Wie Tag und Nacht

Das leise aber stetige Tropfen von Wasser - ich hoffte zumindest es war Wasser - bildete das einzige Geräusch.

Meine Finger rutschten immer wieder an den modrig nassen und unnachgiebigen Wänden um mich ab. Viel zu nah, viel zu kalt, viel zu nass.

Die Wand drückte in meinen Rücken und die Kälte schien sich in mir auszubreiten. Sie fror mich innerlich ein und anstatt weiterhin vergeblich nach Ausgängen zu tasten, verharrte mein Blick in der Dunkelheit, die mich und alles Andere verschluckte. Meine Hände verknoteten sich ineinander und krampfhaft biss ich meine Zähne zusammen. Meine Gedanken schienen still zustehen oder besser gesagt hängen geblieben zu sein und sich ohne Abbruch wie eine defekte Schallplatte zu wiederholen.

Kalt. Hart. Dunkel. Wo bin ich hier? Kalt. Hart. Dunkel... Allein.

„Na, Liebes, gibst du denn schon auf?"

Ich spürte einen eiskalten Hauch an meiner Wange und zuckte zusammen.

„Hab ich dich etwa verschreckt? Das tut mir aber leid."Die Stimme kam von links und lachte nun grauenhaft auf - vergleichbar mit dem grässlichen Kratzen von Kreide auf einer Tafel.

Verrückt. Das Wort flackerte sofort in meinem Kopf auf.

„Schätzchen, nun sei doch nicht so stumm." Verrückt. Verrückt. Verrückt. Entweder ich oder dieses Etwas. „Fragst du dich schon, ob du verrückt wirst oder doch vielmehr ich es bin?"Wieder dieses Lachen, das mich auf Letzteres schließen ließ.

Nun streifte mich etwas an der anderen Wange und meine Finger glitten durch die Luft als ich danach greifen wollte.

„Nun komm schon, sei doch nicht so... ermüdend. Sag doch was - na los!"

Etwas fuhr durch meine Haare und nervös strich ich mir über das Haar, doch dort war nichts.

„Nur ein Wort."„Was soll ich hier?" Meine Stimme hallte nicht weit durch den Raum und war der Gegensatz zu diesem Etwas - leise und voller Angst.

„Nun diese Situation hättest du dir wohl niemals erträumt, oder?" Das Lachen folgte sofort der Aussage.

Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie die Lippen meines Gegenübers sich zu einem grausamen Lächeln verzogen, die Lachlaute aus dem Mund in meine Ohren krochen und sich wie dicke, sich windende Maden durch meinen Kopf fraßen.

Schluss jetzt.

Das Lachen wurde zu einem fast kindlich verspielten Kichern. „Du bist ja ganz ruhig."

Ich war auch innerlich eingefroren und dieses Etwas schien mit einem Eispickel auf mich einzuschlagen und mich zu bearbeiten oder vielmehr zu zerstören.

Das Kichern versiegte und es folgte Totenstille. Nur das Tropfen war zu hören. „Wenn du nicht reden möchtest, könntest du auch für mich schreien.. keine Angst - „ein kurzes Kichern" - ich helfe dir auch dabei."Was? Es war als legte jemand einen Schalter um und ich war plötzlich aufgetaut. Ich stand kerzengerade da und versuchte einen möglichst festen Stand zu haben - auch wenn mein schnell pochendes Herz nicht gerade von meiner Selbstsicherheit zeugte. Ruhig bleiben und ein und ausatmen. So hatte das bis jetzt jeder Psychologe in Stresssituationen geraten.

Ob sie wohl auch so etwas gemeint hatten?

Keine Ahnung, aber das Tasten nach einem Ausgang wurde wieder aufgenommen. Wenn diese Person herein gekommen war, musste es einen Ausgang geben. Ich wollte gerade einen Schritt weiter gehen, als mein Schuh schmatzte, weil ich in eine Pfütze getreten war - vermutete ich zumindest, denn es war schließlich dunkel.

Diese Person hatte auch nichts mehr von sich hören lassen und nur das Tropfen vom Wasser war zu hören. Als ich in eine andere Richtung gehen wollte, schmatzte es wieder, doch dieses Mal erschien mir die Pfütze tiefer.

Einen Moment... das Wasser tropfte nun schneller. Tropf, tropf, tropf. Es war fast schon gleichauf mit meinem Herzschlag und schon bald hatte es ihn überholt, wandelte sich in ein Plätschern und als ich einen weiteren Schritt machte, spürte ich einen stärkeren Widerstand und wie Wassertropfen aufstoben, sich an meiner Hose festkrallten und sich die Kälte an manchen Stellen wieder festfraß.

