3.

Tills Sicht

"Was soll das hier werden?", fragte Frau Hempen, Nicos und meine Klassenlehrerin mit ihrer krächzenden Stimme. Sie war wie aus dem Nichts hinter uns aufgetaucht.
"Ihr wisst ganz genau das ihr das Schulgelände während den Pausen nicht verlassen dürft und schon gar nicht um zu rauchen!"
Ich schaute die anderen an. Nico sah so aus als wollte er sich entschuldigen, doch ich kam ihm zuvor:"Ich denke nicht, dass es sie zu interessieren hat ob wir rauchen oder nicht. Außerdem sind wir nicht wirklich weit von der scheiß Schule weg."

Es war wahrscheinlich nicht besonders schlau das zu sagen, aber das war mir in dem Moment egal gewesen. Nico fand es anscheinend nicht so gut den er sagte vorwurfsvoll:"Till, hör auf damit!" Woraufhin Leo nur den Kopf schüttelte. "Oh man Nico du Pussy er hat doch recht", meinte er.

Frau Hempen sah uns nur fassungslos an:"Solche Frechheiten werde ich hier nicht länger dulden", stellte sie klar, "ihr macht jetzt alle diese Dinger aus und begleitet mich zurück zum Schulgelände.... SOFORT!"

"Ich hab dir doch gleich gesagt, das mit den Zigaretten ist ne Scheißidee du Idiot", sagte Jolina zu Leo während wir Frau Hempen folgten.
"Uhhh Erster Stress im Paradies", witzelte Luke.
"Halt deine vefickte Fresse du...", begann Jan wurde jedoch von Frau Hempen unterbrochen: "Also ich muss doch sehr bitten."
Woraufhin Leo zu meiner Überraschung den Mund hielt.

Als wir da waren fragte sie Leo, Jolina und Luke nach ihren Klassenlehrern. Mir fiel auf, das Leo einen falschen Lehrer nannte, was Anna ihrem Gesicht nach zu Urteilen nicht besonders gut hieß.
" Gut ich werde dafür Sorgen das eure Eltern über euer ungehorsames Verhalten informiert werden. Eure werde ich höchst persönlich anrufen", sagte sie und deutete mit ihrem knochigem Zeigefinger auf Nico und mich.

Scheiße, dachte ich nur während die anderen zu protestieren begannen. Um meine Eltern machte ich mir nicht so viele Sorgen. Sie waren ziemlich locker drauf und würden maximal ein bisschen wütend sein. Bei Nico war das ein bisschen anders. Ich warf ihm einen besorgen Blick zu, doch er wich mir aus.

Frau Hempen hatte anscheinend alles gesagt, was sie loswerden wollte, denn ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und ging.
"Diese alte Hexe", meinte Jan.
"Das was sie da anhatt sieht aus wie aus dem vorletzten Jahrhundert und von ihrer hässlichen Katze ausgekotzt", bemerkte Luke.

Ich sah ihr hinterher Luke hatte, was Frau Hempens Kleiderwahl anbelangte ziemlich recht. Ebenfalls nicht gerade modern war ihr strenger Dutt ihm Nacken und ihre Runde Leserbrille, auf die fucking Harry Potter bestimmt neidisch gewesen wäre.

Nicos Sicht

"Boar war Mathe langweilig ich bin ungelogen dreimal eingeschlafen", meinte Till, als wir unsern stickigen Klassenraum nach der letzten Stunde verließen.
"Mmmmh", machte ich, war mit den Gedanken aber woanders.
"Machst du dir Sorgen wegen der Zigaretten Sache", fragte Till sofort, "du kannst jetzt auch mit zu mir kommen, wenn du willst."
"Ach Quatsch, es wird schon nicht so schlimm werden", meinte ich, war mir da aber selbst nicht so sicher.
"Wenn doch verlass ich mich darauf, dass du meine Grabrede schreibst", versuchte ich ihn aufzumuntern, doch der Witz zog nicht und er lachte nicht und sagte nur: "Wenn du meinst. Ich schreib dir nachher noch mal nur für den Fall..."
"Mach das bis Morgen", verabschiedete ich mich und trat aus der Eingangstür ins Freie.

