Kapitel 34
Es war schon nach elf Uhr, als ich mich endlich dazu überreden konnte, aufzustehen.
Endlich, endlich waren Ferien und ich konnte den verpassten Schlaf der letzten Wochen und Monate aufholen und alle Gedanken an Schulsachen in den Hintergrund schieben.
Außerdem kam Amaliel in zwei Tagen endlich und ich konnte die Aufregung, die bei dem Gedanken in mir hochschwappte, kaum unterdrücken. Seit Tagen würde ich am liebsten durchgehend am Fenster sitzen, als könnte er so schneller ankommen.
Viel anderes konnte ich nicht tun, denn ich hatte nicht viel Lust, mein Zimmer zu verlassen. Vorgestern war ich jetzt wieder bei meinem Vater eingezogen, wenn auch nur für einige Tage. An Weihnachten kamen immer alle möglichen Verwandten und in der Wohnung meiner Oma hätten sie unmöglich alle Platz zum Essen und Geschenke auspacken gehabt.
Meine Mutter, die inzwischen im siebten Monat schwanger war, lebte jetzt eigentlich fast die ganze Zeit bei ihrem Freund, würde aber mit ihm an Weihnachten mit uns essen. Es war eigentlich ganz lustig, dass wir beide gleichzeitig dem Rest der Familie unseren Freund zeigen würden.
Seit ich wieder hier war, leistete sie mir tagsüber meistens Gesellschaft. Wir backten zusammen Plätzchen oder schauten einen meiner geliebten Disney-Filme. Wenn mein Vater dabei war, war alles etwas stiller und gezwungener, aber wir gingen schon weit entspannter miteinander um als noch vor einem Monat.
Drei Tage noch bis Heiligabend und nur noch zwei, bis ich endlich Amaliel wiedersehen konnte. Noch fühlte es sich unwirklich an, ihn endlich wieder bei mir haben zu können.
Gleichzeitig würde ich mich an Weihnachten wohl beim Rest meiner Familie outen müssen, auch wenn mich das im Moment kaum interessierte. Ich hatte in den letzten Monaten so viele Outings durchgemacht, dass es auf ein weiteres auch nicht mehr ausmachte. Und alle Menschen, die mir wirklich wichtig waren und mir nahestanden, wussten es schon längst.
Als mich am Nachmittag die Langeweile packte, ging ich nach unten zu meiner Mutter, die es sich auf der Couch mit einer Zeitschrift gemütlich gemacht hatte. Draußen war es zwar noch hell, doch bald würde die Dunkelheit heraufziehen und die wenigen Sonnenstrahlen des heutigen Tages gänzlich vertreiben.
»Delian. Wie geht es dir?« Sie schien erfreut, mich zu sehen, und bot mir einen Platz neben sich auf der Couch an.
Ich zuckte mit den Schultern. »Alles gut. Bei dir?«
»Im Moment gut. Aber du weißt ja, wie sich das ändern kann.« Sie redete, als wüsste ich, wie es war, schwanger zu sein. »Deine Schwester ist heute recht ruhig.«
Es freute mich, dass sie sich so sehr auf ihr Baby freute, vor allem weil sie so glücklich wirkte wie seit Jahren nicht mehr, aber es fühlte sich unendlich seltsam an, wenn sie von meiner Schwester redete, als wäre sie schon geboren. Vielleicht war ich aber auch der Einzige, der es so empfand.
»Ich fange gleich mit dem Abendessen an, möchtest du helfen?«, fragte sie, bevor ich zu einer passenden Antwort ansetzen konnte.
»Sehr gerne«, antwortete ich wie auch die letzten Tage. Es war zwar noch Zeit bis zur Geburt, aber ich konnte meine Mutter nicht reinen Gewissens allein in der Küche Essen zubereiten lassen. Nicht dass noch etwas passierte. »Was gibt es denn?«
»Kässpätzle.«
»Eine sehr gute Wahl«, antwortete ich und stand schon auf, um in die Küche zu gehen, als mein Handy klingelte.