Verdammt! Das Wasser stieg. Genauso wie damals. Damals...

Nein, nicht jetzt. Gedanken in Kisten verpacken und in die hinterste Ecke des Gehirns schieben - darin war ich Profi.

Schon bald stand ich bis zu den Knien im Wasser und das Plätschern wurde zu einem stetigen Fluss und der Wasserstand wuchs weiterhin zusammen mit meiner aufblühenden Angst, die, wie vom Wasser genährt worden, überall in mir aufging und wirkte. Sei es in dem Zittern meiner Hände, in dem unruhigen Schnappen nach Luft oder der Tatsache, dass mein ganzer Körper mit einem Schauer übergossen wurde und sich meine Härchen im Nacken und auf den Armen aufrichteten.

Ich steckte ja so in der Klemme. Zudem hatte ich keine Ahnung, wie hoch dieser Raum war - ich erinnere an die tiefe Schwärze um mich herum, in der ich mit geschlossenen Augen auch nicht weniger gesehen hätte.

Das weiterhin wahrnehmbare Geräusch fließenden Wassers und die Tatsache, dass der Wasserstand so hoch war, dass ich zwar noch stehen, aber schon ohne Probleme schwimmen konnte, stimmte mich nicht positiver.

Woher wusste dieser seltsame Mann von meiner Angst?

Ich spürte schon, wie sich tief in mir die Panik mit der schon gewachsenen Angst verknüpfte und mit ihr tanzte. Sie schraubten sich durch Pirouetten immer höher und-

Ich hatte mir zu stark in die Backe gebissen und der bittere Geschmack von Eisen verband sich mit dem brennenden Schmerz in meiner Wangeninnenseite.

„Mäuschen? Wie findest du das Bad bis jetzt? Du siehst ja gar nicht gut aus - ganz blass um das Näschen. Ein bisschen seelischen Beistand kann ich dir leisten, aber ich könnte doch noch ein paar Freunde zu dir lassen."Im nächsten Moment hörte man mehrmaliges lautes Platschen und vor mir sah ich schon wie wabernde Gestalten um mich schwammen. Ihre Körper seltsam verdreht, die Augen mit einem hungrigen Funkeln auf mir liegend und langen, scharfen Klauen, um mich später aufzuschneiden und auszunehmen wie einen frisch gefangenen Fisch.

Etwas strich mein Bein und meine Panik nährte sich an meinen Vorstellungen. Dann streifte etwas Glattes meine Hand, brachte sie zum Brennen und als ich sie an den Mund hob, schmeckte ich Blut.

Mein Blut mit aller Wahrscheinlichkeit, das sich schon im Wasser verteilte. Manche Kinder tranken nicht gerne Wasser und wollten lieber „was mit Geschmack". Sie bekamen meist frisch gepressten Fruchtsaft. Diese Kinder hier oder Freunde, wie der Mann sie nannte, fanden es wahrscheinlich super, dass ich ihre frisch gelieferte Blutorange war, die man erst aussaften ließ, um sich dann am fleischigen Anteil zu ergötzen.

Ich krampfte meine Hände zu Fäusten zusammen, um nicht zu sehr zu zittern und versuchte eine Atemtechnik, aber trotz der Bemühungen kam ich zurück zu der Atmung, die schon jetzt dem in der Zukunft ertrinkenden Ich ähnelte. Hastig atmete ich ein und aus.

„Ruhig, ruhig. Das Bisschen Wasser macht doch nichts. Warte doch erst einmal, bis es angemessen gestiegen ist!" Das verrückte Kichern brach immer wieder zwischen den Worten hervor und schallte in meinem Kopf wieder.

„Was willst du von mir? Macht es dir Spaß mich zu peinigen?" Die letzten Worte schrie ich geradezu schroff hinaus. Das Stehen fiel mir langsam schwer durch den Auftrieb und schon bald musste ich schwimmen, um nicht ganz unter Wasser zu sein.

Es war noch immer zu kalt und langsam tat mir alles weh, als ob die Kälte mit gierigen Krallen nach meinen Muskeln griff. Meine Schwimmzüge waren hastig und so war es nicht selten, dass Wasser in meine Nase kroch und ich panisch hustete.

Wasser überall, die Dunkelheit, die alles verzehrt hatte und gar nicht daran dachte, etwas auszuspucken und dieses Etwas, das mich nicht losließ.

Ich durfte nicht die Kontrolle verlieren und vor allem durfte ich nicht so durchschaubar sein.

