40 | Zwischen Reue und Wut
Ihr schönen Menschen, es geht weiter mit Livia und Max. Ich weiß wir hatten alle Hoffnung...
Noch immer von seinen Gefühlen überwältigt versuchte Maxim, das Chaos in seinem Kopf und seinem Herzen zu ordnen. Als Leticia mit Noemi unerwartet vor seiner Tür gestanden hatte, hatte er kurz geglaubt, zu träumen. Doch Noemi war tatsächlich hier – an seinem Geburtstag; der erste, an dem er seine Tochter im Arm halten konnte.
Um Leticia eine weitere Demütigung zu ersparen und die unangenehme Situation zu entkrampfen, hatte er seine Eroberung der vergangenen Nacht sofort gebeten zu gehen. Noch immer hallte ihr hysterisches Kreischen durch sein Gedächtnis. Vor lauter Überraschung hatte er sie im ersten Moment ganz vergessen, doch als sie auf einmal hinter ihm losgequietscht hatte, war ihm schlagartig bewusstgeworden, wie offensichtlich Leticia klargeworden sein musste, was hier vorgefallen war – und er schämte sich wider Erwarten dafür. So tief die Enttäuschung auch saß – das hatte sie nicht verdient.
Ihm war die tiefe Traurigkeit in ihrem Blick nicht entgangen und er war sich sicher, dass er ihr mit seinem nächtlichen Abenteuer das Herz gebrochen hatte. Er war ihr zwar keine Rechenschaft schuldig, aber sie war die Mutter seiner Tochter und es war nicht richtig, sie zu verletzen. Immerhin wusste er, wie viel er ihr bedeutete und dass sie sich Hoffnungen gemacht hatte, alles würde sich wieder zum Besseren wenden.
Als Noemi ihm aufgeregt das Geschenk auf den Schoß legte, schob er sein schlechtes Gewissen beiseite. Sie war neben ihn auf die Couch gekrabbelt und musterte ihn erwartungsvoll. Noch immer konnte er nicht fassen, dass sie ihm sogar ein Geschenk mitgebracht hatte. Maxim schüttelte ungläubig den Kopf. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er behutsam das Papier löste. Leticia, die gerade mit ein paar Kuchentellern in den Händen das Wohnzimmer durchquerte, schaute ihn nicht einmal an. Stattdessen trat sie auf die sonnige Terrasse und verteilte das Geschirr auf dem Tisch. Während sie das Besteck neben die Teller legte, sah sie kurz zu ihm und Noemi herüber. Er wich ihrem anklagenden Blick aus.
Ihm war bewusst, dass sie am liebsten die Flucht ergriffen hätte und nur wegen Noemi hiergeblieben war. Unter anderen Umständen hätte sie ihn sicher beschimpft und ihn stehenlassen. Doch seit ihrer Ankunft und dem Abgang seines One Night Stands hatte es sich kein Gespräch unter vier Augen ergeben, sodass sie keine Gelegenheit gehabt hatte, ihm ihre Enttäuschung an den Kopf zu werfen. Stattdessen kümmerte sie sich um die Tischdekoration, damit Maxim gleich gemeinsam mit Noemi seinen Geburtstagskuchen essen konnte. Maxim konnte nur erahnen, wie schlimm es für Leticia sein musste, in dieser Situation das Gesicht zu wahren.
„Mach endlich auf", riss ihn Noemis aufgeregtes Geplapper aus den Gedanken. Lächelnd riss er das Papier auf. Darunter kam ein buntes Bild zum Vorschein, eingefasst von einem großen, schwarzen Bilderrahmen. Es war offensichtlich, dass Noemi sich bemüht hatte, sein Haus zu malen. Davor standen Leticia, Noemi und er. Die Kleine hatte sich viel Mühe gegeben, die Formen detailgetreu zu zeichnen und korrekt auszumalen. Er schluckte hart, dann sah er zu Noemi, die ihn nach wie vor erwartungsvoll anschaute.
„Du bist ja eine richtige Künstlerin", stellte er lächelnd fest und legte seinen Arm um sie. „Das ist ein richtig cooles Bild. Ich hänge es gleich morgen irgendwo auf", versprach er, ehe er sie in seine Arme schloss. Noemi kicherte. Es klang wie Musik in seinen Ohren. Leticia beobachtete die Szene aus sicherer Entfernung. Aufgrund ihrer kindlichen Unschuld war Noemi nicht in der Lage, die verzwickte Situation zu begreifen und Maxim war unfassbar glücklich darüber.
„Komm, jetzt musst du meinen Kuchen probieren", forderte Noemi und rutschte von der Couch. Maxim folgte ihr vorfreudig auf die Terrasse. „Willst du Kaffee oder sowas?"
Leticias Stimme war sachlich, kühl und abgeklärt. Er seufzte lautlos, schüttelte den Kopf und ließ sich auf einen der Stühle vor den Geburtstagskuchen sinken.
„Nein, danke, aber mach du dir doch einen."
Leticia schüttelte den Kopf.
„Danke, aber mir ist eher nach Alkohol."
