36 | Neuanfang
Zehn Monate sind vergangen und ich muss sagen, Mackay Hall erstrahlt in neuem Glanz!
Roger, Mary und ich haben nach der Testamentsverlesung tage- und nächtelang recherchiert, Pläne geschmiedet, Unterlagen gewälzt und mit der Bank gesprochen. Nach ein wenig hin und her haben wir beschlossen: Unser Hof soll wieder mit Leben gefüllt werden!
Die Idee mit den Flitterwochengästen hat Roger frühzeitig abgeschmettert. "Nichts ist nerviger, als sich um frischverliebte Paare zu kümmern", war sein schlagendes Argument. Nach einem traurigen Blick meinerseits hat er noch ein "Wir beide sollen das glücklichste Paar auf dem Hof bleiben!" ergänzt.
Die Idee mit den Businessworkshops gefiel ihm da schon besser. "Darauf Gruppen von weißen Männern kurz vor ihrer Midlifecrisis zu bekochen und ihre Betten zu beziehen habe ich wirklich keine Lust", warf Mary ein. "Hätte ich Hausfrau werden wollen, hätte ich geheiratet!", argumentierte sie.
"Nun gut", sagte ich eines morgens, nachdem ich die Nacht davor meine Onlineergebnisse für meinen Wirtschaftskurs erhalten hatte. "Wir werden einen Ort für junge Erwachsene und Kinder aus Mackay Hall machen. Schulklassen, die das Landleben kennen lernen wollen, Jugendfahrten für Heranwachsende, die noch nicht wissen, was sie im Leben machen wollen, vielleicht auch eine Möglichkeit für behinderte Jugendliche und solche, die eine traumatische Jugend hinter sich haben... Jeder ist willkommen!"
Roger fand die Idee gut, bremste mich aber auch gleich ein wenig. "Lass uns mit den Schulklassen anfangen. Maximal zehn Kinder plus Betreuer. Die Scheune bauen wir um, so dass Betten und Hängematten für genügend Gäste da sind. Aber wir brauchen einen Anbau, für gemeinsames Essen und Gemeinschaftsräume. Genügend Toiletten und Duschen."
"Wir brauchen eine Kuh", wand ich ein.
"Oder gleich zwei", merkte Mary an.
"Ich möchte den Hühnerstall erneuern! Und Mary kümmert sich um den Garten und den Anbau von genügend Gemüse." Meine Euphorie schien Roger anzustecken.
"Wir brauchen eine weitere Aushilfskraft. Denn du wirst dich zukünftig mehr um die Planung und Organisation kümmern, Ian. Du kannst dann nicht mehr den ganzen Tag im Stall und auf den Weiden verbringen!", schlug er vor.
"Du willst mich doch nur um dich haben, gib es zu", lächelte ich und zwinkerte Roger keck zu. Er grinste breit. "Ich will dich überwachen, damit du keinen Unsinn treibst", korrigierte er mich. "Du liebst doch meinen Unsinn", raunte ich und Mary erhob sich, um unter einem Vorwand aus der Küche zu verschwinden und uns kurz unserer Zweisamkeit zu überlassen.
Roger schmunzelte amüsiert, dann zuckte sein Kopf Richtung Treppe. Ich verstand sofort. Ergeben folgte ich ihm die Stufen nach oben. Auf dem Flur bogen wir allerdings nicht nach links, in unser gemeinsames Schlafzimmer ab, sondern nach rechts, in mein ehemaliges Zimmer. Roger öffnete die Tür zu unserem neuen Balkon, den er nach der Rückkehr auf den Hof als erstes hatte fertigstellen lassen. Der Balkon war dabei fast zu einer Dachterrasse mutiert. Auf dem Holzfußboden standen zwei bequeme Korbstühle vor einem kleinen Tischchen, auf dem noch unsere Weingläser vom Vorabend warteten. Um das Geländer hatte ich eine Lichterkette mit gelben Lampions gewickelt, die abends zusammen mit den Laternen auf dem Boden und den Sternen am Himmel um die Wette leuchteten.
Schweigend ließen wir uns auf den Stühlen nieder und Roger griff nach meiner Hand. Dieser Ort war zu unserer Oase geworden und nur wir zwei durften hier oben sein. Mary hatte im Gegenzug endlich eine Schaukel auf ihrer Veranda bekommen, wo sie abends sitzen und lesen konnte. Zufrieden schaute ich auf die Weiden, wo Sunny und Luna gemächlich nebeneinander grasten. Unsere Pferde hatten ebenso zueinander gefunden wie wir. Trotz eines holprigen Anfanges war ich nun umso glücklicher, Roger an meiner Seite zu haben und mit ihm unser Zuhause neu zu gestalten.
"Ian", unterbrach Roger die Stille. Ich drehte meinen Kopf zur Seite.
"Roger", antwortete ich grinsend.
"Ich liebe dich", sagte er fast nüchtern.
"Ich weiß", antwortete ich lachend.
"Lass uns hier zusammen alt werden, ja?" Seine Augen blitzten und ich verstand erst nicht, was er mir damit sagen wollte. Dann griff er in seine Hosentasche. "Ich habe hier noch etwas, das dir gehört", meinte er und hielt mir seine geschlossene Faust hin.
"Der Hund, den ich mir gewünscht habe?", scherzte ich. Diese Diskussion war für mich noch nicht beendet.
"Genau, ich habe den so klein geschrumpft, dass er in meine Hand passt", schnaubte Roger. Ich hatte es also noch drauf, ihn auf die Palme zu bringen. Natürlich ahnte ich, was sich in seiner Hand befand.
"Bist du dir sicher?", fragte ich ihn ernst. Roger zog kurz die Stirn kraus, dann hob er die freie Hand an meine Wange. "Bei dir kann man sich nie sicher sein. Aber ich habe beschlossen, das Abenteuer der Sicherheit vorzuziehen. Keine Ahnung, ob das alles hier so laufen wird, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir beide und Mary und ein Haufen Kinder", lachte er und ich musste grinsen. Roger hatte schon früh betont, dass er selbst keine eigenen Kinder haben wollte.
"Aber eines weiß ich sicher, Ian", sagte er bestimmt. "Mein Leben ist so viel lebendiger, seit du ein Teil davon bist. Und darauf möchte ich nie wieder verzichten."
Dabei zog er mein Gesicht an seines und wir versanken in einen liebevollen Kuss vor der, im Abendlicht der untergehenden Sonne glänzenden, Wiesen unserer Heimat.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top