*(34) Bleiben*

Er braucht Sicherheit. Also gibst du sie ihm.

~~~


Der Abend war ganz anders verlaufen als ich es mir vorgestellt hatte.

Damian und ich hatten geredet. Nicht nur über den Kuss, sondern auch über alles, was dahinterstand. Dass er mich mochte. Dass ich ihn mochte. Dass das etwas Schönes und Wertvolles war, das wir nicht leichtfertig aufgeben wollten. Auch, wenn er Angst davor hatte. Auch, wenn es nichts gab, das ich tun konnte, um etwas daran zu ändern.

Wir saßen stundenlang auf seinem Zimmerboden und redeten. Als irgendwann Alisha anklopfte, um mir mitzuteilen, dass ihr Bruder gleich da sei, um sie abzuholen und ich entscheiden sollte, ob ich hierblieb oder er mich nachhause fragen sollte, antwortete Damian: „Marlon schläft hier. Du kannst auch hier schlafen. Auf dem Sofa."

Alisha schaute zwischen meinem breiten Grinsen und Damians nüchternem Ausdruck hin und her, blickte auf die Stelle, an der wir uns an den Händen hielten, und meinte: „Ich schlafe am besten in meinem Bett. Wir sehen uns dann Montag oder so."

Sie winkte kurz, schaute nochmal zwischen uns hin und her, unterdrückte ihr Schmunzeln und zog die Tür zwischen uns zu.

„Sie hat uns voll durchschaut", sagte Damian, sobald sie weg war.

„Das klingt so als hätten wir etwas zu verbergen."

Damian ging nicht auf meine Aussage ein. Er stand auf, streckte sich und hielt mir die Hand hin, um mich auf die Beine zu ziehen. Ich ging darauf ein, ohne zu wissen, was er vorhatte. Egal, was es war, ich war mir ziemlich sicher, dass ich ihm folgen würde. Genau das tat ich.

Damian nahm mich mit ins Badezimmer, ohne meine Hand loszulassen. Kurz wühlte er in einem Schrank herum und nahm schließlich ein langes Kästchen heraus, in dem eine Zahnbürste lag.

„Das ist deine vom letzten Mal. Willst du die oder eine neue?"

„Du hast meine Zahnbürste eingepackt und verwahrt?", fragte ich perplex.

Überraschung blitzte in seinen Augen auf. Grün. „Ist das seltsam?"

Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Hauptsächlich ist es süß. Und ein kleines bisschen obsessiv."

Er zog kritisch eine Augenbraue nach oben. „Komm mir nicht wieder mit Schmusekatze. Sonst schieb ich dir deine Zahnbürste in den Arsch."

Ich lachte über das Bild in meinem Kopf.

Als er realisierte, dass seine Drohung keine Wirkung bei mir zeigte, verdrehte er die Augen, drückte mir die Zahnbürste in die Hand und holte seine, ebenfalls verpackt in solch einem Kästchen, aus dem Schrank.

Auf meinen verwunderten Blick hin, erklärte er: „Wenn du unter absoluten Vollidioten aufwächst, denen nichts heilig ist, lernst du, deine Hygieneartikel zu beschützen."

Ich wünschte, ich wäre in meiner Kindheit so schlau gewesen. Dann hätte ich mir die ein oder andere böse Überraschung von Torben erspart.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass Nick deiner Zahnbürste nichts antun würde. Und Angelina und Bernd genauso wenig."

„Deshalb habe ich sie hier und nicht in meinem Zimmer versteckt."

Wir putzten unsere Zähne.

Ich dachte darüber nach, warum Damian an seiner alten Gewohnheit festhielt, wenn er wusste, dass es keinen Grund mehr dafür gab.

Mein Blick fiel auf die Becher, die nebeneinander an der Wand hingen. Zwei davon hatten jeweils eine Zahnbürste darin, der dritte hatte zwei Zahnbürsten und der vierte war leer. Er war leer, weil Damian seine Zahnbürste so verwahrte, dass er sie jederzeit einpacken und weggehen konnte. Er hatte einen Platz an dieser Wand, einen Platz in dieser Familie, doch er nahm ihn nicht an.

Ich glaubte nicht, dass Damian sich dieser Tatsache bewusst war. Trotzdem machte es mich traurig. Und Damian merkte das sofort.

„Waff iff?", fragte er mitten im Zähneputzen.

Ich spuckte ins Waschbecken, bevor ich ihm ehrlich antwortete. „Ich will nicht, dass du von hier weggehst."

