XLIII Vertrau mir.
Eine gefühlte Ewigkeit umarmen wir uns. Ich genieße es, in seiner Nähe zu sein. Schließlich löst er sich von mir und lehnt sich ein Stückchen zurück. Er verschränkt die Arme vor der Brust und betrachtet mich eingehend. Sein Mund verzieht sich währenddessen zu einem dümmlichen Lächeln.
„Was?!", frage ich ein wenig peinlich gerührt. Er schüttelt den Kopf und lacht leise. „Nichts."
Ich verdrehe die Augen. Er öffnet die Autotür und steigt aus. Anschließend kommt er herum, um mir die Tür aufzuhalten. Er streckt mir eine Hand entgegen. Ich ergreife sie. Sobald meine Füße die Straße berühren, zieht er mich mit Schwung an sich. Ich pralle gegen seine Brust. Gleichzeitig höre ich die Tür zuknallen. Er streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ab jetzt gehörst du mir. Du wirst das einzige Mädchen an meiner Seite sein. Und, nicht zu vergessen natürlich, ich der einzige Junge an deiner Seite." Er haucht mir einen Kuss auf die Stirn, nimmt meine Hand und marschiert in Richtung Eingang. Ich blicke verdutzt umher.
Okay, seine besitzergreifende Art ist manchmal ein wenig übertrieben, gebe ich zu.
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Man muss anerkennen, dass der Veranstalter der Halloweenparty sich ziemlich viel Mühe gegeben hat. Draußen im Garten liegen mindestens fünfzig hübsch geschnitzte Kürbisse, die von Teelichtern beleuchtet werden, herum. Das Haus, oder besser die Villa, hat insgesamt vier Stockwerken. Eine Terrasse mit Lichterketten umrundet das oberste Stockwerk. Wir betreten den Eingangsbereich und gelangen durch eine Nebentür in den Keller, wo die Party bereits in vollem Gange läuft. Ich staune nicht schlecht, als mir auffällt, dass dieser Keller wohl extra für Partys eingerichtet worden ist. Es gibt eine Bar, eine Musikanlage, hinter der ein DJ steht, eine riesige Fläche zum Tanzen und mehrere Sitzgruppen. Ich erkenne trotz der schwachen Beleuchtung viele meiner Kurskameraden, manche verkleidet, manche nicht. Ein paar, die an uns vorbeigehen oder uns bemerken, werfen mir undefinierbare Blicke zu. Die schon leicht Angetrunkenen lallen irgendwelchen Mist.
„Komm, ich stelle dir Moritz vor. Das ist seine Party", brüllt Anton mir über die laute Musik hinweg zu und schiebt mich weiter in den hinteren Bereich des Kellers, wo das Paradies jedes Jungen ist. Dort befinden sich nämlich Billardtische, Kickers und Play-Stations, die an riesigen Flachbildfernsehern angeschlossen sind.
Bei dem Anblick, wie Anton jeden vertraulich mit einem Handschlag begrüßt, wird mir erst klar, wie verschlossen ich eigentlich bin. Ich grüße Bekannten so gut wie nie. Ich seufze innerlich zustimmend.
Jap, Anton hat definitiv Recht. Ich sollte offener werden.
An dem Billardtisch, an dem zwei Typen gegeneinander spielen, bleiben wir stehen. Anton entschuldigt sich für die kurze Unterbrechung und zeigt auf den dunkelhaarigen Typen, der ein weißes Polo-Shirt, das seinen Bizeps ziemlich gut betont, und Jeans mit Fransen trägt.
„Ella, das ist mein bester Freund Moritz."
Ich schenke ihm mein nettestes Lächeln und strecke eine Hand aus. „Freut mich, dich kennenzulernen, Moritz."
Er legt sein Queue zur Seite, verschränkt die Arme vor der Brust und mustert mich kritisch.
Nein, er checkt mich grad doch nicht ernsthaft ab ... Ich dachte, dass das nur Mädchen tun ...
