2 | Mackay Hall
Die Fahrt zur Farm am Pineapple Creek am nächsten Tag ist lang, doch ich genieße jede Sekunde davon! Mr. Mackay ist ein sehr umgänglicher und freundlicher Mensch, mit viel Lebenserfahrung und einer guten Portion Humor. Da er nicht mehr so fit ist und wir vor Anbruch der Dunkelheit ankommen wollen, darf ich den Pickup Truck fahren, während er mich navigiert. Als wir am späten Nachmittag bei der Ranch ankommen, sind wir schon fast so etwas wie Freunde.
„Hier rechts", merkt Mr. Mackay an und zeigt aus dem Fenster. Ein sandiger Weg zweigt über ein Viehgitter von der einspurigen Asphaltstraße ab und führt noch knapp einen Kilometer weiter in das Nirgendwo kurz hinter Tamworth. Als das gelbgetünchte Wohnhaus im Kolonialstil in Sicht kommt, lächelt Mr. Mackay glücklich. Ich parke den Wagen auf dem großen Platz vor dem Haus und helfe dann meinem zukünftigen Boss aus dem Fahrzeug.
Ehrfürchtig sehe ich mich um. Das Haus steht mitten in der Einsamkeit der Landschaft, die abgesehen von den Weg und dem Hof, erstaunlich grün ist. Alte Bäume flankieren das Grundstück, hinter dem eine Hügellandschaft beginnt. In der Ferne sehe ich Schafe und Pferde grasen. Mein Mund formt sich zu einem Lächeln.
„Willkommen im Mackay Hall, Ian!"
„Dein Zimmer ist oben die Treppe hoch links. Entschuldige, dass ich es dir nicht zeigen kann", sagt Mr. Mackay „aber ich komme die Treppe nicht mehr so gut hoch."
„Kein Problem," meine ich, „ich schaffe das schon." Mit meiner schweren Sporttasche auf dem Rücken klettere ich die schmalen Stufen in den ersten Stock hinauf. Zur linken Seite verläuft ein kleiner Gang, von dem zwei Zimmer abgehen, eins nach rechts und eins nach links. Was hatte Mr. Mackay noch gesagt, das linke Zimmer?
Ich drücke die Klinke herunter und stoße die Tür in den Raum. Sonnenstrahlen fallen durch die blauen Vorhänge und beleuchten den Tanz des Staubes, der mir bewusst macht, dass dieses Zimmer lange nicht mehr benutzt worden ist. Wahrscheinlich hat sich seit der Abreise des Sohnes keiner mehr darum gekümmert. Auf der rechten Seite des Raumes steht ein breites Bett, welches frisch bezogen ist. Auf der linken Seite stehen eine kleine Kommode und ein Kleiderschrank aus Echtholz. Auf dem braunen Holzdielenboden liegt ein kleiner Teppich, der auch schon mal bessere Tage gesehen hat. Unter dem Fenster steht ein schmaler Schreibtisch mit einem Holzstuhl davor. Alles im allen sehr spartanisch, aber trotzdem gemütlich.
Ich lasse meine Sporttasche auf den Boden fallen, und mich auf das bequeme Bett. Dann verschränke ich die Arme hinter dem Kopf und starre an die Decke. Hier werde ich es auf jeden Fall eine Weile aushalten können. Man hätte es schlechter treffen können.
Plötzlich höre ich von unten ein Auto auf den Hof fahren. Neugierig gehe ich zum Fenster und schaue durch die Vorhänge hinaus. Ein alter, blauer Ford Mustang, der so gar nicht in diese staubige Einöde passen will, hat auf dem Weg eine gelbe Staubwolke hinter sich hergezogen und parkt nun mitten auf dem Hof. Aus dem Auto steigt ein Mann. Er ist groß, hat braune Haare und geht so entschlossen auf das Haus zu, dass mir der Verdacht kommt, dass es gleich Ärger geben wird. Ist das vielleicht der Typ von der Bank, von dem Mr. Mackay auf der Fahrt hierher gesprochen hat?
Kurzentschlossen verlasse ich das Zimmer und stelle mich an den Treppenabsatz, um zu lauschen. „Roger, ich hatte nicht damit gerechnet, dass du noch einmal herkommen würdest", höre ich Mr. Mackay sagen.
„Was glaubst du denn?", vernehme ich eine tiefe Stimme. „Nachdem alle in der Stadt darüber reden, dass du dir einen Rodeo-Reiter als Vorarbeiter ins Haus geholt hast, gehen bei mir natürlich die Alarmglocken an! Willst du etwa mein Erbe an irgendeinen dahergelaufenen Clown verschleudern?"
„Roger", versucht Mr. Mackay den Mann zu beschwichtigen. „Ian ist ein netter Junge, der sehr gut mit Pferden umgehen kann und zudem sehr fleißig ist und alles lernen will, was auf dem Hof gemacht werden muss. Und du hast ja selbst darum gebeten, dass ich dich mit dieser Aufgabe nicht mehr belästige! Du wolltest von hier weg und bist gegangen."
„Und jetzt bin ich wieder hier!", sagt die Stimme entschlossen. „Du kannst also diesem Ian sagen, dass wir ihn nicht mehr brauchen und ich mich jetzt um alles kümmern werde!"
„Roger, du hast doch gar keine Ahnung davon, was hier auf dem Hof gemacht werden muss. Du warst so lange weg!"
„Es ist immer noch unser Hof und ich habe hier mehr als die Hälfte meines Lebens verbracht. Ich bin ja nicht dumm und bekomme das schon hin, Vater", sagt er nun etwas ruhiger.
