37 | Veränderungen
Ich habs euch ja versprochen. Viel Spaß :D
„Da möchte ich unbedingt nochmal hin."
Noemis fröhliche Stimme riss Leticia aus ihren Gedanken. Gemeinsam mit ihr und ihren Eltern saß sie am Wohnzimmertisch und stocherte in Noemis Geburtstagskuchen herum. In der Küche war nicht ausreichend Platz für den Familienbesuch, aber sie hatte ihren Eltern keine Umstände bereiten wollen. Seit sie von ihrem Kurztrip zurückgekehrt waren, lag eine seltsame Stimmung in der Luft. Leticia war sich sicher, dass ihre Eltern ihr die Reise übelnahmen; erst recht, weil Maxim bei seinem ersten Aufeinandertreffen keinen besonders guten Eindruck bei ihrem Vater hinterlassen hatte. Deshalb hoffte Leticia, dass Noemis aufgeregte Erzählungen von ihrem Ausflug in den Märchenwald dazu beitrugen, ihre Eltern zu besänftigen. Auch Wochen später war sie noch begeistert von all den Figuren, die ihr dort begegnet waren.
Die schönen Erinnerungen hatten sich ebenfalls in Leticias Kopf zurückgeschlichen. Allerdings war mit ihnen auch der Schmerz zurückgekehrt, den Maxims Ablehnung auslöste. Seit ihrem unterkühlten Abschied hatte sie das Gefühl, in ein tiefes Loch gefallen zu sein. Immer wieder versuchte sie, aus eigener Kraft wieder hinauszuklettern, doch es gelang ihr nicht. An jedem Tag, an dem Noemi von ihrem Vater sprach, rissen die Wunden von Neuem auf.
Mit etwas Abstand konnte sie ihn sogar verstehen. Die Enttäuschung darüber, dass sie ihn einfach in eine Schublade gesteckt und ihm gar nicht erst die Chance gegeben hatte, das Gegenteil zu beweisen, war absolut nachvollziehbar, erst recht, seit sie seine eigene Vorgeschichte kannte. Je länger Leticia darüber nachgegrübelt hatte, desto klarer wurde ihr, dass sie ihm Zeit geben musste, sich bewusstzuwerden, was er wollte. Das Wichtigste war, dass er sich um Noemi kümmerte, selbst, wenn das bedeutete, dass sie dabei für ihn kaum eine Rolle spielte. Natürlich tat es weh, aber sie allein war schuld daran. Trotzdem hoffte sie natürlich, dass sich alles zum Guten wandte und Maxim ihrer Beziehung noch eine Chance gab, aber so, wie er sich ihr gegenüber verhielt, würde er ganz sicher noch einige Zeit brauchen; wenn er es überhaupt jemals konnte.
„Das klingt nach einem ganz tollen Geburtstag", lächelte Leticias Mutter an Noemi gewandt, die nach wie vor euphorisch vor sich hinplapperte. Auch Leticia warf der Kleinen ein seliges Lächeln zu. Ihre Augen strahlten, während sie von ihrem Tag mit Maxim erzählte.
Die skeptischen Seitenblicke, die ihre Eltern sich dabei gegenseitig zuwarfen, entgingen Leticia jedoch nicht. Es war klar, dass sie misstrauisch waren. Sie würde um ein klärendes Gespräch nicht länger herumkommen. Doch was sollte sie ihnen über ihr Verhältnis zu Maxim erzählen? Sie wusste schließlich selbst nicht, was genau das nun eigentlich zwischen ihnen war und wie sich alles entwickeln würde.
„Der schönste seit immer", betonte Noemi zufrieden und schob sich noch ein Stück Torte in den Mund.
„Schön, dass es noch geklappt hat, Noemis Geburtstag nachzufeiern, bevor ihr wieder nach Barcelona fliegt", probierte Leticia, das Thema auf die bevorstehende Reise ihrer Eltern zu lenken, um keine unangenehmen Fragen über Maxim beantworten zu müssen.
„Meinst du, wir lassen uns so einen leckeren Kuchen entgehen?", fragte ihr Vater mit einem Schmunzeln, bevor er den Teller auf dem bunt gedeckten Wohnzimmertisch abstellte.
„Noemi hat mir beim Backen geholfen", erzählte Leticia.
„Ist das wahr?", hakte der Großvater nach und drehte Noemi den Kopf zu. Die nickte eifrig.
„Ja. Es hat sehr viel Spaß gemacht."
„Vor allem, danach die Küche zu putzen", murmelte Leticia amüsiert.
„Der schmeckt wirklich sehr gut", bestätigte Leticias Mutter und nippte an ihrer Tasse Kaffee.
„Möchtest du noch ein Stück?", hakte Leticia nach und zog die Augenbrauen hoch. Doch ihre Mutter schüttelte mit dem Kopf.
