XXXVII Himmelblau

Bild: Emily Didonato as Ella

Leos Hand fühlt sich winzig und weich an.

„Ella, wann ist Lena wieder da?", fragt der kleine Kerl neben mir. Ich beuge mich, um ihn in Augenhöhe zu sein. Er sieht mich mit seinen unschuldigen, himmelblauen Kulleraugen an, dass ich ihn am liebsten knuddeln möchte.

„Heute Abend", antworte ich lächelnd und stupse ihn an der Nase, „aber vorher wollen wir Schoko-Muffins backen, oder nicht?"

Leo nickt eifrig den Kopf. „Doch!!!!!!!"

Ich grinse breit. „Na dann los!" Ich richte mich ruckartig auf und sprinte mit ihm Hand in Hand zum Supermarkt, um die Zutaten einzukaufen.

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... Zuerst Mehl mit der Fett-Eier-Masse verrühren, dann die flüssige Schokolade hinzufügen ...

„So, fertig! Jetzt müssen wir in jedem von diesen Papierförmchen zwei Löffeln Teig geben, willst du das machen, Leo?"

„Jaaa!", ruft er enthusiastisch. Ich reiche ihm den Löffel. Einen Blick auf die Uhr werfend, stelle ich fest, dass es langsam Zeit fürs Abendessen wird. Deshalb setze ich Wasser auf, um ein paar Nudeln zu kochen.

Für einen fünfjähriger macht Leo seine Arbeit erstaunlich gut. Sowohl sein T-Shirt als auch der Boden bleiben vom Kleckern-werden verschont. Zur Belohnung erlaube ich ihn, die restliche Zeit bis zum Abendessen fernzusehen. Ich weiß, dass ich anstrengend bin. Aber kleine Kinder dürfen und sollen nicht so viel fernsehen, weil das den Augen schadet. Mein Cousin zum Beispiel ist erst in der zweiten Klasse und hat schon Brillenstärke -4,0. Der Grund: Zu viel ferngesehen und Handy gezockt.

Leo hüpft freudig auf und ab und schaltet sofort SpongeBob an. O Mann ... ich kann und will mir nicht vorstellen, dass ich diese Sendung ebenfalls mal gemocht habe. Sie ist doch sooo langweilig! Unverständlich schüttele ich bei dem Gedanke den Kopf und schiebe die Muffins in den Ofen.

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Nachdem wir unsere Bäuchlein mit Nudeln und Schoko-Muffins vollgeschlagen hatten, helfe ich Leo beim Legos-Zusammenbauen. Ich muss gestehen, dass die Zeit, die ich mit Leo verbringe, eine ganz gute Ablenkung gegen mein Gefühlschaos ist. Sonst schwirren mir Isabel und Anton ständig durch den Kopf. Ich hab einfach keine Ahnung, was ich nun, nach Isabels Geständnis, von den beiden halten soll. Es war schön zu hören, dass Anton nicht die Absicht hatte, mich auszunutzen. Dafür aber seine Schwester. Aber warum? Den Grund „ich-war-verliebt-und-sah-deshalb-alles-durch-rosarote-Brille" kann ich schwer nachvollziehen.

Abgesehen davon bedeutet es irgendwie, dass Anton null Interessen an mir hat. Die Verkupplungsaktion kam von seiner Schwester und er hat wahrscheinlich aus Spaß mit gemacht.

Na toll. Er hatte nun seinen Spaß und ich meine komischen Gefühlen. Wenigstens haben wir beide etwas bekommen, was?

Die Haustür wird aufgerissen und eine müde Lena stolpert herein. „Ich bin wieder daaa!", ruft sie. Sofort rappelt sich Leo auf und stürmt zu seiner großen Schwester. „Leniii!!!"

Lena tätschelt ihm liebevoll über den Kopf. „Na mein kleines Brüderchen, warst du in den zwei Tagen gaaanz lieb zu der Ella?"

„Hm."

Lena sieht fragend zu mir. „Klaro, unser Leo ist immer super duper brav", bestätige ich, „aber jetzt ab ins Bett."

Er schmollt, verfolgt aber anschließend doch meiner Anweisung.

