53 | Normalität

Friends. Es wird ernst im Leben von Maxim... Ein besonderer Tag steht vor der Tür. 

„Hast du ihre Schultüte eingepackt?" Leticia stand im Türrahmen zum Wohnzimmer und musterte Maxim fragend. Er wollte antworten, doch der Anblick ließ ihn kurz innehalten. Sie trug ein roséfarbenes, ärmelloses Top mit verlängertem Rückenteil, dazu eine schwarze Leggings und taupefarbene Schnürstiefeletten. An ihrem Handgelenk baumelte das roségoldene Armband ihrer Großmutter. Ihre Haare hatte Leticia an den Seiten ein wenig angeflochten, doch sie fielen offen über ihre Schultern nach hinten. Er lächelte und machte ein paar Schritte auf sie zu.

„Du siehst toll aus", sagte er, als er dicht vor ihr stehenblieb. Leticia hielt seinem Blick stand und erwiderte sein Lächeln. Es fühlte sich schön an, dass er ihr ein Kompliment machte.

„Du hast dich ja schließlich heute auch bemüht, nicht ganz so pennermäßig auszusehen wie in den vergangenen Wochen", grinste sie und strich noch einmal über das hellblaue Hemd, das Maxim sich heute angezogen hatte. Dazu trug er eine schwarze Jeans und weiß-schwarze Sneakers. Die Hemdärmel hatte er bis zur Mitte seines Unterarms hochgekrempelt. Als er lachte, hielt sie den Atem an, weil er in diesem Augenblick nur noch attraktiver auf sie wirkte.

„Ich habe dir dabei geholfen, all deine Sachen unterzubringen", erinnerte er sie empört, „Außerdem war das der schönste Jogginganzug, den meine alte Loyal-Kollektion zu bieten hatte."

Leticia grinste frech.

„Deshalb hast du ihn auch gefühlt eine Woche am Stück getragen."

Leticia war froh, dass die Dinge sich so gut entwickelten. Maxim hatte für ein paar seiner eigenen Möbelstücke, von denen er sich bisher noch nicht hatte trennen können, bereits vor zwei Jahren einen günstigen Lagerraum angemietet. Er hatte Leticia angeboten, ihre Möbel erst einmal dort unterzustellen, doch sie hatte ihre Küche und ihr Wohnzimmer vorerst im Haus ihrer Eltern untergebracht. Mit ihrem Umzug nach Spanien hatten sie ursprünglich geplant, es ihr zu überlassen, doch da sie nun in Berlin lebte, stand es erst einmal leer, bis ihr Vater sich zu einer Entscheidung durchgerungen hatte. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken gewesen, sein langjähriges Zuhause einfach so zu verkaufen. Er hing an dem, was er sich über die Jahre aufgebaut hatte.

Inzwischen hatte Leticia all ihre Habseligkeiten nach Berlin zu überführt und alle nötigen Behördengänge erledigt. Einen neuen Job hatte sie bisher noch nicht gefunden, aber darum würde sie sich morgen wieder kümmern. Heute wurde erst einmal Noemi eingeschult.

Leticia und Maxim hatten sich fest vorgenommen, Noemi am heutigen Abend zu erzählen, dass Maxim ihr leiblicher Vater war. Bereits seit Tagen konnte sie seine unterschwellige Nervosität spüren. Auch sie konnte es kaum erwarten, Noemi die ganze Wahrheit zu sagen. All die Heimlichkeiten und Schwindeleien würden dann endlich aufhören.

„Cookie?"

Erst jetzt bemerkte sie, dass er sie erwartungsvoll musterte.

„Was?", fragte sie und legte den Kopf schief.

„Können wir dann los?", hakte er nach und musterte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Sie lächelte.

„Hast du ihre Schultüte?", wiederholte sie ihre ursprüngliche Frage. Er nickte.

„Schon im Auto. Fehlt nur noch das Kind."

Als er sich jetzt an Leticia vorbei in den kleinen Flur drückte, sog sie den Duft seines Parfums durch ihre Nase. Er roch atemberaubend gut. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie sich unmerklich auf die Unterlippe gebissen hatte.

„Komm schon, Zwerg! Es geht los!", rief er die Treppe hinauf. Es dauerte nicht lang, bis Noemi die Treppe heruntergeflitzt kam. Sie trug ein weißes Shirt mit einer großen Eule darauf, dazu eine Jeans. Maxim musterte Leticia skeptisch.

„Echt jetzt?", fragte er misstrauisch.

„Was?", grinste Leticia, während Noemi ihre Schuhe anzog. Dann stürmte sie aufgeregt mit ihrem Schulranzen auf dem Rücken zur Haustür hinaus. Maxim schaute ihr kurz irritiert nach, bevor er sich Leticia zuwandte.

„Nur, um das klarzustellen...Ich ziehe eines meiner besten Hemden an und sie geht so?" Leticia griff nach ihrer beigefarbenen Jacke und zog frech grinsend die Haustür auf.

„Du hast mich vorher nicht gefragt, was sie anzieht."

Er seufzte.

„Vielleicht sollte ich mich noch mal umziehen. Neben euch wirke ich sonst total deplatziert."