Wird dir etwa langweilig? Bin ich wirklich so ermüdend. Sollen meine Freunde nicht ein wenig mit dir spielen?" Sein Lachen, ein kurzes Blubbern und ein Platschen erklangen.

Ruhig bleiben. Ich hatte schon oft genug schlimme Situationen überlebt, jedoch kamen diese nicht ansatzweise an das hier heran. Der Verlust meiner Mutter, mein Erlebnis am See und das jahrelange Mobbing in der Schule waren wohl so etwas wie eine Vorbereitung auf das hier gewesen. Eine bittersüße Kombination meiner Ängste.

Vor meinen Augen verwebten sich schon wieder meine Erinnerungen. Überall Wasser, die Oberfläche entfernte sich immer mehr von mir und mein Zappeln wurde zusehends träger. Meine Lungen füllten sich mit Wasser und plötzlich zog etwas an mir. Trotz des Wassers, dessen gierige Krallen noch in meiner Kleidung hingen und mich beschwerten, wurde ich nach oben gezogen. Wild hustend blickte ich in das Gesicht meiner Mutter, die mich warm anlächelte, mich plötzlich schreiend losließ und ich wieder dem kalten Wasser ausgeliefert war. Nun kam noch ein grässlich lachender kleiner Junge hinzu, der seine Hand an meine Kehle legte. Er sagte zwar nichts, aber seine Gedanken schienen mich trotzdem anzuschreien und zogen mir immer mehr die Kraft sowohl aus meinem Körper als auch meinem Geist. Alleine, und sich immer weiter in der Tiefe und der Dunkelheit des Seewassers verlierend, sank ich auf den Boden und war verloren.

Ängste sind ja so hilfreich - findest du nicht, mein kleines Opfer?"

Ich fing wieder an zu zittern und merkte, wie abgehackt meine Schwimmzüge wurden.

Nicht daran denken, du lebst im Jetzt.

„Mein Täubchen! Willst du denn gar nicht wissen, wer ich bin?" Ohne auf eine Antwort von mir zu warten, fuhr er fort. „Im Laufe der Zeit hatte ich viele Namen, aber ich erweise dir eine kleine freundschaftliche Geste. Nenne mich doch einfach so, wie mich auch meine Freunde - zugegeben es sind nicht viele - nennen. Albert ist mein glorreicher Name." Wieder einmal fuhr er mir durch mein Haar und ich zuckte zusammen. Licht, ich brauchte verdammt nochmal Licht. Ein kleines Fenster würde doch schon ausreichen.

Was ich bin? Nun, sagen wir ich bin dein größter Albtraum und dein Ende." Alberts Lachen bohrte sich wieder in meine Ohren und hallte in meinem Kopf wider.

Ich schloss meine Augen und versuchte alles auszublenden.

Licht durchflutete ein großes Fenster und ich trieb ruhig und gelassen in einem angenehm warmen Wasser. Nirgends tropfte es und es gab lediglich ein paar Fische, die um meine Beine flitzten. Alles war ruhig und mir ging es gut. Das Wasser kämpfte nicht mehr gegen mich, sondern schmiegte sich an mich und wirbelte meine Haare spielerisch umher. Ich war in Sicherheit.

Plötzlich merkte ich, wie mich etwas durch meine Lider blendete. Sofort riss ich die Augen auf, sah nichts anderes als ein Fenster und fror auch nicht mehr. Aus einer Ecke des Raumes erklang ein Zischen und es war kurz still.

Willst du denn nicht wissen, wie ich aussehe, mein Mäuschen? Ich habe dir extra ein wenig Licht gemacht."

Es schien gar nicht anders zu gehen, als mich vom Fenster wegzudrehen, dessen Aussicht aus reinem Licht zu bestehen schien, und dann sah ich ihn. Sein Gesicht war verzerrt, seine Augen stechend und rot glühend und der Geruch von Blut stieg mir in die Nase. Mir war als stände der Teufel vor mir.

„Noch immer so stumm? Du weißt doch, wir beide sind jetzt hier eingeschlossen." Er kam langsam auf mich zugewatet und ich wich zurück. Das Wasser wogte aufgeregt hin und her. Ich konnte und wollte ihm nicht mehr ins Gesicht blicken und sah auf die modrig grau-grüne Wand hinter ihm. Schon bald stand ich mit dem Rücken an der Wand. Als meine Finger die warme Wand berührten und meine Handflächen dagegen drückten, ging mir ein Licht auf.

„Ach, ihr Menschen denkt, ihr lebt in der Realität und habt trotzdem eine Illusion vor Augen! Verdammte Träumer! " Albert schnaubte gehässig und zog seine Augenbrauen nach unten.

