57 | Angst
Nach dem letzten Cliffhanger gibts jetzt endlich das neue Kapitel :D
Das Herz hämmerte in seiner Brust, als Maxim auf den dunklen Geländewagen auf der Kreuzung zu rannte. Der Fahrer lief aufgeregt um das Auto herum und fuchtelte wild mit den Armen.
„Noemi!"
Maxims besorgte Stimme hallte durch die Dunkelheit, während das Blut durch seine Adern rauschte. Grausame Bilder von dem, was er gleich zu sehen bekommen würde, schossen ihm durch den Kopf. Was, wenn Noemi völlig aufgelöst ohne zu Gucken über die Straße gelaufen war? Als der Mann mittleren Alters ihn erblickte, riss er abwehrend die Hände in die Luft.
„Es tut mir so leid!", beteuerte er, die Augen voller Panik. Maxim wurde speiübel, während Adrenalin durch seinen Körper schoss.
„Noemi!"
Unsanft stieß er den Mann zur Seite, umrundete das Fahrzeug und machte sich dabei auf das Schlimmste gefasst.
„Hören Sie, ich habe das wirklich nicht kommen sehen!", versicherte der Fahrer verzweifelt. Maxim gefror das Blut in den Adern, als sein Blick auf den rötlich verfärbten Asphalt fiel. Gerade, als er zu Boden stürzen wollte, tauchte Leticia hinter ihm auf.
„Noemi?!"
Maxim wollte sie vor dem Anblick beschützen, doch es war bereits zu spät. Auch sie hatte das Blut auf der Straße längst gesehen.
„Oh mein Gott", japste Leticia. Als Maxim den leblosen Körper auf dem kühlen, grauen Asphalt liegen sah, schloss er für den Bruchteil einer Sekunde die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel.
„Alles okay, sie ist es nicht", sagte er, schlang seinen Arm um Leticia und zog sie zu sich heran. Tränen der Erleichterung liefen ihr über die Wangen. Auch er atmete auf, den Blick auf die überfahrene Katze gerichtet.
„Gehört die nicht ihnen?", fragte der nervöse Fahrer, der unruhig an sie herangetreten war.
„Nein. Wir suchen unsere Tochter. Ein kleines Mädchen. Haben Sie sie gesehen? Sie ist etwa so groß, blond und trägt einen pastellgrünen Pyjama", sagte Leticia, doch der Mann schüttelte den Kopf. Maxim zog sie mit sich.
„Komm. Wir müssen sie finden", sagte er, während er gemeinsam mit ihr zurück zur Einfahrt lief. Die Haustür stand noch immer weit offen.
„Noemi?", rief Leticia in den Hausflur hinein, dann hielten sie beide die Luft an. Das Einzige, was Maxim hörte, war das laute Rauschen in seinem Ohr. Er schaute sich nervös um.
„Schau du noch mal draußen, ich schaue drinnen nach", sagte er zu ihr.
„Noemi!", rief sie noch einmal, doch wieder einmal blieb ihr Ruf unbeantwortet.
Maxim lief in den Keller, um dort nach Noemi zu suchen. Vielleicht war sie in der Zwischenzeit nach Hause gekommen und versteckte sich nun hier irgendwo. Nach dem Keller durchsuchte er das Wohnzimmer, den angrenzenden Garten, sogar die Mülltonnen. Auch in der Küche fand er sie nicht. Er durchkämmte den oberen Wohnbereich, doch auch hier versteckte sie sich nicht. Er schloss kurz die Augen, als er wieder im Flur angekommen war. Leticia kehrte keuchend zurück.
„Nichts. Hier ist sie nicht", sagte sie und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Wir finden sie schon", versicherte Maxim ihr.
„Wir müssen uns beeilen", sagte Leticia. „Nicht auszudenken, wenn sie wirklich vor ein Auto läuft."
„Denk gar nicht erst an so was. Du bleibst hier, falls sie nach Hause kommt. Ich sehe mich draußen um.", sagte er und ließ sie dann allein.
Sie mussten sie finden. Wo konnte sie nur hingelaufen sein? Maxim würde sich niemals verzeihen, wenn Noemi etwas passierte. Er bereute seine Worte, die er Leticia in seiner Wut an den Kopf geworfen hatte. Nie hatte er gewollt, dass Noemi auf diese Weise die ganze Wahrheit erfuhr. Das hatte sie nicht verdient. Sie war vermutlich völlig verstört. Maxim wusste nicht, was er tun sollte. Leticia war wahnsinnig vor Sorge. Deshalb musste er Ruhe bewahren.
Fieberhaft dachte er darüber nach, wo Noemi hingelaufen sein konnte. Schließlich wohnte sie noch nicht lang in der Gegend und kannte sich nur in der Umgebung des Hauses aus. Es fiel ihm nicht leicht, sich in den Kopf eines kleinen Mädchens hineinzuversetzen. Während er seine Blicke aufmerksam schweifen ließ und auf jede noch so kleine Regung der Umgebung achtete, kreisten seine Gedanken immer wieder um Noemi und darum, wohin sie möglicherweise geflüchtet sein könnte. Gab es Orte, an denen sie gern spielte oder ihr besonders gut gefielen? Der Spielplatz.
