50 | Rotwein
Also ich finde ja, es wurde Zeit... Ganz ohne zu spoilern oder so xD
Für einen Moment schien die Zeit um sie herum stillzustehen. Noch immer schaute Leticia ihm verunsichert in die Augen, während sich ein verräterisches Kribbeln in seinem Bauch breitmachte. Ihre Lippen hatten selten mehr Anziehungskraft auf ihn ausgeübt. Er wollte sie bereits küssen, seit sie heute Nachmittag vor ihrer Wohnungstür gestanden und auf ihn gewartet hatte. Doch noch während er mit dem Gedanken spielte, seinem Verlangen nach ihr endlich nachzugeben, blinzelte sie und drückte sich an ihm vorbei.
„Komm mit", forderte sie und griff nach seiner Hand. Augenblicklich glaubte er, dass seine Haut in Flammen stand.
„Wohin denn?", fragte er ratlos, während er ihr folgte, ließ ihre Hand jedoch nicht los.
„Ich muss den Fleck behandeln, bevor er trocknen kann", sagte sie, während er ihr in den Flur nachkam. Überrascht runzelte er die Stirn.
„Sowas kannst du?"
„Du traust mir nicht so viel zu, oder?", fragte sie. Er lachte auf, als sie den Treppenabsatz erreichten. Er folgte ihr eine breite Rundtreppe hinauf auf eine Art Empore in den ersten Stock. Von oben ließ er seinen Blick im Vorbeigehen in den Eingangsbereich des Hauses schweifen. Unglaublich, dass ihr Vater ein so schönes Haus freiwillig aufgeben wollte.
Leticia ließ ihm keine weitere Zeit, das schöne Anwesen von innen zu betrachten, sondern stieß eine der weißen Holztüren auf und zog ihn hinter sich her in ein elegantes, großes Badezimmer mit hellen, hochwertigen Marmorfliesen und einer bodengleichen Dusche mit Glaswand. Über den zwei Waschbecken aus weißem Marmor befand sich ein großer Spiegelschrank.
„Dein Vater hat in seinem Leben viel gearbeitet, oder?", sagte er anerkennend. Leticia fuhr lächelnd zu ihm herum.
„Das kannst du laut sagen", antwortete sie und deutete mit einem Kopfnicken auf das Hemd. „Ziehst du das mal aus?"
Während er ihrer Aufforderung nachkam, öffnete sie den Spiegelschrank und kramte darin herum. Als sie sich ihm wieder zudrehte, reichte er ihr das Kleidungsstück. Seine Finger kribbelten, als er es ihr aus der Hand nahm. Dabei entging ihm ihr flüchtiger Blick nicht, der über seinen entblößten Oberkörper huschte. Schnell wandte sie sich von ihm ab und stellte das Wasser an. Maxim beobachtete neugierig, wie sie den Stoff ausspülte. Eine Weile blieb er unschlüssig hinter ihr stehen, bis er schließlich von hinten an sie herantrat und über ihre Schulter ins Waschbecken schaute. Mit einem großen Stück Kernseife begann sie, den bereits ein wenig verblassten Rotweinfleck zu bearbeiten. Ihr sanfter Duft nach Jasmin und Vanille stieg ihm in die Nase und benebelte für einen kurzen Moment seine Sinne.
„Hast du das schon häufiger gemacht?", hakte er nach, als er sich wieder gefangen hatte, und sah interessiert auf das Hemd in ihren Händen.
„Mein Vater ist Spanier. Was denkst du also?", fragte sie amüsiert und warf ihm ein freches Grinsen über die Schulter zu. Das Funkeln, das in ihren Augen lag, forderte ihn regelrecht heraus. Er hielt den Atem an, den Blick noch immer auf ihre schönen Augen gerichtet. Seine Lippen kribbelten bei der Vorstellung, sie jetzt einfach zu sich heranzuziehen und sie zu küssen, doch sie wandte sich wieder dem Hemd zu.
