4.

Nicos Sicht

Schlagartig wurde meine Zimmertür aufgestoßen und ein vor Wut kochender Markus stürmte herein. Er war wohl gerade erst von der Arbeit zurück gekommen, denn er trug noch seinen schnöseligen Anzug.

Ich sprang auf, doch Markus hatte mich schon an den Schultern gepackt und drückte mich mit voller Kraft gegen meinen Kleiderschrank. "Deine Mutter hat mir gerade von einem sehr interessanten Telefonat mit deiner Lehrerin erzählt",sagte er und ich konnte seinen  ekligen Atem auf meinem Gesicht spüren. Leicht panisch versuchte ich mich aus seinem Griff zu befreien, doch es klappte nicht.

"Du rauchst... Während den Pausen und warst in letzter Zeit auffällig oft nicht in der Schule! Stimmt das? Und lüg mich jetzt bloß nicht an du kleiner Bastard!", blaffte er mich an. Ich hatte schon gehofft, dass Frau Hempen  den Anruf vergessen hatte, aber anscheinend war dieser Wunsch nicht in Erfüllung gegangen.

"Ja",sagte ich schlicht. Zu lügen hätte keinen Sinn gemacht, er hätte mir eh nicht geglaubt und Erklärungen würden mir jetzt auch nichts bringen.

Markus sah nun noch wütender aus als vorher, holte aus und schlug mir mit voller Wucht ins Gesicht. Er traf mein linkes Auge. Für einen kurzen Moment war mir ziemlich schwindlig, doch ich schaffte es stehen zu bleiben. Mein Kopf dröhnte und pochte wie verrückt, ich versuchte aber, mir das nicht anmerken zu lassen.

"Du Missgeburt bringst nichts als Schande über unsere Familie ist das der Dank dafür, dass..." Ich faste all meine Kraft zusammen und unterbrach ihn: "Der Dank für was? Nenn mir irgendwas, was ihr jemals aus reiner Nettigkeiten für mich getan habt!"

Markus holte zu einem weiteren Schlag aus, doch in dem Moment schubst ich ihn mit voller Kraft weg, sodass er auf dem Boden landete und mit dem Kopf gegen meinen Schreibtisch knallte.

Für einen kurzen Moment saß er einfach auf der Erde uns starrte mich überrascht an. "Ich bin kein kleines Kind mehr Markus, das du herum schubsen kannst wie es dir gerade passt", sagte ich schwer atmend.

Er sah noch immer ziemlich benommen aus, also hoffte ich er würde aufstehen und einfach verschwinden. Er richtete dich langsam auf, machte einen Schritt auf die Tür zu, drehte sich dann aber wieder zu mir und schloss seine kalten Hände um meinen Hals.

Damit hatte ich nicht gerechnet. Er drückte mich wieder gegen den Schrank. Seine Hände schlossen sich fester um meinen Hals und ich rang verzweifelt nach Luft. Ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit.

Er wird gleich aufhören, er wird mich nicht umbringen, versuchte ich mir einzureden. Doch Markus grinste weiterhin nur befriedigt und sah nicht so aus als würde er gleich aufhören wollen.

"Du willst mich doch nicht umbringen oder?", krächzte ich, "ich meine, das würdest du nicht tun." Er lächelte noch breiter und antwortete nur: "Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher", und drückte noch fester zu.

Vielleicht hätte er es wirklich getan, wenn ich nicht nochmal meine letzte Kraft zusammen genommen hätte. Ich schlug seine Arme weg und trat ihm gleichzeitig zwischen die Beine. Er schrie auf und ließ mich los.

Ich versuchte verzweifelt zur Tür zu gelangen, doch da landete auf einmal etwas sehr schweres und hartes auf meiner rechten Schulter. Ich hörte wie Markus hinter mir lachte, als mir wegen dem höllischem Schmerz schwarz vor Augen wurde und ich auf dem Boden zusammen sackte. Alles drehte sich.

Als ich wieder klar sehen konnte stand Markus über mir und funkelte mich mit seinen giftgrünen Augen fast teuflisch an. Er hielt eine leere Gasflasche in der Hand , die ich in meinem Zimmer stehen gelassen hatte. Er ließ sie schwenken und sagte ruhig: "Ich könnte auch nochmal zuschlagen, aber das tue ich nicht, denn ich bin gnädig. Also sei gefälligst dankbar!"

Er verschwand aus meinem Blickfeld und seine Schritte entfernten sich. Stöhnend setzte ich mich auf. Alles tat mir weh, aber vor allem meine Schulter machte mir Sorgen. Diesmal war er wirklich zu weit gegangen.

Eigentlich war ich es gewohnt von ihm geschlagen zu werden. Er hatte es schon so oft getan. Schon seit ich ihn kannte und ich hatte ihn mit 5 kennengelernt.

Er war ein Monster. Niemand sonst könnte ein fünfjähriges Kind schlagen und sich gut dabei fühlen, da war ich mir sicher.

Ich fragte mich wie er zu so etwas werden konnte. An seinen Eltern konnte es nicht liegen. Die beiden lebten inzwischen wieder in den USA und führten dort ein vorbildliches Leben in einer Vorstadt. Wir besuchten sie ein paar Mal im Jahr und sie schienen nette Leute zu sein, die ihren Sohn wirklich gern hatten.