Als ich aus Leos Zimmer komme, sitzt Lena am Esstisch und schaufelt Nudeln in sich hinein. Ich gehe zum Kühlschrank und nehme eine Flasche Wasser heraus. „Hier", reiche ich es ihr. „Danke, Süße", nuschelt sie.

„Und wie war's?", frage ich und setze mich ihr gegenüber. Sie und Lorenzo sind für zwei Tage nach Europa-Park, also die größte Freizeitpark Deutschlands, gefahren.

Mampfend antwortet sie: „Esch war schoo toll, wir müschen da unbedingt mal zuschammen hin."

„Mal schauen, du weißt ja, dass ich es nicht so mit Freizeitparks habe."

„Egal! Dort gibt es so viele verschiedene Sachen. Du muss dir ja nicht grad die steilste Achterbahn aussuchen, obwohl sie echt cool ist."

„Wo ist denn Lorenzo?", wechsele ich das Thema.

Sie zuckt die Achseln. „Keine Ahnung. Er meinte, dass er sich nach etwas umgucken muss und später erst kommt."

Ich nicke. Eine Weile lang reden wir noch bis ich mich verabschiede.

Auf dem Weg zur U-Bahn klingelt mein Handy. Der Anruf ist von Franz, was mich sehr überrascht. In den vergangenen zwei Wochen war er wie vom Erdboden verschluckt. Ich hebe ab und höre unverständliche Laute. „Franz?"

Minuten vergehen und er sagt nichts.

„Franz, wo bist du?", frage ich ruhig. Er legt auf. Ich blicke fassungslos auf den Bildschirm. Verdammt! Plötzlich zeigt mein Handy eine Nachricht an. Franz hat mir eine Adresse geschickt. Endlich scheint er mit mir reden zu wollen.

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Nach einer zwanzigminütigen Fahrt erreiche ich eine ziemlich noble Bar. Ich betrachte das schwarze Gebäude von außen bis mir einfällt, dass ich da vielleicht gar nicht rein darf. Denn ich bin noch keinen 18 Jahre.

Mist! Ich wähle Franz Nummer - Anrufbeantworter. Ich verdrehe genervt die Augen. So was passiert immer dann, wenn man denjenigen dringend braucht.

Ich beschließe einen Versuch zu wagen, auch wenn mir der muskulöse Türsteher ein wenig Angst einjagt. Mit einer selbstbewussten Haltung steuere ich auf den Eingang zu.

„Kundenkarte bitte!"

„Ähm ...", stammele ich nervös. Boah Ella, du lässt dich aber auch schnell einschüchtern oder?!

„Tut mir leid. Nur exklusive Gäste mit VIP-Karten können hier rein, sonst nein", sagt der Türsteher hochnäsig. Blödmann. Am liebsten würde ich ihm ins Gesicht spuken.

„Mein Kumpel ist da drin", entgegne ich zuckersüß.

„Tut mir leid, Ihr Kumpel sind leider nicht Sie", erwidert er in einem abschätzigen Ton, so im Sinne von „Du siehst null VIP aus". Ich werfe ihm einen wütenden Blick zu.

„Sie haben da an der Hose etwas Rotes, Schleimiges", sage ich gespielt angeekelt und zeige darauf. Er schaut sich panisch um. „Wo? Wo?"

Ha! Ich hab seinen Schwachpunkt gefunden!

Ich zeige in unbestimmten Richtungen. Er fummelt aufgeregt an seiner Hose „Na da oben! ... bisschen zur Seiten ... weiter nach unten ..."

Mein Ablenkungsmanöver funktioniert. Die Aufmerksamkeit des Türstehers gilt nun voll und ganz seiner Hose. Was für ein dummer Kerl.

Weiterhin sprechend gehe ich rückwärts an ihm vorbei. Als ich beinahe drin bin, hebt er auf einmal seinen Blick. „Was zum Teufel?!"

Ohne an die Folgen zu denken beginne ich zu rennen. Er folgt mir dicht hinterher. „Sofort stehenbleiben, du Miststück!"

Ah super. Langsam gewöhne ich mich daran, so vulgär bezeichnet zu werden. Und dann laufe ich in jemanden hinein, dessen Geruch mich jedes Mal wie ein Seidentuch umhüllen, sodass ich kaum was anderes wahrnehmen kann außer

ihn.

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