XXXVIII Past Is Past
Bild: Sean O'Pry as Anton
Währenddessen ergreift der Türsteher meinen Arm. „Sie haben genau drei Optionen zur Auswahl: Erstens, Sie bewegen selbst ihre hübschen Beine in Richtung Ausgang. Zweitens, ich zerre Sie mit Gewalt hinaus. Ist unschön, denn dann werden wir uns beide blamieren. Oder drittens, die Alternative zum Zerren, ich trage Sie hinaus", sagt er gehässig und verfestigt seinen Griff.
Ich werfe ihm einen sehr giftigen Blick zu. Auch wenn er nur seinen Job macht, wie kann man so vernagelt sein? Ich will doch nur kurz einen Freund suchen und keine Leuten umbringen!
Bevor ich etwas Falsches erwidere, schreitet Anton dazwischen. „Woh woh woh Fabrice, krieg dich wieder ein Alter! Dieses Wesen hier", deutet er auf mich, „gehört mir."
Dieser Fabrice lässt abrupt meinen Arm los und tritt ein paar Schritte zurück, als wäre Antons Worte ein Zauberspruch. „Na ... na ... natürlich, bei ... ei so einer hübschen Dame hätte ich es wissen müssen. Ich entschuldige mich für mein unangemessenes Verhalten vorhin", stammelt er betreten.
Ich schaue verwirrt zwischen den beiden hin und her. Hä? Warum benimmt sich der Türsteher wie ein Sklave gegenüber seinem König?
„Kein Problem. Mein Baby ist leider noch sehr unerfahren, was elegantes Reden angeht. Deswegen", er umfasst meine Taille und presst mich gegen ihn, „kommt das manchmal etwas provokativ rüber. Nimm dir das nicht zum Herzen, mein Lieber."
Ich bin provokativ? Dieses Arschloch! Am liebsten würde ich meine Ellenbogen in seine Rippen rammen, doch es ist zwischen unsere Oberkörper eingeklemmt. Menno!
Fabrice lächelt peinlich gerührt und bändigt sich anschließend einem Weg nach draußen. Sobald er außer der Sichtweite ist, schüttele ich Antons Arm ab. Die Stelle, an der seine Hand lag, brennt unaufhörlich. „Ich hätte deine Hilfe nicht gebraucht."
„Trotzdem gern geschehen, Baby. Vielleicht solltest du nächstes Mal deine weiblichen Reize benutzen, denn mit Streiten lässt dich keiner in die Bar rein", erwidert er mit einem Hauch von Sarkasmus in seiner Stimme.
„Aber weißt du was ich nicht verstehe? Egal was ich tue, du bist immer abweisend und blockst alles ab. Wieso gibst du unsere Freundschaft keine Chance?", sagt er nach einer Weile.
Weil ich Angst habe, dass ich, wenn ich mich auf dich einlasse und mich an das Leben mit dir gewöhne, nicht mehr loslassen kann. Weil ich lieber allein bin, als je wieder mit gebrochenem Herz heulend im Zimmer zu sitzen.
Ich zucke die Achseln. „Weil wir aus zwei völlig unterschiedlichen Welten stammen", sage ich träge. Eine Antwort, die sogar gehirnamputierte Personen lahm erscheinen würde.
Eine unangenehme Stille entsteht. Meine Beine sind wie angewurzelt. Aus dem Augenwinkel nehme ich auf einmal eine schwankende Bewegung wahr. Sekunden später fällt mir ein betrunkener, schon sich in Trance befindender Franz um den Hals. Er vergräbt sein Gesicht tief in meinen Haaren. „Ella, meine liebste Ella", murmelt er leise schluchzend und klammert sich wie ein kleiner Junge an mich. Liebe löst die verschiedensten Emotionen im Menschen aus. Mal schwebt man im siebten Himmel, mal wird man in die schreckliche Hölle geschickt. Ob Isabel bewusst ist, wie beschissen es Franz ebenfalls geht? Vorsichtig streichele ich Franz über den Rücken, um ihn zu beruhigen.
Antons Kiefer ist angespannt und er ballt die Fäuste zusammen. „Bist du wegen ihm hier?", fragt er zerknirscht.
Franz ganzes Gewicht lagert sich mittlerweile auf mir und ich kann mich nur mit Mühe aufrecht halten. Ohne einen anderen Ausweg kennend, bitte ich Anton um Hilfe.
„Ne, diesen Dreckskerl fahre ich nicht nach Hause, vergiss es", entgegnet er angepisst.
„Komm schon, bitte, als ein Gefallen für mich."
„Dich fahre ich gern nach Hause, aber ihn auf keinen Fall", beharrt er.
„Du verhältst dich ganz schön kindisch", stelle ich fest. Er antwortet nicht, jedoch merke ich, dass er an meinen Worten wenig Gefallen findet.
