34.

Tills Sicht

Am Morgen von einem nervigen Klingeln aus dem Schlaf gerissen.
Ich brauchte ein wenig, um es als den Klingelton meines Handys zu identifizieren.
Wer rief mich bitte schon so früh am Morgen an, es war Samstag.
Ich hatte nicht gut geschlafen. Da waren einfach zu viele Sachen, über die ich nachdenken musste.

Ich griff nach meinem Handy. Es war Amelie. Ich hoffte sie wollte nicht streiten, ich hatte da jetzt keinen Nerv für.

"Hallo?",sagte ich verschlafen.
"Till, ich habe gute Neuigkeiten", sagte sie aufgeregt.
"Was ist los?",fragte ich gespannt.

"Markus ist im Gefängnis und wird da so schnell auch nicht wieder rauskommen."
"Bitte was? Warum?", fragte ich verwirrt.
"Nicos Oma hat der Polizei alles erzählt..."
"Seine Oma? Ich dachte sie wüsste nichts davon", sagte ich.
"Naja,...wusste sie auch nicht, bis gestern",erklärte Amelie vielsagend.
"Wie meinst du das?", fragte ich.
Sei bitte nicht sauer... ich hab ihr davon erzählt", sagte sie verlegen.

"Du hast es ihr erzählt? Du kannst doch nicht einfach..."
"Ich bereue das ganz und gar nicht", unterbrach sie mich, "wenn Nicos Oma nicht zur Polizei gegangen wäre, sähe es für Nico jetzt überhaupt nicht gut aus."
"Warum?"
"Sie kamen gerade rechtzeitig, Markus war wohl gerade dabei Nico ziemlich heftig zu schlagen, als sie bei ihnen zuhause ankamen. Er ist jetzt im Krankenhaus."
"Oh Gott, wie geht's ihm? Woher weißt du das alles?", fragte ich
"Die Polizei hat bei uns angerufen, weil...da ist auch noch was anderes..."
"Was?"
"Nicos Oma hat, als sie zur Polizei gegangen ist, auch noch zugegeben, dass sie meinen Vater ermordet hat ."

Ich seufzte.
"Scheiße, das ist echt schlimm für Nico, warum hat sie das wohl so plötzlich gemacht?"
"Keine Ahnung, ich kann nicht sagen, das ich mich nicht darüber freue. Sie hat meinen Vater getötet, sie verdient es bestraft zu werden. Aber für Nico ist das echt scheiße."

Jap, das war es, aber ich konnte Amelie natürlich ebenfalls verstehen, sie hatte wegen ihr ihren Vater verloren.
Ich konnte nicht fassen, was ich gerade alles erfahren hatte.
Markus war verhaftet worden und wenn sie ihn dabei erwischt hatten, wie er Nico geschlagen hatte würde er auch mit den besten Anwälten nicht ungestraft davon kommen.
Das waren die besten Neuigkeiten seit langem.

"Jedenfalls will ich jetzt sofort Nico im Krankenhaus besuchen. Kommst du mit?"
"Ja klar!", sagte ich sofort, "weißt du was genau er hat?"

Ich ging aus meinem Zimmer und stieß dabei meine alte Gitarre um, die mit einem lauten Knall auf dem Boden landete.
Scheiße, ich hoffte meine Eltern waren nicht aufgewacht.

"Ne ich weiß nicht genau, was er hat, aber es ist wohl nicht ganz ohne", antwortete sie.
"Mhhm okay, man ich bin froh, dass dieses gestöhrte Arschloch jetzt endlich eingesperrt ist", meinte ich, während ich die Treppe runter lief.
"Ja, ich auch", sagte Amelie, "holst du mich dann gleich mit dem Roller ab?"
"Jep, bis gleich sagte ich."

"Tiiiiiill", rief meine Mutter.
Na super!
"Jaaaa?"
"Kommst du mal bitte?"
Ich betrat ihr Schlafzimmer, wo meine beiden Eltern auf dem Bett saßen.

"Wen nennst du bitte ein "gestörtes Arschloch"?", fragte mein Vater.
"Ähm... Ist nicht so wichtig", sagte ich gehetzt und wollte schnell wieder verschwinden.
Doch mein Vater hielt mich zurück.
"Was ist los? Wo willst du hin? Es ist grad mal sieben Uhr."

"Ich muss in Krankenhaus, will da jemanden besuchen", sagte ich knapp.
"Wen?"
"Nico...",sagte ich vorsichtig.
"Warum denn das? Was hat er?", fragte meine Mutter besorgt.
"Weiß ich nicht genau", antwortete ich und war schon zur Tür raus als meine Mutter sagte, "Till, du verheimlicht uns was."

Ich stockte. Ja das tat ich, aber warum eigentlich? Es gab nichts mehr zu verheimlichen.

"Okay...", ich ging wieder zurück ins Schlafzimmer, "Nico hatte Streit mit seinem Stiefvater und... er ist etwas handgreiflich geworden."
Ich sah sie zerknirscht an.
Die Beiden starrten mit großen Augen zurück.

"Wegen ihm ist Nico im Krankenhaus?", kreischte meine Mutter.
Ich nickte.
Mein Vater schüttelte fassungslos mit dem Kopf.
"Das ist nicht das erste Mal, dass das passiert ist oder?" , fragte meine Mutter, sah dabei aber so aus als ob sie die Antwort gar nicht wissen wollte.