Ich runzelte die Stirn und kramte es hervor. Eigentlich konnte es nur Amaliel sein, der mich anrief.
»Mali«, begrüßte ich ihn fröhlich und entfernte mich ein paar Schritte.
Ich sah meine Mutter wissend lächeln und dann schnell in der Küche verschwinden.
»Hast du gerade Zeit?«, fragte er ohne Umschweife.
»Für dich doch immer«, antwortete ich. »Was ist denn los?« Er schien aufgeregt zu sein, aber es klang nicht so, als wäre etwas Schlimmes passiert.
»Es klingt vielleicht etwas seltsam«, begann er langsam, »aber hast du Lust auf einen Spaziergang?«
»Einen Spaziergang?«, echote ich.
»Mach mich nicht unsicher«, beschwerte er sich, lachte aber. »Ich dachte, wir könnten gemeinsam spazieren gehen. Nur bist du bei dir zuhause und ich bin hier.«
Für einen Moment stellte ich es mir vor, wie wir gemeinsam durch die Winterdämmerung liefen, nur verbunden durch unser Telefonat. Es würde sich schon fast echt anfühlen, ein kleiner Vorgeschmack auf in zwei Tagen.
»Das klingt schön«, sagte ich leise, aber Amaliel schien es nicht gehört zu haben.
»Sag doch was. Einmal will ich kitschig sein und du bist gar nicht begeistert.« Ich merkte, wie seine Stimme an Sicherheit verlor, und schalt mich sofort dafür, nicht lauter gesprochen zu haben.
»Das bin ich, Mali. Wirklich. Und bitte: Egal wie oft du sagst, dass du Kitsch hasst, du bist derjenige von uns, der kitschig ist.« Ohne es wirklich zu bemerken, hatte ich mich schon in den Flur begeben. So absurd seine Idee auch war, ich war der Überzeugung, dass ich mich dadurch Amaliel wieder näher fühlen würde.
»Da bin ich anderer Meinung«, widersprach er mir. Dann, leiser: »Bist du dabei?«
»Ich gehe überall hin, wo du hingehst«, antwortete ich leise. »Gib mir eine Minute, dann bin ich bereit.«
Schnell informierte ich meine Mutter, dass ich kurz draußen sein würde, dann schlüpfte ich in meine dicke Winterjacke und meine Schuhe und nahm mein Handy wieder zur Hand.
»Ich bin so weit«, sagte ich, während meine Hand schon auf dem Türgriff lag. Mir fehlte noch der Mut, ihn hinunterzudrücken. »Deine Idee ist wirklich süß.«
»Du auch«, antwortete er und ich konnte das Lächeln nicht mehr zurückhalten. »Wollen wir losgehen?«
»Ja«, hauchte ich und trat aus der Haustür.
Es war nicht wirklich winterlich draußen, nur kalt, und der Boden lag voller gefrorener Blätter, die unter meinen Schuhen knirschten. Die Wolken waren schwer von Schnee und warteten nur darauf, ihn fallen zu lassen.
Bisher hatte es diesen Winter nur spärlich geschneit und entweder hatte der Schnee sich sofort wieder aufgelöst oder nur eine hauchdünne Puderschicht hinterlassen.
»In zwei Tagen bist du hier«, murmelte ich abwesend, während ich mit gemächlichen Schritten zur Straße lief.
»Mhm«, antwortete Amaliel, auch er schien nicht wirklich da zu sein. Es tat gut, mit ihm zu telefonieren und doch gemeinsam zu schweigen.
Als ich den Bürgersteig erreichte, hob ich den Blick, unschlüssig in welche Richtung ich laufen wollte.
Da sah ich ihn.
Kaum zehn Meter von mir entfernt stand Amaliel, sein Handy in der einen und eine Sporttasche in der anderen Hand. Als sich ein unsicheres Lächeln auf seine Lippen schlich, schlug ich mir die Hände vor den Mund.
Er war hier, wirklich hier.
Ich bemerkte erst, dass ich mich bewegte, als ich schon vor ihm stand und ungläubig eine Hand nach seiner Wange ausstreckte.
