*(14) Kontrolle*

Es geht nur um Kontrolle. Verlierst du sie, verlierst du alles. 

~~~


Alisha hatte uns in Montagmorgen zwei Sätzen von ihrem Familienausflug am Wochenende erzählt. Finn dagegen ersparte uns kein Detail von seiner Zeit mit Nick.

„...Anfangs wollte er mir nur an die Wäsche, meinte er, aber jetzt mag er mich viel zu gern, für einmal-ficken-weiterschicken. Seine Worte. Deshalb lassen wir es langsam angehen. Wir haben zwar zusammen geschlafen, aber nicht miteinander und ich konnte voll gut schlafen, obwohl ich was anhatte."

„Kannst du dann in Zukunft nicht mehr nackt sein, wenn wir Übernachtungspartys machen?", flehte Alisha.

„Mhh, wenn Nick da ist und mich kuschelt, lasse ich mit mir diskutieren... Aber viel interessanter war eigentlich der Morgen, als wir frühstücken wollten, um uns davon abzuhalten, übereinander herzufallen, und dann Marlon und Damian kuschelnd auf dem Sofa entdeckt haben."

„Huh?" Alisha schaute aus großen Augen zu mir. „Was höre ich da?"

Ich verdrehte die Augen. „Wir lagen nur zufällig relativ nah beieinander. Hinter Kuscheln steckt eine Intention, die Damian und ich sicherlich nicht hatten."

„Glaub ihm kein Wort", sagte Finn und drehte Alishas Gesicht durch einen Finger an ihrem Kinn zurück zu sich. „Damian war lag so auf dem Rücken", Finn demonstrierte die Position im Stehen, „und Marlon hat sich so an ihn gekuschelt", er machte vor, wie ich angeblich dagelegen war.

Ich schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Er hatte Recht. Auch, wenn er es ein wenig übertrieb.

„Damian hat gedroht, Nicks Eltern zu killen, weil wir ein Bild davon machen wollten. Wenn das mal nicht nach beschützerischer Boyfriend schreit, weiß ich auch nicht."

„Vergiss nicht zu erzählen, dass er dazu kam, als wir zusammen gefrühstückt haben, und uns gefragt hat, wann wir uns endlich verpissen", meinte ich.

Finn schaute mich an. „Dazu wollte ich dich noch fragen: Was hast du angestellt?"

„Ich?" Ich erwiderte seinen anklagenden Blick entgeistert.. „Warum ich? Er ist einfach so aufgestanden und gegangen."

Finn kniff die Augen zusammen, als würde er mir nicht glauben. Es wirkte so als wolle er etwas dazu sagen, aber er blieb still, als Damian an uns vorbeilief und zu seinem Platz in der hintersten Reihe lief.

Sobald er saß, hatte er sein Handy in der Hand und tippte darauf herum. Vermutlich spielte er wieder Tetris.

Ich riss meinen Blick von ihm los und merkte, dass meine Freunde mich anstarrten.

„Was?", fragte ich leise.

„Geh hin und rede mit ihm", zischte Finn mir zu.

„Was soll ich denn sagen?"

„Entschuldige dich einfach."

„Ich habe nichts getan!", sagte ich etwas zu laut.

Unsere Mitschüler um uns herum warfen uns kritische Blicke zu, widmeten sich aber ziemlich schnell wieder ihrem eigenen Mist, als Finn, Alisha und ich näher zusammenrückten.

„Scheiß drauf. Entschuldige dich einfach trotzdem. Das kommt immer gut."

„Könnte auch total nach hinten losgehen, wenn er nicht mal sagen kann, wofür", erwiderte Alisha. „Und, wenn Damian jetzt merkt, dass Marlon seine Entschuldigung nicht aufrichtig meint, glaubt er ihm nie wieder was."

„Ich habe nicht vor, mich zu entschuldigen", zischte ich, bevor Finn etwas dazu sagen konnte. „Warum reden wir überhaupt darüber? Damian konnte mich vor dem Wochenende nicht leiden und er kann mich jetzt nicht leiden. Alles beim Alten."

Finn sah mich mit einem Blick an, der sagte: Das glaubst du doch selbst nicht.