War da wohl jemandem das Lachen vergangen? Das Licht und die Wärme des Wassers schienen mich zu stärken und ich wusste, dass ich eine Chance hatte, aber zuerst musste ich wissen, was er war und was er genau mit seinen seltsamen Andeutungen meinte. Träume, Illusionen... konnte es etwa sein...

„Was bist du?" Meine Augen fixierten nun wieder sein Gesicht und meine Hände zitterten nun nicht mehr, sondern ballten sich zu Fäusten. Dieses Mal würde ich mich nicht kleinmachen lassen, würde nicht aufhören, gegen Leute anzukämpfen, nein, sondern für mich einstehen. Niemand durfte meine Ängste ausnutzen und allem voran durften sie mich nicht beherrschen.

„Ist das nicht offensichtlich? Ich bin ein Alb. Ein Nachtmahr, der deine Ängste ausschlachtet und dich langsam ausmergelt. Du hast keinerlei Chancen." Er versuchte zu lachen, doch ich sah genau, wie in seinen Augen die Zweifel aufblinkten und sich seine Augenbrauen trotz Lachen zusammenzogen.

Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und spuckte vor mich ins Wasser. „Ist es nicht ein klein wenig bitter, wenn man die Ewigkeit mit nichts anderem verbringt, als sich Wortspiele auszudenken und sich selbst Albert zu nennen?" Sein Gesicht verfinsterte sich zusätzlich.

Mein ganzes Leben lang hatte ich nichts mit diesem ganzen pseudo-mystischen Mist am Hut, aber meine Mutter war verrückt danach. Weissagungen, gute und böse Geister - all das gehörte zu ihrer Welt und war selbstverständlich für sie wie für mich ein Laptop, aber nun schien mir das Schicksal noch einmal in das Gesicht zu schlagen und mich auszulachen. Auf irgendeiner Weise hatte ich meiner Mutter geglaubt, aber war nie vollständig überzeugt gewesen. Was für ein Fehler. Ein Schmerz durchzuckte mich, als ich noch einmal ihr Gesicht vor mir sah. Ach, Mama.

In meinem Augenwinkel schwamm ein Schatten im Wasser vorbei und meine Augen zuckten sofort dorthin. Nichts. Als ich wieder aufblickte war das Monster aus mancher Kindheit verschwunden und ich würde mir am liebsten selbst eine Ohrfeige geben. Ich war so dumm!

Ich tat einen weiteren Schwimmzug und positionierte mich in einer Ecke und bemerkte, dass das Wasser plötzlich nicht mehr tief war. Das alles war so surreal. So schnell konnte sich einfach kein Raum verändern. Verdammt! Was hatte Mama damals alles über Nachtalbe erzählt? Sie hatten etwas mit Albträumen zu tun. Dann war ich hier wohl oder übel in meinem eigenen Traum gefangen. Was hatte der Alb zuvor noch gemeint... Wir wären hier zusammen eingesperrt. Höchstwahrscheinlich meinte er wohl nicht nur den Traum, sondern auch die Ängste, was bedeutete, er hatte auch eine Schwachstelle - wie sie jeder Andere auch hatte.

„Krümelchen!" Die Stimme meiner Mutter schreckte mich plötzlich auf.

Im nächsten Moment kroch mir schon der typische Geruch von ihr in die Nase. Ein Geruch, der für mich zu Hause bedeutete - ganz egal wo. Ein Geruch, der mir Sicherheit symbolisierte und Geborgenheit.

Mein Blick huschte von meinen schmerzenden Händen, deren Nagelhaut ich in der Zwischenzeit schon blutig aufgerissen hatte, zu der Stimme und da stand sie. Die Haare hatte sie wie immer mit Hilfe eines Kugelschreibers hochgesteckt und ein paar Strähnen fielen ihr wie früher ins Gesicht. Sie lächelte mich an und ihre braunen Augen strahlten.

„Krümelchen! Ich hab dich sehr vermisst, das weißt du oder?"

Einen Moment freute ich mich wirklich sie wiederzusehen, aber dieser wurde im nächsten Augenblick schon mit der harten Faust der Wahrheit in Trümmer zerschlagen.

Meine Mutter war gestorben. Weg. Auf und davon - wohin auch immer man nach dem Tod hinreist. Aber genauso wie er mit mir spielen konnte, konnte ich ihn hinters Licht führen.

„Mama!" Ich blickte ihr mit einem falschen Lächeln in das Gesicht. Mein wahres konnte Albert schließlich nicht kennen. „Ich hab dich auch vermisst."

