, fuhr ich in unsere Einfahrt.

Meine Musikbox hatte ich auf volle Lautstärke gestellt und ließ meine Playlist zufällig laufen, wenn ich alleine zuhause war, machte ich das häufig, außerdem war das Kochen mit Musik weniger langweilig. Könnte auch daran liegen, dass ich zu meinen Lieblingsliedern immer durch die halbe Küche tanzte. Auf Nachbarn musste ich zum Glück kaum Rücksicht nehmen. Das Haus auf der einen Seite stand seit längerem leer und auf der anderen Seite unseres Hauses war eine riesige Wiese. Wenig später saß ich mit einer Portion Nudeln mit Scampis am Esstisch und schaute während ich aß eine Serie weiter.

Ich hatte mir vorgenommen im Wohnzimmer meine Serie weiterzuschauen und auf Harper zu warten, aber als Harper um halb neun immer noch nicht da war- sie hatte ihr Date ja eigentlich schon um sechs gehabt- entschied ich mich doch hoch zu gehen. Über meine Box ließ ich wieder meine Playlist laufen, während ich kurz die paar Sachen in meinem Zimmer aufräumte, danach zog ich mir Sportsachen an und machte ein Workout. Harper wusste eh, wo der Ersatzschlüssel war, sie würde also nicht vor verschlossener Tür stehen.

„Hola", begrüßte mich Harper überschwänglich, als ich ihr die Haustür öffnete. Ihre Arme waren von zwei großen Einkaufstüten in Beschlag genommen, kein Wunder also, dass sie die Tür nicht selbst aufgeschlossen hatte. „Wie ich dich kenne, warst du bestimmt nicht einkaufen, daher habe ich das dann mal übernommen", erklärte sie sich kurz darauf. Auf dem Weg zur Küche nahm ich ihr eine Tüte ab und entdeckte direkt mehrere Becher Ben&Jerrys. Normalerweise war das ein Hinweis darauf, dass ihr Date mit James nicht so gut gelaufen war, aber ihre gute Laune passte nicht wirklich dazu. Während wir die Tüten ausräumten, traute ich mich dann, ihr Date anzusprechen. „Es war echt mega", schwärmte Harper, „wir waren erst was Essen in Venice und haben dann am Venice Beach einen Sonnenuntergangsspaziergang gemacht." Ich bewunderte Harpers und James Beziehung wirklich, egal wie viel Stress sie hatten, irgendwie schafften sie es immer, sich zeit füreinander zu nehmen. Selbst wenn sie stritten, was eigentlich nur dann geschah, wenn einer getrunken hatte, waren sie immer noch für den anderen da und vertrugen sich auch schnell wieder. Das Ganze lief so seit über zwei Jahren und in unserem Alter war das nicht unbedingt selbstverständlich. Wenn ich jemals eine Beziehung führen sollte, dann hoffe ich, dass sie so ähnlich war. Manchmal erinnerte mich das an meine Eltern früher.

„Ich nehme das Eis mit hoch, denkst du noch an zwei Löffel?", unterbrach Harper meine Gedanken. Ich nickte und kurz darauf saßen Eis löffelnd auf meinem Bett, während Harry Potter über meinen Laptop flackerte. „Sag mal warum hast du jetzt eigentlich das Eis mitgebracht?", fiel mir irgendwann ein. „Hey", beschwerte Harper sich, „als würde ich dafür immer einen Grund brauchen. Erstens fand ich, wir sollten uns einen schönen Mädelsabend machen und zweitens", sie hielt kurz inne und ratterte den nächsten Teil dann so schnell wie möglich runter, „könnte es sein, dass Caleb euer Date absagen muss." Erst dachte ich, ich hätte mich verhört, aber Harpers fast mitleidiger Blick schloss ein Irrtum aus. „Warte was?" So ganz wollte das nicht in meinen Kopf rein. Harper erklärte mir dann, das James mitbekommen hatte, Caleb würde über das Wochenende wegfahren. Zwar betonte sie auch, dass alles nur gehört wurde und daher nicht wahr sein musste, aber ich fühlte mich trotzdem veräppelt. „Naja jedenfalls sollen Calebs Eltern ihm das heute Abend erzählt haben", James und Caleb waren ganz gut befreundet, kein Wunder also, wenn er das wusste, „aber wie schon gesagt, wir sind nicht sicher, ob das wirklich stimmt", schloss Harper dann ihre Erklärung ab.

„Weißt du was, wir schauen einfach mal auf mein Handy", ich hatte das Ding seit Stunden nicht in der Hand gehabt, „wenn das stimmt und Caleb auch nur ein bisschen Anstand hat, wird er mir ja wohl geschrieben haben", schlug ich vor, unsicher, ob ich das noch bereuen würde. Harper wollte erst versuchen mich davon abzuhalten, aber dann gab sie doch auf, da sie genau wusste, wie stur ich manchmal sein konnte. Wenige Sekunden später hatte ich also mein Handy in der Hand. Es fühlte sich schwerer als sonst an, den Home Button zu drücken. 

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