„Nein, danke."
Noemi rutschte unruhig hin und her. Leticia unterdrückte ein Schmunzeln, wissend, dass sie es kaum erwarten konnte, endlich mit ihrem neuen Barbie-Puppenhaus zu spielen, das ihre Eltern ihr zum Geburtstag geschenkt hatten. Ihre Augen hatten regelrecht geleuchtet, als sie es vorhin in ihrem Kinderzimmer ausgepackt hatte.
„Geh schon", grinste Leticia amüsiert. Das ließ Noemi sich nicht zweimal sagen, sondern rutschte vorfreudig von der Couch und verschwand im Flur. Nur kurz darauf flog die Tür vom Kinderzimmer ins Schloss.
„Das mit dem Märchenwald war wirklich nett von ihm", setzte Leticias Mutter mit einem anerkennenden Nicken das Gespräch fort. Sie seufzte innerlich auf, als sie erkannte, dass sie nicht länger um eine ehrliche Unterhaltung herumkam.
„Ja, das war es wirklich", bestätigte sie und überspielte ihre Unruhe mit einem schiefen Lächeln.
„Er muss dich sehr mögen", stellte ihr Vater fest und musterte sie erwartungsvoll.
„Er mag vor allem Noemi", kommentierte sie, während sie überlegte, wie sie ihnen die Wahrheit am besten beibrachte.
„Sie mag ihn auch. Er muss ihr Herz im Sturm erobert haben, so, wie sie ständig von ihm spricht", erwiderte ihre Mutter wissend. Automatisch schlich sich ein Lächeln auf Leticias Lippen. Möglicherweise standen ihre Eltern Maxim offener gegenüber, als sie geglaubt hatte.
„Er ist richtig toll zu ihr und gibt sich riesige Mühe, sich auf sie einzustellen", ergänzte sie also wahrheitsgemäß, in dem Glauben, ein gutes Fundament für die große Enthüllung zu legen. Als sich das Gesicht ihres Vaters plötzlich wider Erwarten doch noch verfinsterte, rutschte ihr das Herz in die Hose.
„Trotzdem sollte Noemi nicht ständig wo anders übernachten", sagte er anklagend und sah Leticia vorwurfsvoll an. Sie biss sich auf die Zunge, als ihre Mutter ihrem Vater einen strengen Seitenblick zuwarf.
„Ich gebe dir ja recht, aber er konnte es nicht anders einrichten", probierte sie, die Wogen zu glätten. Sie wusste, dass sie keine bessere Gelegenheit bekommen würde, ihren Eltern reinen Wein einzuschenken. Gerade, als Leticia ansetzte, weiterzusprechen, wandte ihre Mutter ihr lächelnd den Kopf zu. „Könnte ich noch einen Kaffee haben?"
Dankbar für diese kurze Gelegenheit, ein letztes Mal ihre Gedanken zu ordnen und sich die passenden Worte zurechtzulegen, nickte sie und ließ sich von ihrer Mutter die Tasse reichen. „Aber klar", erwiderte sie, bevor sie in der Küche verschwand. Während die bräunliche Flüssigkeit aus dem Vollautomaten in die Tasse lief, sank sie tief seufzend mit dem Rücken gegen die Anrichte. Mit verschränkten Armen grübelte sie über die richtige Strategie nach. Schließlich gelangte sie zu der Erkenntnis, dass es damit vermutlich war wie mit dem Abziehen eines Pflasters – kurz und schmerzlos war sicher besser, als weiter um den heißen Brei herumzureden. Also schnappte sie sich fest entschlossen den frischen Kaffee und machte sich auf den Weg zurück zu ihren Eltern. Als sie ihre Eltern miteinander tuscheln hörte, blieb sie jedoch im Flur stehen. Diskutierten sie etwa über Maxim? So, wie ihre Mutter ihren Vater zwischendurch angeschaut hatte, konnte sie sich gut vorstellen, dass die beiden nicht einer Meinung waren.
„Sie ist noch nicht so weit", hörte sie ihren Vater sagen und tapste lautlos zwei Schritte weiter an die offenstehende Tür heran.
„Ich finde es nicht richtig, länger zu warten. Sie verlässt sich auf uns", flüsterte ihre Mutter entschieden zurück. Leticia runzelte die Stirn. Für sie klang das viel weniger nach einem Gespräch über Maxim, als nach einem anderen Geheimnis, das die beiden vor ihr hüteten.
„Es sind doch erstmal nur ein paar Wochen", setzte das Familienoberhaupt dagegen.
„Wir hätten es ihr längst sagen müssen. Morgen früh geht unser Flug. Es ist die letzte Gelegenheit, Pablo", zischte ihre Mutter.