Ich hatte aus meinen Fehlern gelernt. Damian anzulügen war keine gute Lösung. Auch nicht, wenn die Wahrheit unangenehm oder schmerzhaft sein konnte.

Damian zog verwirrt die Augenbrauen zusammen, machte mich nach und wandte sich an mich. „Tue ich doch gar nicht."

„Aber es wirkt so als wärst du bereit jederzeit zu gehen."

Bevor er etwas dazu sagen konnte, redete ich schnell weiter. „Ich weiß ja, dass das mit deiner Geschichte Sinn ergibt, aber es ist trotzdem... scheiße."

Für ein paar Sekunden musterte er mich, bevor er fragte: „Geht es um die Zahnbürste?"

Ich schaute beschämt zu Boden.

Damian sagte nichts. Er wusch sich den Mund aus und spülte seine Zahnbürste ab. Ich putze mir weiter die Zähne, bis er fertig war und Platz machte.

Als ich mich vom Waschbecken aufrichtete, suchten meine Augen automatisch nach ihm. Ich fand ihn, direkt neben mir, wie er mir meine Zahnbürste aus der Hand nahm und sie in den vierten Becher steckte, in dem plötzlich auch seine stand.

Ich schaute auf das Bild des Bechers mit unseren Zahnbürsten und blinzelte. Es verschwand nicht.

„Ich habe nicht vor, in nächster Zeit irgendwo hinzugehen", meinte Damian. „Angelina und Bernd finden mich auch ganz cool. Also." Er zuckte mit den Schultern.

Ich riss meinen Blick von unseren Zahnbürsten los und richtete ihn auf Damian. Alles, was ich zustande brachte, war ein „Danke" zu hauchen.

Weder mein Kopf noch mein Herz begriffen, was seine Geste wirklich bedeutete, aber ich fühlte das panische Prickeln in mir zur Ruhe kommen und damit gab ich mich gerne zufrieden.

Auf dem Weg zurück zu Damians Zimmer hörte ich Stimmen aus dem Wohnzimmer näherkommen. Damian nahm meine Hand und zog mich schnell in sein Zimmer.

Auf meinen fragenden Blick hin, meinte er: „Keine Lust, Nick zu begegnen."

„Aus einem bestimmten Grund oder einfach so?"

Damian wühlte in seinem Schrank herum. „Er nervt. Zwischendurch hat er etwas lockerer gelassen, aber in letzter Zeit fährt er wieder mehr seine großer Bruder-Schiene."

„Er hat sich Sorgen um dich gemacht."

Damian drehte sich zu mir und drückte mir eine lockere Hose und einen leichten Pulli in die Hand. „Ja und das nervt. Es tut mir leid für ihn, dass das alles nicht so abläuft wie er es sich wünscht, aber ich habe auch nicht vor so zu tun als wäre ich jemand, der ich nicht bin."

„Du bist nicht so wie du für die meisten tust."

Damian hob herausfordernd die Augenbrauen. „Ach nein?"

Ich schüttelte den Kopf. „Du tust so kalt und als wäre dir alles egal. Aber du bist warm und es gibt viele Dinge und Menschen, die dir wichtig sind. Du willst es nur nicht zeigen."

„Ich bin warm, mh?" Er überwand die Distanz zwischen uns und nahm mir die Klamotten, die er mich gerade eben erst gegeben hatte, aus der Hand. „Dann kannst du heute Nacht auch nackt mit mir im Bett schlafen."

Es war fast süß, wie offensichtlich er versuchte, mich davon zu überzeugen, dass ich mit meiner Einschätzung falschlag und sie dadurch umso mehr bestätigte.

„Wenn du glaubst, du könntest dich kontrollieren, wenn ich nackt neben dir liege und dich küssen will, können wir es gerne versuchen."

Seine Augen feuerten eine Rakete ab. Sie explodierte zu einem grünen Farbspiel und ich schaute dabei zu, wie die Überraschung sich ebenso in seinem gesamten Gesicht abzeichnete.

„Sag sowas nicht", verlangte er, obwohl er so aussah, als wolle er mehr hören. Und vielleicht, ja vielleicht wollte ich mehr sagen.

„Warum nicht?"

Damian antwortete mir nicht. Stattdessen drückte er mir die Klamotten in den Bauch und forderte: „Zieh dich um."

„Heißt das, du könntest dich nicht kontrollieren, wenn ich nackt neben dir liege?"

Er drehte sich einfach um, holte sich ebenfalls einen Schlafanzug aus dem Schrank und zog sich um.

Als wir ins Bett gingen, waren beide von uns angezogen.