„Komm in meine Arme, na komm." Sein Lächeln war nun nicht mehr freundlich, sondern wie das einer Katze, die mit einer Maus spielte.

Gespielt zögernd watete ich durch das Wasser. Anderen etwas vorzumachen hatte ich schon viel zu früh lernen müssen. „Mama..." Meine Stimme klang gebrochen und rau, als würde ich gleich weinen müssen. Albert wollte schon eine Hand auf meine Schulter legen, als ich ihm im nächsten Moment mit voller Wucht meine Faust in sein Gesicht rammte. Sofort hatte er wieder seine hässliche Fratze aufgesetzt und ich konnte seine Augen genauer sehen. Sie waren nicht nur rot und endlich wusste ich auch, woher das Glühen kam. Die Iris selbst flackerte wie eine Flamme in den verschiedensten Farbabstufungen von Rot und Orange, doch dieses Feuer sollte nicht Wärme und Geborgenheit bringen, sondern Verwüstung und Verderben.

„Das, meine Liebe, wirst du bereuen."

Im nächsten Augenblick war er nicht mehr da und ich hing plötzlich an klebrigen Fäden.

Mit einer Vorahnung und zitternden Glieder verrenkte ich mir meinen Hals, um ganz um mich zu blicken. Ich lag in einem riesigen Spinnennetz und anscheinend genau auf den klebrigen Fäden, die dazu dienten naive Insekten zu fangen.

Ein Wimmern wollte sich gerade durch meine Lippen stehlen, als ich ein riesiges behaartes Spinnenbein in meinem Sichtfeld bemerkte, welches sich grazil auf das Netz setzte. Mit aller Ruhe rückten immer mehr Beine in mein Blickfeld und schon bald erkannte ich, wie viele kleine glänzende Augen mich mit brennender Verachtung anstarrten. Schon waren die riesigen Kieferklauen über mir und ein Tropfen grünen Speichels tropfte auf meine Wange, welche dann wie Feuer brannte.

„Das ist nur ein kleiner Vorgeschmack von dem, was dir bevorsteht."

Bald schon lauerten die Klauen über meinem Gesicht und schnappten zu. Zuerst fühlte ich, wie meine linke Gesichtshälfte von einem tauben Gefühl übermannt wurde und schon bald konnte ich nicht mal mehr meine kleinen Zehen spüren. Im Gegenteil - mein gesamter Körper schien in Flammen zu stehen und ich wusste bald nicht mehr, wo unten und oben war.

Na, wie ist es so eingesperrt zu sei, eingeschlossen im eigenen Körper!" Ein schmatzendes Geräusch hallte in meinem Kopf wieder. „Deine Angst kriecht dir schon zusammen mit dem Gift in all deine Glieder und wird schon bald ein wahres Festmahl für mich sein!" Es erklang ein kurzes Seufzen. „Hach, fein, fein, fein, so ein Menschlein."

Ich konnte wirklich nichts mehr bewegen und sogar mein Hirn schien stehen geblieben zu sein. Im nächsten Moment näherte sich eines seiner Beine meinen Augen und strich wahrscheinlich zärtlich über meine Wange.

„So voll von Bitterkeit und Angst! Du wirst ein ganz feiner Schmaus sein und endlich brauche ich keine Angst mehr zu haben. Ich habe schon gewonnen!"

Angst. Er hatte Angst. Nur wovor? Er musste reden. Unbedingt.

Verzweifelt versuchte ich eines seiner acht roten Augen zu fixieren. Mitleid, ich musste Mitleid erzeugen. Bis jetzt hatte jeder Verrückte noch kurz vor dem - seiner Meinung nach -nahenden Ende seines Gegners mit der Wahrheit rausgerückt.

„Schade, dass ich dich töten muss. Obwohl... eigentlich nicht." Er lachte zum ersten Mal wieder frei heraus. Das Lachen echote in meinem Kopf immer wieder und das Brennen verschlimmerte sich immer mehr. „Obwohl... eigentlich doch." Er stoppte nochmals kurz und schien zu überlegen und aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie ein Bein der Spinne ungeduldig auf und ab tippte. „Ein bisschen mehr Angst schadet doch nie."

Er wartete noch einen Moment, beugte sich über mich und verschwand aus meinem Sichtfeld.

Bald würde wohl doch schon der erste Bissen mit aller Kraft aus meinem Fleisch gerissen werden. Einen guten Appetit, dachte ich verbittert und versuchte das Brennen auszublenden, doch es war unmöglich. Wenigstens konnte ich durch den brennenden Schmerz überall sonst nichts mehr fühlen außer der Angst, die sich hinterhältig dahinter versteckte.