Sie schmunzelte amüsiert.

„Dein ernst?"

Er warf ihr einen düsteren Blick zu, doch sie ließ sich davon nicht beeindrucken.

„Iss ein Snickers, du Diva. Komm jetzt, du siehst gut aus in diesem Hemd", beteuerte sie.

Er grinste schief.

„Findest du?"

Leticia nickte, sah ihm entschlossen ins Gesicht und machte einen Schritt auf ihn zu.

„Ja. Finde ich", beteuerte sie und schenkte ihm ein überzeugendes Lächeln. Für einen Moment sagte er nichts, sah sie einfach nur an, während er sich in ihren Augen verlor. Ihr Mund wurde trocken, doch auch, als sie schluckte, um den Kloß im Hals loszuwerden, änderte es sich nicht. Die Wärme, die von ihm ausging, schien sich auf ihren Körper zu übertragen, denn ihr wurde von einer auf die andere Sekunde wohlig warm. Er übte nach wie vor eine unsagbare Anziehungskraft auf sie aus. Sie hielt den Atem an, als er seinen Blick auf ihre Lippen senkte.

„Wo bleibt ihr denn?!"

Noemis aufgeregte Stimme brach die seltsame Stille, als sie wieder im Türrahmen auftauchte. Ihre Augen funkelten aufgeregt und ihre Wangen waren vor Nervosität leicht gerötet. Während Leticia lautlos aufseufzte, schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen.

„Wir sind gleich da", versicherte er der Kleinen, dann warf er Leticia ein letztes schiefes Grinsen zu. „Sieht aus, als sollten wir sie nicht länger warten lassen."

Leticia nickte, dann schnappte sie sich ihre Jacke und verließ endgültig mit ihm zusammen das Haus.

Ein wenig später fand sie sich gemeinsam mit Maxim auf einer kleinen Bank vor dem Schulgebäude wieder. Die Sonne schien hoch am strahlend blauen Himmel, kein Wölkchen war zu sehen. Ihre Tochter war bereits vor einiger Zeit mit den anderen Kindern in ihre neue Klasse verschwunden und Leticia wurde das Gefühl nicht los, dass Maxim beinah aufgeregter war als ihre Noemi. Nach einer Willkommenszeremonie in einem großen Saal hatten die jeweiligen Klassenlehrerinnen die Schulanfänger in Empfang genommen und waren mit ihnen in die Klassen gegangen. Noemi hatte sich immer wieder mit großen, leuchtenden Augen neugierig umgeschaut, als sie mit der kleinen Horde durch den Gang getrottet war. Die pastellfarbene Schultüte, die Leticia ihr kurz zuvor überreicht hatte, hatte sie, farblich passend zu ihrem grünen Schulranzen, fest an ihre Brust gedrückt.

„Ist es normal, dass das so lang dauert?", fragte Maxim, der sich noch immer die Hände knetete, den Blick starr auf das Gebäude gerichtet. Leticia schmunzelte.

„Sie ist gerade mal eine Dreiviertelstunde dort drin", kommentierte sie amüsiert und erntete sich einen finsteren Seitenblick ihres Sitznachbarn.

„Was, wenn sie sich nicht wohlfühlt?", sinnierte Maxim und drehte Leticia den Kopf zu. Es lag aufrichtige Besorgnis in seinem Blick.

„Sie ist aufgeregt, aber sie findet sich ziemlich schnell ein. Du wirst sehen. Im Kindergarten war das genauso", erzählte sie zuversichtlich lächelnd, doch angesichts seiner versteiften Körperhaltung schienen ihre Worte ihn keineswegs zu beruhigen. Er atmete tief durch.

„Hoffentlich hast du recht."

Grinsend strich sie mit ihren Fingerspitzen über seinen Nacken.

„Beruhig dich, okay? Es geht ihr gut. Sie ist neugierig und aufgeweckt. Für sie sind diese ganzen neuen Eindrücke ganz schön spannend", versicherte sie ihm. Maxim schüttelte seufzend den Kopf.

„Aber alle Kinder werden von ihren Eltern erzählen...Was, wenn sie gemein zu ihr sind, weil sie nichts über ihren Vater sagen kann?"

Leticias Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie erkannte, was ihn wirklich beschäftige. Es tat ihr leid, dass Maxim sich derartige Gedanken machen musste, denn er kümmerte sich tatsächlich richtig gut um Noemi und bemühte sich, in die Vaterrolle hineinzuwachsen.

„Das passiert schon nicht", sagte sie sanftmütig, rückte näher an ihn heran und schlang ihre Hände um seinen Oberarm.

„Ich weiß nicht, ob wir es ihr heute wirklich sagen sollen", erwiderte er leise. Leticia lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter.

„Warum nicht?", hakte sie nach und musterte ihn aufmerksam von der Seite. Er zog unheilvoll die Augenbrauen hoch.

„Ist vielleicht ein bisschen viel für einen Tag. Ich halte es für besser, wenn wir das nochmal aufschieben", sagte er zweifelnd, doch sie schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln.

„Mach dir keinen Kopf. Was soll schon passieren?"


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