»Überraschung?«, flüsterte er und als ich seine Grübchen sah, konnte ich nicht mehr an mich halten. Ich fiel ihm mit einem erstickten Schrei um den Hals und krallte mich in seine Jacke.
Er war hier. Ich konnte sein Lachen hören, seine Haare an meiner Schläfe spüren, als er sich zu mir herunterbeugte und seine Arme um mich schlang. Ich spürte seinen Körper fest an meinem und blinzelte gegen die Tränen an, die in mir aufsteigen wollten.
»Ich habe dich so vermisst«, wisperte ich erstickt. Ich sollte ihn loslassen, aber ich konnte nicht. Als könnte er wieder verschwinden, sobald wir uns nicht mehr berührten.
»Ich dich auch«, antwortete er und vergrub eine Hand in meinen dichten Locken. »Ich hoffe, die Überraschung ist geglückt.«
Jetzt musste ich lachen und löste mich langsam von ihm, um ihm endlich ins Gesicht schauen zu können. »Ich hätte nie erwartet, dass du mich so reinlegst. Ich dachte, du kommst erst in zwei Tagen.«
Das Grinsen wollte gar nicht mehr aus seinem Gesicht verschwinden. »Das war am Anfang auch wirklich so geplant gewesen. Aber meine Schwester hatte die Idee, dass ich früher komme.«
»Mit der habe ich noch ein Wörtchen zu reden.« Ich trat einen Schritt zurück. Kalte Winterluft floss in meine Lungen und klärte meine Gedanken. »Wollen wir reingehen?«
So gerne ich ihn hier an Ort und Stelle geküsst und für immer umarmt hätte, wollte ich es doch lieber nicht in der Öffentlichkeit tun.
»Gerne.« Wie selbstverständlich nahm er mit einer Hand seine Sporttasche auf, die Finger der anderen verschränkte er mit meinen. Mein Herz hüpfte aufgeregt in meiner Brust umher, als wir die wenigen Meter zur Haustür zurücklegten.
»Schon wieder zurück?«, fragte meine Mutter überrascht, als wir in den Flur traten.
»Mali ist da«, war das Einzige, was ich herausbrachte.
Mehr brauchte ich auch gar nicht zu sagen, denn schon war sie zu uns gelaufen und schaute verdutzt zu Amaliel auf.
»Ich bin wieder da«, bestätigte dieser und senkte den Blick zu Boden.
»Oh«, sagte sie, fing sich aber schnell wieder. »Ich dachte, du kommst erst in zwei Tagen.«
»Das dachte ich auch«, bestätigte ich.
Meine Mutter schien zu spüren, dass wir lieber allein sein wollten, denn sie wandte sich schon wieder zum Gehen. »Ich lasse euch dann mal lieber allein. Es kann aber gut sein, dass ich euch nachher rufe, weil irgendjemand diese Spätzle durch die Spätzlepresse bekommen muss.«
»Amaliel schafft das sicher. Er ist ja schon groß und stark.« Ich klopfte meinem verwirrt dreinschauenden Freund auf die Schulter. »Ich zeige es dir nachher«, schob ich noch erklärend hinterher.
Als ich mich wieder von seinem Anblick löste, war meine Mutter schon in der Küche verschwunden. Ich nahm das zum Anlass, Amaliel sanft bei der Hand zu nehmen und zur Wendeltreppe zu führen. Auf schwachen Beinen lief ich die Stufen nach oben, Amaliel immer einen Schritt hinter mir.
In meinem Zimmer angekommen schloss ich die Tür hinter uns und wusste plötzlich nicht mehr, was ich tun sollte. Es fühlte sich an, als wäre seit dem Sommer keine Zeit vergangen und gleichzeitig war alles anders.
In mir brannte die irrationale Angst, dass es nicht das Gleiche zwischen uns sein würde, dass die letzten Monate der Trennung unserer Beziehung geschadet hatten.
Doch als ich mich zu Amaliel umdrehte und er mich anlächelte – wie immer mit einer Spur Unsicherheit, aber so ehrlich –, bewegten sich meine Füße automatisch in seine Richtung und ich griff abermals nach seiner Hand.