Da seine Decke nicht ganz so breit war wie sein Bett, mussten wir in der Mitte zusammenrutschen, um beide zugedeckt zu sein. Es störte mich nicht. Im Gegenteil. Ich mochte es, seine Wärme zu spüren.

Das einzige Problem war das Gespräch zuvor. Mein Kopf wollte nicht aufhören, sich vorzustellen, wie ich mich nackt an ihn schmiegte. Dann teilten wir uns auch noch das Kissen und Damian legte sich auf die Seite, mit dem Gesicht zu mir und sah mich so intensiv an, dass es mir so vorkam, als würde er direkt auf meine Seele blicken.

Ich legte den Kopf zur Seite und erwiderte seinen Blick.

„Meintest du es ernst, dass du mich trotz allem noch küssen willst?"

Mein Blick fiel auf seine Lippen und ich flüsterte: „Ich denke seit Wochen fast an nichts anders."

Er wirkte so als wolle er mir nicht glauben. Trotzdem tat er es. Er hatte keine Wahl. Er konnte riechen, dass ich die Wahrheit sagte. Ja, vielleicht roch er sogar, wie sehr ich mich zu ihm hingezogen fühlte.

„Ich dachte, ich habe alles kaputt gemacht", sagte er leise. Seine Hand, die bis dahin zwischen uns gelegen war, bewegte sich zu mir. Er legte sie in einer Faust an mein Kinn und strich mit dem Daumen über meine Unterlippe.

„Du bist so ein Sturkopf." Er versuchte abfällig zu klingen.

Wie erfolglos er damit war, brachte mich zum Lächeln. „Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass du Sturköpfe magst."

„Eigentlich nicht. Ich mache nur eine Ausnahme für dich."

Als sein Daumen ein weiteres Mal über meine Lippen strich, gab ich ihm einen Kuss.

Damian schaute aus aufgerissenen Augen auf die Stelle und ich musste lachen. Er sah 1 zu 1 aus wie eine Katze, die sich erschreckt hatte und versuchte zu verstehen, was gerade abging.

„Wie fühlst du dich gerade?" Ich legte meine Hand auf seine, damit er nicht auf die Idee kam, sie wegzuziehen. „Willst du nochmal einen Kuss versuchen?"

In Filmen und Serien war es nie nötig, sowas zu fragen. Auf Partys schien es ebenfalls überflüssig zu sein. Zwischen Jenny und mir war es auch nie zu Situationen gekommen, in denen einer von uns hatte fragen müssen. Vielleicht auch, weil ich nie selbst die Initiative ergriffen hatte. Jenny hatte bestimmt, was wir wie wann wo machten und ich hatte nach bestem Wissen und Gewissen mitgemacht. Aber, wenn sie mich nie geküsst hätte, wäre es wahrscheinlich nie dazu gekommen.

Bei Damian fragte ich ständig. Es war mir lieber, abgelehnt zu werden als eine Grenze zu überschreiten.

„Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist", meinte Damien nachdenklich. „So hier im Bett..."

„Was hat das Bett damit zu tun?"

Damian zog seine Augenbrauen hoch, erkannte aber in meinem Blick, dass ich den Zusammenhang wirklich nicht verstand.

„Nichts", schmunzelte er daraufhin und rutschte näher zu mir. „Küss mich."

Er zog unsere Hände zu sich, um meine auf seinem Kopf abzulegen, bevor er seine an meine Schulter legte.

Keine Ahnung, wann ich mich zu ihm gedreht hatte, aber jetzt lagen wir beide seitlich da, er kam immer näher und meine Finger kämmten durch sein fluffiges dunkles Haar.

Er bewerte sich solange zu mir, bis ich seinen Atem an meine Lippen prallen spürte. Ich schluckte, spürte meine Lippen vor Aufregung kribbeln. Meine Lippen, meine Finger, meinen Bauch, meinen ganzen verdammten Körper.

„Worauf wartest du?", flüsterte ich.

„Dich", gab er ebenso leise zurück. „Küss mich."

Fuck, ich liebte diese Worte aus seinem Mund. Und ich liebte es, ihnen Folge zu leisten. Schon bevor sich unsere Lippen berührten, begann ich zu lächeln.

Damians Bett roch nach ihm, seine Decke war angenehm schwer, sein Körper warm. Hier mit ihm zu liegen, nachdem wir heute so viel geredet und geklärt hatten, ihn zu küssen, sanft, vorsichtig und liebevoll, fühlte sich an wie der Beginn eines neuen Zeitalters. Die ganze Welt würde morgen eine andere sein. Dafür sorgten Damian und ich heute Nacht.

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