Maxim war hin- und hergerissen. Einerseits reizte es ihn, sie nach dem kurzen, intensiven Blickkontakt in der Küche nochmal aus der Reserve zu locken. Nach wie vor fühlte er sich derart von ihr angezogen, dass es schmerzte und er war bereit, alles auf eine Karte zu setzen. Schließlich hatte sie ihn seit ihrer Abreise aus Berlin lang genug auf Abstand gehalten und wenn er nicht endlich versuchte, sich ihr wiederanzunähern, würden sie vielleicht nie wieder zueinanderfinden. Andererseits war er sich nicht sicher, ob sie sich im Haus ihrer Eltern überhaupt darauf einlassen würde. Er entschied, es darauf ankommen zu lassen und strich ihre langen Haare zur Seite. Dabei schlang er seinen Arm um sie und schmiegte seine Brust an ihren Rücken. Überrascht hielt sie in ihrer Bewegung inne und schaute vom Waschbecken auf, geradewegs in den Spiegel. Er erwiderte ihren Blick, während er ihren Hals küsste. Wohlwollend registrierte er die Gänsehaut, die sich dort bildete. Leticia hatte unterdessen beinah aufgehört zu atmen. Auch der seine stockte, als sie ihm unvermittelt den Kopf zudrehte und er sich für einen Moment in ihren schönen Augen verlor. Von einer Sekunde auf die andere schien die Luft um sie herum zu knistern. Sein Mund fühlte sich plötzlich staubtrocken an. Er schluckte, doch es brachte nichts. Stattdessen wurde ihm gleichzeitig heiß und kalt. Leticia ließ das Hemd achtlos ins Waschbecken fallen, bevor sie zu ihm herumfuhr.
Ohne länger zu zögern, legte er seine Hand an ihre Wange. Da sie nicht zurückwich, zog er sie entschieden an seine Brust, ehe er ihre Lippen mit seinen verschloss. Augenblicklich hatte er das Gefühl, in Flammen zu stehen. Sie seufzte leise in den Kuss hinein, ehe er sich kurz von ihr löste, um sie ein weiteres Mal zu küssen. Es fühlte sich wahnsinnig gut an; so gut, dass er ihr einen dritten Kuss gab. Als sie ihre Arme um seinen Hals schlang, küsste er sie stürmischer und fordernder, bis sie den Kuss schließlich erwiderte; zunächst nur zögernd, dann immer weniger zurückhaltend. Sie reizten einander immer wieder aufs Neue, suchten sich, zogen sich zurück und fanden einander wieder, bis er die Führung übernahm und ihren Kuss derart intensivierte, dass selbst ihm schwindelig von dem Tempo wurde, das er vorgab. Als sie sich irgendwann atemlos von ihm löste, hatte er jegliches Zeitgefühl verloren. Sie sagte nichts, schenkte ihm lediglich ein zaghaftes Lächeln. Er seufzte leise, dann lehnte er seine Stirn gegen ihre und schaute ihr tief in die Augen. Ihr Atem kitzelte an seinem Mundwinkel, während sie ihre Fingerspitzen durch sein Haar gleiten ließ. Nur widerwillig drückte er ihr einen letzten Kuss auf, ehe es ihm gelang, sich von ihr zu lösen und sie einander atemlos in die Augen schauten. Plötzlich ließ ein lautes Poltern sie auseinanderschrecken, dann wurde die Badezimmertür aufgestoßen. Leticia war gerade rechtzeitig zum Waschbecken gehuscht, als ihre Mutter den Raum betrat. Ihrem irritierten Blick nach hatte sie die beiden hier nicht erwartet, erst recht nicht zusammen.
„Störe ich?", fragte sie, die Augen auf Maxim gerichtet, der noch immer mit nacktem Oberkörper dastand und versuchte, unschuldig auszusehen.
„Maxim ist ein kleines Missgeschick passiert", sagte Leticia und hielt wie zur Bestätigung das Hemd hoch. Ihre Mutter machte ein mitleidiges Gesicht, bevor sie ein paar Schritte in den Raum machte und das Hemd kritisch beäugte.
„Ist schon wieder wie neu. Ich werfe es zuhause direkt in die Waschmaschine", sagte Leticia, dann drückte sie sich an ihrer Mutter vorbei und schob Maxim vor sich her aus dem Badezimmer. „Wir sind hier fertig. Komm, wir suchen dir was zum Anziehen aus dem Schrank meines Vaters", schlug sie vor, doch er schüttelte lediglich den Kopf.
„Danke, aber das ist nicht nötig. Ich habe noch ein paar Klamotten im Auto", antwortete er und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen.
Dort angekommen öffnete er den Kofferraum, zog die Tasche zu sich heran und riss den Reißverschluss auf. Kurzerhand zog er ein T-Shirt und einen Hoodie heraus, streifte sich beides über und wollte gerade den Kofferraumdeckel wieder zuschlagen, als sein Blick an dem Briefumschlag klebenblieb, den er vorhin in aller Eile mit in die Tasche gestopft hatte.