Mein Atem stockte, als er mich näher an sich zog und einen Arm um mich legte, um mich ganz nah bei sich zu haben.
»Ich habe dich vermisst«, wiederholte er, was wir schon draußen gesagt hatten. »Ich habe es vermisst, dir so nahe zu sein, dich zu berühren und dich einfach nur anschauen zu können. Die Handyauflösung wird deinen Augen keinesfalls gerecht.«
Kein Wort wollte über meine Lippen kommen, denn das war gar nicht nötig, denn Amaliel beugte sich zu mir vor, bis unsere Münder nur noch wenige Zentimeter voneinander getrennt waren. »Darf ich?«, wisperte er.
»Bitte«, hauchte ich und erzitterte. Es fühlte sich an, als hätten meine Gefühle für ihn sich in den letzten Monaten aufgestaut und warteten nur darauf, jetzt freigelassen zu werden.
Und als Amaliel mich küsste, da war alles wieder okay.
Ich schmolz in seinen Armen und presste mich näher an ihn heran. Es war so lange her, dass ich seine Lippen auf meinen gespürt hatte, dass mir ein glückliches Seufzen entwich und ein warmes Kribbeln meinen ganzen Körper erfüllte.
Amaliel lächelte gegen meinen Mund, machte aber keine Anstalten, den Kuss zu beenden. Er war immer noch unglaublich sanft und ich liebte es, dass dieser erste Kuss seit Langem unsere Beziehung widerspiegelte, anstatt in wildes Herumknutschen auszuarten.
Wobei ich mir sicher war, dass das später auch noch kommen würde.
Als ich mich langsam zurückzog und die Augen öffnete, schaute ich direkt in Amaliels und hatte plötzlich wieder das Verlangen, vor purem Glück zu weinen.
Schnell verbarg ich meinen Kopf an seiner Brust, damit er es nicht sah, und sog seinen Geruch nach Wärme und Zuhause ein.
»Hast du einen Plan für die nächsten Tage?«, fragte Amaliel leise und streichelte meinen Rücken.
»Ganz viel zusammen im Bett liegen und kuscheln«, schlug ich vor, ein Lächeln schon auf den Lippen.
»Das klingt nach einem wunderbaren Plan«, murmelte er und zog sich ein Stück von mir zurück, um mir einen erneuten kurzen Kuss zu geben.
»Dein Hoodie sieht sehr weich aus«, merkte ich an.
Amaliel lachte, den Kopf in den Nacken geworfen, und ich versuchte, ihm nicht allzu fasziniert dabei zuzusehen. »Ich habe mir schon gedacht, dass ich ihn nicht mehr mit nach Hause nehmen würde.« Grinsend strich er über den weichen Stoff an seinem Ärmel.
»Du hast mein Bandana damals mitgenommen. Denk nicht, ich hätte das vergessen. Außerdem ist er hellblau«, sagte ich, als würde das alles erklären.
»Ein Bandana?« Wieder lachte er, diesmal kürzer. »Ich müsste schon zwanzig von den Dingern mitnehmen, damit das wenigstens halbwegs ausgeglichen ist.«
»Aber dann hast du zwanzig Kleidungsstücke von mir und ich nur eins von dir. Findest du das dann nicht unfair?«, warf ich ein.
»Aus der Perspektive betrachtet ...« Er wog den Kopf hin und her, seine braunen Haare wogten mit. Er hatte sie zwischendurch geschnitten und inzwischen nur noch blonde Spitzen, was ihm mehr stand, als ich zugeben wollte.
»Können wir weniger reden und mehr rummachen?« Kaum hatten die Worte meine Lippen verlassen, schlug ich mir eine Hand vor den Mund und spürte, wie ich rot wurde.
