*(41) Öffentlich*


Du liebst ihn. Wieso solltest du das verstecken?

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Ich atmete tief druch und griff nach Damians Hand. Er drückte sie bestärkend und streichelte mit seinem Daumen über meinen.

"Seid ihr sicher, dass ihr das machen wollt?" Nick sah durch den Rückspiegel prüfend zu uns. Er wirkte so, als wolle er noch mehr dazu sagen, aber Finn ließ ihn nicht weiter zu Wort kommen.

Mein bester Freund drehte sich zu uns um und sagte: "Klar wollt ihr das machen. Zieht mit mir in den Krieg des Schulalltags als sexy gay boy."

Er schnallte sich ab, stieg aus und begann an Damians Scheibe zu klopfen. Nick schaute ihm schmunzelnd zu und machte es ihm dann nach.

Es war Montagmorgen, nach dem wohl ereignisreichsten Wochenende meines Lebens und mein bester Freund und sein fester Freund schlugen von beiden Seiten gegen das Auto, in dem ich mit meinem Freund saß. Nicht gerade die Definition eines guten Omens. 

"Wir sollten sie mit den Türen erschlagen", brummte Damian.

Ich seufzte. "Sie wollen helfen."

Wenn auch auf eine sehr fragwürdige Art. Ich wusste nicht, ob ich dankbar dafür sein sollte, dass sie mir nicht die Möglichkeit geben wollten, mir noch länger den Kopf zu zerbrechen oder ob ich ihnen ebenfalls Gewalt antun sollte.

"Wir müssen das nicht machen." Wieder drückte Damian meine Hand. "Wir können für die Öffentlichkeit erstmal nur Freunde bleiben, wenn du dich damit wohler fühlst."

Ich schaute seinem Daumen dabei zu, wie er über meinen strich. Die Vorstellung, meine Hand aus seiner zu lösen und sie den ganzen Schultag über nicht mehr zu halten, fühlte sich schrecklich an. Ich wollte, was zwischen uns war, nicht verheimlichen.

Gleichzeitig musste ich an Finns Outing denken. An Ricos Freunde. Daran, dass sie auch mal meine "Freunde" gewesen waren. Daran, dass sie jede Schwachstelle ausnutzen würden, um uns fertig zu machen. Daran, dass ich nicht wollte, dass meine Liebe eine Schwachstelle war. Ich wollte nicht auffallen. Ich wollte nicht verurteilt werden. Ich wollte mich nicht verteidigen müssen. Nicht für etwas, das sich so schön und so richtig anfühlte.

Mitten in meinen Gedanken riss Finn die Tür auf: "Kommt ihr dann mal bald raus?"

Ohne etwas zu erwidern, griff Damian nach der Autotür und zog sie wieder zu. Danach drehte er sich zu mir und rutschte in die Mitte der Rückbank, während er meine Hand mit beiden umschloss.

"Es ist okay. Wir müssen nichts überstürzen."

Ich schüttelte den Kopf, ehe ich Damian entschlossen anschaute. "Nein, ich will das. Außer du willst nicht?"

"Ich will das, was du willst", sagte er, "mir geht die Meinung aller anderen am Arsch vorbei. Ein Outing würde mich nicht stören, aber ich wäre auch okay damit, dich nicht in aller Öffentlichkeit zu besteigen."

"Du bist so unfassbar romantisch."

Damian grinste und drückte mir einen Kuss auf den Handrücken, bevor er ausstieg. Ich nahm mir einen Moment, um nochmal tief durchzuatmen und mich für den Tag zu wappnen. Egal, was passieren würde, Damian, Finn oder Alisha wären an meiner Seite und auf meiner Seite. Zusammen kriegten wir das schon irgendwie hin. 

Bis ich mich davon überzeugt hatte, das Auto ebenfalls zu verlassen, war Damian bereits neben mir und öffnete mir die Tür.

"Du Gentlemen", scherzte ich, während ich die Hand, die er mir hinhielt, ergriff, um mir unnötigerweise aus dem Auto helfen zu lassen.

Er grinste bloß und zog mich vom Auto weg.

"Ich muss noch meinen Rucksack-"

Damian beugte sich runter, ergriff meinen Rucksack und hielt ihn fest, selbst, als ich ihn ihm abnehmen wollte.

"Ich trage den für dich."

"Damian", ich musste lachen, "Ich kann meinen Rucksack selbst tragen." 

"Musst du aber nicht."

Wir starrten einander in stiller Diskussion in die Augen. Aus mangelnder Zeit beschloss ich, es ihm durchgehen zu lassen. Wenn es ihn glücklich machte, dann sollte er meinen Rucksack eben tragen.

"Kannst du auch meinen Rucksack tragen?", fragte Finn Nick mit einem niedlichen Schmollmund.

"Ich gehe doch gar nicht mit zur Schule."

"Trotzdem!"

"Ich lasse mir etwas anderes einfallen, um dir zu zeigen, dass ich dich verehre", meinte Nick versöhnlich und zog Finn an seinem Hoodie zu sich.

"Das will ich aber mal hoffen."

Als ich Damian anschaute, um ihn neckend zu fragen, ob er mich verehrte, merkte ich, dass er mich bereits ansah. Keine Ahnung, wie lange schon. Die Frage, jedenfalls, überübrigte sich durch einen Blick in seine türkisen Augen.

"Leute! Braucht ihr eine Extraeinladung?", hörte ich Alisha rufen. Sie kam vom Pausenhof zu uns. "Ihr steht seit Ewigkeiten da rum."

"Alles klar?", fragte ich sie. Normalerweise versuchte sie morgens jede Minute zum Lernen oder Hausaufgaben abschreiben zu nutzen. 

