Kapitel 37
Ich war gerade damit beschäftigt, Champignons für das Raclette in dünne Scheiben zu schneiden, als ich spürte, wie Amaliel hinter mich trat. »Was ist los?«, fragte ich leise, während ich einen neuen Pilz nahm und den unteren Teil abschnitt.
»Mir ... ist etwas aufgefallen«, begann er zögerlich. »Deswegen wollte ich fragen, ob du kurz Zeit für mich hättest.«
Verwirrt von seiner kryptischen Aussage drehte ich mich zu ihm um und zuckte mit den Schultern. »Das sollte kein Problem sein. Wir haben hier keinen Zeitdruck.«
Ich wollte meiner Mutter Bescheid geben, dass ich kurz weg sein würde, doch diese nickte mir schon wohlwollend zu. Anscheinend hatte sie alles mitbekommen.
Schnell wusch ich meine Hände und folgte dann Amaliel nach oben in mein Zimmer. Ein aufgeregtes Kribbeln hatte sich in meinem Bauch festgesetzt, auch wenn ich nicht genau wusste, wo es herkam.
Nach unserem Eintreten schloss Amaliel sanft die Tür hinter uns und schloss mich dann in seine Arme. »Ich will dir etwas zeigen«, murmelte er gegen meine Haare. »Ich habe nur Angst, dass es dir nicht gefällt.«
Vorsichtig legte ich meine Arme um seinen Rücken. »Wenn du es magst, wird es mir auch gefallen.«
»Okay«, antwortete er und wir lösten uns widerwillig voneinander. »Es ist ... in gewisser Weise ein Weihnachtsgeschenk von mir. Ich kann es dir nur nicht später zeigen.«
Jetzt war meine Neugier restlos geweckt und ich betrachtete ihn stirnrunzelnd von oben bis unten? Was konnte es wohl sein, er mir zeigen wollte?
Mit einem letzten nervösen Lächeln trat Amaliel einen Schritt von mir zurück und zog sich dann mit einer fließenden Bewegung seinen Hoodie über den Kopf. Dieses Mal konnte ich nicht verhindern, dass mein Blick auf den Streifen entblößter Haut flog, den sein T-Shirt freigab.
Als es wieder nach unten rutschte, ich mir auf die Unterlippe und merkte, wie mir die Röte in die Wangen stieg. Doch Amaliel lächelte nur sanft und versprach mir damit, dass es okay war.
»Was möchtest du mir zeigen?«, fragte ich, um mich wieder zu sammeln.
Nur einen Moment zögerte er, dann ließ er seinen Hoodie, in den er zuvor noch seine Finger verkrampft hatte, fallen und kam näher. Meine Augen verließen für keine Sekunde sein Gesicht.
»Das hier«, flüsterte er und zog den Ärmel seines T-Shirts ein Stück nach oben.
Zögerlich verließ mein Blick sein Gesicht und wanderte zu seinem rechten Oberarm, unsicher, was mich erwarten würde.
Es war ein Tattoo. Er hatte sich ein Tattoo stechen lassen, etwa so groß wie mein Handteller und mit schwarzer Farbe auf seine helle Haut gezeichnet.
Ich erkannte das Motiv sofort und doch wollte ich es erst nicht glauben. Meine Hand hob sich fast wie von selbst und meine Finger strichen über die feinen Linien. Amaliel erzitterte unter meiner Berührung und meine Lungen sogen einen Atemzug nach dem anderen auf, bevor sie ihn wieder entließen.
»Es ist wunderschön«, flüsterte ich, wagte es nicht, die Stimme zu heben, aus Angst, es würde die Spannung zwischen uns zerstören.
»Nicolas hat es gezeichnet«, murmelte Amaliel abwesend und senkte ebenfalls den Blick auf sein Tattoo.
Es zeigte zwei Geister, zwei Leinentücher, die in der Luft schwebten und sich an den Händen hielten. Das Tattoo war einfach gehalten, aber so bedeutungsvoll, dass ich nur mit Mühe die Tränen zurückhielt.