Amaliel musste sein Lachen unterdrücken, schlang aber einen Arm um meine Taille. »Also rummachen kann ich.«
Ich wollte es nicht, aber der Gedanke an Lilith durchzuckte mich und plötzlich fühlte es sich fasch an, Amaliel zu berühren. Ein schmerzhafter Stich drang durch mein Herz, als ich daran dachte, dass es schon jemanden gegeben hatte, der Amaliel genauso angefasst hatte wie ich, der ihn genauso geküsst hatte. Jemanden, der es auf keinen Fall verdient hatte.
Ich riss die Augen auf und stolperte unbeholfen einen Schritt zurück. Wolken verhingen Amaliels schöne Augen und ich wusste, dass er auch daran gedacht hatte.
»Es tut mir leid«, flüsterte ich. Er war gerade einmal ein paar Minuten wieder hier und schon vermasselte ich alles.
Schnell schüttelte er den Kopf und als er mich wieder anschaute, hatte sich sein Blick geklärt. »Es ist okay. Es wird besser, ich lasse mich nicht mehr so schnell kleinkriegen.« Sein Lächeln erreichte nicht ganz seine Augen, aber ich sah ihm an, dass er nicht weiter darauf herumreiten wollte, und nickte.
»Wollen wir dann wieder nach unten gehen und meiner Mutter helfen?«, schlug ich vor.
Amaliel nickte und nahm sanft meine Hand, bevor wir das Zimmer verließen.
Mein Herz machte einen kleinen Sprung, als er sie auch nicht losließ, als wir vor meiner Mutter standen. Doch die schien es kaum zu bemerken oder wollte nicht darauf eingehen, was ich sehr begrüßte.
»Ihr kommt sehr passend, ich wollte euch gerade rufen.« Sie strahlte regelrecht, wie so oft in den letzten Monaten. Ich sah, wie Amaliel unauffällig auf ihren Bauch schielte, und konnte es ihm nicht verübeln. Beinahe jeden Tag sah ich meine Mutter und war doch manchmal überrascht von der stetig wachsenden Kugel.
»Du kannst gleich pressen«, sagte sie zu Amaliel und winkte ihn an den Herd. Er wirkte etwas überfordert, als sie ihm die Spätzlepresse in die Hand drückte. Ich trat neben ihn und setzte sie sanft auf den Rand des mit Wasser gefüllten Topfes.
»Schau, du musst das hier jetzt einfach nur runterdrücken. Aber dabei aufpassen, dass dir der Topf natürlich nicht umkippt«, erklärte ich ihm und entfernte mich wieder einen Schritt.
Amaliel nickte und drückte den oberen Hebel nach unten. Seine Brauen hoben sich überrascht, als er merkte, dass es schwerer war als gedacht, die Spätzle durch die kleinen Löcher am Boden zu pressen. Als er unten angekommen war, nahm ich das bereitliegende Messer und trennte die Spätzle vom Metall des Geräts ab.
»Jetzt weißt du, warum meine Mutter jemand Starken hierfür braucht«, meinte ich schmunzelnd und stieß ihn kumpelhaft in die Seite.
Amaliel lachte leise und schüttelte den Kopf. »Und jetzt?«, fragte er, nachdem er die Presse vorsichtig auf der Schüssel mit dem restlichen Teig abgelegt hatte.
»Jetzt füllen wir wieder Teig rein und dann geht das Ganze von vorne los.«
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»Das war überraschend lecker«, stellte Amaliel fest, als wir nach dem Essen wieder in mein Zimmer gingen.
»Denkst du, wir würden dir was Schlechtes zu essen vorsetzen?«, wollte ich belustigt wissen und ließ mich auf meinem Bett nieder. »Bevor du dich hinsetzt: Nimm die Box mit, die auf meinem Schreibtisch steht.«
Amaliel drehte sich in die Richtung, in die ich zeigte und nahm die Metallbox mit den rot-goldenen Verzierungen auf. »Was ist da drin?«, fragte er, während er sie schon öffnete. »Plätzchen«, rief er erfreut aus und griff sich gleich das erste.
