64 | Spannungen

Freunde. Es wird... Ach, lest selber 😂

„Es ist wegen Noemi."

Leticias Stimme klang ernst. Maxim presste sich angespannt das Smartphone ans Ohr und drehte seinem Label Manager den Rücken zu. Unter anderen Umständen hätte er den Anruf gar nicht erst entgegengenommen, aber Leticia hatte nicht lockergelassen und es noch zweimal probiert, also war er mitten in seinem wichtigen Meeting doch drangegangen. Sie waren gerade mitten in Promotion-Planung seines kommenden Albums. Doch nun steckte Leticias Unruhe ihn regelrecht an, sodass er seine berufliche Verpflichtung für einen Moment hintenanstellte.

„Was ist mit ihr?", fragte er alarmiert, während seine Gedanken sich verselbstständigten und ihm unzählige Horrorszenarien durch den Kopf gingen. Hatte sie sich beim Spielen verletzt oder möglicherweise einfach nur wieder irgendein Getränk nicht vertragen?

„Ihr geht es gut. Aber ich brauche gerade deine Unterstützung. Es ist wichtig."

Trotz ihrer ernsten Stimmlage atmete er innerlich erleichtert auf. Wäre Noemi etwas Schlimmes zugestoßen, würde Leticia keine Sekunde zögern, es ihm zu sagen. Er massierte sich den augenblicklich vor innerer Unruhe schmerzenden Nacken.

„Was ist denn passiert?", wollte er wissen.

„Ich kann dir das nicht am Telefon erklären. Du müsstest schon hierher kommen", antwortete Leticia nichtssagend.

„Ich kann jetzt hier nicht weg, Leticia. Wir sind mitten in der Promo-Planung. Sag mir einfach, was los ist", gab er entschieden zurück und warf seinem Label-Manager einen entschuldigenden Blick zu. Leticia seufzte unterdessen am anderen Ende der Leitung scharf auf.

„Noemi hat ein anderes Mädchen geschlagen und jetzt wollen die Schulleitung und ihre Eltern mit uns sprechen", offenbarte sie ihm aufgebracht. Maxim atmete tief durch, als ihm bewusstwurde, dass er vermutlich der Grund allen Übels war. Ächzend rieb er sich die Nasenwurzel, so, als könne er seine Schuldgefühle dadurch vertreiben. Ausgerechnet jetzt, wo er sie in diese schlechte Lage gebracht hatte, waren ihm die Hände gebunden. Er konnte hier jetzt nicht weg; jedenfalls nicht wegen einer verhältnismäßigen Lappalie.

„Das können wir auch morgen noch machen", sagte er also, auch, wenn ihm dabei das Herz schwer wurde.

„Können wir nicht. Ich bin schon in der Schule und die Eltern sind auch da...", platzte es wütend aus Leticia heraus.

„Wir sind mitten im Meeting. Ist gerade wirklich schlecht, aber du kriegst das doch allein auch hin", sagte er zuversichtlich. Die Sekunden, in denen Leticia ihm ein eisernes Schweigen schenkte, zogen sich wie Kaugummi.

„Okay. Wie du meinst...", sagte sie schließlich kühl, doch er konnte es sich in der Situation nicht leisten, auf ihre Befindlichkeiten einzugehen. Fürs Erste wusste er das Wichtigste: Noemi ging es gut. Alles andere würde warten müssen, bis er heute Abend nach Hause kam.

„Bis nachher", gab er also zurück und beendete das Telefonat. Mit einem entschuldigenden Lächeln legte er das Smartphone wieder zur Seite und stieg wieder ins Gespräch ein. Doch auch, wenn er sich in diesem Moment für sein Album entschieden hatte, erwischte er sich immer wieder dabei, wie er gedanklich zu Noemi zurückkehrte und er sich dazu zwingen musste, sich zu fokussieren.

Erst, als er abends auf dem Weg nach Hause war, erlaubte er sich, die Gedanken wieder zuzulassen und sich mit den Konsequenzen zu beschäftigen. Leticia hatte sich verständlicherweise seit ihrem Telefonat nicht mehr gemeldet, also wusste er auch nicht, ob sie bereits ohne ihn zu Abend gegessen hatten.

Als er den Wagen in der Einfahrt abstellte, brannte Licht im oberen Stock des Hauses. Er atmete tief durch und versuchte, sich mental auf das anstehende Gespräch mit Leticia einzustellen. Er wollte nicht mit ihr streiten, aber ihm war bewusst, wie aufgebracht sie war. Er musste also ruhig bleiben, damit die Situation nicht eskalierte. Schließlich wollten sie beide nur das Beste für Noemi.

