Epilog | Die drei magischen Worte
1.288 Worte
3 Monate später
»Ohje, das ist aber nicht so wirklich etwas geworden«, schmunzle ich, als André das Brot, das wir im Auftrag seiner Mutter zusammen backen sollten, aus dem Ofen holt. »Ein bisschen sehr dunkel.«
Resigniert schaut er auf den Laib in der Backform, die er in den dicken, behandschuhten Händen hält, und nickt. »Scheint so. Als Bäcker eigne ich mich wohl nicht.«
»Dafür hast du andere Qualitäten«, versuche ich ihn aufzumuntern.
Mit einem Schulterzucken stellt er die heiße Backform auf zwei Topfuntersetzer. In dem Moment kommt mir eine Blitzidee. »Warte, ich weiß. wie wir das Brot retten können. Jas' Vater hatte eine Lebensweisheit, wenn ihm beim Backen oder Kochen etwas misslungen ist. Er nannte sie ›Die drei magischen Worte‹, nämlich ›Wir überbacken das‹. Wo habt ihr Gouda?«
Nachdem das Brot mit Käse überhäuft wieder im Backofen verschwindet, verbreitet es kurze Zeit später einen herrlichen Duft. André und ich haben es uns in der Eckbank am Küchentisch bequem gemacht und warten, während ich zwischen seinen Beinen an seine Brust gelehnt sitze und einfach seine Berührungen genieße. Sanft malt er Kreise mit seinem Daumen auf meinen Handrücken, schaut mir dabei über die Schulter, lehnt seinen Kopf gegen meinen und haucht von Zeit zu Zeit sanfte Küsse auf meine Wange.
»Weißt du, ich glaube der Vater von Jas hat unrecht. ›Wir überbacken das‹ mögen drei magische Worte sein. Aber die drei magischen Worte sind es nicht.«
»Ach nein?« Lachend rücke ich etwas von ihm ab, um ihn anzuschauen. »Welches sind denn die drei magischen Worte?«
»›Ich. Liebe. dich‹.«
Diese drei Worte kommen so plötzlich, dass mein Herz einen Augenblick stehen bleibt, ehe es in doppeltem Tempo weiter schlägt.
»Sag das nochmal.«
»Ich liebe dich, Jess.«
Mit einer Heftigkeit, die André nicht erwartet hat, drehe ich mich um, setze mich rittlings auf seinen Schoß und presse meine Lippen auf seine. »Ich liebe dich auch. So sehr.«
Bestimmt und voll angespannter Erwartung zieht er mich dichter zu sich heran. Ein Zittern erfasst meinen gesamten Körper und lässt André kurz innehalten.
»Ist dir kalt?«
»Nein, alles gut«, beruhige ich ihn und lege meine Lippen wieder auf seine. Doch das Klingeln der Herduhr holt uns prompt in die Realität zurück. Seufzend lösen wir uns voneinander und stehen auf.
Nachdem André zwei Scheiben vom Brot abgeschnitten hat, nehme ich mir eine und rieche genüsslich daran. »Das duftet herrlich.«
»Wie gut, dass wir weder Kuchen noch Plätzchen backen sollten. Die hätten wir nicht so einfach mit Käse überbacken können.«
Ich lache. »Da hast du recht.« Dankend nehme ich das Messer, das er mir reicht, und verstreiche großzügig Butter auf meiner noch dampfenden Scheibe, die sofort schmilzt. »Warmes Brot und Butter ... es gibt nichts Besseres«, stelle ich seufzend fest und nehme einen Bissen.
Draußen wird es bereits dunkel, als André mich am Abend bis vor die Haustür von Renés Wohnung begleitet.
Es hat ein bisschen gedauert, bis ich ihm anvertraut habe, dass ich hier gar nicht gemeinsam mit meinen Eltern lebe. Und es hätte wohl noch länger gedauert, wenn er nicht irgendwann gefragt hätte, warum wir noch nie bei mir zu Hause waren.
Ihm endlich alles zu erzählen hat sich gut angefühlt. Erst hatte ich Angst, er würde mich anders behandeln – nicht weniger liebevoll, eher vorsichtiger. Aber das hat er nicht und so erzählte ich ihm nach und nach immer mehr.
Ich erzählte ihm von dem Streit mit meiner Mutter und von der Versöhnung. Von Renés Handgreiflichkeit gegen seine Freundin, die ich an dem Tag entdeckte, als wir uns kennenlernten und plötzlich sah er mein Verhalten an diesem Tag mit ganz anderen Augen.
Chiara wohnt seit anderthalb Monaten wieder mit René zusammen. Es hat ein wenig gedauert, einen passenden Therapeuten und einen ersten Termin für ihn zu finden, aber er hat Wort gehalten und ist wirklich hingegangen.