»Hab ich alle selbst gemacht«, meinte ich mit einem Lächeln und griff mir einen einfachen Zimtstern und den Deckel, um dort hinein zu krümeln. »Du darfst nur die Nussecken nicht essen, da sind Haselnüsse drin.«
»Dabei sehen die so gut aus«, murmelte er, knabberte aber weiter an seinem Hörnchen herum.
»Glaub mir, das sind sie auch.« Demonstrativ nahm ich mir eins und genoss die gehackten Nüsse.
»Ich hasse dich.« Amaliel zog einen Schmollmund und schnappte mir den Deckel aus der Hand, kaum dass ich fertig war. »Jetzt bekommst du auch keine Plätzchen mehr.«
Ich protestierte nicht, beobachtete nur amüsiert, wie er die Box verschloss und auf den Boden neben uns stellte.
Plötzlich griffen seine Hände nach meinen Armen und zogen mich an sich, was mir einen überraschten Laut entlockte. Ich fing mich aber schnell wieder und stützte mich an seinen Oberschenkeln ab.
»Wenn du mich jetzt küssen willst, muss ich dich leider enttäuschen, ich habe noch Nuss im Mund«, bemerkte ich und lächelte ihn zuckersüß an.
Amaliel stöhnte genervt und warf den Kopf in den Nacken. »Dann trink was. Bitte.«
Ich kam seiner Aufforderung nach und spülte meinen Mund gründlich aus, schließlich wusste ich immer noch nicht, ab welcher Menge Haselnuss sich eine allergische Reaktion bemerkbar machen würde.
Kaum saß ich wieder neben ihm, schlang Amaliel seine Arme um meinen Oberkörper und zog mich an sich, bis seine Nasenspitze meine berührte. »Darf ich jetzt?«
»Auf deine eigene Gefahr hin«, flüsterte ich und berührte mit einer Hand seine Wange.
Das nahm er wohl als Anlass, die Lücke zwischen uns endgültig zu schließen und seine Lippen auf meine zu pressen. Der Kuss war intensiver als unsere letzten und mein Körper presste sich näher an Amaliel heran.
Seine Finger fanden ihren Weg in meine Haare und zogen spielerisch an ein paar Strähnen. Ein leises Stöhnen entwich mir und Amaliels Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. Sie lösten sich von meinen, stattdessen küsste er jetzt sanft meinen Kiefer und Hals entlang. Ich beugte den Kopf etwas nach hinten, um ihm Platz zu schaffen und schloss genießerisch die Augen.
Amaliel seufzte gegen meine Haut und ließ seinen Kopf auf meine Schulter sinken. »Scheiße, habe ich das vermisst.«
Ich musste lachen, zog ihn aber gleich wieder zu mir hoch, weil ich seine Lippen auf meinen vermisste. Er erwiderte den Kuss, bewegte sich dann aber und drückte mich sanft nach hinten auf das Bett.
Mit großen Augen schaute ich zu ihm auf, als er sich über mich beugte. »Nur so weit, wie du willst«, wisperte er.
»Nur so weit, wie du willst«, erwiderte ich. Es galt für uns beide, für ihn vielleicht noch ein Stück mehr.
Ich wartete sein Nicken ab, dann legte ich meine Hände in seinen Nacken und zog ihn zu mir herunter. Als ich seine Zunge an meinen Lippen spürte, durchzog ein aufgeregtes Kribbeln meinen Körper und ich öffnete bereitwillig meinen Mund. Leidenschaft durchzog jede Faser meines Seins und ich verlor mich in dem Kuss und seinen Berührungen.
Amaliels Hände bewegten sich über meine Arme und meinen Oberkörper, während ich meine nicht tiefer als seine Schultern gleiten ließ, auch wenn es mich in den Fingern juckte, seinen Körper zu erkunden.
Als seine Finger sich langsam unter meinen Pullover und mein T-Shirt schoben und meine warme Haut berührten, zuckte ich unwillkürlich zusammen. Sofort unterbrach Amaliel den Kuss und zog sich wieder von mir zurück.
»Das wollte ich nicht«, entschuldigte er sich sofort, die Augen vor Schreck geweitet.