Ich ging vorbei an dem großen Eingangsschild meiner Schule, auf dem in roten Buchstaben "Herzlich willkommen an der Blütenberg-Gesamtschule" eingraviert war. Blütenberg, das war ein schöner Name für eine Stadt. Es hörte sich einladen und freundlich an, so als wäre hier jeder willkommen und als wäre es ein perfektes Zuhause. Blütenberg, das war die Stadt in der ich geboren wurde und die mein Zuhause sein sollte.

Doch war sie das? Manchmal fühlte ich mich so fremd hier, als wäre es nicht der richtige Platz für mich, so als würde ich einfach nicht hier hingehören.
Doch wen interessierte das schon, ich musste mich damit abfinden, so wie ich mich immer mit allem abfand, seit dem ich ein kleines Kind war. Irgendwie hatte ich aber das Gefühl, dass ich die Fassade nicht mehr lange aufrecht erhalten konnte und schon bald mit ihr zusammenbrechen würde. Ich schwor mir es nicht so weit kommen zu lassen.

"Ist irgendwas", motzte ich meine Mutter an, als sie nicht aufhörte mich anzustre, als ich von der Schule nach Hause kam und begann meine Schuhe ausziehen. Ich hatte schon Angst, dass Frau Hempen bereits angerufen hatte, um meinen Eltern von meinem "Ungehorsam Verhalten" zu erzählen. Doch sie meinte nur: "Du verhältst dich in letzter Zeit anders als sonst. Weißt du das?"

Also noch nicht, dachte ich ein wenig erleichtert. Was meinte sie wohl mit anders? Vielleicht, dass ich mir nicht mehr alles von Markus gefallen ließ? "Sonst noch was?", fragte ich. Sie sah mich mit hochgezogen Augenbrauen an sagte dann aber nur: "Du kannst gleich hierbleiben, Helga hat das Essen schon fertig. Ich war gerade dabei gewesen die Treppe zu meinem Zimmer hoch zu laufen, musste jetzt aber wohl oder übel umkehren, wenn ich was zu Essen wollte.

Leslie saß schon am Tisch, als Mirinda und ich das Esszimmer betraten. Heute trug sie ein rosa Kleid und hatte ihre spaghettiartigen, hellblonden Haare, die sie von Markus geerbt hatte zu zwei Zöpfen geflochten.

Während Helga das Essen auf den Tisch stellte fragte ich möglichst beiläufig: Markus ist nicht hier? Wie lange bleibt er denn heute arbeiten?" Das hätte mich normalerweise nicht besonders interessiert, weswegen mich meine Mutter auch etwas verwundert ansah, jedoch antwortete:" Er kommt heute erst relativ spät wieso?"
" Hast du was ausgefressen?", fragte Leslie mit ihrer piepsiegen Stimme und klang dabei ziemlich hoffnungsvoll.

Es machte mich ziemlich wütend, dass sie mir das direkt angemerkt hatte, weswegen ich ein wenig aggressiv antwortete:"Nein und ich wüsste nicht was dich das angeht du kleine... " Brach aber ab, als ich den warneden Blick meiner Mutter sah. "Ist ja auch egal", sagte ich, ließ den Rest meines Essens stehen und machte einen, wie ich finde, ziemlich dramatischen Abgang in mein Zimmer.

Dort angekommen setzt ich mich auf mein schwarzes Sofa, doch mein Blick fiel direkt auf etwas, das auf dem Boden lag. Es war ein kleines Foto. Ich stand auf, um es mir genauer anzusehen. Es zeigte meine Mutter. Sie sah dort wirklich jung aus und war, ihrem kugel runden Bauch nach zu Urteilen, ganz eindeutig schwanger.