Erinnerungen drängten sich an die Oberfläche meiner Gedanken. Ich sah uns beide auf dem Garagendach, vor uns türmten sich die Wolkenschlösser in die Höhe, während wir uns ganz nah waren. »Wie zwei Geister im Universum«, hörte ich meine Stimme, kaum ein Hauch und doch könnte sie nicht deutlicher sein.
»Das sind wir.« Meine Finger lagen immer noch auf Amaliels entblößtem Oberarm, wollten sich nicht von seiner Haut und der Zeichnung darauf lösen.
»Das sind wir und das werden wir auch immer sein. Egal ob das hier für immer hält, es wird für immer ein Teil von mir sein«, erklärte er mir, während er sanft meine Hand in seine nahm und mich an sich zog. »Du bedeutest mir so viel, Eli, schon seit Jahren und ich wollte dieses Gefühl nie mehr verlieren. Deswegen habe ich es festgehalten, auf eine Weise, die nur wir verstehen.«
Ich vergrub mein Gesicht an seiner Brust, damit er die einsame Träne nicht sah, die sich aus meinem Augenwinkel gelöst hatte. Auf meiner Kehle lastete ein solcher Druck, dass ich nicht wusste, ob meine Stimme mich verraten würde, wenn ich sie benutzte.
»Ich kann nicht in Worte fassen, was ...«, begann ich nach einigen Sekunden des einvernehmlichen Schweigens, konnte meinen Satz aber nicht beenden.
»Ich liebe dich.«
Seine Stimme war ganz leise, er flüsterte mir die drei Worte ins Haar, aber sie waren so deutlich, dass mein ganzer Körper darauf reagierte und gefror. Vieles hatte ich erwartet, aber nicht, dass er mir jetzt dieses Geständnis machte.
Ich zwang meinen Körper, sich zu bewegen, und löste mich wieder von ihm, nur um sein Gesicht in meine Hände zu nehmen. Seine Augen huschten unruhig zwischen meinen umher, aber ich sah keine Panik in seinem Blick, keine Angst vor Zurückweisung. Er vertraute mir, dass ich ihn nicht von mir stoßen würde.
Langsam strich mein Daumen seinen Wangenknochen entlang, bis er seine Unterlippe erreichte. Ich versuchte, alle Einzelheiten seines Gesichts in mir aufzunehmen, und konnte mich doch auf nichts anderes als seine Augen fokussieren. Seine wunderschönen Augen, die im Licht der Sonne grünlich schimmerten.
»Ich liebe dich auch«, wisperte ich die Worte in die wenigen Zentimeter zwischen uns, in alles, was noch zwischen uns hing.
Amaliel atmete zittrig ein, sog meine Erwiderung in sich auf und beugte sich vor. »Darf ich?«, fragte er kurz vor meinen Lippen, obwohl wir uns schon so oft geküsst hatten. Ich liebte ihn dafür.
Anstelle einer Antwort überbrückte ich die letzten Millimeter zwischen uns und verschloss seine Lippen mit den meinen. Der Kuss fühlte sich anders an, befreiter, war jetzt getränkt mit unseren Gefühlen, mit der Wahrheit, die wir endlich gewagt hatten auszusprechen.
Ich schlang meine Arme um seinen Hals, wollte den Kuss nicht beenden, doch wusste, dass alles irgendwann ein Ende hatte. Amaliel ging es ähnlich, er hatte die Finger in meinen Hoodie gekrallt und mich fest an sich gezogen.
»Ich liebe dich«, hauchte ich gegen seine Lippen, als wir uns einen Moment Zeit ließen, um Luft zu schnappen. Meine Stirn lehnte an seiner und ich spürte seinen heißen Atem auf meiner Haut.
