Kapitel 14

Lilian

„Hunter". Mein Atem stockte, als ich in diese mir allzu vertrauten grünen Augen sah, die mir acht Jahre lang immer ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen vermittelt hatten. Ich konnte noch immer nicht ganz glauben, dass das hier gerade wirklich passierte. Ohne ein anderes Wort fiel ich ihm um den Hals. Wie konnte das sein? Ich hatte nicht im Traum daran geglaubt, meinen besten Freund jemals wiederzusehen.

Der Umzug und der Kontaktabbruch waren damals so plötzlich gekommen, dass ich gar keine Zeit hatte, mich irgendwie darauf vorzubereiten. Es hatte mich eiskalt erwischt. So wie der Tod meines Vaters. Erst jetzt fiel mir auf, wie dämlich das ganze gerade gewesen war. A) konnte ich mir gar nicht hundertprozentig sicher sein, dass es sich bei diesem Typ, dem ich gerade um den Hals gefallen war, wirklich um meinen ehemals besten Freund handelte. Ich konnte mich genauso gut irren. B) selbst wenn es wirklich Hunter war, hieß das nicht, dass er sich noch an mich erinnerte, schließlich hatten wir uns vor gut zehn Jahren das letzte Mal gesehen.

Meine Wangen wurden heiß und ich war mir sicher, dass sie inzwischen so rot leuchteten, wie Tomaten. Von Sekunde zu Sekunde wurde diese Situation peinlicher. Sofort löste ich mich von ihm und stammelte eine Entschuldigung, die die Peinlichkeit dieser Situation aber auch nicht unbedingt linderte. Trotzdem war ich mir jetzt, wo ich den Typen vor mir musterte, noch sicherer, dass es wirklich Hunter war. Ob er mich auch erkannte, konnte ich nicht an seinem Gesicht ablesen. Da machte sich eher eine Art Schockstarre breit.

Okay, vielleicht hatte ich ihn etwas zu fest umarmt und die Luftzufuhr zu seinem Gehirn unterbrochen, denn als der vermeintliche Hunter sich wieder einigermaßen gefasst hatte, fing er an zu lachen. Er stand da und lachte mir einfach ins Gesicht. „Äh ist alles gut bei dir", fragte ich sichtlich verwirrt und musterte ihn mit einem skeptischen Blick.

Plötzlich schlangen sich zwei Arme von hinten um meine Taille und ein Kopf legte sich auf meine Schulter. Da ich in die Situation vertieft war, zuckte ich heftig zusammen. „Was sehe ich denn da, die schüchterne Lilian steht hier einem heißen Typen gegenüber und bringt tatsächlich Worte heraus." Ich drehte mich um und wenn Blicke töten könnten, würde meine beste Freundin jetzt einfach umkippen und nie wieder aufstehen. Inzwischen schien sich der Typ, von dem ich immer noch nicht sicher wusste wer er war, wieder gefangen zu haben. „Dann bist du wohl Harper", wandte er sich an meine beste Freundin. Okay ich schien hier irgendetwas definitiv nicht mitbekommen zu haben. Noch seltsamer wurde es, als ich sah, dass meine Mutter aus dem Haus unserer neuen Nachbarn war. Neben ihr Hunters Mutter, sie erkannte ich hundertprozentig wieder. Wenige Sekunden später fand ich mich in einer Umarmung wieder. Nachdem sie mich wi8eder losgelassen hatte, hielt Hunters Mutter eine „Was bist du groß geworden"-Rede. „Könnte mich jetzt bitte mal jemand aufklären", sagte ich wohl etwas zu laut, denn ich wurde von Harper überrascht gemustert. Die Situation war mir wirklich viel zu verrückt. Träumte ich vielleicht?

