KAPITEL VIER

Auf der Mädchentoilette weine ich so lange, bis ich nicht einmal mehr weiß, warum eigentlich.

Zuerst wegen Cassie und Noah, von denen ich wohl irgendeine bessere Erklärung erwartet habe als das, was sich da gerade eben vor mir abgespielt hat. Zumal Noah es nicht einmal für nötig befunden hat zu kommen. Ob er überhaupt weiß, dass ich wieder hier bin? Spätestens jetzt schon, weil Cassie es ihm erzählt haben muss.

Dann weine ich wegen meinen Eltern und dem Zuhause, das ich nicht mehr Zuhause nennen kann, weil es sich einfach nicht mehr so anfühlt. Wird sich diese Einstellung jemals ändern? Ich glaube es nicht, auch wenn Tante Jill ― so optimistisch, wie sie ist ― mich vom Gegenteil überzeugen würde, wenn sie hier wäre.

Und schließlich bleibt die Trauer wieder bei Lydia hängen. Wie jedes Mal.

Außerdem rufen Maceys Worte die Schuld in mir erneut hervor. Ich fühle mich tatsächlich schlecht, weil ich Lydia mit Mum und Dad alleine gelassen habe, als ich einfach nach Denver gegangen bin. Natürlich haben wir anfangs jeden Tag telefoniert, aber nach einer Zeit war es nur noch jede Woche der Fall und dann mit viel Glück nur noch jeden Monat.

Zu meiner Verteidigung: Lydia ist bereits zwanzig gewesen und hat studiert, weshalb sie beinahe immer mit Lernen und ihren Vorlesungen beschäftigt war. Sie hat ihr Kunststudium unglaublich ernstgenommen, wahrscheinlich, weil Mum und Dad es leider nicht getan haben.

Ich rümpfe leicht die Nase, als ich vor den Toilettenspiegel trete. Ich sehe wirklich schrecklich aus. Meine Augen sind groß und gerötet, meine Haare sind noch gewellter und voluminöser als heute Morgen und mein Blick hat etwas Panisches an sich.

Ich spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht und ziehe das Haargummi heraus, in der Hoffnung, dass ich danach etwas besser aussehe. Meine dunkle Mähne binde ich ordentlicher hoch, dann hänge ich mir meine Schultasche um und verlasse die Mädchentoilette.

Nachdem ich mich wieder etwas beruhigt habe, beschließe ich, in die Schulbibliothek zu gehen. Ich habe sie schon immer gemocht. Sie ist riesig und still. Hier habe ich Ruhe gefunden, wenn sie zu Hause nicht vorhanden war.

Es ist so still hier, dass ich mir wie ein Trampel vorkomme, als ich einen der Stühle zurückschiebe, um mich hinsetzen zu können. Gern hätte ich mir ein paar Bücher geholt und gelesen, aber ich muss wirklich eine Menge lernen und habe jetzt keine Zeit dafür.

So leise, wie es mir nur möglich ist, packe ich meinen Block, ein paar Stifte und eine Kekspackung als Nervennahrung aus und versuche, mich auf Französisch zu konzentrieren. Ich lerne vielleicht eine Stunde, dann raucht mir bereits der Kopf und ich muss dringend meine Beine bewegen.

Während ich an den vielen Bücherregalen vorbeigehe, schweift mein Blick über die Buchränder und ich lese mir fast jeden zweiten Titel durch. Hin und wieder spricht mich irgendetwas an, aber ich kann nie mehr als fünf Seiten lesen, ohne dass es zu langweilig wird.

Die Bibliothek gleicht der in Denver ziemlich stark und sofort erinnere ich mich an die unzähligen Male, in denen Bree und ich gemeinsam gelesen haben. Sie fehlt mir jetzt schon, obwohl wir jede Nacht telefonieren und uns oft schreiben.

Als ich das nächste Mal abbiege, sehe ich einen mir zugewendeten Rücken. Ich zucke vor Schreck heftig zusammen, gebe aber keinen Ton von mir.

Kaden weiß mit Sicherheit auch so, dass ich es bin, und hat mich schon länger bemerkt.

Wie lange laufe ich hier schon herum? Ich habe kein richtiges Zeitgefühl.

Jetzt dreht er sich zur Seite und muss mich im Augenwinkel sehen, trotzdem schenkt er mir keine Beachtung.