Die gesamten Atemtechniken warf ich schon seit Längerem über den Haufen, denn ganz sicher hatte ein Psychologe nie von solch einer Situation gesprochen.

Das einzig Gute und auch meine einzige Hoffnung, an die ich mich klammerte wie das Ende meines roten Lebensfadens, waren, dass er wohl zögerte, mein Ableben zu besiegeln.

Im nächsten Moment riss es mich plötzlich nach unten, meine Glieder brannten nun nicht mehr und ich spürte nur noch den dumpfen Nachklang des Giftes. Plötzlich federte es mich unsanft hoch und mit letzter Kraft sah ich nach oben und wurde von hellen Sonnenstrahlen geblendet. Im Sonnenlicht glänzten die Fäden, die meine Hände in Gebetshaltung zusammenhielten, und ein Faden, der rötlich schimmerte, schien in der Unendlichkeit des Himmels zu verschwinden.

„Dein Leben scheint wohl am seidenen Faden zu hängen. Noch ein letztes Gebet?" Rechts von mir stand Albert oben auf den Felsen, die mich umrundeten. „Welche Ironie, nicht? Gerade ich bringe dich zum Beten." Lachend fing er an, sich selbst zu applaudieren.

Die Szene hatte schon wieder sprunghaft gewechselt - ich war in einem Traum. Der Gedanke, der zuvor von meiner Angst weggeschoben worden war, blitzte wieder in meinem Gedächtnis auf. In der realen Welt wäre dies niemals möglich.

Albert schien zu merken, dass ich überlegte. Sein Lachen stockte und sein Klatschen stoppte. „Und nun, mein Engelchen, sehen wir mal, wie gut du wirklich fliegen kannst."

Mein Mund riss sich bereits zu einem lauten Schrei auf, als der Faden riss, was mein Schicksal wohl endgültig besiegeln sollte, und ich unerbittlich von der Schwerkraft in die Tiefe gezogen wurde.

Von oben herab schallte Alberts Lachen zu mir. „Läuft ja alles wie am Schnürchen! Ich bin durch deine Angst so stark wie noch nie und " - Mein Schrei war schon wieder versiegt und ich fiel noch immer, obwohl ich schon lange auf dem Boden aufkommen müsste. - „du kennst doch sicherlich die Situation in Albträumen, dass man kurz vor dem schmerzhaften Aufklatschen auf dem Boden aufwacht, doch was denkst du passiert, wenn du nicht aufwachen wirst?" Seine Worte tänzelten immer wieder durch meinen Kopf und sein Kichern hallte zusätzlich durch die Felsspalte, in die ich immer tiefer fiel. „Ihr Menschen munkelt, dass sobald man in Träumen stirbt, man selbst auch in der Realität der Vergangenheit angehört. Interessant, oder nicht?" Seine Stimme wurde bald nur noch von der Brise, die um mich pfiff und mit meinen Haaren spielte, herangetragen.

Die Angst kroch wieder an die Oberfläche und ich selbst fiel immer tiefer in die endlose Felsspalte und verlor mich selbst zusehends mehr. Die Dunkelheit verschluckte mich sowohl von außen, als auch innen immer mehr und schon bald konnte ich nur noch erahnen, wo die Felsen vor mir vorbei flitzten.

Ein.

Traum.

Alles war nur ein Traum. Alles. War. Nur. Ein. Traum.

Egal, was Albert redete. Egal, was die Angst mir einflüstern wollte. Ich musste wieder die Oberhand gewinnen. Es gab lange genug eine Zeit, in der ich nicht mehr leben wollte, und genau jetzt - jetzt! - lechzte mein Herz nach nichts mehr als kräftig in meiner Brust weiterzuschlagen. Dies wurde mir mit jedem weiteren wilden Flattern in meiner Brust bewusster. Ich wollte leben und meine Angst würde mir nicht im Weg stehen - nicht mehr.

„Du denkst, du wärst ein Schmetterling, der mir einfach so durch die Finger flattern kann, noch magst du wieder aufholen, aber schon bald werde ich dich zertreten, wie du es verdient hast, du minderwertige Kakerlake."

Meine Umgebung änderte sich schon wieder und ich lag plötzlich im Dunkeln. Meine Hände waren auf der Brust zusammen gefaltet und ich spürte einen weichen Stoff an meiner Wange. Ich versuchte gerade aufzustehen, als mein Kopf dumpf an Holz aufkam. Meine Hände lösten sich sofort und tasteten rechts und links von mir den weichen Stoff, der schon meine Wange streichelte. Es roch stechend nach Lavendel und Mottenkugeln.