»In keinem Leben hätte ich gedacht, dass sich das so schön anhört«, antwortete Amaliel und öffnete endlich, endlich seine Augen. »Nie hätte ich gedacht, dass ich das zu jemandem sagen und mit ganzem Herzen so meinen würde.«
Verliebt lächelte ich und strich mit meinen Fingern über sein Gesicht, seinen Hals und seine Arme. Ich wollte nie mehr an einem anderen Ort als in seiner Nähe sein.
Als wir wieder nach unten gingen, war zwar einige Zeit vergangen, ganz konnte ich das glückliche Lächeln jedoch noch nicht verbergen, sich jedes Mal auf meine Lippen legte, wenn ich an unser Gespräch dachte.
Kaum hatte ich nach der letzten Stufe den Blick gehoben, traf er auf den meines Vaters, welcher wohl in der Zwischenzeit nach Hause gekommen war. Für einen Herzschlag gefror ich in der Bewegung, doch Amaliels Hand auf meinem Rücken drückte mich sanft vorwärts.
»Hallo«, begrüßte ich meinen Vater freundlich, woraufhin er mir zunickte und sich dann seiner Schwester zuwandte, mit der er wohl zuvor in ein Gespräch verwickelt gewesen war.
Meine verkrampften Muskeln lockerten sich und ich warf Amaliel ein dankbares Lächeln zu.
»Ah, da seid ihr ja.« Meine Mutter kam aus dem Esszimmer auf uns zugelaufen. »Dann können wir jetzt essen.«
Anscheinend hatten sie nur auf uns gewartet, denn alle Schüsselchen und Teller mit dem Essen standen schon auf dem langen Tisch, den mein Vater vor einigen Tagen mit meiner Unterstützung aus dem Keller geholt hatte, da auf keinen Fall alle Anwesenden an unseren üblichen Esstisch passen würden.
Ich setzte mich an einen Platz mit dem Rücken zur Küche, Amaliel zu meiner linken Seite, meine Oma zu meiner rechten.
Mein Freund inspizierte interessiert die Schüsseln, die in seiner Nähe standen, bevor er sich zu mir beugte. »Was empfiehlst du?«
»Es kommt auf die Kombination an. Aber eigentlich kann alles gut sein. Ich liebe vor allem die Birnen aus der Dose. Dazu vielleicht Mais, Champignons und natürlich Raclette-Käse. Du kannst dir aber auch gerne ein Pfännchen mit Tomaten, Ziegenkäse und Oliven machen. Es ist alles möglich«, erklärte ich, während ich mir eins der mir zugeteilten Pfännchen aus dem inzwischen heiß gewordenen Raclette-Grill nahm.
Amaliel rümpfte die Nase. »Ich mag keine Oliven.«
»Ich auch nicht«, meinte ich mit einem Schulterzucken. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie meine Oma sich demonstrativ an genau jenen bediente.
Erst war Amaliel zögerlich bei der Zusammenstellung seiner Pfännchen, aber mit jedem Mal griff er sicherer nach bestimmten Zutaten und ich musste mir ein Lächeln hinter einer Gabel voll Pilz und Käse verbergen, als er meinen Vater nach der Schüssel mit den Zwiebeln fragte.
Der Abend könnte nicht besser laufen.
Als immer mehr Menschen aufhörten zu essen und sich zufrieden zurücklehnten, beschloss auch ich, dass es für heute genug Raclette war, obwohl ich das Gefühl hatte, noch ewig weiter essen zu können.
»Das könnte es ruhig öfter geben«, gab Amaliel zu und nickte anerkennend.
»Raclette ist einfach das beste Essen der Welt«, entgegnete ich und grinste ihn an. Wir mussten beide lachen.
»So habe ich das jetzt nicht formuliert ...«
Ich stand auf und nahm Amaliels Teller auf, um ihn mit meinem in die Küche zu bringen und danach den Tisch weiter abzuräumen.
»G-gibt es jetzt Geschenke?«, wollte Elara gerade aufgeregt wissen, als ich wieder ins Esszimmer kam.