„Vielleicht spielt er hard to get?", schlug er dann vor. „Renn ihm ein bisschen hinterher-"

„Egal, was los ist: dass ich ihm zu wenig hinterhergerannt bin, ist definitiv nicht das Problem."

„Bin ich die einzige, die es nervt, dass wir dieses Gespräch überhaupt führen müssen? Warum sollte es Marlons Aufgabe sein herauszufinden, was mit Damian los ist? Er soll einfach sagen, was ihn stört. Wozu hat er einen Mund, wenn er nicht redet?"

„Also mir würden da schon ein paar Sachen einfallen", grinste Finn, begleitet von seinem ekelerregenden Augenbrauenwackeln.

Alisha verzog ihr Gesicht und klatschte Finn ihren Ordner ins Gesicht.

Kurz danach startete der Unterricht und wir versuchten zumindest so zu tun als würden wir aufpassen.

Es fiel mir schwer. Und, dass Damian mit seinen Augen Löcher in meinen Hinterkopf bohrte, machte es mir nicht leichter.

Ein Mal schaute ich zurück zu ihm. Ein einziges Mal. Er hob seine Augenbrauen herausfordernd und ich zeigte ihm deutlich, wie ich meine Augen verdrehte, bevor ich wieder nach vorne sah.

Er hatte gesagt, er verstand mich nicht. Mittlerweile war ich mir sicher, dass er sich selbst genauso wenig verstand.

Wenn er meine Signale für widersprüchlich hielt, musste er blind sein, um nicht zu sehen, dass er quasi die Definition dafür lieferte.

Ich wollte ihn so gern als Spinner abtun und keinen weiteren Gedanken an ihn verschwenden. Ich konnte nicht. Dafür interessierte es mich viel zu sehr, was hinter seinem Verhalten steckte. Hinter seiner Fassade.

Sein Lachen war zu schön, um zu akzeptieren, dass ich es nicht mehr sehen durfte. Ein wenig verfluchte ich ihn dafür, dass er es mir überhaupt gezeigt hatte.

Ich schaffte es sechs Stunden und zwei Pausen, mich von ihm fernzuhalten. In der Mittagspause, als Finn, Alisha und ich in die Stadt gehen wollten, um uns etwas zu essen zu holen, sah ich, dass Damian alleine um das Schulhaus herumging, und blieb stehen, noch bevor ich darüber nachgedacht hatte, zu ihm zu gehen.

Finn und Alisha liefen einen Schritt weiter als ich, merkten aber sofort, dass ich zurückgefallen war und drehten sich mit fragenden Gesichtern zu mir.

„Ich versuche mit Damian zu reden."

Alisha zeigte keine Reaktion.

Finn grinste dafür umso breiter. „Alles klärchen, Bärchen. Ich bringe dir was zu essen mit. Viel Erfolg."

„Danke."

Unsere Wege trennten sich noch dort. Alisha und Finn verließen das Schulgelände und ich ging zurück zum Gebäude, daran vorbei und schaute mich um.

Beinahe hätte ich Damian übersehen. Ich erkannte ihn bloß, weil er einen Fuß von der Mauer, auf der er lag, herumbaumeln ließ.

Ich zögerte. Zum einen, weil ich nicht wusste, wie ich auf mich aufmerksam machen sollte und zum anderen, weil ich nicht wusste, ob ich das wollte. Er hatte sich offensichtlich zurückgezogen. Er wirkte entspannt. Ich wollte ihn nicht nerven. Vor allem nicht, solange ich keine Ahnung hatte, was ich überhaupt sagen wollte.

Er verwehrte mir die Chance, einen Rückzieher zu machen. Ohne zu mir runter zu schauen oder etwas an seiner Position zu verändern, fragte er: „Was willst du, Marlon?"

„Mir dir reden." So viel wusste ich.

Er setzte sich auf, ließ aber sein rechtes Bein auf der Mauer, angewinkelt, sodass er seinen Arm darauf ablegen konnte, während er sich mit dem anderen abstützte.

Ich hasste mich ein klein wenig dafür, dass mein Herzschlag sich schon wieder beschleunigte. Dafür gab es schlichtweg keinen Grund. Es machte mich nur unnötig nervös. Und sowie ich Damian kannte, merkte er mir irgendwie an, was in mir vor sich ging.

Unter diesen Umständen würde das kein Gespräch auf Augenhöhe werden. Er konnte sich so einfach vor mir verschließen und ich stand ihm offen wie ein Haus ohne Tür.

