35.

3 Jahre später

Nico

"Da bist du ja endlich. Boah, das war echt scheiße, gefühlt war das viel schwerer als wir das im Unterricht gemacht haben. Ich hab glaub ich mega verschissen,", meinte Till kopfschüttelnd, als ich ihm aus dem Klassenraum entgegen kam.

Wir hatten gerade eine Abi-Klausur in  Englisch hinter uns gebracht, die es in der Tat in sich gehabt hatte. Ich hatte noch ein bisschen länger gebraucht als Till, weswegen er draußen auf mich gewartet hatte.

"Ja ist echt so, das war einfach richtig schwer" meinte auch ich und massierte meinen Kopf, der vom vielen Denken noch brummte.

"Zum Glück haben wir das bald alles hinter uns" sagte Till euphorisch.

Ja das stimmte. Ich könnte es, jedoch irgendwie immer noch nicht glauben, dass ich bald mein Abitur haben würde. Vor drei Jahren hätte ich das auf jeden Fall nicht für möglich gehalten. Meine Noten waren damals wirklich schlecht.

Doch mit der Verhaftung von Markus war mein Leben und damit auch meine schulischen Leistungen definitiv bergauf gegangen.
Ohne die ständige Angst und dem von ihm ausgeübten Stress und Druck, war ich deutlich motivierter und konnte mich besser konzentrieren.
Auch Till hatte es geschafft sich durchzukämpfen. Wenn auch nicht immer mit Bestleistungen, hatte es  irgendwie gereicht.

Tills Handy gab ein leises brummen von sich, während wir die Straße runter liefen. Er holte es aus seiner Hosentasche nur um es dann mit einem genervten Stöhnen wieder wegzupacken.

"Amelie hat geschrieben", teilte er mir mit, "sie will, dass ich vorbei komme und mit ihr für ihre Physik Klausur lerne. Als ob ich ihr da irgendwie helfen könnte. Ist ja auch nicht so, dass sie wahrscheinlich eh wieder 15 Punkte oder sowas schreibt.

Ich grinste. "Wir kann bitte eigentlich freiwillig Physik wählen.“ Ich tat so als müsste ich kotzen.

"Is so, würd ich ja auch nie machen, ich hatte letztes Jahr ne fünf."

Till brachte mich mit seinem Auto nach Hause. Es war ein ziemlich klappriger, abgeblätterter Wagen, der seine beste Zeit schon hinter sich hatte, auf den er dennoch sehr stolz war.

Wir hielten vor der Einfahrt unseres kleinen Häuschens, dessen gelbe Farbe und rot gestrichene Haustür recht einladend wirkten. Im Vorgarten blühten schöne Tulpen, die Mirinda selbst eingepflanzt hatte. Die Einfahrt war ordentlich gepflastert, auch wenn hier und da ein bisschen Unkraut zwischen den Steinen herauslugte.

Nachdem Markus ins Gefängnis gekommen war, waren wir hier eingezogen und meine Mutter hat wieder angefangen als Krankenschwester zu arbeiten.

Das Haus gefiel mir, obwohl es viel kleiner war als unser altes, tausendmal besser.
Vielleicht lag das daran ,dass ich mit dem alten Haus so viele schlechte Erinnerungen verbannt und es für mich nie wirklich ein Zuhause war. Der Umzug hatte mir gut getan, er war ein Teil des Neuanfangs.

"Und? Wie war die Klausur?",fragte meine Mutter, als ich mich zu ihr und Leslie an den Esstisch setzte.
"Nicht so gut irgendwie, die Aufgaben waren mega schwer, ganz anders als wir das geübt hatten."
Ich seufzte.
"Ach wie blöd, aber du bist doch eigentlich gut in Englisch. So schlecht war es bestimmt nicht."
Ich nickte.
Sie begann Leslie nach ihrem Schultag zu fragen, die ebenfalls eine Arbeit geschrieben hatte. Sie erzählte munter vor sich hin und erklärte stolz, dass sie alles gewusst hätte.

Früher hätte ich mich nie getraut zuzugeben, dass eine Arbeit schlecht gelaufen war.
Doch vieles hatte sich geändert, auch Leslie und meine Mutter.
Es wäre zwar gelogen gewesen zu sagen, dass wir ein besonders enges, vertrautes  Verhältnis hätten, aber es hatte sich auf jeden Fall gebessert.
Ich würde jedoch nie vergessen wie sie mich früher behandelt haben und wusste auch nicht ob ich meiner Mutter jemals verzeihen könnte.
Ich versuchte mich ständig daran zu erinnern, dass Leslie damals, genau wie heute, noch ein kleines Kind war und dass Mirinda schwere psychische Probleme hatte, trotzdem fiel es mir manchmal schwer Zeit mit ihnen zu verbringen und so zu tun als wäre es nie anders gewesen.
Wir sprachen nie darüber was früher gewesen war.
Meine Mutter war immer nett zu mir und tat so, als hätten wir nie anders gelebt, ich wusste nicht, wie ich das finden sollte.
Einerseits fand ich es feige sich seine Fehler nicht einzugestehen, anderseits hatte ich selbst nicht wirklich große Lust mit ihr darüber zu sprechen.

"Nico", riss mich Mirinda aus meinen Gedanken, "bist du fertig mit essen? Es ist schon halb drei, du musst gleich los, zu deinem Therapeuten."
Ich nickte, sie nahm meinen Teller und räumte ihn in die Spülmaschine.

Einmal in der Woche musste ich zur Teraphie, und das schon seit drei Jahren.
Am Anfang hatte es mir überhaupt nicht gefallen, doch nach ein paar Wochen merkte ich, wie gut es mir tat, endlich Mal mit jemandem zu sprechen. Jemanden zu haben, der nichts mit dem ganzen zu tun hatte und mir trotzdem zuhörte.





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