9 | Putzparty
Triggerwarnung: Arachnophobie 🕷️, Schimpfwörter (ich entschuldige mich jetzt schon, das Fluchen dient lediglich dem dramaturgischen Effekt und soll niemanden verletzen!)
Am nächsten Morgen werde ich durch lautes Geschrei geweckt. „Ian!", höre ich Roger aus seinem Zimmer rufen und fahre hoch. „Du verdammter Hurensohn!", schreit er über den Gang.
„Oh man, was habe ich jetzt schon wieder ausgefressen?", frage ich mich laut und schwinge mich aus dem Bett. „Na, wo drückt der Schuh?", frage ich, als ich Rogers Zimmer betrete.
„Schuhe ist das richtige Stichwort", schreit Roger mich an und schon fliegt mir etwas Schwarzes aus seinem Stiefel entgegen, was mich ‚Gott sei Dank' verfehlt und auf dem Boden landet. Eine riesige Spinne krabbelt fluchtartig den Gang entlang bis zur Badezimmertür, unter der sie eilig verschwindet.
„Ach", sage ich amüsiert, „dahin ist also die Spinne aus meiner Schublade verschwunden."
„Also gibst du zu, dass du es warst?", schreit er mich noch immer an. Sein Gesicht ist schon ganz rot vor Ärger.
„Bitte was?", frage ich perplex. „Was soll ich gewesen sein?"
„Tue doch nicht so blöd", schnauft er. „Du hast mir dieses fette Biest in die Schuhe gelegt, obwohl du genau weißt, wie sehr ich Spinnen hasse!"
„Wieso sollte ich das tun? Ich wusste ja nicht mal, dass sie noch hier ist!"
„Du hast doch gerade selbst gesagt, sie war in deiner Schublade!"
„Du bist ja nicht ganz knusper", sage ich beleidigt und drehe mich um. Traut er mir wirklich zu, dass ich eine Spinne fange und in seine Schuhe stecke? Mitten in der Nacht? ‚Naja', denke ich dann doch amüsiert. ‚Die Idee ist gar nicht mal so schlecht.'
Sein wütendes Schnauben ignorierend gehe ich ins Badezimmer und trete beinahe wieder auf die Spinne. „Na, es scheint dir hier aber zu gefallen", witzele ich und nehme mir einen Zahnputzbecher, um sie zu fangen. Diesen lasse ich an Ort und Stelle stehen, um die Spinne später rauszubringen. Erstmal muss ich Zähneputzen.
Plötzlich wird die Badezimmertür aufgerissen und Roger stürmt hinein. „Ich weiß genau, dass du es warst", blufft er mich an, „aber das wirst du noch bereuen."
„Bu blaubst mir bowieso nicht, benn ich dir bage, bass ich es bicht bewesen bin, boder?", frage ich den Mund voller Zahnpasta.
„Du hast es doch ständig auf mich abgesehen", schnappt er und geht zum Waschbecken. „Wo ist denn mein Becher?", fragt er und sieht sich um. Als er ihn auf dem Boden findet und ihn anheben will, keuche ich noch ein kurzes, „Nein!", doch es ist zu spät. Als Roger den Becher hochhebt, flüchtet die Spinne in einem Wahnsinnstempo in die einzige Richtung, die ihr bleibt und krabbelt Rogers Bein hoch.
Panisch schreiend und die Arme wild um sich werfend, versucht Roger die Spinne abzuschütteln. Beherzt werfe ich mich auf ihn und erwische sie, als sie gerade über Rogers wohlgeformte Brust krabbelt, um sie danach heldenhaft im Abfluss der Toilette zu versenken. Erleichtert, dass die Gefahr gebannt ist, lasse ich mich daneben auf die Fliesen sinken. Roger sitzt wie versteinert ebenfalls auf dem Badezimmerboden und starrt zur Toilette.
„Alles okay bei dir?", frage ich etwas zerknirscht. „Glaubst du mir jetzt, dass ich es nicht gewesen bin?", frage ich ihn und er nickt. Immerhin.
Vorsichtig nähere ich mich dem Häufchen Elend, dass mit angezogenen Beinen vor der Tür sitzt und immer noch geradeaus starrt. So habe ich den jungen Mackay noch nie gesehen. „Hast du wirklich solche Angst vor Spinnen?", frage ich behutsam und greife nach seiner Hand, um sie in meine zu nehmen. Sie ist eiskalt und schwitzig. Nein, solch eine Panik kann man nicht vortäuschen. Er hatte wirklich Angst.
