56 | Wahrheit

Weiter gehts mit dem nächsten Kapitel :D

Erste Sonnenstrahlen fielen durch die zugezogenen Vorhänge, als Maxim müde die Augen aufschlug. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als sein Blick auf Leticia fiel, die schlafend in seinem Arm lag. Sie hatte den Kopf auf seine Brust gebettet und ein Bein über seins gelegt. Zu sehen, wie ruhig und gleichmäßig sie atmete, entspannte ihn. Es war ein schönes Gefühl, wieder mit ihr aufzuwachen. Er hatte keine Ahnung, wie lang sie auf gewesen waren, doch er bereute keine Sekunde. Eine tiefe innere Zufriedenheit durchströmte ihn, während er Leticia nah bei sich hielt und ihrem Herzschlag lauschte.

Während er sanft mit den Fingerspitzen über ihren Oberarm strich, verlor er sich in Gedanken darum, wie es ohne sie sein würde. Natürlich konnte er nicht in die Zukunft schauen, aber er war sich sicher, dass sie mit dem drohenden Unheil nicht sonderlich verständnisvoll umgehen würde. So sehr es ihn auch erleichterte, endlich wieder mit ihr vereint zu sein – er musste sich eingestehen, dass diese Harmonie möglicherweise nur von kurzer Dauer sein würde. Seinetwegen.

Wutschnaubend schüttelte er über sich selbst den Kopf und lockerte seine Umarmung. Augenblicklich begann Leticia sich in seinem Arm zu regen.

„Wie lang noch?", hörte er sie verschlafen fragen.

„Keine Ahnung", nuschelte er gedankenverloren. Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, doch es gelang ihm nicht, es zu erwidern.

„Guten Morgen", grinste sie und drückte ihm einen Kuss auf. Seine Lippen kribbelten verführerisch, doch er unterdrückte die Sehnsucht nach ihr im Keim. Er fühlte sich verlogen, so, als würde er ihr etwas vormachen, was er in gewisser Weise ja auch tat. Auch, wenn er den Kuss nicht erwiderte, rückte sie dichter an ihn heran, legte ihre Finger an seine Wange und küsste ihn ein weiteres Mal. Obwohl er das Verlangen nach ihr in sich aufsteigen spürte, das er bereits vergangene Nacht nur schwer hatte kontrollieren können, schob er sie schwer seufzend von sich.

Als ihm bewusstwurde, dass er sich selbst etwas vormachte, um sich der harten Realität nicht stellen zu müssen, kehrte sein schlechtes Gewissen augenblicklich wie ein Boomerang zu ihm zurück. Es war nicht richtig, zuzulassen, dass sie sich ihm wieder öffnete und sich auf ihn einließ, während er gleichzeitig wichtige Informationen vor ihr zurückhielt, nur, um sie nicht direkt wieder abzuschrecken.

„Was ist los?"

Erst jetzt realisierte er, dass er vor ihr zurückgewichen war und Leticia ihn nun zurecht irritiert musterte. Er war sich zwar bewusst, dass er schnellstmöglich mit ihr sprechen musste, doch jetzt, als sie ihn aus großen Augen ansah, bekam er kein Wort heraus. Sein Mund wurde trocken und sein Hals schnürte sich regelrecht zusammen.

„Wir sollten aufstehen", erwiderte er schroff und versuchte, sich seine innere Unruhe nicht anmerken zu lassen. Leticia musterte ihn misstrauisch.

„Und ich dachte immer, ich wäre der Morgenmensch von uns beiden", erwiderte sie mürrisch.

„Ich hab einiges zu erledigen", überspielte er sein schlechtes Gewissen und rollte sich aus dem Bett. Zwar bemühte er sich, es im Keim zu ersticken, doch es war bereits zu spät.