Noch während Noemi sich auf den Stuhl fallen ließ, schnitt Leticia den bunten Geburtstagskuchen an. Maxim wusste nicht, ob es eine so gute Idee war, ihr in dieser Situation ein Messer zu überlassen, unterdrückte jedoch einen trockenen Kommentar. Stattdessen nahm er seine Kuchengabel, die Leticia ihm wenig liebevoll mit einer Serviette auf seinen Teller geworfen hatte, und piekte in das Kuchenstück, dass sie ihm mehr oder weniger auf seinen Teller schmiss. Dann gab sie Noemi ein Stück und machte einen Schritt nach hinten.
„Isst du keinen Kuchen, Mama?", fragte Noemi irritiert, als Leticia sich umdrehte.
„Nein, ich habe keinen Hunger", antwortete sie und verschwand. Maxim seufzte lautlos. Es tat ihm leid, dass er sie verletzt hatte.
„Mama ist traurig."
Maxim drehte Noemi den Kopf zu und schob sich das erste Stück Kuchen in den Mund. Um einem Gespräch über Leticia aus dem Weg zu gehen, kaute er bemüht lang darauf herum und deutete mit der Gabel auf das bunte Gebäck.
„Der ist richtig lecker", probierte er, vom Thema abzulenken.
„Sie ist schon länger traurig", überging Noemi den Versuch und senkte ihren Blick auf den Teller mit dem bunten Kuchenstück.
„Das wird schon wieder", erwiderte er hilflos. Was sollte er auch sagen? Schließlich war er schuld daran. Also lächelte er zuversichtlich. „Hey, was hältst du davon, wenn wir gleich zusammen ein Bild für deine Mama malen, um sie aufzuheitern?"
Tatsächlich hellte Noemis Gesicht sich ein wenig auf.
„Darüber freut sie sich bestimmt."
„Siehst du. Komm, wir räumen das kurz zusammen auf und dann machen wir uns an die Arbeit."
„Okay", grinste Noemi, bevor sie sich den letzten Bissen ihres Kuchenstückes aß. Doch bevor er mit ihr im Kinderzimmer verschwand, um Noemi ein wenig abzulenken, entschied er, zunächst nach Leticia zu sehen. Das schlechte Gewissen ihr gegenüber nagte an ihm.
„Geh du schonmal nach oben. Ich komme gleich nach. Okay?", schlug er also vor.
„Das können wir doch zusammen machen", erwiderte sie schulterzuckend, bevor sie ihm beim Abräumen zur Hand ging. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen, während er Noemi dabei beobachtete, wie sie vorsichtig das Geschirr zurück in die Küche brachte. Leticia hatte bisher einen tollen Job gemacht. Zu seiner Überraschung konnte er sie weder im Wohnzimmer, noch in der Küche finden.
„Leticia?", rief er in die Stille hinein, als Noemi im oberen Bereich des Hauses verschwunden war. Doch sein Ruf blieb unbeantwortet. Stirnrunzelnd schaute er aus dem Küchenfenster. Als er feststellte, dass ihr Auto nicht mehr in der Einfahrt stand, runzelte er skeptisch die Stirn. Er fühlte sich schlecht, denn ihm war nicht einmal aufgefallen, dass sie gegangen war.
Maxim seufzte schwer, fuhr sich mit der flachen Hand übers Gesicht und griff in seine Hosentasche, um sein Smartphone herauszuziehen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er es seit der vergangenen Nacht nicht mehr in der Hand gehabt hatte. Es musste nach wie vor auf seinem Nachttisch liegen. Also ging er nach oben, um es zu holen und Leticia anzurufen.
Als er den Raum betrat, kehrten bruchstückhafte Erinnerungen an seinen One Night Stand in sein Gedächtnis zurück. Es war ihm unangenehm, dass Leticia ihn mit diesem Mädchen erwischt hatte. Je mehr Zeit verging, desto klarer wurde ihm, dass er diese halbherzige Nacht überhaupt nicht gebraucht hatte; im Gegenteil. Auch, wenn es ihm schwerfiel, musste er zugeben, dass er sich lediglich darauf eingelassen hatte, weil die Dinge mit Leticia lagen, wie sie nun einmal lagen. Damit hatte er sein Problem aber nicht gelöst, sondern bloß verkompliziert.
Er hatte sich beweisen wollen, dass er sich von Leticia lösen konnte, doch jetzt musste er sich eingestehen, dass er sie bereits zu sehr in sein Leben gelassen hatte. Sein Herz wurde schwer, als der Schmerz in ihren Augen sich wieder in sein Gedächtnis schlich. Es war nie sein Ziel gewesen, sie derart zu verletzen. Das verdiente sie auch nicht, ganz gleich, was in der Vergangenheit zwischen ihnen vorgefallen war.