„Die Huntsman ist überhaupt nicht giftig", versuche ich ihn zu trösten. „Sie ist zwar groß und eklig, aber vor den kleinen muss man mehr Angst haben. Die können einen mit einem Biss sogar töten. Ich habe mal gelesen, dass..."
„Kannst du bitte aufhören über Spinnen zu reden!", stößt Roger hervor. Zum Glück hat er seine Stimme wiedergefunden.
„Natürlich" sage ich und für ein paar Minuten schweigen wir uns einfach nur an. Dass ich während dieser Zeit seine Hand halte, scheint er erst zu bemerken, als er wieder etwas zu sich kommt. Er blickt kurz auf unsere Finger und löst dann die Berührung auf, um sich mit den Händen durch die braunen Haare zu fahren.
„Als ich ein kleiner Junge war, bin ich bei einer Erkundungstour hier in der Gegend in ein Erdloch gefallen", erzählt er auf einmal mit brüchiger Stimme. „Dabei habe ich mir den Arm gebrochen und wurde erst nach über zwölf Stunden gefunden. Das Loch, in das ich fiel, war ein Spinnennest. Tausende Spinnen schwirrten um mich herum und ich war unfähig zu fliehen. Sie waren überall an und auf mir. Die kleineren krabbelten in meine Nase und in meine Ohren. Es war... traumatisch", gesteht er mir und ich greife erneut nach seiner Hand, um sie zu drücken. „Das hätte wohl jeden mitgenommen", sehe ich ein und verstehe nun besser, warum der große starke Mann so viel Furcht vor so einem winzigen Lebewesen hat.
„Ich habe eine Idee", kommt es mir auf einmal in den Sinn. „Ich gehe heute durch das Haus und werfe jede Spinne, die ich finde, eigenhändig raus! Heute Abend ist das Haus spinnenfrei!", verspreche ich. Roger sieht mich mit seltsam verklärtem Blick an.
„Das würdest du tun?", fragt er verunsichert.
„Na klar. Wenn du auch etwas für mich tust", schlage ich vor. Roger schnaubt. „Ich wusste, die Sache hat einen Haken.
„Nur einen kleinen", versichere ich. „Du kannst doch gut mit Zahlen..."
Während Roger sich nach dem Frühstück meine Balkonskizze ansieht und verspricht, sich das Ganze mal von Nahem anzuschauen, nehme ich das Projekt „Spiderman" in Angriff. Jeder einzelne Raum wird von mir abgesucht und auf Spinnen und andere Krabbeltiere überprüft. In einem blauen Putzeimer sammele ich meine Beute und staune nicht schlecht, wo ich das Ungeziefer überall entdecke. Als ich im Wohnzimmer meine letzte Runde drehe, kommt mir Mary grinsend entgegen.
„Was bitte hast du mit dem Junior gemacht?", fragt sie erstaunt und wirft dann einen Blick in meinen Eimer. Erschrocken zuckt sie zurück, als eine dicke Redback am Rand hinaufzuklettern beginnt. Ein kleiner Schüttler meinerseits, befördert sie wieder auf den Boden der Tatsachen. Beziehungsweise, des Eimers.
„Wieso?", fragte ich interessiert. „Kommt er dir verändert vor?"
Mary grinst breit. „Er steht draußen vor dem Balkon und arbeitet! Er hat sich eine Skizze gemacht und fängt bereits an, die Balken zurecht zusägen!", verrät sie.
„Ernsthaft?", frage ich begeistert. „Ich hatte ihn eigentlich nur darum gebeten, sich mal meine Zeichnung dazu anzusehen."
„Dafür, dass du ihm Spinnen sammelst?", kombiniert die schlaue Mary.
„Er mag die nicht so gerne", erzähle ich knapp. „Und ich glaube, ich habe jetzt auch alle gefunden!"
„Das ist doch super. Ich wollte hier eh mal wieder Staub wischen. Und jetzt scheint mir eine passende Gelegenheit dazu, wenn die Viecher schon mal weg sind. Und bitte, Ian, bring sie bitte weit, weit weg von hier!"
„Selbstverständlich!"