„Die letzte Gelegenheit wofür?", platzte es aus Leticia heraus, als sie das Wohnzimmer mit der dampfenden Kaffeetasse in der Hand wieder betrat. Ihre Eltern fuhren überrascht zu ihr herum. Der uneinige Blick, den sie austauschten, bereitete ihr Unbehagen.
„Wir haben das Haus gekauft und werden morgen hinfliegen, um alles zu regeln. Sobald die Formalitäten erledigt sind, werden wir nach Spanien gehen", ließ ihre Mutter die Bombe platzen. Leticia war so überrascht, dass sie die beiden im ersten Moment nur schweigend anschaute. Als sie verstand, was das für sie bedeutete, schluckte sie hart.
„So plötzlich?", fragte sie verblüfft, während ihre Gedanken sich überschlugen. Natürlich hatte sie sich bereits vorgestellt, wie es sein würde, wenn ihre Eltern Deutschland irgendwann den Rücken zukehren würden, aber dass es so schnell gehen würde, hatte sie nicht erwartet. Die Unsicherheit, wie sich die Dinge mit Maxim entwickeln würden, setzten ihr bereits genug zu, doch der Gedanke, möglicherweise bald völlig auf sich allein gestellt zu sein, zog ihr vollends den Boden unter den Füßen weg. Bevor ihre Beine nachgeben konnten, sank sie auf die Couch zurück und reichte ihrer Mutter mit zitternden Fingern die Tasse Kaffee.
„Es war das Haus, das uns auf unserer letzten Reise am besten gefallen hat. Aber es gab noch weitere Interessenten, also mussten wir uns schnell entscheiden", erzählte ihr Vater.
Leticia konnte es ihnen nicht einmal verübeln, schließlich sprachen sie bereits seit Jahren davon, ihren Lebensabend in Spanien zu verbringen. Gerade deshalb wollte sie ihnen auf keinen Fall im Weg stehen oder ihnen vermitteln, dass sie ohne ihre Unterstützung aufgeschmissen war. Immerhin wünschte sie ihnen alles Glück der Welt und wusste, dass sie es sich ohnehin nicht leichtmachten, ihre Tochter und ihre Enkelin zurückzulassen. Also setzte sie ein tapferes Lächeln auf, um ihre eigenen Zukunftsängste zu überspielen.
„Wie schön. Ich freue mich sehr für euch."
Ihre Mutter lächelte selig.
„Du kannst uns natürlich jederzeit mit Noemi besuchen. Unsere Tür steht dir immer offen."
„Darauf kommen wir ganz sicher regelmäßig zurück", versicherte Leticia.
„Wir sollten es Noemi erst sagen, kurz, bevor wir umziehen", fügte ihr Vater ernst hinzu. Leticia nickte. Es machte keinen Sinn, ihre Tochter unnötig wochenlang traurig zu machen. Ob es sie aufheitern würde, zu erfahren, dass Maxim ihr Vater war?
Erst jetzt fiel Leticia wieder ein, dass auch sie ihren Eltern noch etwas zu sagen hatte. Ihr Bauch kribbelte, als sie die Schultern straffte, um es endlich auszusprechen. Sie setzte gerade dazu an, als Noemi wieder ins Zimmer stürmte. „Opa, du musst dringend kommen. Ich glaube, mein Barbie-Haus ist kaputt!"
Leticia seufzte lautlos. So, wie es aussah, würde sie noch etwas warten müssen, denn die Aufmerksamkeit ihres Vaters galt augenblicklich seiner Enkelin. „Ehrlich?", fragte er und zog die Augenbrauen hoch. Noemi nickte und streckte die Hand nach ihm aus. „Kannst du mir bitte helfen?"
„Aber natürlich", versicherte er, dann warf er Leticia einen entschuldigenden Blick zu. Sie lächelte, wissend, dass dies einer der letzten Momente der beiden für die kommenden Wochen sein würde. Ganz sicher würde sie dem nicht im Wege stehen, nur, um ihren Eltern von Noemis Vater zu erzählen.
Auf einmal erschien es ihr sogar besser, noch ein wenig abzuwarten. Immerhin konnte sie nicht einschätzen, wie sich die Beziehung zu Maxim in der nächsten Zeit entwickelte. Ohne verlässliche Informationen darüber, wie ihr Leben ohne ihre Eltern in Deutschland sich entwickeln würde, würden die beiden sich möglicherweise sogar Sorgen um sie machen. Das war das Letzte, was Leticia wollte. Also entschied sie, das Gespräch noch einmal zu verschieben, während ihr Vater Noemi ins Kinderzimmer folgte.
Klingt ja erstmal nach schwierigen Zeiten für Leticia, oder was meint ihr? Wie wird sie wohl klarkommen, wenn ihre Eltern erstmal nach Spanien ziehen? Oder glaubt ihr, sie wird Maxim um Hilfe bitten? Was würdet ihr an ihrer Stelle tun?
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