„Du wirst nicht entwischen! Ich werde dich nicht verlieren! Nein! Nein! Nein!" Seine Stimme wurde immer schriller und lauter in meinem Kopf. „Eingesperrt im eigenen Sarg. Lebendig begraben. Liegst du denn auch bequem? Sollen vielleicht wieder ein paar Freunde zu dir komme? Ist das Leben nicht wunderbar?" Sein verrücktes Glucksen hallte in meinen Ohren wieder. „Ich rede nicht von deinem bald endenden sondern von meinem endlosen." Er lachte noch einmal und summte vor sich hin wie eine Hausfrau, die gerade in der Küche stand und das Sonntagsessen vorbereitete.

Er schien sich innerlich schon zurückgelehnt zu haben und auszumalen wie er mich - wie auch immer - ausschlachten würde. Ich musste irgendwie weg hier, aber wie konnte man aus Träumen fliehen und eine ganz andere Frage war, wie ich diesen Verrückten davon abhielt, endgültig einen Schlussstrich zu ziehen.

„Albert?"

Du... du redest wieder mit mir? Das hat noch nie eines meiner Essen getan! Ich denke du bist etwas Besonderes... wie ist denn dein Name?"

Ich biss die Zähne zusammen und überlegte, was ich sagen sollte. „Rebecca." Ich schluckte kurz und spürte, wie der Kloß in meinem Hals immer größer wurde. "Warum machst du das hier?"

Er lachte und obwohl ich in der Dunkelheit war, konnte ich mir vorstellen, wie seine Augen vergnügt funkelten und nebenbei noch immer die Flammen darin tanzten - dieses Mal jedoch eher zu der Melodie, die er die ganze Zeit vor sich her summte. Verrückt, dieser Alb, einfach nur verrückt. „Warum tötet ihr Menschlein Tiere? Zum einen macht es natürlich immer einen mörderischen-„ Er kicherte kurz schrill auf. „- Spaß und zum anderen muss ich mich ernähren -„ Er summte zwischendurch einen Teil der Melodie. „-und was wäre besser als ein kleiner Bissen Angst - wobei klein bei dir anscheinend nicht mehr ausreichend ist. Da du sowieso kurz vor dem Ende zu sein scheinst, kann ich dir wohl alles verraten."

Tu das nur. Wie oft war das wohl schon das Verderben eines jeden Bösewichtes? Der Held zögerte sein Ende hinaus und schließlich stand er doch nur lachend vor seinem auf dem Boden liegenden und röchelnden Gegner.

„Ich hole mir aus deiner Schwäche meine Kraft. Ich mache aus deiner Angst meine Stärke, um schließlich wieder aus diesem Traumgefängnis zu entfliehen, welches ich gezwungenermaßen durch meinen Hunger aufsuchen muss und mich genauso einsperrt und gewissermaßen behindert, wie dich deine Angst."

Fantasiere nicht über das erhoffte Ende - denke jetzt an eine Lösung! Ein kleines schrilles Stimmchen, das ich schon vermisst hatte und nichts anderes war, als mein Verstand, holte mich zurück aus den Wolken aus Hoffnung, in denen ich mich kurz verloren hatte.

Es war ein Traum. Der Alb hatte gesagt, dass er hier auch eingesperrt war und von meiner Angst lebte und Kraft schöpfte.

Was wäre, wenn diese Quelle wohl versiegt?

„Nein!" Das Summen der Melodie wurde hektischer und wütender. Endlich erkannte ich die Melodie auch wieder. „La, le, lu! Nur der Mann im Mond schaut zu wie die kleinen Babys schlafen! Nun. Stirb. Auch. Du!"

Plötzlich war der Sarg weg und Erde stürzte auf mich ein. Erde überall, die in meine Nase kroch, in meine Ohren und in jede Öffnung meiner Kleidung.

Nun heiße deine Artgenossen willkommen, kleine Made! Du wirst dich nicht aus meinem Griff winden." Die Melodie lief unterschwellig immer weiter und die Töne wurden immer schiefer. „Du verdammtes Biest! Deine Angst wird mir nicht durch die Finger gleiten! Sterben wirst du, sterben!" Anstatt weiter zu schreien fauchte Albert wütend auf.

Die Erde und all ihre Bewohner krochen in meine Nase und schon bald öffnete ich rein aus Reflex meinen Mund, um Luft zu schnappen. Auch dort schwallte sofort Erde hinein und ich spürte schon wie alles meinen Hals hinunter kroch und sich in meinen Lungen absetzte.