»Alles gut«, flüsterte ich und strich ihm eine Strähne dunkler Haare aus dem Gesicht. »Deine Finger sind nur kalt.« Ich lächelte, um ihm zu versichern, dass wirklich alles in Ordnung war und nahm eine seiner Hände in meine, um einen sanften Kuss darauf zu drücken.
Ein ungläubiges Lachen entwich ihm. »Wirklich?« Auf mein Nicken hin wagte sich ein Lächeln auf seine Lippen und er ließ sich neben mich auf die Matratze fallen.
»Also ist das okay?«, wisperte er, den Mund nah an meinem Gesicht und ließ eine Hand unter mein T-Shirt schlüpfen, sodass sie auf meiner Seite lag, direkt unter meinen Rippen.
Ich biss mir auf die Lippe, weil mir Amaliels Mut neu war, ich aber nicht umhinkam, die Berührung zu genießen. »Ja.«
»Okay.« Er beugte sich wieder vor und verschloss unsere Lippen zu einem Kuss, der jedoch nicht so eskalierte wie der davor. »Du weißt nicht, wie sehr ich das vermisst habe«, murmelte er und streifte dabei meine Wange mit seinem Mund, als könnte er sich noch nicht recht von mir lösen.
»Mindestens so sehr wie ich«, antwortete ich und merkte wieder, wie dieses überwältigende Gefühl des Glücks in mir aufstieg.
Eine Weile lagen wir so nebeneinander da, küssten uns sanft und betrunken von Glück. Amaliels Hand lag noch immer auf meiner Haut, aber er bewegte sie nicht, und es war gut so. Irgendwann löste er sich von mir und drehte sich auf den Rücken. Ich blieb unverändert liegen und betrachtete ihn von der Seite.
Ohne hinzuschauen tastete er nach meiner Hand und verschränkte seine Finger mit meinen. Ein Lächeln zupfte an seinen Lippen, als er den Kopf wieder zu mir drehte. »Können wir nach draußen gehen?«
»Irgendwie habe ich geahnt, dass das kommen wird«, murmelte ich, stand aber ohne Weiteres auf. So warm und weich mein Bett auch war, ich liebte es mit Amaliel rauszugehen. »Ich brauche nur etwas Wärmeres zum Anziehen.«
Schnell holte ich mir einen wärmeren Hoodie auf meinem Schrank und zog mir nach kurzem Zögern vor Amaliels Augen meinen alten über den Kopf. Zwar hatte ich noch ein T-Shirt an, aber ich spürte seinen Blick auf mir und das Blut in meine Wangen schießen. Schon hatte ich meinen neuen Hoodie angezogen und der Moment war vorbei.
Wir schlichen nach unten, dabei war es eigentlich egal, ob uns jemand sah. Es stand uns frei, das Haus zu jeder Zeit zu verlassen.
Im Flur zogen wir uns unsere dicken Jacken und Schuhe an und ich steckte meinen Hausschlüssel in die Jackentasche. Amaliel lächelte mir schelmisch zu und wir verließen das Haus in den späten Winterabend.
Die klirrende Kälte schlug mir entgegen und sofort vergrub ich meine Hände in den Taschen. Ein sanfter Wind pustete mir eine nervige Strähne ins Gesicht, aber ich ignorierte sie.
Wir hielten etwas Abstand, denn schon nach einigen Metern kam uns ein junges Paar entgegen, das in einem Haus ganz in der Nähe wohnte. Ansonsten war es still draußen.
»Wo willst du hin?«, fragte ich, nachdem wir außer Hörweite waren.
»Irgendwohin, wo man die Sterne sieht«, antwortete er mit einem Schulterzucken und einem kurzen Blick an den dunklen Himmel.
Die dunklen Wolken, die am Tag den Himmel verdeckt hatten, hatten sich verzogen, stattdessen strahlten mir einige helle Punkte entgegen. Aber Amaliel hatte recht, die Straßenlaternen um uns herum verschmutzten unsere Sicht.