Den gesamten Tag ging er Leticia deshalb so gut es ging aus dem Weg. Je länger er darüber nachdachte, desto bewusster wurde ihm, dass er unmöglich bis nach dem Gerichtstermin warten konnte. Auch, wenn Viktors Argument durchaus etwas für sich hatte und er so zumindest bis zur finalen Urteilsverkündung keine schlafenden Hunde wecken würde, würde Leticia sich schlussendlich hintergangen fühlen und er konnte es ihr nicht einmal verübeln. Also kreisten seine Gedanken ununterbrochen darum, wie er ihr am besten beibrachte, was ihnen möglicherweise bevorstand.

Doch als er am selben Abend mit ihr im Arm auf der Couch im Wohnzimmer saß, bekam er kein Wort über die Lippen. Die Vorstellung, Leticia könnte umgehend ihre Sachen packen und ihn mit Noemi verlassen, wurde nahezu unerträglich.

„Okay, was ist los?"

Stirnrunzelnd drehte er Leticia den Kopf zu. Sein Mund wurde trocken, als sie ihm prüfend ins Gesicht schaute. Obwohl er sich bemüht hatte, seine Stimmung vor ihr zu verbergen, schien sie gemerkt zu haben, dass etwas nicht stimmte.

„Nichts", machte er einen jämmerlichen Versuch, ihr ein weiteres Mal auszuweichen, nicht bereit, sich dieser Konfrontation zu stellen. Ihm war bewusst, dass er sich nicht ewig hinter dieser Fassade verstecken konnte, und doch schien es ihm in dem Moment die bessere Option zu sein. Leticia seufzte schwer, dann richtete sie sich ein wenig auf und schaute ihm entschlossen in die Augen.

„Hör zu, Maxim. Ich kenne all diese Zweifel, die du hast. Ich hatte sie auch, als Noemi auf die Welt gekommen ist. Am Anfang wusste auch ich nicht, ob ich all dieser Verantwortung gewachsen bin und wie ich es nur schaffen soll, sie großzuziehen. Ich hatte Angst vor dem, was auf mich zukommt. Aber du kannst mit mir darüber reden, wenn dich diese neue Situation überfordert. Ich helfe dir, so gut ich kann, damit zurechtzukommen, okay?", schlug sie vor. Er biss sich auf die Zunge, als er erkannte, dass sie sein nachdenkliches Verhalten der letzten Tage fälschlicherweise seiner neuen Vaterrolle zuordnete. Er atmete schwer.

„Das ist es nicht", wollte er sagen, doch er brachte es einfach nicht über die Lippen. Stattdessen schaute er ihr nur hilflos ins Gesicht. All die Worte, die er sich über die letzten Tage zurechtgelegt hatte, waren aus seinem Kopf verschwunden und hatten nichts als Leere zurückgelassen. Dabei entsprach diese Hilflosigkeit nicht einmal seinem Charakter. Er war ein Mann der Tat und stand für all seine Fehler gerade. Warum fiel es ihm jetzt so schwer, über seinen Schatten zu springen und sich für seine Handlungen zu verantworten?

„Du machst das ganz toll mit Noemi, ganz egal, was die anderen von uns halten", versicherte sie ihm eindringlich, ohne ihren Blick von seinen Augen abzuwenden. Ohne, dass er es kontrollieren konnte, stieß er einen abfälligen Laut aus. Er fühlte sich wie ein dreckiger Verräter. Während sie fest an ihn glaubte, verspielte er möglicherweise ihre gemeinsame Zukunft. Er verdiente weder Leticias Vertrauen, noch ihren Rückhalt.

„Ich bin kein gutes Vorbild für sie", sagte er frustriert und fuhr sich mit der flachen Hand übers Gesicht. Leticia schüttelte energisch den Kopf.

„Rede dir das nicht ein, nur, weil sie uns so komisch angeschaut haben. Die wissen rein gar nichts über uns", erwiderte sie kämpferisch. Maxim ließ ächzend den Kopf nach hinten gegen die weichen Polster fallen und richtete seinen Blick zur Decke.