Ich stutze. Die ganze Schule hat mich heute nicht beachtet und es hat mir nichts ausgemacht, also wieso macht es mich bei ihm so fertig? Er hält eine mir sehr bekannte Lektüre in der Hand, aber er wirkt unzufrieden, so als wäre es nicht das Buch, das er wirklich sucht.

»Lady Susan habe ich schon gelesen«, sage ich und zeige leicht lächelnd auf das Buch in seiner Hand. Ich komme mir ziemlich blöd dabei vor.

Er blickt mich, wie bereits erwartet, verwirrt an.

Ich seufze. Ist es so verwunderlich, dass ich mit ihm reden will?

»Nick mit dem Kopf, wenn du es schon gelesen hast«, schlage ich vor, um die Konversation anzukurbeln.

Kaden nickt natürlich nicht mit dem Kopf.

Gut, dann muss eben ich fürs Erste diejenige sein, die dieses Gespräch am Laufen hält. »Vorletztes Jahr habe ich dich, glaube ich, schon mal dieses Buch lesen sehen. Na ja, jedenfalls ist Emma auch ziemlich gut, falls dich solche Literaturromane interessieren.«

Ich lasse meine Finger über die Buchränder gleiten, greife dann nach Emma und drücke es ihm in die Hand.

»Ich wusste gar nicht, dass du Bücher liest.« Und schon rede ich weiter. »Eigentlich wusste ich nicht einmal, dass du überhaupt lesen kannst.« Erschrocken fasse ich mir an die Wangen. »Das war eine indirekte Beleidigung, nicht wahr? Oder war sie doch direkt? Wie auch immer, ich sollte dringend mit dem Geplapper aufhören.«

»Stimmt.«

Seine Antwort überrascht mich nicht wirklich. »Und du solltest dich dringend für meinen Buchvorschlag bedanken, Idiot.«

Der Spott in seiner Miene schwindet ein bisschen, als er sagt: »Du hast recht. Danke.«

Verwirrt blinzle ich mehrmals, als er an mir vorbeigeht und sichtlich darauf achtet, mich dabei nicht zu berühren. »Bitte?«

Kann er sich einmal normal und nachvollziehbar verhalten?

Ich bin mehr als nur nett zu ihm gewesen und das seit heute Morgen, aber alles, was ich zurückbekomme, sind seltsame Blicke und wenige Worte, die so gut wie gar nichts aussagen.

Ich setze mich zurück an meinen Platz und stelle fest, dass er nur wenige Meter von mir entfernt am Tisch gegenübersitzt. Er sieht nicht auf, als ich mich niederlasse, aber irgendwie erwarte ich es auch nicht anders. Ich werde einfach gar nicht mehr mit ihm reden, beschließe ich in diesem Moment, weil es erstens nichts bringt und es mir zweitens nur Kopfschmerzen bereitet. Meistens hilft gegen Letzteres, wenn ich meinen Zopf aufmache, also ziehe ich das Haargummi heraus und lege es um mein Handgelenk. Dann fahre ich mir zweimal durch die langen Haare und sehe auf.

Kaden beobachtet mich dabei, während das Ende seines Stiftes auf seiner Unterlippe verweilt, ohne dass er darauf herumkaut.

Leute, die das machen, verstehe ich ohnehin nicht.

Er wendet immer noch nicht den Blick ab, obwohl ich ihn gerade beim Starren ertappt habe. Seufzend widme ich mich wieder Französisch, wobei ich bemerke, dass ich mich an den Stoff, den ich vorhin noch gelernt habe, plötzlich nicht mehr erinnere. Genervt fahre ich mir erneut durch die Haare und versuche, mir irgendetwas davon noch einmal einzuprägen.

Nach ein paar Minuten traue ich mich, wieder zu Kaden zu schauen. Er liest das Buch, das ich ihm gegeben habe, und sieht dabei so konzentriert aus, dass ich nachdenklich den Kopf leicht schief lege.

Dann werfe ich all meine Vorsätze von wegen, ich würde gar nicht mehr mit ihm reden, über Bord, und setze mich auf. »Wie findest du es?«

»Es ist sehr gut geschrieben«, antwortet er nach ein paar Sekunden. Dann richtet er sich auf und sieht mich ein wenig amüsiert an. »Ehrlich gesagt habe ich es schon gelesen.«

»Und warum hast du das nicht gesagt?«

»Warum sollte ich?«

Damit ich mir nicht noch bescheuerter vorkomme als ohnehin schon?