"Nein",antwortete ich mit einem seufzen.
"Über wie oft sprechen wir hier?", fragte mein Vater Ernst.
"Sehr oft", sagte ich ausweichend, "und auch schon sehr lang."

"Till! Warum hast du uns das nie gesagt? Der Mann gehört eingesperrt!", warf mir meine Mutter vor.
"Ging nicht, ich habs Nico versprochen. Er hatte Angst, das ihm keiner glauben und Markus sich irgendwie aus der Sache rauswinden würde. Aber gestern sind Polizisten zu Nico nach Hause gekommen und haben Markus dabei gesehen, wie er ihn geschlagen hat. Sie haben ihn daraufhin verhaftet. Also ist alles gut."

"ALLES GUT? Nico ist im Krankenhaus, " sagte meine Mutter aufgebracht.
"Ja, und deshalb muss ich jetzt auch los und Amelie abholen, damit wir zusammen dahin fahren können", sagte ich.
"Nichts da!", meinte meine Mutter sofort, "wir kommen mit!"
"Aber...", setze ich an.
"Keine Widerrede", stimmte mein Vater ihr zu, "setzt dich schon al ins Auto, wir kommen gleich."

Ich seufzte. Ich hatte keine Ahnung, ob Nico es so toll finden würde, wenn ich gleich mit meiner ganzen Familie bei ihm auflaufen würde.

Wir fuhren gemeinsam zu Amelie, die mir einen fragenden Blick zuwarf, als die meine beiden Eltern im Auto sah.

"Sie wollten unbedingt mitkommen", erklärte ich ihr mit einem Schulterzucken.
Sie nickte und umarmte mich. Sie im Arm zu halten fühlte sich unglaublich gut an. Aufgrund der ganzen Probleme in den letzten Tagen hatte es einige Spannungen zwischen uns gegeben, doch heute fühlte es sich so an als ob endlich alles gut werden könnte.

Im Krankenhaus angekommen, fragten wir sofort nach Nicos Zimmer.
Wie sich heraus stellte war er nicht mehr auf der Intensivstation sondern auf einem normalen Zimmer.

Ich konnte meine Eltern überreden erst mal nur Amelie und mich reingehen zu lassen. Vorsichtig klopfte ich an due Tür.
"Herein!", hörte ich Nico mit schwacher Stimme sagen.

Ich schnappe scharf nach Luft, als ich ihn sah. Er sah echt übel zugerichtet aus. Sein Gesicht war voller blauer Flecken, seine Arme sahen nicht besser aus und er war kreidebleich.
Seine schwarzen Haare standen zu allen Seiten ab und es sah so aus, als ob aus seinen sonst so blauen Augen jegliche Farbe verschwunden wäre.

"Alter, ich hab mich schon gefragt, wann ihr hier auftaucht", sagte Nico mit einem leichten Grinsen.
"Bin extra früh aufgestanden, weiß nicht ob sich das gelohnt hat", sagte ich und grinste ebenfalls.

"Wie geht's dir?", fragte Amelie.
"Echt super", antworte Nico ironisch.
Sie verzog das Gesicht.
"Hast du Schmerzen?",fragte sie dann.
"Ne nur ein bisschen, die haben mir irgend so welches Zeug dagegen gegeben, das Problem ist eher das ganze drum herum."

"Deine Oma?"
"Auch", antwortete er.
"Das tut mir echt Leid", sagte sie aufrichtig.
"Muss es nicht. Sie hat deinen Vater getötet", sagte er.

Es gab eine kurze Stille.
Dann begann ich ihn danach zu fragen, was für Verletzungen er genau hat. Wir sprachen eine kurze Zeit darüber, dann erzählte ich ihm davon, dass meine Eltern mitgekommen waren und ihn gerne sehen würden.

"Hast du ihnen alles erzählt?", fragte Nico.
Ich nickte vorsichtig.
Er zuckte nur mit den Schultern.
"Okay"

Ich bemerkte, dass meine Mutter zurück halten musste nicht aufzuschreien, als sie Nico sah. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Ich wünschte nur sie würde aufhören ihn so wütend anzusehen, auch wenn ich wusste, dass ihre Wut mich ihm, sondern Markus galt.

Nico und meine Eltern sprachen ungefähr nochmal über das gleiche über das wir gerade schon gesprochen hatten. Doch dann stellte meine Mutter eine Frage, über die ich mir bis jetzt noch gar keine Gedanken gemacht hatte.
"Wo wirst du nun wohnen?"
"Bei meiner Mutter", antwortete Nico, als wäre das selbstverständlich.
"WAS?",fragte ich, "du willst weiterhin bei dieser Gestörten wohnen? "
"Meine Mutter ist einfach nur dumm und leicht zu manipulieren, ohne Markus ist sie niemand. Ich werde schon mit ihr klar kommen."
Meiner Eltern sahen ihn ein wenig geschockt an.
"Also hast du nicht gegen sie ausgesagt?", fragte Amelie.
Nico schüttelte mit dem Kopf.

"Okay, ab jetzt kann eigentlich sowieso nur alles besser werden."

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