XXVIII Unerwünschte Gefühle
Bild: Elle Fanning as Enni
Anton verbringt seinen Samstagnachmittag lieber mit mir ... anstatt mit Freunden? Wie unrealistisch dieser Gedanke doch ist.
Unruhe wächst in mir auf. Plötzlich habe ich schreckliche Gewissensbisse, weil ich das Gefühl habe, Anton mit meinen Problemen belästigt zu haben.
Mein Kopf schreit nach Ablenkung, denn seit Tagen geht mir unsere Verabredung nicht aus dem Kopf. Einerseits bin ich nervös, weil er gewisse Gefühle in mir weckt, die ich schon lange nicht mehr hatte. Andererseits bin ich angewidert von seinem Verhalten. Er kann nett sein, ohne Zweifel ... Aber zum größtenteils ist er eben dieser Arschloch, von dem ich echt langsam genug habe.
Seufzend blicke ich auf mein Notizbuch herab. Ich sollte mich wohl wieder an die Hausarbeit machen.
Deutsch ... Analyse des Gedichts ... hab ich gemacht. Latein ... Übersetzung der Geschichte ... hab ich. Bio ist auch erledigt. Es bleibt also nur noch Englisch. Ein Newspaper Report über ein beliebiges Thema der Politik oder Wirtschaft.
Nach einer Weile Grübeleien fällt mir endlich etwas Gescheites ein: „Kunstschnee für die Skigebieten". Wegen der Klimaänderung auf der Erde schneit es in den Bergen viel weniger als früher, das ist schlecht für den Tourismus in den Skigebieten. Deshalb werden riesigen Kanonen zum Erzeugen von künstlichem Schnee eingesetzt, das ist wiederum nicht gut für die Umwelt.
Hm. Darüber könnte ich schreiben. Eifrig klappe ich meinen Laptop auf, mache das Word-Programm auf und fange an zu tippen.
Stunde später bin ich fertig. In den sprachlichen Fächern habe ich eindeutig weniger Probleme als in den naturwissenschaftlichen. Zufrieden gehe ich meinen Text noch einmal durch und drücke anschließend auf „Drucken".
In dem Moment klopft es an meiner Tür. Ich löse meinen Blick vom Bildschirm und drehe mich um. „Ja?"
Die Tür wird einen Spalt weit geöffnet. „Darf ich reinkommen?", fragt meine kleine Schwester. Nanu? Seit wann so höflich?
Ich nicke. Sie tritt ein und schließt die Tür hinter sich. Dann setzt sie sich auf meinem Bett.
Sie lächelt mich zuckersüß an, dabei bilden sich auf ihrer Wange zwei Grübchen. Ich mustere sie argwöhnisch. Was kommt denn jetzt?
„Schwesterherz. Du siehst heute hübsch aus", meint sie.
Nicht Gut.
Ich runzele die Stirn und blicke auf mich hinunter. Wie immer trage ich ein Jeans und ein stinknormales, langärmliges T-Shirt.
Ihre Komplimente bedeuten so viel wie: Ich habe Bedürfnisse und brauche deine Hilfe.
Ich verdrehe die Augen. „Raus mit der Sprache, Enni. Was willst du?"
Sie fasst sich am Herz und flüstert gespielt verletzt: „Wieso denkst du, dass ich etwas von dir will? Ich wollte nur mal mit dir plaudern. So ein richtiges Schwester-Schwester Gespräch, weißt du?"
Haha, als ob. Nicht das ich lache. Glaub mir, Enni ist und wird nie eine Person zum Plaudern sein. Wer sich mit ihr unterhält, wird nie zu Wort kommen können, denn Enni plappert wie ein Wasserfall.
Ich werfe ihr einen ich-glaub-dir-kein-Wort Blick zu.
Sie schmollt. „Na gut, Klugscheißerin. Du hast mich durchschaut. Kannst du mir bitte bitte fünfzig Euro ausleihen?"
Ohne zu zögern verneine ich. „Darf ich dich erinnern, dass du mir noch fünfzehn Euro schuldest, Fräulein?"
Sie steht vom Bett auf und tritt zu mir über. „Bitte!", bettelt sie und umklammert mit den Fingern meinen Arm.