Seine Mundwinkel heben sich und er macht den Eindruck, als wüsste er ganz genau, was ich denke. »Ich habe es nicht erwähnt, weil ich es ohnehin noch einmal lesen wollte. Mir ist außerdem klar, warum du von diesem Buch so viel hältst.«

»Aha. Und wieso?« Ich lächle leicht und ein Teil meiner Nervosität fällt von mir ab.

»Du liebst Charaktere wie Reginald De Courcy oder John Knightley. Du hast sie immer als ›äußerst kompliziert, aber spannend‹ beschrieben.«

»Jane Austen erschafft eben die besten Charaktere. Wie kannst du dich noch an meine genauen Worte erinnern?«

Sein Grinsen verschwindet so schnell, wie es gekommen ist. »An dem Tag hast du nicht nur das zu mir gesagt.«

Kaden hat eine Zeit lang im Geschichtsunterricht gezeichnet. Irgendwann ist es mir gelungen, eine seiner Zeichnungen zu klauen und mir anzusehen, und sie ist wirklich, wirklich nicht schlecht gewesen. Was ich jedoch zu ihm gesagt habe, war eine glatte Lüge.

Ich war wütend, weil er mich wegen irgendetwas aufgezogen hatte, also war es für mich die perfekte Gelegenheit, ihm seine Zeichnung wegzunehmen und sie schlechtzumachen.

Das hat sicher ziemlich stark an seinem Selbstbewusstsein genagt, aber er hat sich nie irgendetwas anmerken lassen. Jetzt jedoch kann ich praktisch in seinen Augen ablesen, wie verletzt er gewesen ist.

Ich fühle mich schrecklich. »Es tut mir leid, Kaden. Und ich habe gelogen, als ich gesagt habe, deine Zeichnungen wären schlecht. Sie waren sogar ziemlich gut, vielleicht etwas verbesserungsfähig, aber gut.«

»Verbesserungsfähig?« Das entlockt ihm ein kleines Lächeln. »Das nehme ich jetzt mal als Kompliment.«

»Zeichnest du noch?«

»Manchmal.«

»Darf ich etwas davon sehen?«, frage ich aufgeregt.

»Nein«, antwortet er prompt.

Empört hole ich Luft. »Nein? Doch, ich könnte dir helfen.«

Jetzt lacht er richtig. »Du bist echt unverbesserlich.«

»Auf eine gute Weise?«

»Das weiß ich nicht genau.« Er widmet sich wieder seinem Buch. Anscheinend ist dieses Gespräch für ihn beendet.

Trotzdem lächelt er weiterhin leicht, aber schaut nicht auf.

Ich kann mich währenddessen kaum konzentrieren, aber es liegt nicht daran, dass er wie so oft mit den Fingern auf dem Tisch herumtrommelt. Soll ich mich zu ihm setzen und dort weiterlernen oder wäre es zu aufdringlich?

Es wäre definitiv zu aufdringlich.

Er macht in der nächsten halben Stunde keine weiteren Anläufe ein Gespräch aufzubauen, auch wenn ich ihm irgendwie ansehe, dass er es will. Es sieht aus, als hätte er ziemlich viele Fragen, und ich bin mir sicher, ich hätte ihm jede einzelne davon beantwortet, wenn er sie mir stellen würde.

Stattdessen schaut er mich nur manchmal nachdenklich an oder scheint überrascht zu sein, wenn ich ihn anlächele.

Meine Miene wird düster, als ich auf die Uhr schaue und bemerke, dass ich nicht mehr lange in der Schulbibliothek bleiben kann. Und schon wieder könnte ich bei dem Gedanken, mich gleich auf den Weg zu Mum und Dad zu machen, heulen.

Passend zu meinen Gedanken klingelt mein Handy, aber ich drücke Mums Anruf einfach weg, weil ich jetzt ganz sicher nicht mit ihr reden will.

Ein paar Schüler drehen sich argwöhnisch zu mir um, lassen mich aber wieder in Ruhe, sobald ich das Handy wegstecke.

Unzufrieden stütze ich mein Kinn auf meinen Handflächen ab und starre ins Leere. Ein paar Minuten werden meine Eltern doch noch warten können, bis ich nach Hause komme, oder?

Der Stuhl neben mir wird zurückgeschoben und Kaden setzt sich plötzlich unaufgefordert hin. Für fünf Sekunden lang legt er bloß den Kopf schief und beobachtet mich, wie ich ihn stur anstarre, ohne ein Wort zu sagen. Schließlich ist er derjenige, der sich neben mich gesetzt hat, also sollte er auch ein Gespräch beginnen.

