Kapitel 7
Ich saß im Esszimmer, eine Packung Schokolade vor mir auf dem Tisch, als Amaliel die Treppen nach unten kam. Er erblickte mich und steuerte direkt auf mich zu.
»Wie allergisch bist du?«, fragte ich ihn unvermittelt.
»Was?« Amaliel sah mich verwirrt an und trat die zwei Stufen nach oben, die vom Wohnzimmer ins Esszimmer führten.
Mit einer Hand deutete ich auf die Schokolade, die ich gerade aß. »Du bist doch allergisch auf Haselnüsse. Würdest du tot umfallen, wenn ich dich jetzt küssen würde? Theoretisch gesehen natürlich.«
Ich wusste nicht, woher die Worte kamen, die da meinen Mund verließen. Seit wann war ich so mutig und sprach davon, dass wir uns küssten? Theoretisch gesehen.
Er nickte langsam. »Theoretisch, ja ...«, murmelte er. »Ich schätze, das musst du ausprobieren. Es ist schon so lange her, dass ich Haselnüsse gegessen habe, da habe ich das doch glatt vergessen.«
Sein breites Grinsen ließ mich daran zweifeln, dass das wirklich nur ein Scherz gewesen war. Ich musste schlucken und schaute schnell woanders hin.
»Dann muss ich wohl passen. Noch eine Leiche im Keller kann ich mir nicht erlauben.«
Ein Lachen kam von Amaliel. »Ich kann mir nicht im Ansatz vorstellen, wie du auch nur einer Fliege etwas antust.«
»Oh, Fliegen sind grausame Biester. Oder Stechmücken, ganz schlimm. Glaub mir, gegen die kann ich vorgehen, wenn es sein muss.«
»Aber ich hoffe, ich bin dir mehr wert als eine Fliege.« Inzwischen war Amaliel in die Küche gegangen und öffnete einen der Schränke. »Darf ich das haben?«, fragte er und hielt eine Tüte Bananenchips in die Luft.
»Klar. Aber wenn du weiter unsere ganzen Snacks isst, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich die Fliegen dir nicht doch vorziehe.«
»Du bist böse«, murrte er und öffnete mit lautem Knistern die Packung.
»Ist doch nur dir Wahrheit«, erwiderte ich grinsend und schob mir noch ein Stück der dunklen Schokolade in den Mund.
Er blieb stumm und aß einige Bananenchips, bevor er gemächlich in meine Richtung schlenderte. Vor dem Radio blieb er einige Sekunden stehen und hörte dem aktuell spielenden Lied zu, bevor er begann, mitzusummen, und sich schließlich neben mich auf einen der Stühle setzte.
»Kannst du singen?«, fragte ich, da sein leises Summen definitiv besser klang als meines.
Amaliel wiegte den Kopf hin und her, ehe er antwortete. »Wenn ich nein sage, muss ich was singen, weil du mir nicht glauben willst. Und wenn ich ja sage, muss ich was singen, um es dir zu beweisen. Was also soll ich machen?«
Mir fiel auf, dass er mit seiner Vermutung recht hatte, und ich biss mir schuldbewusst auf die Unterlippe. Für den Hauch einer Sekunde flackerte sein Blick zu meinem Mund, bevor er sich wieder fing und ich mich fragte, ob es nur eine Wunschvorstellung gewesen war.
»Gut, dann ... antwortete mir einfach und du darfst etwas singen, wenn du willst.« Ich zuckte mit den Schultern. Eigentlich hätte ich ihn gern singen gehört, aber natürlich war es vollkommen in Ordnung, wenn er nicht wollte.
»Gut.« Er grinste. »Ich bin gar nicht mal so schlecht. Also, klar darfst du keine perfekte Stimme erwarten, aber ich treffe wenigstens die Töne.«
»Alles ist besser als ich«, lachte ich. Dann kam mir etwas anderes in den Sinn und ich beschloss, Amaliel ein wenig zu ärgern. »Ganz andere Frage: Ich schätze, ich darf in deiner Gegenwart keine Bananen essen, oder?«
»Wie meinst du?« Amaliel sah von seinen Bananenchips auf.