„Nun ja", holte meine Mutter zu einer wahrscheinlich sehr langen Erklärung aus, „als ich heute Nachmittag mitbekommen habe, dass nebenan eine neue Familie einzieht, konnte ich meine Neugier nicht zurückhalten und bin rübergegangen. Ich habe ein ähnliches Gesicht gemacht wie du eben, als ich gesehen habe, wer mir da die Tür geöffnet hat. Jedenfalls haben wir uns dann natürlich eine ganze Weile lang unterhalten und ich habe natürlich auch von dir erzählt. Da es dich und Harper praktisch nur im Doppelpack gibt, wurde sie auch ganz schnell Teil dieser Geschichte", okay, wenigsten machte das alles jetzt etwas mehr Sinn. „Also zieht ihr jetzt wirklich nebenan ein?", fragte ich und wandte mich dabei an Hunter. Er hatte bis jetzt noch gar nichts gesagt. „Sieht wohl so aus." Das war definitiv nicht die Stimme, die ich von ihm in Erinnerung hatte, aber sie passte viel besser zu seinem Aussehen. Ich war immer noch schockiert. So viel Zufall konnte es eigentlich gar nicht geben.

Hunter zog mich jetzt seitlich in seine Arme. „Schön, dass du immer noch so klein bist. Manche Dinge ändern sich eben nie." „Hey", beschwerte ich mich, aber musste ihm irgendwo auch Recht geben, denn er überragte. Mich bestimmt um zwei Köpfe. „Morgen Nachmittag wollen wir jedenfalls zusammen Kaffee und Kuchen machen. Dann können wir uns mal richtig austauschen. Es wird ja langsam schon ziemlich spät", verabschiedete sich meine Mutter und trug die letzte Tüte, die immer noch im Autostand, in unser Haus. Ich unterhielt mich nur noch kurz mit Hunter und seiner Mutter, dann verabschiedeten Harper und ich uns auch.

So richtig wollte das Ganze noch nicht in meinen Kopf reingehen. Es kam mir einfach unwirklich vor, dass ich meinen besten Freund einfach so nach zehn Jahren wiederhatte. Und dann auch noch als Nachbar.

„Oh mein Gott, der sieht ja echt heiß aus", platzte es dann aus meiner besten Freundin heraus, nachdem ich meine Zimmertür geschlossen hatte, „also wenn ich Noah nicht lieben würde, hätte ich mich sofort an ihn rangemacht", kicherte sie dann. Ich nickte bloß und meinte: „Er hat sich in den 10 Jahren echt gemacht." Fassen konnte ich es natürlich immer noch nicht, ich hatte meinen besten Freund wieder! „Das ist ja echt verrückt", fuhr Harper fort, „er scheint sich ja auch noch an dich erinnert zu haben. Und können wir bitte über seine Stimme reden, die ist ja wirklich zum dahinschmelzen", fangirlte Harper schon fast. Son war sie nun mal und ich ließ das einfach über mich ergehen.

Harper und ich lagen nach dem Abendessen auf meinem Bett und schauten zum tausendsten Mal Greys Anatomy. Wir liebten diese Serie wirklich über alles und vor allem Harper schwärmte davon. Sie hatte es sogar geschafft, die komplette Serie mit Noah zu schauen, obwohl er anfangs ganz und gar nicht davon begeistert war. „Hat sich Caleb eigentlich nochmal gemeldet?", versuchte Harper so beiläufig wie möglich zu fragen. „Ne, aber ist nicht so schlimm", meinte ich schulterzuckend und brachte mir damit einen skeptischen Blick von Harper ein. „Er ist schließlich mit seinen Eltern unterwegs, da ist es kein Wunder, wenn er nicht die ganze Zeit am Handy hängt", erklärte ich dann und Harper strahlte mich an. „Also hast du dir Gedanken drüber gemacht", strahlte sie, „ist unsere kleine Lilian womöglich verliebt?" Was das anging war ich mir ehrlich gesagt selbst nicht ganz sicher, deswegen zuckte ich bloß mit den Schultern, wie so oft wenn ich einer richtigen Antwort aus dem Weg ging.

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