Natürlich tut er es nicht.

»Was ist, Kaden?« Obwohl meine Laune im Keller ist, ist meine Stimme beherrscht, ruhig und keineswegs unhöflich. Ich bin fast stolz auf mich, dass ich normal reden kann, auch wenn ich am liebsten in die Luft gegangen wäre.

»Weißt du, wie du gerade wirkst?«, fragt er.

Ich schüttle ahnungslos den Kopf.

»Wie früher, wenn dir etwas nicht gepasst hat. Nur mit dem Unterschied, dass du mich nicht beleidigst, weil es dir gerade schlecht geht.«

»Du warst nicht besser«, stelle ich klar.

Er zuckt beiläufig mit den Schultern. »Das habe ich auch nicht behauptet.«

Ich streiche mir mit beiden Händen die Haare hinter die Ohren. »Ich habe das Gefühl, alle wissen, wer ich bin, aber niemand will mit mir reden oder mich wenigstens anschauen. Du machst nur Letzteres.«

Er lacht kurz und ich wünsche mir für einen Moment, es hätte länger angehalten.

»Jetzt machst du es schon wieder«, sage ich. »Du schaust mich an und sagst nichts. Wieso?«

Er antwortet nicht wirklich auf meine Frage, sondern starrt erst mich und dann die halbleere Kekspackung neben mir an. »Deine Haare sind anders. Damit und mit deinen Sommersprossen erinnerst du mich an einen Cookie.«

Ungläubig sehe ich ihn an.

Dass meine Haare anders aussehen, habe ich selbst auch schon bemerkt, aber ich erinnere ihn an einen Cookie? Ich habe absolut nichts gegen Kekse ― eher sind sie meine Lieblingssüßigkeit, und das weiß Kaden genau. Immerhin hat sich diese Vorliebe innerhalb eines Jahres nicht geändert. Will er mich mit dieser Aussage aufziehen oder meint er es vollkommen ernst?

Seine ausdruckslose Miene zeigt mir, dass Letzteres der Fall ist. »Du bist echt wie Balsam für mein Selbstbewusstsein, Kaden.«

Er seufzt. »Was erwartest du von mir? Dass ich jetzt nett zu dir bin, nur, weil du zurück von wo auch immer bist und anders aussiehst?«

»Ich bin anders. Und ich war in Denver«, füge ich hinzu, auch wenn ihn diese Information nicht zu interessieren scheint. »Und nein, ich erwarte nicht, dass du nett zu mir bist. Jedenfalls will ich es nicht.« Ich lüge und das wissen wir beide. »Aber es ist meiner Meinung nach nicht zu viel verlangt, wenn du dich ein bisschen normaler benehmen könntest. Ich mache es schließlich auch.«

Sein rechter Mundwinkel zuckt leicht. »Ich soll mich normaler benehmen? Das musst du mir jetzt genauer erklären.«

»Liebend gern.« Ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Ich muss nur das Beispiel von heute Morgen nehmen. War es zu viel verlangt, dass du mich zum Unterricht begleitest?«

»Ich bin nicht derjenige, der Mittelfinger zeigt, Cookie.«

Er weiß irgendwie immer genau, wie er mich in den Wahnsinn treibt. Sogar noch nach einem Jahr.

»Du hattest es irgendwie verdient. Denkst du, ich war nicht schon nervös genug? Ich wollte überhaupt nicht mehr auf diese Privatschule oder überhaupt nach London. Nicht nach dem, was ...« Ich verstumme und beschließe, das mit Lydias Selbstmord für mich zu behalten, denn er scheint davon offensichtlich noch nichts zu wissen. Ich will sein Mitleid sowieso nicht. »Jedenfalls war es ziemlich unhöflich von dir.«

Er schüttelt fassungslos den Kopf. »Ich habe mich normal verhalten, jedenfalls für unsere Verhältnisse.«

»Unsere Verhältnisse von vor einem Jahr«, korrigiere ich ihn.

»Du und ich ― wir sind dazu bestimmt, Erzfeinde zu sein. Deine Worte, nicht meine«, fügt er hinzu.

Ich bin kurz davor ihn anzuknurren, weil ich wirklich so etwas in der Art einmal gesagt habe.