Kurzerhand setzte Maxim den Blinker und bog in die nächste Seitenstraße ein. Langsam rollte sein Wagen den Gehweg entlang, während er weiter nach Noemi Ausschau hielt, bis er schließlich den kleinen Spielplatz erreichte. Dort stellte er den Motor ab und stieg aus dem Auto. „Noemi?", rief er in die Dunkelheit hinein, ehe er sich in Bewegung setzte und den eingezäunten Spielplatz betrat. Wachsam sah er sich um, konnte sie jedoch nicht entdecken. „Noemi?", rief er noch einmal, setzte dabei einen Fuß vor den anderen und ließ seinen Blick abermals schweifen, bis er in der Mitte des Spielplatzes stand. Auch, wenn sie nicht hier zu sein schien, warf er einen Blick unter die Rutsche, ins Kletterhaus und hinter jeden einzelnen Baum oder Strauch am Wegesrand. Seine Schultern sanken, als er realisierte, dass sie tatsächlich nicht hier war. Ob sie möglicherweise schon nach Hause zurückgekehrt war?
Während er zu seinem Wagen zurückging, zog er das Smartphone aus der Tasche und wählte Leticias Nummer. Noch ehe es überhaupt klingelte, hörte er bereits ihre besorgte Stimme.
„Hast du sie gefunden?", wollte sie wissen. Maxim schüttelte den Kopf.
„Nein", antwortete er, als er wieder auf den Fahrersitz fiel. „Ich dachte, sie ist vielleicht bei dir inzwischen wieder aufgetaucht."
„Ist sie nicht", erwiderte Leticia seufzend. Er startete unterdessen den Motor und setzte seine Fahrt fort. „Ich war überall im Haus und im Garten. Sie ist nicht hier. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann doch nicht tatenlos hier herumsitzen, während du allein durch die Gegend fährst und nach ihr suchst."
„Weit kann sie nicht sein. Und hier in der Gegend gibt es nicht viel, wo sie sich verstecken könnte."
„Sie könnte praktisch hinter jedem Haus in der Nachbarschaft hocken", konterte Leticia düster. Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf.
„Ich glaube, ich weiß, wo sie ist", platzte es aus ihm heraus.
„Was? Wo denn?", wollte Leticia wissen.
„Bei den Ponys", antwortete er, bremste, schaute sich um und wendete den Wagen. Der kleine Holzverschlag war lediglich ein paar Gehminuten von seinem Haus entfernt. Dank ihrer Klassenkameradin wünschte Noemi sich nichts sehnlicher als ein eigenes Pony und seit sie den Stall unweit ihres neuen Zuhauses entdeckt hatte, waren sie immer mal wieder hingegangen, um die zwei kleinen Shetland-Ponys zu streicheln. Bereits beim dritten Besuch hatte Noemi den Weg nahezu selbstständig gefunden.
Als Maxim kurz darauf den Feldweg erreichte, stellte er den Motor ab und stieg aus dem Wagen.
„Noemi?", rief er und schaute sich suchend um. Doch außer den Ponys in ihrem kleinen Verschlag konnte er nichts sehen. Er schloss seine Augen und atmete tief durch. War sie vielleicht durch den Holzzaun hindurch geklettert und hatte sich im Stall bei den Ponys versteckt?
Ohne zu zögern, stieg Maxim durch die Latten hindurch und schaute sich kurz um. Auf der Wiese konnte er Noemi in der Dunkelheit nicht erkennen, also schaltete er die Taschenlampe seines iPhones an und leuchtete über die kleine Wiese vor dem Stall. Er hoffte, dass keiner der Besitzer jemals Wind von dieser Aktion bekommen würde. Auch hier konnte er Noemi nicht entdecken, also lief er zu den offenen Außenboxen herüber.
„Noemi?", fragte er leise, als er den Offenstall erreichte. Er schaute über die kleine Boxwand in den Stall hinein. Die kleinen Ponys traten nervös von einem Huf auf den anderen und schnaubten. „Geh weg."
Maxim atmete erleichtert auf, als er Noemis Silhouette hinter den Tieren erkannte. Sie hatte ihre Arme um den Hals des Ponys geschlungen und kuschelte mit ihm. „Noemi, komm da bitte raus. Das sind nicht deine Ponys. Das kann großen Ärger geben."
Erst jetzt realisierte Maxim, was für ein vernünftiges Argument er in dieser emotionalen Situation angebracht hatte. Er wusste nicht, ob er sich für sich selbst schämen oder stolz auf sich sein sollte. „Ich will dich nicht sehen. Und Mama auch nicht."
„Lass uns reden, Zwerg", bat er sie eindringlich, doch Noemi bewegte sich nicht. Kurzerhand kletterte Maxim zu ihr in die Box.
„Nenn mich nicht so", ermahnte Noemi ihn, ohne ihn anzuschauen.
„Hör zu, ich weiß nicht, was du da vorhin gehört hast, aber-", setzte er zu sagen an.
„Ich habe genug gehört", unterbrach sie ihn beleidigt und streichelte weiter den Hals des Ponys.
„Lass uns bitte darüber reden. Ich war vorhin wütend und habe Dinge gesagt, die-", versuchte er es erneut.
„Du hast gesagt, dass du mein Papa bist", stellte sie leise fest und schaute ihn das erste Mal aus traurigen Augen an. Selbst in der Dunkelheit erkannte er, dass sie geweint hatte. Maxim ging vor ihr in die Knie. Das Pony, welches sie die ganze Zeit umarmte, schnupperte neugierig an ihm.
„Stimmt das?", fragte sie und schaute ihn an. Er schluckte. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen.
„Ja, das stimmt."
Noemi seufzte schwer, bevor sie sich schließlich von dem Pony löste.
„Kommst du mit mir nach Hause? Dort können wir über alles reden. Mama macht sich wirklich große Sorgen."
Noemi nickte zaghaft und Maxim atmete erleichtert auf.
„Dann komm", sagte er sanft und hob Noemi über die Boxwand nach draußen.
„Was machen Sie da?"
Puh, gerade nochmal alles gutgegangen, würde ich sagen. Oder was sagt ihr?
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