Ihr Vater lachte und zuckte mit den Schultern. »Jetzt warte noch ein paar Minuten, bis der Tisch wieder sauber ist. Aber danach steht dem nichts mehr im Wege, oder?« Als von niemand anderem Widerspruch kam, nickte er ihr mit einem breiten Lächeln zu.
Elara strahlte und setzte sich neben ihren Bruder an den Tisch, um ihm dabei zuzuschauen, wie er aus einer unbenutzten rot-grünen Serviette einen Fisch faltete. Auch ich nahm wieder neben Amaliel Platz und rutschte mit meinem Stuhl noch ein kleines Stück näher an seinen heran.
Unter dem Tisch fanden seine Finger meine und verschränkten sich mit ihnen. Er beugte sich ein Stück zu mir vor. »Ihr macht die Geschenke einfach ganz normal auf oder gibt es hier irgendwelche Traditionen, von denen ich noch nichts weiß?«
»Nein, ganz normal«, antwortete ich und drückte seine Hand. »Oh, und jetzt geht es sogar schon los.«
Meine Tante hatte Elara und Elias gerade das Startsignal gegeben und beide sprangen fast synchron auf, um die Geschenke von unter dem Weihnachtsbaum zu holen. Der Weihnachtsbaum, den Amaliel und ich geschmückt hatten.
Sorgsam nahmen sie jedes Geschenk in die Hand, lasen die Namen, der darauf geschrieben war und stellten es der passenden Person hin.
Langsam leerte sich der Platz unter dem Baum, dafür füllte sich der Tisch vor uns. Amaliels Augen weiteten sich überrascht, als Elara ihm ein zweites Päckchen überreichte. Er warf mir einen fragenden Blick zu, doch ich zuckte nur mit den Schultern. Mein Geschenk war es nicht.
Kurz darauf ging es ans Auspacken. Da Amaliel erst das fremde Päckchen nahm, wartete ich geduldig mit meinen, um herauszufinden, wer ihm noch etwas geschenkt hatte.
Es stellte sich heraus, dass es sich um eine Packung Schokoladenpralinen – ganz ohne Nüsse – handelte, der eine Karte beigelegt war. »Sie ist von deiner Mutter«, löste Amaliel das Rätsel auf, ohne den Blick von ihren säuberlich geschriebenen Worten zu lösen.
Ich warf Genannter einen Blick zu und sah, dass sie zu uns herüberschaute. Als sie sich meiner Aufmerksamkeit bewusstwurde, lächelte sie sanft und widmete sich wieder ihrem Geschenk, das verdächtig nach Babyklamotten aussah.
Ungern wollte ich meine Konzentration auf etwas andere als meinen Freund lenken, doch mir wurde klar, dass auch ich langsam damit beginnen sollte, meine Geschenke auszupacken. Ich schaffte es aber nur bis zu einem Buch, das wahrscheinlich von Toni stammte, bevor ich mich wieder Amaliel zuwandte, da dieser gerade dabei war, mein Paket auszupacken.
Ich verschränkte meine Hände auf seiner Schulter und lehnte mich an ihn, um einen besseren Blick auf seine Reaktion haben zu können. Schmunzelnd wandte er mir sein Gesicht zu, verzichtete aber darauf, etwas zu sagen und konzentrierte sich wieder auf das beige-rote Geschenkpapier, das seinen zittrigen Fingern entgleiten wollte.
»Ich bin schlecht in Geschenken«, begann ich mich schon zu rechtfertigen, bevor er es überhaupt gänzlich ausgepackt hatte. »Aber ich mir Mühe gegeben. Sieh es als Wiedergutmachung.«
»Dafür, dass du mir meinen anderen Hoodie klauen willst?«, neckte er und zog das Kleidungsstück aus dem Karton, in den ich es eingepackt hatte. Er war schwarz, aber von Hunderten winziger weißer Farbspritzer bedeckt, die mal eng beieinander, mal lichter verteilt den ganzen Stoff bedeckten und an eine Galaxie erinnerten.