„Vielleicht wissen sie mehr, als mir lieb ist", sagte er, ohne sie anzusehen. Eine unangenehme Hitze breitete sich von seinen Fingerspitzen in seinem gesamten Körper aus, während seine Muskulatur sich versteifte. Sie zog die Augenbrauen zusammen.

„So ein Schwachsinn", platzte es verärgert aus ihr heraus. „Und du solltest aufhören, dich so schlechtzumachen, denn das bist du nicht."

Maxim schüttelte verächtlich lächelnd den Kopf. Ihr Glaube in ihn machte ihn wütend; nicht auf sie, sondern vor allem auf sich selbst. Es war seine Schuld, dass es überhaupt so weit gekommen war. Hätte er früher nicht so viel Scheiße gebaut, würde seine Vergangenheit ihn nicht ständig wieder einholen.

„Du hast ja keine Ahnung...", entfuhr es ihm düster.

„Möglicherweise nicht, aber ich beurteile, was ich sehe. Und du kümmerst dich wirklich gut um Noemi", konterte sie überzeugt. Er wusste, dass es nicht ihre Schuld war, und doch ertrug er es keine Sekunde länger, dass sie wie der letzte Gutmensch für ihn Partei ergriff, ohne, dass er es verdiente. Ohne, dass er es kontrollieren konnte, brach es regelrecht aus ihm heraus.

„Hör endlich auf damit, okay? Ich bin nicht der, für den du mich hältst, und ganz sicher bin ich kein gutes Vorbild für Noemi! Mein ganzes Leben habe ich auf Messers Schneide getanzt, mich von einem Problem ins Nächste manövriert und immer wieder scheiße gebaut."

„Und du hast das hinter dir gelassen", sagte Leticia sanftmütig. Einerseits bewunderte er sie dafür, dass sie ruhig blieb und einen kühlen Kopf bewahrte, andererseits machte sie ihn damit nur noch wütender. Ungehalten stand er auf, um sich Luft zu machen.

„Habe ich nicht!"

Es fühlte sich an wie eine Befreiung, die Bombe platzen zu lassen. Leticia legte irritiert den Kopf schief und schaute ihm fragend ins Gesicht.

„Wie meinst du das?", hakte sie verständnislos nach. Maxim warf aufgebracht die Hände in die Luft.

„Ich bin genau der Mann, für den du mich immer gehalten hast. Die Scheiße, die ich früher gebaut habe, verfolgt mich bis heute. Immer wieder tauchen Sachen von damals auf, für die ich mich verantworten muss – und wenn ich Pech habe, gehe ich schon bald für einige Zeit in den Knast!"

„Was?!", fragte Leticia und erhob sich ebenfalls. Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Was soll das heißen?"

Sein Herz zog sich schmerzvoll zusammen, als sie ihm vorwurfsvoll in die Augen schaute. Schwer seufzend fuhr er sich durchs Haar, während er sie reumütig ansah.

„Dass es diesmal eng wird...", erwiderte er hilflos und ließ die Schultern sinken. Leticia stemmte die Hand in die Hüfte und legte den Kopf schief. Ihre bedrohlich funkelnden Augen verengten sich zu Schlitzen.

„Wie eng?!"

„Keine Ahnung, okay?!", fuhr er sie an, wissend, dass er die Wut auf sich selbst gerade an der falschen Stelle ablud. Leticia schnappte nach Luft.

„Was hast du denn gemacht?", wollte sie wissen und musterte ihn erwartungsvoll. Maxim atmete tief durch.

„Schwerer Raub, zusammen mit zwei Kumpels."

Zu sehen, wie Leticia sämtliche Gesichtszüge entglitten, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

„Heilige Scheiße, Maxim!"

Sie wandte sich von ihm ab und ließ ihren fassungslosen Blick durch den Raum schweifen. Es brach ihm das Herz, sie derart enttäuscht zu sehen. Die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen strich sie sich durch das offene Haar, dann drückte sie sich ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei. Er sah hilflos dabei zu, wie sie sich der Tür näherte.