Erst ging ich davon aus, dass das Kind Leslie sein musste, doch dann bemerkte ich eine Randnotiz in der linken Ecke des Bildes. Dort stand in schnörkeliger Handschrift, die man fasst nicht entziffern konnte "Mirinda mit Nico".Es traf mich wie ein Schlag. Ich hatte noch nie ein solches Foto gesehen. Mit Leslies ganzen Kinderfotos hätte man die halbe Stadt pflastern können, aber nach solchen Fotos von mir musste man suchen wie nach einer Nadel im Heuhaufen und ein Foto von meiner schwangeren Mutter hatte ich noch nie zu Gesicht bekommen.

Wie war es wohl hier hin gekommen? Sie hatte es wohl kaum hier hingelegt um mir eine Freude zu machen. Das war ungefähr so wahrscheinlich wie das Markus Leslie von einem Hochhaus schubsen würde. Vielleicht war es irgendwo rausgefallen. Es war mir eigentlich auch egal. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt meine Mutter anzustarren.

Sie sah eigentlich gut aus. Ihr dunkelbraunes Haar hing ihr perfekt gelockt über die Schultern und ihre Augen wirkten fast unnatürlich blau. Ich schaute in den Spiegel und genau diese Augen blickten mir entgegen. Auch wenn ich mir wünschte es wäre nicht so, sie war ohne Zweifel meine Mutter. Jeder der uns zu zweit sah erkannte direkt, dass wir verwandt waren und ich wusste, dass sie das auf den Tod nicht ausstehen konnte.

Ich versuchte etwas aus ihrem Gesichtsausdruck zu lesen. Ihre Augen sahen leer aus. Sie schaute nicht in die Kamera und wirkte ziemlich mitgenommen. Das war auch ziemlich verständlich. Sie war 18 nur zwei Jahre älter als ich jetzt und erwartete ein Kind, dessen Vater sie vergewaltigt hatte.

Wie ich entstanden war hatten mir Mirinda und Markus als ich zehn war nicht gerade schonend beigebracht. Meine Mutter war anscheinend gerade von einer Party gekommen, als sie von ihm angegriffen wurde. Er war betrunken gewesen und hatte sie in eine Gasse gedrängt, wo es dann passiert war.

Ein paar Freunde von ihr hatten sie schreien gehört und waren ihr zur Hilfe geeilt, es war aber schon zu spät gewesen. Sie hatten den Täter festgehalten und die Polizei informiert. Als diese eingetroffen war, hatte meine Mutter aber behauptet es sei einvernehmlicher Sex gewesen und keine Anzeige erstatten wollen. Ich hatte keine Ahnung warum sie es getan hatte, vielleicht weil sie damals noch Jungfrau gewesen war und sie meiner Oma nichts davon erzählen wollte.

Ich wusste nichts über meinen Vater. Nicht wie er aussah oder wie alt er war. Nicht ein Mal seinen Namen hatten sie mir verraten wollen, damit ich nicht nach ihm suchte oder so.

Nachdem sie erklärt hatten wie es zu meiner Entstehung gekommen war, war ich völlig verwirrt gewesen. Doch über die Jahre hinweg begann alles Sinn zu ergeben und ich verstand warum sie mich so sehr hassten.

Ich wusste nicht was ich von meinem Vater halten sollte. Wünschte ich mir das er es nicht getan hätte? Ehrlichgesagt nein, denn dann gäbe es mich jetzt nicht. War es egoistisch so zu denken? Wahrscheinlich, doch im Endeffekt war ich der Meinung, dass Mirinda es verdient hatte. Vielleicht noch nicht als sie 18 war, doch jetzt auf jeden Fall. Ich genoss regelrecht den Gedanken, wie sehr sie gelitten haben musste.

Ich wusste zwar, dass es grausam war so zu denken, vorallem von seiner eigenen Mutter.

Aber ich war nicht grausamer als sie.

Das war nur eine einzige Person...

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