Markus legte dann immer seine "perfekter Vater Visage" auf und tat so alles wären wir die glücklichste Familie überhaupt und würden uns alle lieben. Sie wussten nicht wie er wirklich war, fast niemand wusste es.

Meine Mutter jedoch, ja sie wusste es. Nicht das er sie schlagen würde, das würde er nie tun, aber sie hatte ihm schon so oft dabei zugesehen und ein paar Mal hatte die ihn auch selber dazu angestifftet. Selbst hatte sie mich zwar nie geschlagen, aber mich leiden zu sehen schien sie genauso zu befriedigen wie ihn.

"Ist alles okay bei dir?" leuchtete eine halbe Stunde später eine Nachricht auf meinem Handy auf. Ohne nachzudenken griff ich mit der rechten Hand danach, bereute es aber direkt wieder, als ein stechender Schmerz durch meinen Arm zog. "Fuck", fluchte ich und nahm dann meinen linken Arm zu Hilfe.

Die Nachricht war von Till, da ich im Moment echt keine Lust auf Erklärungen hatte antwortete ich einfach mit einem "Ja", obwohl ich wusste, dass das nicht ganz stimmte.

Ich entschied mich ins Badezimmer zu gehen um mir meine Verletzungen im großen Spiegel noch einmal genauer anzusehen.

Ich schloss meine Zimmertür hinter mir und ging den dunklen Flur entlang. Auf einmal stieß ich mit jemandem zusammen und erschreckte mich fast zu Tode. Bitte lass es nicht Markus sein, dachte ich nur und schaltete schnell das Licht ein. Es war Mirinda, die mir da gegenüber stand.

Sie schaute mich für einen kurzen Moment geschockt an, fing sich dann aber wieder und musterte mich abfällig.

"Was willst du?", fragte ich. "Von dir gar nichts", sagte sie, "ich hab nur gerade Leslie ins Bett gebracht. Nach einer kurzen Pause meinte sie vorwurfsvoll:" Markus überlegt ins Krankenhaus zu gehen!"

Ich konnte es nicht fassen, war das ein Scherz? "Ist das dein scheiß Ernst", fragte ich fassungslos, "wenn dein geliebter Ehemann solche Verletzungen in Zukunft vermeiden will, sollte er vielleicht aufhören mich anzugreifen."

Jetzt sah sie echt wütend an und meinte:  "Ich werde..." "Was? Was wirst du tun", unterbrach ich sie, "wieder zu Markus rennen, damit er das regelt? Wirklich mutig! Du bist so schwach und bekommst nichts ohne ihn hin. Merkst du nicht wie abhängig du von ihm bist?"

Ohne ihre Reaktion abzuwarten ging ich ins Badezimmer und knallte die Tür hinter mir zu. "Scheiße" flüsterte ich als ich mich im Spiegel sah. Mein Auge war jetzt schon total blau und geschwollen, an meinem Hals sah man die Stellen, an denen Markus mich gewürgt hatte und meine Schulter sah echt übel aus.

Sie war wie ein einziger großer Bluterguss und ich vermutete, dass irgendetwas mit meinem Schlüsselbein war, denn das sah echt nicht normal aus.

Ich versuchte die Stellen mit Wasser zu kühlen, das brachte jedoch nicht viel, also verließ ich das Badezimmer mit einem seufzen. Als ich auf den Flur trat, stand da schon wieder jemand vor mir. Diesmal war es Leslie im Pyjama , die mich von oben nach unten musterte.

"Also doch", sagte sie. "Was meist du und was tust du überhaupt hier, solltest du nicht schlafen?", fragte ich genervt. "Wie man wohl kaum übersehen kann hast du doch was gemacht", erklärte sie und deutete auf mein blaues Auge. "Ja", sagte ich und musste mich zusammenreißen sie nicht die Treppe runter zu schubsen, "bist du jetzt zufrieden?" "Schon", antwortete sie und verschwand ins Badezimmer.

Am nächsten Morgen wurde ich von meinen Wecker bereits um viertel vor sechs geweckt. Ich hatte ihn extra so früh gestellt, um vor meinen Eltern aus dem Haus zu sein.

Ich schleppte mich runter in die Küche, obwohl sich mein ganzer Körper dagegen zu wehren schien. Dort traf ich auf Helga, die anscheinend schon begonnen hatte das Frühstück vorzubereiten. Sie schaute mich mitleidig an und bot mir ein Croissant an.

Ich nahm das Croissant zwar an, wollte ihr Mitleid aber eigentlich nicht. Ich wusste, dass sie sich extra viel von meinem Vater bezahlen ließ, damit sie niemandem von seinen regelmäßigen Gewaltausbrüchen erzählte. Vielleicht sollte ich nicht so streng mit ihr sein, ich wusste nicht besonders viel über sie, nur, dass sie irgentwo aus Osteuropa kam und noch nicht lange in Deutschland lebte. Vielleicht war ihre Familie arm, vielleicht brauchte sie das Geld um ihre Kinder zu ernähren. Ich wusste es nicht.

Da ich wie gesagt keine Lust hatte doch noch auf irgendwen anders zu treffen, verließ ich möglichst schnell das Haus und nahm mir vor den Rest der Zeit einfach an der Bushaltestelle zu warten.

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