„Mir gefällt so etwas nicht", sagt er abschätzig. Abrupt lasse ich die Hand sinken und zucke zurück. Bedrückt schaue ich zum Boden. Ganz toll gemacht, Ella, dich scheint ja jeder zu mögen. Plötzlich höre ich ein schallendes Lachen. Moritz fällt mir um den Hals und umarmt mich freundschaftlich.
„Wir sind in keinem Meeting, sondern unter uns. Müssen wir uns da so ernsthaft begrüßen wie Geschäftspartner?!"
Ich schmunzele kopfschüttelnd. Er strahlt Unbekümmertheit aus, die ich toll finde. „Hast Recht. Ich heiße Ella." Anton legt mir einen Arm um die Schulter und fügt betont hinzu: „Meine Freundin." Zum x-ten Mal an diesem Tag fließen Hitzewellen durch meine Glieder. Mein Herz jubelt aufgeregt. Antons Freundin. Diese Bezeichnung hört sich seltsam gut an.
Moritz hebt kapitulierend die Arme hoch. „Jaja, Kumpel, keine Sorge, ich klau dir schon nicht deine Herzallerliebste. Es sei denn ... "
Ich sehe Anton ihm einen bitterbösen Blick zuwerfen, woraufhin er sofort verstummt und die Augen verdreht. Anschließend verabschiedet sich Anton kurz, um Getränke zu holen. Moritz wendet sich wieder mir zu. „Also so ernst habe ich ihn noch nie mit einem Mädchen meinen sehen."
„Ehrlich?", erwidere ich mit einer unnormal hohen Stimme und werde verlegen.
„Hm", bestätigt er schulterzuckend.
Schließlich wird er zum Weiterspielen gedrängt. Er wollte mich nicht alleinlassen, aber nachdem ich ihm tauschende Male versichert habe, dass das wirklich okay sei, gab er auf und spielt weiter. Eine Weile lang schaue ich zu, auch wenn ich nicht viel Ahnung von Billard habe. Zwischendurch beobachte ich immer wieder Moritz. Er ist auf seiner Art und Weise attraktiv. Groß, schlank, hochgegelte Haare, schokobraune Augen und Dreitagebart. Wen wundert's? Mir ist aufgefallen, dass Antons Freundeskreis nur aus gutaussehenden Menschen besteht. Und diese Feststellung ist deprimierend. Denn ich meine, nicht jeder wird so gute Genen vererbt. Was nicht heißen soll, dass ich meine Eltern hässlich finde. Es könnte halt besser sein.
Okay, das war gemein. Tut mir leid, liebe Papa und Mama!
Aber zurück zum Thema Moritz. Seine Gesichtszüge erinnern mich an irgendjemanden. Ich komme bloß nicht drauf, wer es sein könnte.
Dann bemerke ich sie aus dem Augenwinkel. Ihr ekelerregendes Parfüm steigt mir schon in die Nase, obwohl sie mindestens drei Meter von mir entfernt ist. Sie hat sich mit ein paar in Mini-Röcken gekleideten Mädchen unterhalten, bevor sie auf Moritz zusteuert. Mich nimmt sie beim Vorbeigehen nicht wahr. Ich atme erleichtert aus. Doch sobald ich die beiden zusammenstehen sehe, trifft mich der Schlag. Die Ähnlichkeit ihrer Gesichter gibt mir eine Vorahnung, in welchen Verhältnissen sie zueinanderstehen könnten. Ich verfluche die Welt für ihr Klein-Sein.
Ich beobachte, wie Moritz etwas zu Stella sagt, die sich darauf umdreht und mir direkt in die Augen schaut. Reflexartig gucke ich weg. Mist. Ich kann ihren Abscheu vor mir ziemlich stark spüren.