Ich nickte und führte ihn weiter die Straße entlang, vorbei an der Laterne, die im Sommer noch ausgefallen war und jetzt so stark leuchtete wie alle anderen. Einen Moment blieben wir dort stehen, unsicher, aber dann liefen wir weiter bis zu einer kleinen ungenutzten Wiese, die verhältnismäßig im Dunkeln lag. Wir hätten auch einfach zu uns in den Garten gehen können, aber ich mochte es, mit Amaliel durch die leeren Straßen zu spazieren.
Mitten auf dem Gras blieben wir stehen, wie von selbst fanden sich unsere Finger und wir hoben unseren Blick gen Sterne. Es waren viel mehr als noch vor einigen Minuten, sie strahlten uns entgegen, scheinbar zufällig über die Schwärze des Himmels verteilt, als hätte ein Maler einen Eimer Farbe verspritzt.
»Kannst du mir jetzt Orion zeigen?«, fragte ich Amaliel und trat noch einen winzigen Schritt auf ihn zu.
»Du erinnerst dich«, erkannte er mit einem glücklichen Lächeln, seine Augen schienen aufzuleuchten. Dann verließen sie mein Gesicht und huschten stattdessen suchend über den Himmel.
»Dort hinten ist er, schau.« Er drehte sich etwas nach links und hob seinen Arm, um auf einige Sterne zu deuten. Noch erkannte ich in ihnen kein Muster, also nickte ich nur und schaute wieder zu meinem Freund.
»Am charakteristischsten sind diese drei Sterne, direkt neben dem Baum dort vorne. Sie sind in einer Reihe und relativ hell, siehst du sie? Das sind die drei Gürtelsterne«, erklärte er und warf mir einen kurzen Blick zu.
Ich nickte, tatsächlich meinte ich, die Konstellation erkannt zu haben.
»Gut. Weiter unten siehst du jeweils rechts und links noch einen Stern. Das sind seine Füße. Der hellere rechts ist Rigel, das ist der Alphastern dieses Sternbilds.«
Wieder nickte ich, jetzt war es leichter, die Sterne zu finden.
»Über dem Gürtel sind noch zwei helle Sterne, Beteigeuze und Bellatrix. Das sind seine Schultern. Etwas weiter oben ist noch der Kopf. Und rechts siehst du noch ein paar bogenförmig angerichtete Sterne, da hält er einen Schild in der Hand. Und auf der linken Seite hält er seinen Arm nach oben.«
»Ich erkenne es«, flüsterte ich und tatsächlich schien es, als würden sich hauchfeine Linien zwischen den zuvor zufällig angeordneten Sternen bilden und ein Bild ergeben.
»Wirklich?« Ich musste ich gar nicht ansehen, um zu wissen, dass er strahlte.
Abermals nickte ich und spürte keine Sekunde später, wie sich zwei Arme von hinten um mich schlangen. Wohlig lehnte ich mich in seine Umarmung und genoss das Gefühl seiner Körperwärme, die mich vor der Winterkälte schützte.
»Wollen wir zurück?«, fragte ich, als mir klar wurde, dass es ihm hingegen nicht so warm sein musste.
»Okay«, antwortete er leise, machte aber keine Anstalten, mich loszulassen, sondern beugte sich vor und küsste mich auf die Haare. In dem Moment war ich doch froh, keine Mütze angezogen zu haben, auch wenn es mir meine Ohren nicht dankten.
Schließlich war ich es, der einen Schritt vortrat, damit Amaliel mich freigab. Ich wollte zurück in mein Bett und dort weiter mit ihm kuscheln.
»Es ist schön, dass du wieder da ist«, sagte ich in die Stille der Winternacht, als wir schon fast wieder bei mir zuhause waren. Erst in dem Moment begriff ich wirklich, wie wahr dieser Satz war. Seit er wieder hier war, fühlte es sich an, als wäre ein Stück meines Herzens wieder an seinem rechten Platz, genau da, wo es hingehörte.
»Glaub mir, es ist noch viel schöner, wiederhier sein zu können.« Bei seinem Grübchenlächeln konnte ich nicht mehr an michhalten und zog ihn in den Schatten unseres Hauses.
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