Ich halte ihr meine offene Hand vor die Nase. „Erst die fünfzehn Euro, dann reden wir weiter. Fünfzig sind aber sowieso zu viel."
„Vierzig?"
„Nein."
„Dreißig?"
„Nein."
„Zwanzig? Komm schon, Ella! Du gibt's dein Geld eh nicht aus!"
„Zwanzig wäre okay. Aber erst die fünfzehn Euro zurück." Ich bleibe genauso hartnäckig wie sie.
Empört sieht sie mich an. „Warte kurz." Sie lässt meinen Arm los und rennt in ihr Zimmer. Daraufhin kommt sie mit einem Paar ihrer geliebten High Heels zurück und drückt sie mir in die Hand.
„Hier, als Pfand. Nächste Woche gebe ich dir alles zurück", knurrt sie schlecht gelaunt. Ich schaue verdutzt auf die Schuhen. Pfand? Bin ich zu weit gegangen? Mein Herz wird weich. Ich greife seufzend nach meinem Portemonnaie und ziehe fünfzig Euro heraus.
„Hier."
Ihre Miene hellt sich auf und sie fällt mir fröhlich um den Hals. „Danke danke danke, Ella! Du bist die beste Schwester auf der ganzen Welt!"
Abermals verdrehe ich die Augen, schließlich muss ich doch grinsen.
„Sag mal, was willst du eigentlich mit so viel Geld?", frage ich und beäuge sie kritisch.
„Björn hat übermorgen Geburtstag. Wir sind wieder zusammen und ich will ihm etwas schenken", erzählt sie fröhlich.
Björn? Der Typ mit der kaputten Kneipe? (siehe Kap. „Mission Enni" & „Erinnern")
Ich sehe Enni besorgt an. „Ist er wirklich gut für dich?"
Sie zuckt nur die Schultern. „Keine Ahnung. Er will Spaß, ich will Spaß ... Wir sind auf einer Wellenlänge. Das ist cool."
Ich stoße einen tiefen Luftzug aus. „Pass auf dich auf, ja?"
Ich mache mir ehrliche Sorgen um meine kleine Schwester. Immerhin ist dieser Björn drei oder vier Jahre älter als sie. Was ist wenn er sie zum Sex oder zum Drogen-konsumieren zwingt? Bei diesem Gedanke überläuft mir einen Schauer. Bitte, lass niemand ihr wehtun. Ich könnte es nicht ertragen, Papa und Mama genau so wenig.
„Mann, du redest ja genauso wie Mama! Deswegen ... gehe ich jetzt lieber mal." Sie steuert auf die Tür zu.
„Denk an das Geld!", rufe ich ihr hinterher.
Sie schlendert aus meinem Zimmer. „Ja!", erwidert sie energisch.
Wann wird sie endlich vernünftig?
Mit einem Blick auf die Uhr stelle ich erschrocken fest, dass es schon 13.45 Uhr ist.
Anton ... Ich werde ihn in weniger als zwei Stunden zu Gesicht bekommen.
O Gott. Mir geht's so seltsam.
Als ich das erste Mal bei ihm zu Hause war, da herrschte in meiner Welt noch eine völlige Ordnung. Ich war das Mädchen, das in einem Universum ohne Gefühlsduseleien lebte. Liebe und Beziehungen, beiden Begriffe sind aus meinem Wortschatz gestrichen worden. Einzig und allein die Familie, die Schule und die Freunde existierten.
Nun, drei ereignisreichen Wochen später, spielen sich die verschiedensten Gefühle in mir ab: Aufgeregtheit, Panik, Nervosität, Neugier ... und sogar ein wenig Freude. Das alles wegen Anton, der Junge, der sich kaum merkbar in meinen Kopf geschlichen hat. Und meinen Verstand ungewollt beeinflusst.
Mag ich- ‚Gefälschte Beziehung = Gefälschte Erscheinung. Vergiss das niemals', fällt mir mein Unterbewusstsein mahnend ins Wort.
Aber-
‚Kein aber! Willst du wieder verletzt werden? Und dazu von einem Jungen, der jeden Tag Sex mit einer anderen hat?'
Nein, will ich nicht.
‚Gut. Dann verbanne ihn aus deinem Kopf.'
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