Als ich wiederkomme, höre ich bereits laute Musik aus dem Wohnzimmer schallen. Unverkennbar weht mir Shania Twains „Man! I feel like a Woman!" entgegen. Als ich das Wohnzimmer betrete, sehe ich Marys rote Haare wild im Takt der Musik hin und her wehen, ihre Hüfte schwingt im Beat mit und sie tanzt eindeutig mit einem Staubwedel, der leider mehr Staub aufwirbelt als festhält.
Als sie mich entdeckt, greift sie singend nach meinem Arm und zieht mich an sich. Entschlossen legt sie meine Hand an ihre Hüfte und wirft mir ein „Oh, oh, oh, go totally crazy, forget I'm a lady
Men's shirts, short skirts" engegen. Lachelnd lasse ich mich anstecken und wirbele Mary herum, um sie dann wieder an mich zu ziehen. Unsere Hüften bewegen sich im Gleichtakt und sie wirft lachend ihr Haar nach hinten. Als das lange Instrumentalsolo einsetzt, beginnen wir beide ein paar Linedance Schritte um den Couchtisch. Meine Stiefel bewegen sich im Takt mit der Musik und ich schwinge meine Hüfte, als wäre ich auf einer Bühne in Nashville. So viel Spaß hatte ich lange nicht und ich merke erst nach meiner dritten Runde, dass Roger in der Tür steht und uns amüsiert beobachtet.
Doch meine Laune ist zu gut, um mich dadurch aus der Fassung bringen zu lassen und so zwinkere ich Roger nur zu und drehe danach noch eine Runde mit Mary, bis sie sich mit roten Wangen und sichtlich erschöpft auf die Couch fallen lässt.
Zufrieden gehe ich auf Roger zu, der mich belustigt anlächelt und greife spontan nach seiner Hand, als ich höre, wie der nächste Song mein Countryherz höherschlagen lässt. „Nein, Ian", wehrt er sich halbherzig und lässt sich dann doch von mir zu "Fake I.D." von Big and Rich auf die Tanzfläche ziehen. Ich stemme meine Hände in die Hüfte und beginne mit einem einfachen Bus Stop. Roger schüttelt erst ungläubig den Kopf, doch steigt dann lächelnd mit ein. Unsere Stiefel wirbeln den Staub des Teppichs auf und Mary klatscht im Takt mit. Plötzlich greift Roger nach meiner Hüfte und übernimmt die Führung. Seine Hand liegt breit und dominant in meinem Rücken und seine andere Hand wirbelt mich herum, als wäre ich eine Puppe. Wo hat er nur so Tanzen gelernt?
Auch wenn ich nicht weiß, wie lange diese ausgelassene Stimmung halten wird, so genieße ich doch die Nähe zum Junior, der sich eindeutig wohl in der Rolle des Führenden fühlt. Doch ich lasse ihn, gefällt es mir doch ebenso gut, mich führen zu lassen. Erst, als ein lautes Räuspern den Raum erfüllt, lässt Roger mich fallen, wie eine heiße Kartoffel und stottert ein „Sorry", bevor er verlegen an seinem Vater vorbei stürmt und das Haus verlässt. Noch immer aufgeregt stelle ich die Musik leiser und blicke hilfesuchend zu Mary, die den Alten besser kennt als ich. Weiß Mackay Senior, dass sein Sohn auf Männer steht? Ist das vielleicht sogar ein Problem? Hat der Junior deshalb den Hof verlassen?
„Flynn", sagt Mary und steht vom Sofa auf. „Schade, dass du nicht da warst, wir haben so schön getanzt!", sagt sie und hängt sich kurz an meinen Arm. Ich nicke nur zustimmend.
„Mary, ich wollte dich nur bitten, mir morgen etwas aus der Apotheke mitzubringen", übergeht er das Thema. „Und nimm die Jungs mit. Die müssen mal wieder unter Leute", meint er, bevor er in seinem Zimmer verschwindet.
„Wie meint er das?", frage ich an Mary gewandt, doch sie zuckt nur die Schultern.
Wo Roger wohl jetzt hin ist? Als ich aus dem Fenster sehe, reitet grade jemand auf der schönen Appaloosa-Stute den Hügel hinauf. Ich will schnell nach draußen laufen, um Sunny zu satteln und Roger zu folgen. Nicht, dass er wieder in ein Erdloch fällt. Doch Mary hält mich am Arm zurück.
„Nicht Ian", sagt sie mit ruhiger Stimme. „Er braucht vielleicht einen Moment für sich!"
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