»Wow«, murmelte Amaliel und drehte den Stoff hin und her. »Der sieht aus. Wo hast du denn gefunden?«
»Das verrate ich dir doch nicht.« Erleichtert, dass ihm mein Geschenk gefiel, grinste ich ihn an und löste mich wieder von ihm. »Unten im Karton liegt ein Bild von Mary. Sie hat es sich nicht nehmen lassen, dir noch eines zu malen. Dafür will sie dich aber auch mal treffen.«
»Das lässt sich sicher einrichten«, murmelte er, während er den Hoodie auf seinem Schoß ablegte und das Papier mit vorsichtigen Fingern hervorholte. Mary hatte es geschafft, ihre Wolkenberge leicht und doch massiv und unbezwingbar wirken zu lassen, sodass mir beim Betrachten abermals der Atem stockte.
Auch Amaliel sagte erstmal nichts, fuhr nur mit einer Fingerspitze den Rand einer Wolke nach. »Wie unsere Wolkenschlösser«, meinte er und ich biss mir auf die Lippe. Ich war also nicht der Einzige, der sich sofort an diese Unterhaltung auf der Garage zurückversetzt gefühlt hatte.
Mein Blick rutschte zu seinem rechten Oberarm, auf dem die Spitzen seines Tattoos unter dem T-Shirt hervorblitzten.
»Jetzt bist aber du endlich mal dran mit Auspacken«, entschied Amaliel und legte das Bild auf dem Tisch vor sich ab, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder mir schenkte.
Ich nickte und wandte mich den Geschenken vor mir zu. Es kribbelte mir in den Fingerspitzen, herauszufinden, was er mir geschenkt hatte. »Welches ist von dir?«
Seine Hände griffen zielgerichtet an mir vorbei und fanden zwei kleinere Pakete. »Eigentlich hatte ich nur das hier«, begann er und hielt mir ein kleines rechteckiges Päckchen hin, »aber dann hat meine Schwester das hier noch gefunden und ich konnte nicht widerstehen.«
Neugierig nahm ich beides an, begann aber mit dem, er mir zuerst gegeben hatte. Unter dem schlichten rötlichen Geschenkpapier verbarg sich ein wunderschönes hochwertiges Notizbuch. Der Umschlag war in Blau und Gold gehalten und es hatte einen magnetischen Verschluss.
»Damit deine Poesie nicht für immer auf Schmierzetteln stehen muss«, erklärte Amaliel leise und berührte sanft meinen Unterarm.
»Danke«, flüsterte ich und strich sanft über den Umschlag, bevor ich das Notizbuch vor mir ablegte und nach Amaliels anderem Geschenk griff. Es war klein und sehr weich, zudem war das Geschenkpapier zerknitterter als das andere, also nahm ich an, dass es sich ebenfalls um Kleidung handelte.
Mit zusammengekniffenen Augenbrauen löste ich die Klebestreifen, die das Päckchen zusammengehalten hatten und nahm den Inhalt heraus.
Für eine Sekunde starrte ich geschockt auf das Paar Socken, das ich hochhielt, dann brach das Lachen aus mir heraus und ich musste mir eine Hand vor den Mund pressen, damit nicht alle anderen am Tisch auf uns aufmerksam wurden.
»Das hat deine Schwester einfach so gefunden?«, wollte ich noch immer lachend wissen und schüttelte ungläubig den Kopf.
Die Socken waren weiß mit regenbogenfarbenen Streifen an der Seite. Und in großen schwarzen Lettern, direkt unter dem Saum, stand I'M GAY.