Sie nähert sich mir. Ich wusste, wenn ich nicht wegginge, würde der Abend in eine Katastrophe enden. Die Tatsache, dass ich bleiben will, obwohl ich Partys verabscheue, überrascht mich selbst. Ich habe ehrlich Spaß. Zugegebenermaßen ist das die erste Party seit langem, die ich genieße und auf der ich Spaß habe.
„Verschwinde hier, Miststück."
Warum? Ich hab genauso wie die anderen das Recht, hier zu sein. Vielleicht wurde ich nicht direkt von Moritz eingeladen, dennoch hat er mich herzlich willkommen geheißen.
„NEIN." Meine Stimme zittert, klingt aber dennoch entschlossen.
Sie funkelt mich böse und ich hab den Verdacht, dass sie mich am liebsten auf der Stelle erwürgen würde.
„Stella."
Antons Erscheinen lässt meine Nervosität verebben. Meine Schulter sacken nach unten und ich stoße einen erleichterten Luftzug aus. Ich hasse es, mich mit Stella auseinandersetzen. Einerseits tut sie mir schon ein wenig Leid, weil ihre Gefühle nicht erwidert werden. Andererseits kann man Liebe auch nicht erzwingen. Ihre verzweifelten Versuche, mich runterzumachen, um Anton zurückzugewinnen, sind völlig absurd und sinnlos. Entweder hat Anton noch Interessen an ihr oder nicht. Und sie müsste Anton gut genug kennen, um zu wissen, dass er in Sache Mädchen sehr „experimentierfreudig" ist.
Wem sagst du das, Ella? Eines Tages, wenn Anton genug von dir hat, wirst du genau wie Stella fallengelassen. Verärgert beiße ich mir auf die Unterlippe. Verdammt. Ich denke wieder zu viel.
Stella lächelt im Nu ein zuckersüßes Lächeln auf und wirft die Haare zurück. „Schatz, da bist du ja endlich!" Und fällt Anton um den Hals. Ich runzele die Stirn. „Stella, hör auf", sagt Anton genervt. Als sie das nicht tut, deutet er mir, die Getränke, die er in den Händen hält, abzunehmen. Anschließend umfasst er ihre Schulter und drückt sie zurück. „Stella, bitte. Lass so etwas in der Zukunft sein." Entnervt fährt er sich durch die Haare. Dann nimmt er meine Hand und sagt leise: „Komm." Unsere Füße setzen sich in Bewegung.
„WENN DU EIN MANN BIST, ANTON, DANN BLEIB STEHEN UND HÖR MIR ZU!", brüllt Stella. Doch Anton ignoriert ihre Worte und läuft weiter. Mich überkommt eine Welle des Mitleids. Ihr scheint Anton wirklich sehr am Herzen zu liegen. Ich meine, wenn ich meinen Ex-Freund noch lieben würde, der aber schon eine neue Freundin hat, dann würde ich ihm niemals nachrennen. „Anton, Stella will dir was sagen und-"
„Es interessiert mich nicht", schneidet er mir das Wort ab und beschleunigt seine Schritte. Ich muss ein wenig rennen, um mitkommen zu können.
„ICH LIEBE DICH!"
Ich erstarre bei Stellas Geständnis. Mittlerweile haben alle von unserem Theater mitgekriegt. Weil es hier hinten im Spielbereich keine Musik gespielt wird und uns alle schweigend beobachten, höre ich, dass Stella angefangen hat, zu weinen.
„Anton!" Ich versuche ihn zum Stehenbleiben zu bewegen, da ich finde, dass Stella eine Antwort verdient hat. Meiner Meinung nach verdient jedes Mädchen bei so einem Geständnis eine Antwort, egal ob positiv oder negativ. Dieser Satz ist zu bedeutungsvoll, um ignoriert zu werden.
Er beachtet mich nicht. Ich seufze aussichtslos. Klar verstehe ich, dass er jeglichen Kontakt mit Stella vermeiden will. Dennoch hätte er vielleicht die unangenehme Situation von vorhin umgehen können, indem er einfach normal mit Stella gesprochen hat.
