XXVI Gegen mich

Aufmerksamkeit. Entweder man hasst sie oder man liebt sie. Bis vor kurzem habe ich sie geliebt. Die gute Aufmerksamkeit. Ich, am Schuljahresende, als beste Schülerin, auf der Bühne stehend, alle klatschten. Meine Mitschüler platzten fast vor Neid und sahen mich bewundernd an. Meine Eltern waren unglaublich stolz auf mich.

Doch im Moment verabscheue ich sie einfach. Die böse Aufmerksamkeit. Nie hätte ich gedacht, dass man mich eines Tages als Schlampe bezeichnen würde. Die endlosen Streite mit Anton waren alle unnötig gewesen. Noch hat niemand von unserem Geheimnis mitbekommen und ich bin trotzdem ein für alle Mal unten durch.

Die letzten Tage waren einfach die Hölle, tausendfach schlimmer als die Klausurwoche. Und was mich echt ankotzt, ist, dass Anton sich PRÄCHTIG zu amüsieren scheint, während ich leide.

Wie er da vorne sitzt und sich mit einem rothaarigen Mädchen unterhält. Ständig dringt Gekicher in mein Ohr. Was ist bitteschön so witzig? Vor Wut würde ich Anton am liebsten in die Eier treten. Zum Glück besitze ich noch genug Verstand, das nicht zu tun. Stattdessen schlage ich mit der Faust auf dem Tisch. Wohl bisschen zu laut, denn schlagartig drehen sich ihre Köpfe in meine Richtung. Scheiße, jetzt sieht er, dass ich ihn beobachtet habe! So selbstverliebt wie er ist, macht er später bestimmt Witze über mich. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken, doch als mein Blick an dem Mädchen hängenbleibt, weiten sich meine Augen vor Überraschung. Nun ja ... Das Mädchen ist keine geringere als Lena. So was nennt man also beste Freundin. Verbündet sich mit MEINEM Feind. Sie weißt genau, wie es mir in den letzten Tagen ging. Einfach nur beschissen.

Seit der „ach so echten" Beziehung von mir und Anton ans Licht kam, gibt es um mich keine Ruhe mehr. Ich frage mich immer noch, wer diesen Klatsch verbreitet hat. Es besteht eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat Stella das ausgeplaudert oder Anton. Ich tippe eher auf Stella.

Überall, wo ich bin, werde ich verhasst angeschaut. Die Mädchen stecken die Köpfe zusammen und schimpfen, was das Zeug nur hält. Natürlich extra laut, damit ich es jaaa nicht überhöre. Ich ignoriere alle, wie es nur geht. Doch bei manchen Wörtern wie „Hure" oder „hässliche Kuh" spüre ich, wie mir Tränen hochkommen. Jetzt bloß nicht anfangen zu weinen!, ermahne ich mich mehrmals. Das ist genau das, was sie sehen wollen.

Über Anton verlieren sie dabei natürlich nur gute Worte. Von wegen „Bei seinem Aussehen hat er jemand viel Besseres verdient" oder „Mein armes Baby, muss sich mit so einer hässlichen Schlampe abgeben. Ich wette, er tut das nicht freiwillig".

Andersrum, Mädchen. Nicht DEIN BABY tut das nicht freiwillig, sondern ICH, die „hässliche Schlampe".

Dass die Mädchen damit nicht klarkommen, kann ich schon ein wenig verstehen. Anton sieht wirklich nicht schlecht aus und hat, hoffe ich jedenfalls, bestimmt eine nette Seite. Aber was ich absolut nicht nachvollziehen kann, ist, wie die Jungs reagieren. Sie betrachten mich anscheinend als eines der Betthäschen Antons und wollen mich ... naja ... flachlegen. Manche machen es ganz direkt: „Ey Kleine! Lust auf'ne Runde Spaß? Gleich hier auf Klo?" Beim ersten Mal war ich sehr geschockt, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt und gehe dann in die entgegengesetzte Richtung.

Jedoch gibt es auch ganz ungewöhnliche Aktionen ... Bei denen ich wirklich nicht weiß, ob ich lachen oder weinen soll. Eine davon stammte von Erik, ein pummeliger Junge aus meinem Lateinkurs. Er ist extrem unhygienisch. Seine Klamotten haben immer Fettflecken und an seiner Zahnspange hängen Speisereste, das ist sooo eklig. Ich mag ihn überhaupt nicht. Aber ganz ehrlich, welches Mädchen würde so einen Typen mögen?