Sie schüttelte den Kopf. "Ich glaube, ich werde heute in Bio abgefragt. Kann mir einer von euch den Kreislauf mit dem Zucker erklären? Mein Kopf schaltet bei den ganzen Wörtern und Pfeilen ab."

Finn löste sich von einem langen Kuss mit Nick und meinte: "Den habe ich selbst nicht gecheckt. Aber Nick könnte den Feueralarm auslösen, wenn wir Bio hätten?"

Prüfend schaute Alisha zwischen ihm und seinem Freund hin und her. "8/10 für Risikobereitschaft. Aber ich kassierte lieber eine Blamage und 0 Punkte als einen Feuerwehreinsatz zahlen zu müssen."

"Den müsstest ja nicht du zahlen, sondern Nick", gab Damian zu bedenken.

Sein Pflegebruder schaute ihn empört an. "Hey! Auf welcher Seite stehst du bitte?"

"Auf der, die keinen Biounterricht will."

Alisha hob eine Hand. "Nicht streiten! Wir gehen einfach nach der vierten Stunde nachhause. Haben explosiven Durchfall und uns gegenseitig angesteckt. Dann können wir nächste Stunde auch nicht abgefragt werden. Bis dahin ist das Thema hoffentlich vorbei."

"Gefällt mir", grinste Finn.

"Ihr lauft vor euren Problemen davon", machte ich ihnen klar.

Alisha zuckte mit den Schultern. "Solange sie mich nicht einholen."

Als wir schließlich über den Pausenhof liefen, wich ich gekonnt allen Blicken aus. Ich kannte das Tuscheln und die Blicke von Finns Outing, aber, sie auf mir zu wissen, fühlte sich nochmal ganz anders an. Da war keine Wut in mir. Ich hatte nicht den Drang, irgendwen zu beschützen. Stattdessen wünschte ich mir, ich wäre unsichtbar.

Kurz vor dem Eingang zum Schulhaus meinte Damian zu meinen Freunden "Wir kommen gleich nach" und zwang mich, mit ihm stehen zu bleiben.

"Tut nichts, was ich nicht auch tun würde", grinste Finn. Noch während er mir einen Luftkuss zuwarf, packte Alisha sich seine Nase und zog ihn daran hinter sich her.

Bevor ich Damian fragen konnte, was los war, sagte er: "Du bist total angespannt."

Ein bisschen verfluchte ich es, dass er immer wusste, was in mir vor sich ging. Das waren meine Gefühle. Ich wollte nicht ständig damit konfrontiert werden.

"Ich sage das nicht als Vorwurf", schob er schnell hinterher. "Aber du sollst wissen, dass du niemandem was beweisen musst. Ich habe Jahre gebraucht, um mir selbst einzugestehen, dass ich auf Typen stehe und noch länger, um auch wirklich was mit einem anzufangen-"

"Ich bin kein Kind mehr, Damian." Ich klang wütend, obwohl ich das eigentlich nicht war. Für Momente wie solche war ich doch ganz froh, dass Damian roch, was ich wirklich fühlte. "Ich habe von mir selbst nie in Kategorien gedacht. Seit ich mit mehr mit Rico befreundet bin, habe ich auch nicht mehr das Gefühl, ich musste in irgendwelche Boxen passen und alles tun, um anderen zu gefallen. Ich bin nur... keine Ahnung. Es ist halt etwas Neues. Es wird auffallen, alle werden etwas dazu zu sagen haben und ich hasse es, im Mittelpunkt zu stehen."

Dass zu viel Aufmerksamkeit auf mir meinen Verfolgugnswahn triggerte, behielt ich erstmal für mich. Nicht weil ich es unbedingt geheimhalten wollte, sondern, weil die Schule der falsche Ort war, um darüber zu reden.  So viel zu Paranoia...

Damians Daumen streichelte wieder über meinen. Wieder schaute ich auf die Stelle. Wieder fühlte es sich schön an. 

„Zur Not ziehe ich mich aus und renne nackt über den Pausenhof, um von dir abzulenken."

Super Plan.

„Wenn alle wissen, dass du mein Freund bist, lenkt das wohl kaum von mir ab."

„Stimmt", meinte er leicht perplex. Er schien nicht bedacht zu haben, dass absofort alle jede Tat von ihm auch auf mich beziehen würden.

Ich konnte ihm seine mangelnde Denkleistung heute Morgen nicht übelnehmen. Wir waren letzte Nacht viel zu lange wachgeblieben. Wenn meine Tante das wüsste, würde sie mir nicht mehr erlauben, bei Damian zu übernachten. Mein Verantwortungsbewusstsein schien jedoch ziemlich schnell flöten zu gehen, wenn ich daran dachte, dass ich auch Damians Hand an meinem Schwanz spüren konnte, statt rechtzeitig zu schlafen.

„Bleib einfach bei mir", bat ich ihn schließlich. „Und, wenn wir Kurse nicht zusammen haben, treffen wir uns in der Pause vor dem Klo im zweiten Stock, okay?"

Er nickte einverstanden.

„Danke." 

Ich machte einen Schritt zu ihm. Die Spitzen meiner Schuhe stießen an seine. Ich beugte mich zu ihm runter. Er drückte seine Nase an meine. Ich musste leicht lachen. Er grinste, streckte sich zu mir und gab mir einen Kuss. Ich legte meine Hand an seine Hüfte, zog ihn näher zu mir. Er umfasste mein Gesicht mit einer Hand und streichelte mit dem Daumen über meine Wange.

Ich legte meinen Kopf in die Berührung, öffnete die Augen und konnte sehen, dass er mich bereits ansah. Er hatte tiefblaue Augen, die langsam türkis wurden, und ein Lächeln auf den Lippen.

Ich seufzte wohlig auf und wusste: ich war nicht allein. Das Urteil der Öffentlichkeit konnte kommen.







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