Als er die Haustür aufgeschlossen hatte, horchte er in die Stille hinein. Aus dem ersten Obergeschoss vernahm er leise Leticias Stimme. Offensichtlich brachte sie gerade Noemi ins Bett. Lautlos seufzend legte er den Schlüsselbund zur Seite und zog die Sneakers aus, dann machte er sich auf den Weg nach oben. Im Türrahmen zu Noemis Kinderzimmer blieb er schließlich stehen, lehnte sich dagegen und verschränkte seine Arme vor der Brust. Noemi lag bereits in ihrem Bett. Nur noch das kleine Nachtlicht erhellte einen Teil des Raums. Leticia stand mit dem Rücken zu ihm gewandt vor Noemi.

„Schlaf jetzt", sagte sie zu Noemi. Ihre Stimme klang nicht ganz so kühl wie ihm gegenüber, jedoch trotzdem nicht wirklich liebevoll. Als sie einen Schritt zur Seite machte, stutzte er. Automatisch machte er ein paar Schritte in den Raum herein, sodass Leticia und Noemi ihn bemerkten. Doch sein Blick war auf Noemis Gesicht fixiert. Eine große Schramme zierte ihre Wange und eine noch größere ihre Stirn. Seine Finger begannen nervös zu kribbeln und sein Kopf wurde heiß, während er versuchte, seine Wut unter Kontrolle zu halten. Hatte Leticia nicht gesagt, dass es Noemi gut ging? Wieso verdammt noch mal hatte sie ihm nicht gesagt, dass ihr etwas passiert war? Wenn er das gewusst hätte, wäre er sofort losgefahren.

„Maxim!"

Noemi schlug ihre Bettdecke zur Seite und hüpfte aus dem Bett. Erst jetzt bemerkte er weitere Verletzungen an ihrer Hand und an ihrem Unterarm. Er konnte gerade noch in die Knie gehen, ehe Noemi ihre Arme um ihn schlang und ihn an sich drückte. Er warf Leticia über Noemis Schulter einen vernichtenden Blick zu, dann schob er die Kleine behutsam wieder zum Bett.

„Was ist denn passiert?", fragte Maxim ernst und drückte sich an Leticia vorbei. Sie musterte ihn kühl und verschränkte ihre Arme vor der Brust.

„Noemi erzählt dir das gern", erwiderte sie frostig.

Maxim sank auf Noemis Bett, wandte ihr seinen Blick zu und ihr in die Augen. Sie senkte beschämt ihren Blick. Seine Gedanken überschlugen sich.

„Noemi..."

Leticias fordernde Stimme durchschnitt die unangenehme Stille.

„Leah war wieder gemein zu mir", begann Noemi leise, schaute nicht von ihren Fingern auf. Maxim hob skeptisch eine Augenbraue.

„War sie das?", fragte er und strich vorsichtig mit seinen Fingern über die Schramme an ihrer Hand. Noemi nickte betreten. Maxim warf Leticia einen anklagenden Blick zu.

„Das hättest du mir sagen müssen."

Leticia hob eine Augenbraue und musterte ihn abschätzig.

„Warte ab. Es wird besser."

„Ich habe Ärger in der Schule bekommen", gestand Noemi jetzt. Maxim schaute sie aus großen Augen irritiert an.

„Wieso denn du?", fragte er verständnislos, „Sie müsste doch Ärger bekommen!"

Leticia stieß einen Laut aus, der ihn aufschauen ließ. Sie sagte jedoch nichts, weil er sie mit einem kühlen Blick zum Schweigen brachte.

„Weil ich sie verprügelt habe", antwortete Noemi kleinlaut und schaute ihm unsicher in die Augen. Er brauchte einen kurzen Moment zu verarbeiten, was sie ihm da gerade sagte. Als er begriff, war er hin- und hergerissen zwischen Wut und Stolz. Schließlich hatte sie sich nicht unterworfen, sondern gekämpft, wie er es ihr geraten hatte.

„Was ist denn genau passiert?", hakte er vorsichtig nach, um nicht direkt ein Schuldeingeständnis an der Situation abzugeben, doch er kannte die Antwort eigentlich schon, bevor Noemi etwas sagte.

„Sie hat mich in der Pause wieder geschubst und mich beschimpft. Ich habe ihr gesagt, dass sie mich in Ruhe lassen soll. Dann hat sie mich wieder geschubst und ich bin hingefallen. Du hast gesagt, ich soll mich wehren, also habe ich sie zurück geschubst. Dann hat sie mich gehauen und ich habe zurück gehauen."