Vorgestern lud er mich überraschenderweise auf ein Mittagessen ein, wo doch alle aus unserem Jahrgang wussten, wie geizig Erik ist. Aber ich wollte nicht unhöflich sein. Wir gingen also zu McDonald's. Er kaufte mir einen Hamburger und Cola. Zuerst aßen wir schweigend. Dann fing er an, mir von seinem Vorhaben zu erzählen: „Also ... Ella ... Du ... bist ... wirklich nett ... und ich bi ... bitte dich ... e ... es ... mit mir ... zu tun." Ich verschluckte mich. Ungläubig habe ich ihn angesehen und bin nach einem „Spinnst du Erik? Wie kannst du mich nur um so etwas fragen?!" gegangen. So ein Perverser! Er will Sex? Okay! Dann soll er sich bitte doch erst einmal waschen und ordentliche Klamotten anziehen. Sonst kriegt er NIE ein ab! Es sei denn ... er findet ein Mädchen, das genau so eklig ist wie er.

Selbst jetzt, zwei Tage später, spüre ich bei dieser Erinnerung Würgreiz. Ich habe es nicht Lena erzählt, weil das so furchtbar peinlich ist!

„Frau Frank? Würden Sie kurz mit mir mitbekommen?" Die Stimme einer bekannten Person reißt mich aus meinen Gedanken. Ich hebe meinen Blick und sehe meine Mathe Lehrerin an der Tür unseres Oberstufenraums stehen. Wie der Name schon sagt, steht dieser Raum für die Oberstufe zur Verfügung, wenn wir Freistunden haben, was ziemlich oft vorkommt. Kurz nicke ich und packe meine Sachen zusammen.

Anschließend gingen wir in das Lehrerzimmer. „Setzen Sie sich", deutet Frau Eichhorn auf den Stuhl ihr gegenüber. Ich gewöhne mich noch nicht ganz, gesiezt zu werden. Bis zu der zehnten Klasse wird man ja immer nur geduzt und das Siezen fängt erst in der Oberstufe an.

Ich lächele höflich und setze mich. „Also Sie wollen mich sprechen?"

„Ganz genau, Frau Frank. Es geht um Ihre Mathe Note. Sie sieht bisher nicht gut aus. Eigentlich ist eine Verschlechterung völlig normal. Sie sind gerade erst in die Oberstufe gekommen und müssen sich natürlich erst einmal gewöhnen. Aber Ihre Note haben sich zu massiv verschlechtert. Um genau zu sein, von einer Eins auf eine Vier. Tut mir wirklich leid Ihnen das sagen zu müssen. Aber ich will nur das Beste für Sie, deshalb rate ich Ihnen, dringend Nachhilfe oder Ähnliches zu nehmen. Die Stoffe werden nämlich nicht leichter."

Ach du scheiße ...! Ich will keine Nachhilfe! Meiner Meinung nach ist sowas nur für dumme Schüler.* Liegt wahrscheinlich daran, dass ich noch nie schlechte Noten bekommen habe und deshalb auch nie Nachhilfe gebraucht hatte.

*(Eine kleine Bemerkung von der Autorin: Natürlich ist Nachhilfe nicht für dumme Schüler. Aber ich muss das in dieser Szene so darstellen, sonst läuft die Handlung nicht glatt. Also nehmt mir das bitte nicht übel :) )

„Ist denn eine Nachhilfe wirklich nötig? Ich bin eigentlich ein ganz guter Selbstlerner", frage ich bedrückt.

„Das weiß ich, Frau Frank. Aber ich finde trotzdem, dass Sie sich Hilfe holen sollen. Es kann auch eines ihrer Mitschüler sein."

Was in aller Welt ist nur los?! Sind die Lehrer jetzt auch gegen mich? Ich habe nämlich das Gefühl, dass Frau Eichhorn Anton als eines meiner Mitschüler meint. Haben sie sich etwa vorher abgesprochen?! (Wer sich nicht mehr erinnert: Am Ende des Kapitels „Verstummen" hat Anton Ella vorgeschlagen, bei ihm Mathe nachzuholen.) Ich würde jetzt am liebsten losschreien.

„Ich werde es mir überlegen. Danke, Frau Eichhorn", bringe ich zwischen zusammengepressten Lippen hervor und verlasse den Raum.

Wutentbrannt stampfe ich zurück in den Oberstufenraum. Mein Blick schweift über die Menge. Kein Anton.

Schließlich finde ich ihn auf dem Hof. Bei seinen „ach so tollen" Freunden. Ich steuere geradewegs auf ihn zu, packe ihn am Handgelenk und ziehe ihn hinter mir her.

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