»Ich weiß nicht, wie, okay«, verteidigte sich Amaliel unter Lachen. »Ich weiß nur, dass sie mich irgendwann ganz aufgeregt gerufen hat und mir ihr Handy ins Gesicht gedrückt hat.«
»Ich glaube es dir ja.« Unter dem Tisch nahm ich erneut seine Hand und drückte sie fest. Ihn vor allen anderen zu küssen, traute ich mich noch nicht. »Das Geschenk war ... unerwartet.«
»Ich sehe das als Kompliment.«
Erst jetzt löste ich meinen Blick wieder von Amaliel und ließ ihn über die anderen Anwesenden am Tisch gleiten. Sie alle waren schon damit fertig, ihre Geschenke auszupacken und entweder in Gespräche miteinander vertieft oder sie zeigten sich gegenseitig, was sie bekommen hatten. Meine Tante hielt gerade Elara und Elias davon ab, ihr neues Brettspiel schon auf dem vollen Esstisch auszuprobieren.
»Heute war schön«, sagte Amaliel leise neben mir und ich nickte, ohne ihn anzuschauen.
Ich hatte gedacht, dass es stressiger werden würde. Dass mein Vater sich offen negativ gegenüber David verhalten würde, stattdessen hatte er sich den ganzen Abend über sehr im Hintergrund gehalten. Ich wollte es nicht zugeben, aber insgeheim hatte ich gedacht, dass Amaliel nervöser sein würde und sich weiter in sich zurückziehen würde. Tatsächlich hatte er sich gut mit allen Anwesenden verstanden, vor allem mit Toni und Elara.
Während die Zeit weiter voranschritt, wurde mehr Wein ausgeschüttet und auch Amaliel gönnte sich ein Glas. Ich nippte einmal daran und verzog sofort das Gesicht.
Es war eine schöne Art, den Abend ausklingen zu lassen.
Als dann aber Elara zum wiederholten Male gähnte, beschloss meine Tante, dass es jetzt an der Zeit wäre zu gehen. Mein Onkel, meine Oma und David schlossen sich dem an. Letzterer wäre sicher noch gerne geblieben, wollte sich aber nicht zumuten, plötzlich nicht mehr so viele Menschen um sich zu haben, die ihn vor meinem Vater abschirmten. Ich konnte es ihm nicht verübeln.
Plötzlich war es still im Haus, plötzlich waren wir nur noch zu viert und der Weihnachtszauber mit meinen Verwandten verschwunden.
Ich räusperte mich in der unangenehmen Stille, die auch das Radio, das leise im Hintergrund spielte, nicht verdrängen konnte. »Wir gehen nach oben«, teilte ich meinen Eltern leise mit und bedeutete Amaliel, unsere Geschenke aufzunehmen und nach oben zu tragen. Niemand widersprach und so war ich keine Minute später mit Amaliel allein.
Kaum hatten wir die Geschenke in einer Ecke meines Zimmers abgestellt, schlang ich meine Arme um Amaliels Mitte und lehnte meinen Kopf an seine Schulter.
»Wofür ist das denn?«, fragte er etwas überrumpelt, zog mich aber fest an sich.
»Hat keinen besonderen Grund. Aber ich habe gerade an vorhin gedacht und irgendwie muss ich meine Glücksgefühle ja kompensieren.«
»Wenn das so ist ...« Er vergrub eine Hand in meinen Haaren und neigte meinen Kopf so, dass er mich auf die Schläfen, dann auf die Nasenspitze und schließlich auf den Mund küssen konnte. »Ich glaube, damit haben wir vorhin aufgehört«, nuschelte er zwischen zwei sanften Küssen.
Als Antwort zog ich ihn an seinem Hoodie näher zu mir, schmeckte den Rotwein auf seinen Lippen und genoss jede weitere Sekunde.
»Lass uns schlafen gehen«, murmelte ich, nachdem ich mich wieder von ihm gelöst hatte.
Amaliel nickte sanft, die glänzenden Augen noch immer auf meine Lippen gerichtet.