»Dinge können sich ändern, Kaden. Und Menschen auch.«

Er schüttelt wieder den Kopf. »Warum sollte jetzt alles anders sein? Oder was ist jetzt anders? Du hast offensichtlich Probleme zu Hause, aber das macht dich sicher nicht zu einem besseren Menschen, Quinn.«

Fassungslos sehe ich ihn an.

Beinahe stolz heben sich Kadens Mundwinkel. »Was? Denkst du, ich weiß nicht, was es bedeutet, wenn man minutenlang auf die Uhr schaut, Anrufe wegdrückt und so aussieht, als würde man sich am liebsten übergeben müssen?«

Er wirkt, als hätte er Erfahrungen, was Probleme zu Hause angeht.

»Weißt du, was du gerade tust?«, frage ich leise. »Du urteilst, und das ist etwas, was ich früher auch gemacht habe. Aber heute habe ich den ganzen Tag lang normal mit dir geredet, weil ich aus irgendeinem Grund gedacht habe, du wärst anders als Cassie oder Macey oder Noah.« Es fällt mir schwer, allein deren Namen auszusprechen. »Aber ich habe mich geirrt. Tut mir also leid, falls ich dir zu nett oder zu offen war.«

Er schweigt, während ich meine Sachen hastig zusammenpacke, wobei mir ein paar Stifte herunterfallen, weil ich so sehr zittere. Kaden hebt sie auf und drückt sie mir in die Hand, wobei er offensichtlich Blickkontakt sucht, den ich ihm nicht gebe.

Als ich aufstehe, erhebt er sich ebenfalls von seinem Stuhl und versperrt mir den Weg. »War es denn echt? Dein Lächeln und alles, was du zu mir gesagt hast? Hast du Emma überhaupt gelesen oder ―«

»Natürlich habe ich es gelesen«, rufe ich ein wenig zu laut und aufgebracht.

Mehrere Schüler in der Bibliothek drehen sich zu uns um.

Abwehrend hebt Kaden die Hände. »Beruhige dich, Cookie.«

»Ich bin kein verdammter Cookie«, stelle ich klar. »Und du warst sogar die einzige Person, mit der ich heute freiwillig geredet habe.«

»Das war damals aber nicht der Fall«, sagt er, während er die Zähne fest aufeinanderbeißt. »Und wer sagt, dass es morgen immer noch so ist? Vielleicht verträgst du dich mit Cassie und den anderen wieder und alles ist so wie davor.«

»Was? Nein, ich ―«

»Das weißt du nicht genau«, unterbricht er mich kopfschüttelnd. »Ich kann dir nicht glauben, dass alles anders ist, weil ich dich verdammt noch mal nicht kenne und vielleicht nie gekannt habe.«

Ich werfe ergeben die Hände in die Luft. »Dann lern mich kennen.«

Innerlich schlage ich mir selbst ins Gesicht, weil ich das wirklich nicht hätte sagen sollen. Ich komme mir dumm und naiv vor, weil ich gedacht habe, mit Kaden würde ich mich anders unterhalten können, als mit allen anderen an dieser Schule. Nur weil wir beide Außenseiter sind, macht uns das noch lange nicht zu Freunden. Ich wüsste nicht einmal, ob wir jemals Freunde sein können, wenn er so wenig von mir hält.

Oder er lügt, aber das bezweifle ich. Wieso sollte er mir all diese Dinge sagen, die am Ende überhaupt nicht der Wahrheit entsprechen?

Kaden sieht mich bewusst nicht an und macht den Eindruck, als würde er sich selbst von irgendetwas abhalten wollen. Dann sieht er mir fest in die Augen und jeder Rest Wärme, die er noch für mich übriggehabt hat, ist verschwunden.

»Nur um eins klarzustellen.« Sein gesamter Körper ist angespannt und seine Kieferknochen stechen noch mehr hervor, als er mit den Zähnen mahlt. »Ich will dich nicht sehen, ich will nicht mit dir reden und vor allem will ich dich nicht kennenlernen. Daraus wird einfach nichts, Quinn. Tut mir leid.«

Ich presse die Lippen aufeinander und sage mir selbst immer wieder im Kopf, dass ich jetzt nicht vor diesem Idioten anfange zu heulen.

Als er bemerkt, wie ich mit den Tränen kämpfe, wird sein Blick wieder weicher. Liebenswürdiger. Und die Kälte in seinen eisblauen Augen verschwindet gänzlich, während ich an ihm vorbeigehe und die Bibliothek verlasse.

Fast bilde ich mir ein, dass Kaden seine Worte bereut. Aber auch nur fast.

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