Ich rollte mit den Augen. »Darf ich dich an deine Pflanzensamen erinnern? Niemand hätte da an etwas anderes gedacht. Bei Bananen liegt es noch näher.«
Amaliel räusperte sich und schaute überall hin, nur nicht zu mir. Ich meinte, einen Rotschimmer auf seinen Wangen zu entdecken. »M-Mach es einfach nicht«, antwortete er.
Dann schüttelte er sich, setzte sich gerade hin und verschränkte die Hände miteinander. »Neues Thema. Warst du schon mal auf eurem Garagendach?«
Ich runzelte die Stirn. »Nein, warum sollte ich?«
»Nie? Das war das Erste, woran ich gedacht habe, als ich das Fenster oben im Flur gesehen habe. Aber ich habe nichts anderes erwartet.« Er schüttelte gespielt enttäuscht den Kopf.
»Ich habe bis jetzt einfach nicht den Sinn dahinter gesehen, das Fensterbrett freizuräumen, um durch das winzige Fenster zu steigen und dann auf dem Garagendach zu stehen.«
»Bis jetzt, du sagst es.«
»Ich wusste, dass du das sagen würdest«, sagte ich mit einem Seufzen.
»Ach komm, Bärchen, bitte. Das wird lustig. Und außerdem kann ich es nicht verantworten, dass du schon so lange in diesem Haus lebst und noch nie durch das Fenster gestiegen bist.« Amaliel zeigte mir seine Grübchen, denen ich nie widerstehen konnte. Er wusste, dass er gewonnen hatte.
{☆}
»Weißt du«, begann ich, als wir einige Stunden später nebeneinander auf der Garage saßen, eine dünne Decke um unsere Beine gehüllt. Am Horizont spielte sich der Sonnenuntergang ab, kein atemberaubendes Farbspektakel, dafür sich immer höher auftürmende Wolken in allen Grau- und Blauschattierungen, die in helle Schleierwolken übergingen und vereinzelt den letzten Strahlen der Sonne Platz boten. »Weißt du, manchmal stelle ich mir vor, dass dort oben, auf diesen riesigen Wolkenbergen, Schlösser stehen und ganz eigene Königreiche über uns schweben.«
Ich biss mir auf die Lippe, wagte nicht meinen Blick in Amaliels Richtung wandern zu lassen. Sicher fand er meine Vorstellungen verrückt, wer dachte sich auch so etwas aus?
Eine Hand berührte meine Haare, erst zögerlich, dann griffen seine Finger nach einzelnen Strähnen und fuhren sanft durch sie hindurch. Ich genoss das sanfte Gefühl, das seine Berührungen in mir auslösten.
Als er antwortete, war seine Stimme leise, nur für meine Ohren bestimmt. »In all diesen Wolken würde dir das schönste Schloss gehören, ganz dir allein.«
»Für dich hätte ich auch Platz.« Ich lehnte mich näher zu ihm, ein kleines Lächeln erschien auf seinen Lippen.
»Nein, Delian, ich gehöre nicht in dieses Schloss. Ich bin weit weg, irgendwo verloren in den Weiten des Alls. Nur ein Hauch, vielleicht ein Geist, den alle Welt schon vergessen hat. Unbedeutend. Und du bist der Einzige in deinem Schloss, der aufsieht und mir ein Lächeln schenkt, damit ich nicht erfriere, ganz allein.«
»Dann will ich kein Schloss«, behauptete ich und griff nach seiner Hand in meinen Haaren, verschränkte meine Finger mit seinen. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Amaliel so allein war. »Dann will ich bei dir sein. Wie zwei Geister im Universum.«
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