„Weißt du warum? Weil du dich in die Beziehung deiner Schwester einmischst. Ich meine, das ist supersüß von dir, dass du Isabel verteidigst. Aber sie ist 22! 22 und keine 2! Sie kann ihre Probleme selber regeln! Ich bin auch sauer auf Franz, dass er meine gute Freundin hintergangen ist. Trotzdem müssen wir lernen zu verzeihen", schlussfolgere ich. Und in dem Moment, als ich den letzten Satz gesagt habe, wird mir klar, dass ich Anton „verziehen" habe. Na ja, besser formuliert: Ich habe längst aufgehört, ihm Vorwürfe zu machen. Dass er mich in das Stella-Schlamassel reingezogen hat und mein ruhiges Leben dadurch wie vom Tornado hin und her geschleudert wurde. Die Lügen, seine Scherze und die Schimpferei sind Vergangenheit.
Anton starrt nachdenklich in die Ferne. Anschließend fährt er sich durch die Haare und blinzelt, als wäre die Realität verschwommen.
„Du treibst mich noch in den Wahnsinn", sagt er kopfschüttelnd und packt Franz an den Schultern.
Unwillkürlich muss ich breitgrinsen. So viel zum eleganten Reden. Ich kann es sehr wohl!
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Jeder Verstand besitzender Mensch kann deuten, dass Franz das Geschehene rückgängig machen will. Während der Autofahrt hat er weiterhin geschluchzt und immer wieder vor sich hin gesagt, wie leid es ihm täte, dass er das gar nicht so gewollt hätte und dass er alles bereute. Mir wird es schwer ums Herz, wenn ich meinen besten Freund so erlebe.
„Danke, Anton", meine ich ehrlich, nachdem wir Franz in sein Bett getragen hatten. Eine der Eigenschaften, die Anton unwiderstehlich macht, ist seine stetige Hilfsbereitschaft. Na gut, manchmal muss man ein wenig Überredungskunst anwenden, aber letztendlich gibt er nach.
Gespielt gerührt legt er seine Hände aufs Herz. „Wow, so abartig normal hast du vermutlich noch nie mit mir geredet."
Keine die nötige Beachtung seinem Kommentar schenkend, laufe ich hinaus ins Wohnzimmer und lege mich auf das Sofa. Anton folgt mir. „Schläfst du etwa hier heute? Bei diesem Kerl?"
„Ja! Bei meinem Kumpel schlafe ich heute. Problem damit?", erwidere ich energisch.
Er hebt abwehrend die Hände in die Höhe. „Nö. Ich würde dir aber raten aufzupassen. Man hört ja, was Männer im betrunkenen Zustand tun."
Energisch rappele ich mich auf. „Danke für deine Hilfe. Jetzt kannst du bitte gehen", sage ich matt und halte ihn die Tür auf. Er zieht eine unverständliche Grimasse und marschiert hinaus. „Tschau", murmeln wir beide gleichzeitig.
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Die direkte Begegnung mit Anton beeinflusste anscheinend mein Gehirn. Letzter Nacht habe ich weniger an ihm gedacht und konnte friedlich schlafen.
Franz isst gerade Müsli, als ich mich zu ihm geselle. Er sieht ziemlich fertig aus. Blasse Haut, dunkle Augenringe und Dreitagebart.
„Morgen. Kater?", frage ich mitleidig.
Er nickt leicht.
„Wenn du fertig bist, reden wir dann endlich?" Ich möchte die ganze zusammenhängende Geschichte erfahren.
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„Bevor du anfängst mich mit Fragen zu bombardieren: Ich werde Vater."
Mir fällt die Kinnlade runter.
„Du kennst doch Christin, die mit mir im gleichen Restaurant jobbt? Bevor ich Isabel kennengelernt habe, hatte ich einen One-Night-Stand mit ihr. Wir waren beide betrunken und wussten nicht, ob wir verhütet haben. Na ja, sie hat versprochen, die Pille-danach zu nehmen. Deswegen habe ich mir keinen Kopf gemacht. Dann bin ich mit Isabel zusammen gekommen. Und vor zwei Wochen erzählt mir Christin plötzlich, dass sie schwanger ist."
„Nein-", flüstere ich, unfähig die Wahrheit zu verdauen.
„Aber das heiß, dass du Isabel gar nicht betrogen hast. Der One-Night-Stand war schließlich vor eurer Beziehung."
„Ja schon. Doch ich kann unmöglich länger mit Isabel zusammen sein. Ich kann mich schlecht gleichzeitig um zwei Freundinnen kümmern. Das wäre vor allem Isabel gegenüber extrem unfair. Sie ist hübsch, liebevoll und warmherzig. Sie verdient jemanden, der ihr seine volle Aufmerksamkeit schenkt. Ich werde mich nun dem Titel als Vater widmen."
Ich blicke in Franz kummervolle Augen. Sein Blau hat den Glanz verloren. „Du wirst der beste Vater sein, den man sich nur vorstellen kann", versichere ich ihm.
Er lächelt gequält. Ich drücke seine Hand. „Du schaffst das."
Um diese unerwartete Wendung zu überstehen, brauchen wir Zeit und Mut.
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