„Leticia, warte bitte..."

Als er sie an der Türschwelle einholte, griff er nach ihrer Hand, um sie noch einmal zu sich umzudrehen. Er schluckte, als er glaubte, Tränen in ihren Augen schimmern zu sehen.

„Es tut mir leid. Ich wollte es dir längst sagen, aber ich wusste nicht, wie. Die Sache ist Jahre her und ich hätte niemals geglaubt, dass ich dafür noch einmal verurteilt werden würde. Ich wünschte, ich könnte die Dinge ändern, aber es ist nun einmal, wie es ist. Nächste Woche ist die Verhandlung und dann entscheidet sich, ob ich mit zwei blauen Augen davonkomme oder für meine Tat von damals geradestehen muss. Das Letzte, was ich wollte, war, euch da mit reinzuziehen..."

Plötzlich wurden Leticias Augen noch ein wenig größer.

„Deshalb hast du also gekniffen, als wir Noemi sagen wollten, dass du ihr Vater bist!", platzte es wütend aus ihr heraus. „Weil du glaubst, dass du bald in den Bau musst und nicht wolltest, dass sie enttäuscht von dir ist, weil du uns verlässt."

Ihre Worte stachen tief in sein Herz, doch es gab nichts, das er ihr in diesem Moment entgegensetzen konnte. Plötzlich erregte eine Bewegung im Flur seine Aufmerksamkeit. Als er Noemis Silhouette erkannte, die auf der untersten Treppenstufe kauerte und durch die offene Tür ins Wohnzimmer hineinschaute, hielt er den Atem an. Wie lang saß sie schon dort? Hatte sie etwa alles mit angehört? Leticia folgte seinem entsetzten Blick. Als auch sie Noemi bemerkte, griff sie hilfesuchend nach seiner Hand.

„Noemi...", entfuhr es ihr leise. Es war kaum mehr als ein Flüstern. Maxim wusste, dass sie sich dieselbe Frage stellte. Die Zeit um sie herum schien plötzlich stillzustehen. Das Licht fiel aus dem Wohnzimmer in den sonst dunklen Flur. Als das kleine Mädchen sich endlich bewegte, sah Leticia Tränen auf ihren Wangen glitzern. Bevor einer von ihnen reagieren konnte, sprang Noemi auf, riss die Haustür auf und stürmte hinaus.

„Noemi!"

Leticia und Maxim stürzten ihr hinterher. Erst, als Leticia die kühlen Treppenstufen hinunterhuschte bemerkte sie, dass sie keine Schuhe trug. Es war bereits dunkel und Noemi war bereits aus ihrem Blickfeld verschwunden. Maxim hatte bereits die Straße erreicht. „Noemi?!"

Da Maxim am Ende der Straße wohnte, führte nur eine Richtung vom Haus weg. Leticia, die hinter ihm auftauchte, schaute sich hektisch zu allen Seiten um.

„Sie kann doch nicht weg sein!", entfuhr es ihr panisch.

„Ist sie auch nicht. Sie versteckt sich bestimmt irgendwo", gab Maxim zurück, bevor er sich in Bewegung setzte und sich dabei achtsam umschaute. Er konnte sie nirgends entdecken.

„Noemi!", rief Leticia abermals in die Dunkelheit hinein, doch ihre Tochter antwortete nicht. Plötzlich durchbrach ein lautes Reifenquietschen die gespenstische Stille. Leticia sah ihn aus großen Augen besorgt an. Maxim war der erste, der in Richtung Geräuschquelle lossprintete. 

Ich weiß. Fieser Cut. Und auch ich habs beim Schreiben nicht kommen sehen. Haha. Wie hat euch das Kapitel gefallen? Ich meine, immerhin hat er ihr jetzt erzählt, was los ist und sie weiß bescheid :D

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