Er fühlte sich schäbig, als er realisierte, dass Leticia ihm lediglich eine Freude hatte machen wollen, indem sie mit Noemi an seinem Geburtstag hergekommen war, um ihn zu überraschen. Ein sanftes Lächeln huschte über seine Lippen, während ihm warm ums Herz wurde. Seinen Geburtstag mit seiner Tochter verbringen zu können, war für ihn das größte Geschenk. Statt nun nachdenklich auf seinem Bett zu sitzen und gedankenverloren auf das Display seines Handys zu starren, sollte er die Zeit mit ihr genießen; mit ihr und mit Leticia.
Ächzend tippte er sich in ihren letzten Chatverlauf. Leticia hatte ihm nicht einmal eine Nachricht hinterlassen, wo sie hinfahren würde oder wann sie wiederkam. Bei allem Verständnis für ihre Gefühle ärgerte es ihn, dass sie einfach klang- und sanglos verschwunden war.
Wie konnte sie Noemi einfach so mit ihm alleinlassen? Oder war möglicherweise genau das der Punkt? War das hier etwa so etwas wie ein Test, wie er sich allein mit Noemi schlug? Oder brauchte sie einfach nur etwas Zeit für sich?
Nachdenklich tippte er sich ins Telefonbuch, um Leticia anzurufen, entschied sich in letzter Sekunde jedoch dagegen. Ganz egal, welche seiner Theorien richtig war; er sollte noch ein wenig abwarten, bis er sich bei ihr meldete. Leticia sollte nicht glauben, dass er ohne sie aufgeschmissen war. Sie konnte ruhig wissen, dass sie sich auf ihn verlassen konnte und er bereit war, sich um Noemi zu kümmern. Also schob er das Smartphone in die Tasche seiner Jogginghose, bevor er Noemi im Kinderzimmer Gesellschaft leistete und ihr beim Zeichnen assistierte.
Eine ganze Weile malten sie zusammen, bevor Noemi ihn schließlich zwang, Sterne aus dem Zeichenblockpapier zu basteln. Offenbar hatte sie das im Kindergarten gelernt und wollte es ihm unbedingt beibringen. Über sich selbst schmunzelnd ließ er sich von ihr die Handgriffe und Falttechniken zeigen und brachte schlussendlich sogar einige ansehnliche Exemplare zustande.
Da Noemi bald Hunger bekam, machte er sich anschließend auf die Suche nach einem passablen Abendessen. Er hatte nicht mit Besuch gerechnet und hatte kaum etwas eingekauft. Zum Glück fand er noch eine Packung Nudeln mit Tomatensauce. Da Noemi unbedingt helfen wollte, ließ er sie die Sauce umrühren, während er die Nudeln im Auge behielt.
Erst, als sie nach dem Abendessen zusammen auf der Couch lagen, kehrten seine Gedanken abermals an diesem Tag zu Leticia zurück. Noch immer hatte sie sich nicht gemeldet und er fand, dass sie mittlerweile ziemlich lang weg war. Auch Noemi hatte inzwischen begonnen, hin und wieder nach ihr zu fragen. Auch der Kinderfilm, den er angeschaltet hatte, um die Zeit bis zu Leticias Rückkehr zu überbrücken, konnte sie nicht ablenken.
Also probierte er schlussendlich doch, sie anzurufen, doch sie reagierte nicht. Er schüttelte verständnislos den Kopf und ließ das Handy sinken. Wie konnte sie einfach abhauen, ohne irgendetwas für Noemi dazulassen? Die Kleine hatte nicht einmal eine Zahnbürste dabei.
„Ich glaube, es ist langsam Zeit fürs Bett", schlug er vor, als er merkte, dass Noemi immer häufiger die Augen zufielen. Die rutschte nur widerwillig von der Couch und trottete vor ihm die Wendeltreppe hinauf ins Bad. Maxim hatte nichts anderes zu bieten als eines seiner T-Shirts, doch für die eine Nacht würde es wohl ausreichen.
„Ich muss meine Zähne putzen", sagte sie. Maxim seufzte schwer.
„Wir machen das heute mit den Fingern", erwiderte er, während Noemi sich sein T-Shirt über den Kopf zog. Sie zog die Stirn kraus.
„Mit den Fingern?", hakte Noemi skeptisch nach. Maxim nickte.
„Als es noch keine Zahnbürsten gab, mussten sich die Menschen schließlich auch irgendwie die Zähne putzen."
Nachdem Maxim Noemi ins Bett gebracht hatte, fiel er wieder auf die Couch im Wohnzimmer. Die Zeit schritt immer weiter voran, doch Leticia ignorierte jeden seiner Anrufe, jede seiner Nachrichten und schien nicht im Traum daran zu denken, zurückzukommen. Erst um kurz vor elf hörte er leise ihren Wagen wieder in die Einfahrt rollen.
Wutentbrannt erhob er sich von seiner Wohnzimmercouch und bahnte sich seinen Weg in den Flur. Ungeduldig riss er die Haustür auf und starrte geradewegs in ihr verweintes Gesicht. „Wo bist du verdammt noch mal gewesen?"
Puh, ich weiß ja, di ebeiden waren nicht zusammen, aber ich verstehe, dass sie verletzt ist. Und ihr? und könnt ihr verstehen, dass sie erstmal verschwunden ist, oder findet ihr, dass das gar nicht geht?
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