„Ich werde Ian nicht wieder wegschicken, Roger! Wenn du hierbleiben willst, könnt ihr euch gemeinsam um Mackay Hall kümmern. Vielleicht könnt ihr ja noch etwas voneinander lernen."
Ich höre nur ein abschätziges Schnaufen und entscheide, dass es nun Zeit für meinen Auftritt ist. Vielleicht benimmt sich der Spross meines Bosses, wenn ein Fremder anwesend ist, ja besser.
Betont laut gehe ich die Treppe zum Untergeschoss hinunter. Mein Boss und der große Braunhaarige stehen in der großen Küche und ich begrüße den Neuankömmling mit einem Lächeln.
„Hi, ich bin Ian", sage ich und reiche ihm meine Hand. Doch der breitschultrige Schönling, mit seinem akkurat gestutzten Bart und den nach hinten gegelten Haaren, verschränkt nur die Arme mit den Händen, die noch nie harte Arbeit gesehen zu haben scheinen, vor der Brust und grummelt „Mr. Mackay", bevor er sich wieder seinem Vater zuwendet. „Roger!", tadelt dieser seinen Sohn, doch ich winke ab.
„Ist schon okay, Mr. Mackay. Ich finde es durchaus verständlich das Mackay Junior diese Form der Anrede bevorzugt, wo er doch um einiges älter zu sein scheint als ich", sage ich höflich und bemerke zu meiner Freude den pikierten Gesichtsausdruck des Juniors, der mit geschätzten Anfang dreißig nur ein paar Jahre mehr auf dem Buckel hat, als meiner eins.
Herablassend sehen mich Rogers braune Augen an, scannen meinen sportlich schlanken Körper, huschen über meine hellbraunen Wuschelhaare und bleiben kurz an meinen blaugrünen Augen hängen. Sein Blick hat nichts Freundliches an sich und er scheint sich schon dazu entschlossen zu haben, mich nicht mögen zu wollen.
„Ich bleibe", beschließt Roger schließlich. „Aber über den Rest reden wir noch!", kündigt er an und drängt sich dann an mir vorbei zur Tür, vermutlich um seine Sachen zu holen.
„Reizend", nicke ich, als Roger aus der Küche verschwunden ist, „wirklich, ein sehr netter Bursche. Der ist wohl nach dem Fall vom Baum den Berg heruntergerollt", sage ich und schüttele den Kopf.
„Sei nicht so streng mit ihm", bittet mich der alte Mann und hustet kurz, wobei er sich am Tisch abstützen muss, weil es ihn so anstrengt. „Er hat es nicht immer leicht gehabt, hier. Es gibt nun mal Landmenschen und Stadtmenschen. Und Roger war hier nie wirklich glücklich, vor allem, nachdem seine Mutter verstarb."
Für eine Sekunde spüre ich tatsächlich Mitgefühl für diesen jungen Mann, aber nur bis er mit seinem Riesenkoffer durch die Tür stürmt und ihn laut scheppernd die Treppe hochzieht. Bei jeder Stufe macht das Ding einen Heidenlärm und ich bin mir sicher, dass das so von ihm gewollt ist. Kurz nachdem er oben angekommen ist, höre ich ihn schon meinen Namen rufen. Es klingt wie ein Befehl: „Ian!"
Eilig laufe ich die Stufen nach oben. Vielleicht hat er ja einen Skorpion oder eine Schlange gesehen. Doch als ich oben ankomme, steht er nur im Flur und drückt mir meine Reisetasche in den Arm. „Was soll das?", frage ich perplex.
„Das ist mein Zimmer!", sagt er nur.
„Und wo soll ich dann schlafen?", frage ich verwirrt.
Roger geht zu der Tür auf der gegenüberliegenden Seite und öffnet sie. Das Zimmer ist stockdunkel und als ich einen Blick hineinwerfe, riecht es dort staubig und modrig, so als habe seit mindestens dreißig Jahren keiner mehr diesen Raum betreten.
„Das ist nicht dein Ernst, oder?", frage ich, doch da hat Roger schon die Tür zu seinem Zimmer zugeschlagen und mich einfach im Flur stehen gelassen.
Da mir nichts anderes übrigbleibt, suche ich mit meiner Hand nach dem Lichtschalter neben der Tür. Die offene Glühbirne an der Decke wirft nur ein spärliches Licht in den Raum, der das Wort Abstellkammer kaum verdient hat, und ich taste mich langsam zum Fenster vorwärts, um die dicken Vorhänge beiseitezuschieben, die den Raum so finster machen.
Als ich diese mit einem Ruck beiseiteziehe, stürzt mir die Gardinenstande krachend entgegen und eine dicke Staubschicht begräbt mich unter sich, wodurch ich laut anfangen muss zu husten. Ich rappele mich auf und versuche das Fenster zu öffnen, doch es klemmt und plötzlich halte ich den Griff in der Hand. Hinter mir höre ich ein lautes Lachen. Der Lärm muss den Schaulustigen angelockt haben.
„Ich wusste doch, Rodeo-Clowns fühlen sich wohl in Staub und Dreck!", grinst er mich schadenfroh an.
„Etwas, dass deine manikürten Findernägel bestimmt noch nie zu sehen bekommen haben", schieße ich zurück und gehe zielstrebig auf ihn zu.
„Wenn du wirklich hierbleiben willst, wirst du keine große Freude dabei haben, dass verspreche ich dir", zischt er grimmig.
„Mal sehen, wer von uns zuerst den Schwanz einzieht", setze ich dagegen. Mein Blick bohrt sich in seinen und wir beide wissen, dass dies nur der Anfang einer wunderbaren Feindschaft sein wird. Wortlos werfe ich ihm die Tür vor der Nase zu.
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