Zwei Tage nach der ersten Sitzung stand Chiara dann vor seiner Tür und gab ihm die nötige Motivation mit dem ›weichgespülten Schwachsinn von diesem babygesichtigen Therapeuten‹ weiterzumachen. Alle zwei Wochen hat er nun einen festen Termin, zu dem Chiara ihn hin und wieder begleitet und inzwischen merkt er selbst, dass die Stunden ihm helfen.
Ich bin glücklich, dass die beiden wieder zueinander gefunden haben, und habe einmal mehr gelernt, wie wichtig es ist, Menschen eine zweite Chance zu geben, selbst wenn man glaubt, ihnen ihre Fehler niemals verzeihen zu können.
Denn hätte ich das nicht getan, wäre Jasmina noch immer kein Teil meines Lebens. Zum Glück ist sie das und mittlerweile sind wir wieder so unzertrennlich wie vor sechs Monaten. Man könnte meinen, es hätte nie einen Streit gegeben.
Ich bin froh, dass André mich dazu bewegt hat, mutig zu sein. Und für heute Abend habe ich mir vorgenommen das ebenfalls nochmal zu sein. Denn obwohl ich ihm inzwischen so viel von mir und meiner Familie erzählt habe, hat er meine Mutter bisher nicht kennengelernt.
Das möchte ich ändern.
Vor Renés Wohnung angekommen drehe ich mich langsam zu André herum, während er seine Arme um mich schlingt, um mir einen Abschiedskuss zu geben. Doch bevor er das tun kann, lege ich einen Finger auf seine Lippen und frage: »Hast du Lust, nächste Woche Samstag mit meiner Mutter und mir essen zu gehen?«
Die Überraschung steht ihm so deutlich ins Gesicht geschrieben, als hätte ich ihm gerade offenbart, ich wäre die Erfinderin des Eis am Stiel. »Wirklich? Jetzt ganz ehrlich?«
Ich lache. »Ja, ganz ehrlich.«
»Sehr gerne«, sagt er, während er mir einen zarten Kuss gibt, in dem all seine Gefühle für mich offen liegen.
Dieser Junge liebt mich.
Und wenn er mir hier und jetzt versprechen würde, das für immer zu tun, ich würde es ihm glauben.
☆☆☆
Meine Mutter hat ihr Versprechen mir gegenüber übrigens auch gehalten. Oder zumindest arbeitet sie daran.
Seit zwei Wochen hat sie einen festen Job als Buchhalterin in einer kleinen Anwaltskanzlei und wirkt glücklich. Das ist das, was sie nach der Schule immer machen wollte und worin sie eine Ausbildung gemacht hat. Seitdem ist zwar viel Zeit vergangen und es hat sich einiges verändert, aber sie lernt damit umzugehen und ich merke, dass sie zuversichtlich ist, wenn ich sie nach der Schule besuche und wir gemeinsam Mittag essen. Dann erzählen wir uns alles, was wir verpasst haben und direkt beim ersten Mal fragte ich sie, wie mein Vater darauf reagiert hat, dass ich nicht mehr zu Hause wohne.
»Die ersten paar Tage hat er deine Abwesenheit totgeschwiegen und dachte, du würdest nur eine Auszeit nehmen. Als sich die zweite Woche dem Ende neigte, wurde er langsam nervös und ich hatte Angst, er könnte wieder ausrasten, wenn er merkt, dass du endgültig ausgezogen bist.«
Ich biss mir auf die Unterlippe, weil das der Gedanke war, vor dem auch ich mich am meisten gefürchtet habe, nachdem ich mich mit Mum versöhnt hatte. Ich wollte nicht, dass sie unter meinem Entschluss leidet und wäre es so gekommen, wüsste ich nicht, ob ich nicht doch wieder zu Hause eingezogen wäre.
»Mitte der dritten Woche sprach er mich dann darauf an, wo du stecken würdest. Als ich sagte, du wärst für eine Weile zu Freunden gezogen – Gott bewahre, ich hätte ihm verraten, zu wem genau –, schlug mir das Herz bis zum Hals. Aber anstatt auszuflippen, zuckte er mit den Schultern, grunzte verächtlich und meinte nur, dass du schon wiederkommen würdest.«
Wie falsch er damit doch liegt. Und wenn er wüsste, dass Mum auch gerade dabei ist, ihre Koffer zu packen ... darüber möchte ich noch nicht nachdenken.
Keine Ahnung, ob sie es wirklich schaffen wird, von ihm loszukommen, es spielt auch keine Rolle.
Sie sagt, dass sie es versucht und ich glaube ihr. Zum ersten Mal hat sie den festen Willen von meinem Vater wegzuziehen und solange sie diesen Willen nicht verliert, werde ich ihr glauben und sie unterstützen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top