Ich liebte die gemeinsame Zeit in meinem Bett, wenn wir nebeneinander lagen, unsere Nähe miteinander teilten und uns ineinander verloren. Nirgends fühlte ich mich so sicher und entspannt wie in Amaliels Armen, seine Wärme auf meiner Haut.
So vergingen kaum fünf Minuten, bis ich die Decke über uns beide ausbreitete und mich neben ihn auf mein Bett legte. Ich bettete meine Hände auf Amaliels Brust und meinen Kopf darauf, was er mit einem amüsierten Schmunzeln kommentierte.
»Was wird das?«, fragte er, die Stimme rau vor Müdigkeit. Eine Hand verfing sich wie von selbst in meinen Haaren.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte ich, änderte aber nichts an meiner Position. »Es ist einfach nur schön, dich wieder bei mir zu haben und möchte nicht mehr Abstand zwischen uns bringen, als unbedingt nötig ist.«
»Wird das hier eine Liebeserklärung?« Seine Finger liebkosten meine Wange und ich schloss genießerisch die Augen.
»Ich liebe dich.« Ich öffnete gerade noch rechtzeitig die Lider, um zu sehen, wie sein Mund sich einen Spalt öffnete und seine Augen sich weiteten. Seine Finger hatten aufgehört sich zu bewegen. »Und das wird sich so schnell nicht ändern.«
»Ich dachte schon, ich hätte das vorhin nur geträumt«, murmelte Amaliel, während er den Kopf beugte, um mich zu küssen. Ich hob meinen ein wenig, kam ihm entgegen und empfing seine Lippen für einen Moment.
Sanft schüttelte ich den Kopf, als ich mich wieder in meine ursprüngliche Position begab. Es war schön, Amaliel so ruhig betrachten zu können; sein Gesicht wurde nur schwach von der Straßenlaterne draußen beleuchtet und doch bildete ich mir ein, jede noch so kleine Einzelheit zu sehen.
Die Grübchen erschienen auf seinen Wangen und ich hatte das Gefühl zu schmelzen. »Ich liebe dich«, wisperte er ebenfalls, testete aus, wie die Worte auf seinen Lippen schmeckten, während seine Augen an der Decke hafteten. »Egal wie dunkel mein Leben war, du warst immer das Licht, das mich weitergeführt hat.« Einen Moment hielt er inne, dann lachte er. »Gott, das klingt verdammt kitschig.«
»Das ist egal«, murmelte ich. Zu mehr war ich nicht in der Lage, mein Gehirn versuchte noch die Gänze seiner Aussage zu begreifen.
Langsam, um die Atmosphäre, die Wahrheit, die im Raum hing, nicht zu zerstören, bewegte ich mich von Amaliel herunter und legte mich neben ihn auf mein Bett, behielt aber noch eine Hand auf seiner Brust. Sie hob und senkte sich gleichzeitig mit seinen Atemzügen und eine Weile beobachtete ich die Bewegung fasziniert.
Dann drehte Amaliel den Kopf zu mir und plötzlich waren wir uns wieder so nah. Auch wenn schon einige Monate seit unserem ersten Kuss vergangen waren, auch wenn wir schon einige Zeit zusammen waren, spürte ich immer noch unverändert dieses aufgeregte Kribbeln in meinem Bauch, diese Schmetterlinge, die aufstoben, sobald er mich ansah.
»Ich liebe dich, Delian«, wiederholte er, während seine Fingerspitzen die Linien meines Kiefers nachzogen. »Und ich will nicht, dass sich das je ändert.«
»Amaliel ...« Ich ließ seinen Namen im Raum hängen, hatte im gleichen Moment vergessen, was ich hatte sagen wollen.
»Ich will nie wieder jemand anderen als dich. Immer nur dich, Delian. Ich will dich für immer.«
Es war eine Liebeserklärung, ein Versprechen und ich wollte nicht, dass es je gebrochen wurde.
»Nur dich«, bestätigte ich, verschränkte meine Finger fest mit seinen. »Für immer.«
ENDE
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