Die Melodie baute sich immer mehr auf und als Albert sprach, versuchte er schrill mitzusingen: „Um-brin-gen! Nur der Mann der Angst schaut zu! Wie die Maden dich auffressen, so stirbst endlich du!" Er summte weiter und ein dumpfes Pochen erklang.

Wie lange würde ich diese Situation wohl noch aushalten können?

Es war ein Traum. Ich träume. Träume. Mein Traum!

Ich merkte schon, wie meine Lungen nach Luft bettelten und mein Kopf langsam verstummte.

Ich träumte. Alles geschah in meinem Kopf. Allein ich durfte meine Träume steuern. Allein ich konnte meine Angst besiegen. Meine Ängste entstanden allein nur in mir.

Plötzlich war da keine Erde mehr, meine Lungen waren frei und füllten sich mit Luft.

Ich lag wieder auf kaltem Boden.

Hinter mir hörte ich ein Schluchzen voller Verzweiflung. „So nah! Verloren! Durch meine Hände entwischt! Eingesperrt! Eingeschlossen! Für immer!" Leise summte er die Schlafliedmelodie und als ich aufstand, sah ich, wie er sachte vor und zurück wippte. Ein unmenschliches Kreischen ertönte und der Alb - das besiegte Monster - bäumte sich auf. An der gegenüberliegenden Wand hatte sich eine Türe geöffnet, die zuvor nicht dagewesen war und genauso strahlte wie das Fenster. „Verloren! Verloren!" Ein weiteres Schluchzen. „Eingesperrt."

Ohne Mitleid baute ich mich vor ihm auf und sah auf ihn herab - so wie er die ganze Zeit auf mich herabgesehen hatte. „Von mir aus kannst du hier dein endloses Leben verbringen, denn jetzt bist du allein eingeschlossen." Mit diesen Worten wendete ich mich von ihm ab und ging durch die Tür.

Im nächsten Moment lag ich im Bett und schlug die Augen auf.

Meine Gedanken rasten durcheinander und verwirrt bemerkte ich, dass meine Decke auf dem Boden lag.

Das alles war ein Traum gewesen. Ich hatte geträumt. Das alles war mein Kopf gewesen.

Plötzlich hörte ich ein Rascheln und ein schlurfendes Geräusch, als ob jemand über den Fußboden kratzen würde. Dann tauchten vor mir Augen auf. In ihnen das Feuer der Hölle.

Ich konnte mich nicht bewegen. Festgefroren lag ich da und konnte wieder den Blutgeruch wahrnehmen, der meine Nase kitzelte und den ich wohl nie vergessen würde.

„Na, Liebes, bist du denn schon wach?"

Mit einem Kreischen fuhr ich im Schlaf auf und zog sofort meine Decke, die nun nicht mehr auf dem Boden lag, bis zu meinem Kinn.

Einen Moment fixierten meine Augen das offene Fenster, durch welches der Wind pfiff und den Regen, der sich aus den Wolken ergoss.

War das Fenster zuvor offen gewesen?

Die Erinnerungen an meinen Traum wollte ich verdrängen, jedoch kamen sie immer wieder an die Oberfläche wie ein trotziges Kind.

Ich hatte bewusst geträumt. Es fühlte sich so real an. All die Schmerzen und all die Angst! Natürlich war das, was geschehen war, nicht möglich, aber es hatte sich so echt angefühlt und auf irgendeine Weise war zwar mein Kopf ein einziges Durcheinander, aber mir selbst schien eine große Last von den Schultern gefallen zu sein.

Meine Gedanken kämpften gegeneinander an und schließlich stand ich seufzend auf.

Am Fenster blieb ich stehen und atmete die frische Luft ein, um ein wenig den Nebel in meinem Kopf zu lichten.

Morgen war auch noch ein Tag. Morgen, ja, morgen würde ich den Nebel total wegschieben, doch jetzt war es Nacht und ich war so müde, als hätte ich die ganze Zeit kein Auge zugetan. Vielleicht war das auch so. Erträumen konnte man es sich bestimmt.

Gähnend schloss ich das Fenster und stieg in mein Bett.

Morgen würde ich nachschlagen, was es mit bewusstem Träumen auf sich hatte. Außerdem würde ich nachsehen, was Nachtalbe waren und vor allem, aus welcher alten Sage sie stammten. Vor meinem inneren Auge sah ich noch einmal die glühenden Augen und ich hörte noch einmal, wie das Monster in mir wütend aufschrie. Dann drehte ich mich auf die andere Seite und das leise aber stetige Tropfen des Regens auf dem Asphalt bildeten das einzige Geräusch.

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