Maxim schaute Noemi kurz sprachlos an. Er überlegte, wie er seine Gedanken jetzt am besten äußern konnte, ohne sich angreifbar zu machen. Schließlich hatte Noemi das bereits für ihn übernommen, indem sie in ihrer kindlichen Unschuld von seinem Ratschlag berichtet hatte. „So, wie du es ihr geraten hast", wiederholte Leticia anklagend und musterte Maxim enttäuscht.

Er seufzte schwer, dann warf er Leticia einen kurzen Blick zu. „Lass mich sie kurz ins Bett bringen. Dann reden wir."

Leticia sagte nichts, ließ die beiden stattdessen allein.

„Mama ist ziemlich sauer", stellte Noemi betreten fest. Maxim strich vorsichtig über ihr Haar und lächelte schief.

„Als ich dir gesagt habe, du sollst dir nichts gefallen lassen, habe ich nicht gemeint, dass du sie verprügeln sollst."

„Tut mir leid.", sagte Noemi reumütig, „Das habe ich falsch verstanden."

Maxim schüttelte den Kopf.

„Schlaf jetzt, Zwerg. Wir reden ein anderes Mal darüber."

Noemi sank in ihr Kissen und musterte Maxim unsicher.

„Bist du nicht böse?"

Maxim schüttelte den Kopf.

„Nein. Sie hat dich zuerst angegriffen und du hast dich gewehrt. Das ist richtig so. Du hast vielleicht ein wenig übertrieben."

Maxim drückte Noemi einen Kuss auf ihren Haarschopf, dann ließ er sie allein.

Er fand Leticia im Wohnzimmer. Noch immer war er unglaublich wütend auf sie. Um zu vermeiden, dass Noemi den vermutlich gleich folgenden Streit mitbekam, schloss er leise die Tür hinter sich und machte ein paar Schritte auf Leticia zu. Sie seufzte schwer, als sie aufstand. Maxim schaute in ihre Augen, die ihn verärgert musterten. Er wusste, dass die folgende Diskussion nur eskalieren konnte, also traf er eine Entscheidung.

„Wir reden morgen darüber", sagte er kühl. Leticia musterte ihn fragend.

„Dein Ernst, Maxim? Seit wann gehst du einer Auseinandersetzung aus dem Weg?"

Er verschränkte seine Arme vor der Brust.

„Ich will nicht, dass das hier hässlich endet. Wir sind beide zu geladen, um sachlich und ruhig darüber zu sprechen, was vorgefallen ist. Ich möchte das Risiko nicht eingehen, Noemi wieder mal mit unserer Auseinandersetzung zu wecken."

Leticia dachte kurz über seine Worte nach und rang mit sich selbst, doch auch sie schien zu merken, dass das einfach die vernünftigere Entscheidung war.

„Gut. Ich gehe dann schon mal schlafen. Bis morgen", sagte sie abweisend und drückte sich an ihm vorbei. Er ignorierte ihren beleidigten Gesichtsausdruck und fiel stattdessen schweigend auf die Couch. Er wartete eine ganze Weile darauf, dass Leticia sich schlafen legte, bevor er ihr schließlich in den ersten Stock folgte.

Als er sich später zu ihr ins Bett legte wusste er, dass sie noch nicht schlief. Sie lag auf dem Rücken und starrte an die Zimmerdecke. Er sagte nichts, zog sich aus und legte sich schweigend zu ihr. Sie drehte ihm den Rücken zu. Maxims Magen zog sich unangenehm zusammen, während er versuchte, neben Leticia in den Schlaf zu finden. Unruhig drehte er sich von einer Seite auf die andere, bis er schließlich Stunden später endlich in die Dunkelheit abdriftete.

Als er am nächsten Morgen aufstand, war Leticia bereits verschwunden. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass sie Noemi vermutlich schon in die Schule brachte. Er blieb noch einen Moment liegen, dann quälte er sich aus dem Bett. Er nahm eine kurze, heiße Dusche, schlüpfte dann in eine Jogginghose und ein Shirt und machte sich ein Frühstück.

Er hatte gerade das Geschirr in die Spülmaschine geräumt, als Leticia zur Haustür hereinkam. Als sie ihn in der Küche stehen sah, hielt sie kurz inne und musterte ihn anklagend. Das angriffslustige Funkeln in ihren Augen verriet Maxim, dass Leticia nicht bereit war, nachgiebig zu sein. Für sie war klar, dass er die gesamte Situation zu verantworten hatte.

„Wir müssen reden, Maxim. Darüber, wie das alles weitergeht und wie wir Noemi erziehen wollen." 

Hm, könnt ihr Leticia verstehen oder findet ihr, sie übertreibt?

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