Ohne etwas zu sagen, klopfte er neben sich auf die Mauer.

Ich schnaubte belustigt. „Sorry, aber bis ich da oben angekommen bin, habe ich mir 20 Knochen gebrochen. Daran, wie ich runterkomme, will ich gar nicht denken."

Seine Lippen zuckten zu einem leichten Grinsen. Er zog seinen Rucksack zu sich, den er zwischenzeitlich als Kissen benutzt hatte, legte ihn um und sprang von der Mauer. Einfach so.

Allein vom Zuschauen taten mir die Fußgelenke weh und ich hatte das Gefühl, mir die Beine gebrochen zu machen. Damian dagegen klopfte sich locker die Hände ab, da er auf allen Vieren gelandet war, und lehnte sich dann an die Mauer.

„Also, was gibt's?"

„Was war am Samstag los?"

Er verschränkte seine Arme. „Was soll los gewesen sein?"

Er wagte es doch tatsächlich so zu tun als wäre nichts gewesen.

Wut kam in mir auf.

„Stell dich nicht dumm, Damian. Ich habe keine Lust auf deine Spielchen."

„Warum bist du dann hier?" Er legte den Kopf schief und musterte mich so intensiv, dass ich das Gefühl hatte, er saugte mich regelrecht auf.

„Ich lasse Dinge nicht gern ungeklärt", behauptete ich.

„Interessant", sagte Damian, wirkte dabei aber gelangweilt. „Bist du nicht der, der sich schlafend gestellt hat, um sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen, dass er sich die ganze Nacht über an den falschen Typen geklammert hat?"

„Was?", murmelte ich ungläubig. Meine Füße liefen auf ihn zu. „Nur, um das klarzustellen: Du warst der, der mich plötzlich im Arm hatte und nicht mehr losgelassen hat."

„Du hast nicht gesagt, dass ich loslassen soll."

„Solltest du ja auch nicht." Etwa einen Meter vor ihm blieben meine Füße stehen. Ich lehnte mich, ebenso wie er, an die Mauer, und schaute ihm dabei in die Augen. „Ich habe mich schlafend gestellt, weil ich eben nicht wollte, dass du loslässt."

„Du warst plötzlich so angespannt...", sagte er, aber es klang eher nach einer Frage.

„Weil ich überfordert davon war, wie nervös ich war!", empörte ich mich. „Mein scheiß Herz rast in deiner Nähe und ich bin mir nicht mal sicher, ob du überhaupt eins hast."

Er schaute mich einfach nur an.

„Sag was!" Ich wollte ihn anschreien, aber mir entkam nur ein Hauchen. Ein leises Flehen. Es war genauso lächerlich wie ich mich fühlte.

„Ich hätte in meinem Zimmer bleiben sollen."

Ich presste die Lippen zusammen, um mich davon abzuhalten, ihn zu fragen, ob er das jetzt Ernst meinte. Ob es wirklich das war, was er sagen wollte, nachdem ich zugegeben hatte, zumindest irgendwelche Gefühle für ihn zu haben.

Ich wollte die Antwort nicht hören.

„Keine Ahnung, was da mit mir durchgegangen ist."

„Vielleicht bist du ein ganz normaler Mensch, der es satthat, immer nur allein zu sein?", schlug ich vor.

Vielleicht magst du meine Gesellschaft.

Vielleicht magst du mich.

„Okay."

Zugegeben, ich hatte mehr Widerspruch erwartet.

„Okay?", fragte ich verunsichert.

Er nickte. „Ich wollte nicht allein sein und du warst verfügbar. Klingt logisch."

Sehr viel logischer als, dass er bei mir hatte sein wollen.

„Gut", sagte ich mit erstickter Stimme. „Ich wollte kuscheln und du warst verfügbar."

„Gut", wiederholte er. „Damit hätten wir das geklärt."

Er wartete nicht einmal meine Reaktion ab, bevor er sich von der Wand abstieß und weglief.

„Arschloch", zischte ich seinem Rücken zu, konnte nicht glauben, wie schnell er sich mit der leichtesten Erklärung zufriedengegeben hatte. 

Und, wie schwer es mir fiel, das ebenfalls zu tun.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top