Der Abend endet doch katastrophal, was hätte ich sonst erwartet.
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„Herrgott Anton, was bist du denn für einen-"
„Arschloch? Dreckskerl? Tu mir bitte ein Gefallen, Ella: Halte dich einfach aus dieser Sache heraus. Kapierst du denn nicht, dass Stella mit allen Mitteln versucht, uns auseinanderzubringen? Erst diese Hetzerei in der Schule gegen dich, eben dieses heuchlerische Getue in der Öffentlichkeit, um Mitleid zu kriegen. Sie will, dass DU mich freiwillig verlässt-"
Empört unterbreche ich ihn: „Vielleicht hast du Recht. Aber es ist mir egal, was sie heimlich zu erreichen plant. Ich weiß nur, dass dein Verhalten vorhin ihr gegenüber verdammt feige und kindisch war."
Er drückt mich gegen seinen Wagen. Seine Augen funkeln vor Wut. „Willst du mich überhaupt?"
Einen Moment lang starre ich ihn ungläubig an. Hä? Hab ich irgendetwas verpasst? Was ist das für eine Frage? „Ernsthaft?", erwidere ich belustigt. Doch dann wird mir bewusst, worüber er hinauswill. Meine Miene verfinstert sich. „Wechsel-"
„Antworte", knurrt er.
Eigentlich dachte ich, dass ich bei dieser Frage sofort ja sagen würde. Es wäre auch die Wahrheit. Aber nun, nachdem ich gesehen habe, wie er Stella behandelt hat, überkommt mich Zweifel. Sicherlich ist Stella eine falsche Schlange. Ich würde auch nie mit ihr befreundet sein wollen, geschweige denn das zu sein. Trotzdem. Ist Anton all seiner Ex-Freundinnen gegenüber so kalt und ignorant? Werde ich ihn eines Tages auch so erleben?
„Ich weiß nicht, ob ich dich will", platzt es aus mir heraus. Ich blicke nach unten. Der Boden ist matschig vom Regen und ich bemerke plötzlich, dass aufgrund der Kälte eine Gänsehaut sich über meine halbnackte Beine verbreiten. Anton nimmt mein Kinn zwischen seinen Fingern und zwingt mich zu ihm hochzuschauen. „Was heiß bitteschön, dass du nicht weißt, ob du mich willst? Entweder du willst mich oder nicht. ‚Ich weiß nicht' gibt's nicht." Er lacht leise. Mir läuft einen Schauer über den Rücken. Sein Lachen fühlt sich so kalt an wie das Eis in Antarktis. Er ist beleidigt.
Ich schließe kurz die Augen, weil mein Gehirn unter seinen intensiven Blick die Arbeit einstellt und ich keine zusammenhängenden Sätze bilden kann. Letztendlich sage ich wahrheitsgemäß: „Ich will dich. Allerdings ... bin ich mir nicht sicher, ob es richtig ist, dich zu wollen."
Vor einem Jahr, als meine Familie und ich noch in Frankfurt wohnten, scheiterte meine Beziehung. Es war verdammt schmerzhaft. Und ich bin ein Mensch, der keinen Schmerz verträgt. So eine Zeit will ich auf keinen Fall nochmal durchmachen müssen. Dazu fehlt mir Kraft und Überwindung.
„Es ist richtig", sagt er jedes einzelne Wort betonend, „ich werd's dir beweisen."
Gerührt lächele ich. Hoffnungen keimen in mir auf. Vielleicht gibt es tatsächlich ein Happy End. Zärtlich streicht er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und klemmt sie mir hinters Ohr. „Hab Vertrauen in mir."
Ich tätschele ihm die Oberarme und nicke. „Klar."
Einen schönen Sonntag wünsche ich euch, meine Lieben! Das nächste Update kommt am Mittwoch :)
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