Beim Verlassen des Hauses hatte er den Briefträger getroffen, der ihm auf die Schnelle seine Post in die Hand gedrückt hatte. Als er den Absender des obersten Briefes gesehen hatte, hatte sich sein Magen unheilvoll zusammengezogen. Kurzerhand hatte er ihn aufgerissen und hineingeschaut. Schwer seufzend legte Maxim den Kopf in den Nacken. So sehr er auch versuchte, dem Teufelskreis zu entkommen – er wurde immer wieder in ihn hineingezogen.
Um die aufkeimenden schlechten Gedanken unmittelbar zu ersticken, schob er den Brief noch tiefer in die Tasche, dann warf er den Kofferraumdeckel zu und kehrte zu Leticia und ihren Eltern ins Haus zurück. Sie schenkten ihm ein aufmerksames Lächeln, als er wieder das Wohnzimmer betrat. In Leticias Augen zu sehen, beruhigte und beunruhigte ihn gleichermaßen. Einerseits fühlte es sich gut an, Zeit mit ihr zu verbringen, ihr wieder näherzukommen und sogar von ihren Eltern akzeptiert zu werden. Andererseits nagte das schlechte Gewissen an ihm. Ob sie ihm noch immer derart offen gegenüberstehen und seine Annäherungsversuche zulassen würde, wenn sie die Wahrheit kannte? Maxim wusste, dass er mit ihr darüber sprechen musste, damit keine Geheimnisse zwischen ihnen standen, doch die Gewissheit, damit möglicherweise alles wieder kaputtzumachen, ließ ihn zweifeln. Allein die Vorstellung, sie könnte ihn abermals zurückweisen und er könnte sie für immer verlieren, trieb Übelkeit in ihm hoch, während seine Finger zu schwitzen begannen.
„Maxim, möchtest du noch etwas trinken?"
Die Stimme von Leticias Vater riss ihn aus seinen Gedanken.
„Nein, danke. Für mich heute besser kein Wein mehr", antwortete er und setzte sein Pokerface auf, so, wie er es in den letzten Jahren zu Genüge getan hatte.
„Leticia hat uns schon von eurem Missgeschick erzählt", fuhr ihr Vater schmunzelnd fort. „Aber vielleicht willst du ja auf etwas anderes umsteigen."
Maxim grinste schief, dann fiel sein Blick auf Noemi, die sich müde in den Arm ihres Großvaters kuschelte.
„Wahrscheinlich sollten wir sowieso bald nach Hause fahren", kommentierte er mit einem Kopfnicken auf die Kleine. Leticias Mutter lächelte.
„Was hältst du davon, wenn ihr Noemi heute Nacht bei uns lasst? Ihr habt vielleicht noch einiges zu besprechen und wenn sie hierbleibt, habt ihr die Ruhe, die ihr dafür braucht..."
Maxim hob abwehrend die Hände.
„Das soll Leticia entscheiden. Ich will nichts über ihren Kopf hinweg entscheiden", sagte er und sah prüfend zu ihr herüber. Sie lächelte versonnen.
„Das wäre toll. Wir würden sie morgen nach dem Frühstück abholen."
Ihre Mutter grinste wissend.
„Lasst euch Zeit, wir haben alles im Griff. Außerdem müssen wir das genießen, solang wir noch können."
Maxim entging das traurige Schimmern in Leticias Augen nicht, doch mit dem nächsten Wimpernschlag war es verschwunden. Er stand auf, um sich von ihren Eltern zu verabschieden. Dann machten sie sich auf den Weg.
„Danke", sagte Leticia leise, als sie kurz darauf ihre Wohnung betraten. Sie schaltete das Licht ein und fuhr zu ihm herum.
„Wofür?", fragte er ratlos und runzelte die Stirn.
„Dass du mir die Entscheidung überlassen hast."
„Irgendwann musst du ja auch mal was zu sagen haben", kommentierte er trocken.
Sie musterte ihn schweigend, ehe sich ihre Lippen zu einem Lächeln verzogen und sie ihm spielerisch gegen die Brust schlug. „Du bist ein unverbesserliches Arschloch, weißt du das?"
Am liebsten hätte er sie jetzt einmal mehr an diesem Abend an sich gezogen und geküsst, doch stattdessen umfasste er ihre Hand und schaute ihr entschlossen ins Gesicht. „Lass uns mal reden."
Was auch immer da jetzt wieder kommt, duh...
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