35 | Geburtstag einer Prinzessin
Es wird kitschig. Ich sags nur schonmal ...
Maxims Herz zog sich schmerzhaft zusammen, während er in Leticias traurige Augen schaute. Zu sehen, wie nah ihr die verfahrene Situation ging, ließ auch ihn nicht kalt. Schließlich hatte ihm die Vorstellung gefallen, sie könnten eine richtige Familie sein. Doch so sehr er sie am liebsten einfach zu sich herangezogen hätte, um sie zu küssen – er konnte es nicht.
Würden die Dinge anders liegen, hätte er es vermutlich einfach getan, um das Chaos in seinem Kopf zu vergessen, die Enttäuschung zu verdrängen und sich besser zu fühlen. Aber sie war die Mutter seiner Tochter und ganz davon abgesehen gehörte es sich nicht, mit ihren Gefühlen zu spielen.
„Wir sollten schlafen gehen", sagte er stattdessen sachlich, machte einen Schritt zur Seite und deutete einladend auf die offenstehende Terrassentür. Schnell huschte sie mit betretenem Gesichtsausdruck an ihm vorbei nach drinnen. Er atmete tief durch, dann folgte er ihr.
Die kommenden Tage verliefen mehr oder weniger harmonisch. Maxim unternahm so viel es ging mit den beiden. Morgens frühstückten sie gemeinsam, dann machten sie sich auf den Weg. Sie besuchten einen Freizeitpark für Kinder, einen Indoor-Spielplatz und einen Safari-Park. Abends kochte Leticia ihnen etwas zu essen, bevor Noemi meist völlig erledigt ins Bett fiel.
Die letzten drei Abende hatte Maxim kaum mit Leticia gesprochen, doch wenn, dann blieben ihre Unterhaltungen oberflächlich harmonisch und er bemühte sich, so viel wie möglich über seine Tochter herauszufinden. Er wollte wissen, was sie mochte und was nicht, was sie glücklich machte und was traurig. Ihm entging nicht, dass auch Leticia vermied, über ihre Beziehung zueinander zu sprechen und versuchte, sich ihm anzupassen.
Er hoffte, dass es ihnen gelingen würde, für Noemi einen schönen Geburtstag auszurichten. Er wusste, dass er mit Leticia darüber reden musste, wie es weitergehen sollte, doch zunächst würde er den Tag mit Noemi genießen.
Maxim hatte Leticia bereits erzählt, dass er für morgen eine kleine Überraschung geplant hatte und er Noemi ihr Geschenk erst am Abend überreichen würde. Leticia hatte zwar versucht, herauszufinden, was Maxim im Schilde führte, doch auch ihr hatte er nichts verraten. Er war zwar noch etwas unbeholfen, aber er hatte lange über diesen Ausflug nachgedacht und war der Überzeugung, dass seine Idee ein Erfolg werden würde.
Doch bevor es losging, frühstückten sie gemeinsam im Garten. Es gefiel Maxim, wie viel Hingabe Leticia in die Geburtstagsdekoration des Tisches gesteckt hatte. Sie war extra im Morgengrauen aufgestanden, um einen Ballonbogen aus dunkelblauen, hellblauen und weißen Luftballons und einen Frozen-Schriftzug an die Palisade aus Weißholz anzubringen. Das Motto fand sich gemeinsam mit den Farbakzenten auch auf dem Frühstückstisch wieder. In der Mitte des Tisches stand eine kleine Platte mit Cupcakes, die sie mit einer blauen Glasur und weißen Schneekristallen und Zuckerperlen dekoriert hatte, und zwischen dem Geschirr lagen selbst gebastelte Papier-Schneeflocken. Ganz gleich, was gerade zwischen ihnen stand – sie war eine tolle Mutter und er war froh, dass Noemi so geliebt wurde.
Ihre Augen vor Begeisterung strahlen zu sehen, erfüllte auch ihn mit Freude und er konnte kaum abwarten, sie endlich ebenfalls zu überraschen. Zwar fragte die Kleine während des Frühstücks immer wieder nach, doch es gelang ihm, ihren großen Kulleraugen und ihrem Charme zu widerstehen.
Dementsprechend unruhig rutschte Noemi auf dem Rücksitz hin und her, als sie am späten Vormittag auf den kleinen Parkplatz fuhren. Neugierig schaute sie aus dem Fenster, als Maxim den Motor abgestellt hatte und innerlich erleichtert aufatmete. Gefühlt alle fünf Minuten hatte sie gefragt, wo sie hinfuhren und dabei so aufgeregt herumgezappelt, dass er selbst nervös geworden war.
Maxim stieg aus und öffnete die hintere Tür, um Noemi herauszulassen. Während Leticia schmunzelnd das Auto umrundete, lief Noemi gespannt hin und her.
„Ein Märchenwald? Echt jetzt?", grinste Leticia, während Maxim den kleinen Rucksack aus dem Kofferraum nahm, den sie zuvor auf seine Bitte hin mit etwas Obst, Gemüse und Getränken vollgepackt hatte. Auch er schaute zum Eingang, über dem ein halbrundes Holzschild mit verschnörkeltem Schriftzug prangte. Er lächelte schief.
„Sie feiert die kleine Hexe und den Raben aus ihrem Gute-Nacht-Buch so sehr, dass ich dachte, Märchen sind voll ihr Ding."
Leticia strich sanft über seinen Oberarm. Ihre Berührung hinterließ dieses verräterische Brennen, nach dem er sich sonst so gesehnt hatte.
„Das ist wirklich eine tolle Überraschung. Sie wird sich riesig freuen", versicherte sie ihm. Bevor er reagieren konnte, beugte sie sich zu ihm und presste ihre weichen Lippen auf seine Wange. Diese plötzliche Nähe löste Emotionen in ihm aus, die er nicht mehr spüren wollte. Das sanfte Kribbeln auf seiner Haut ignorierend schob er die unerwünschten Gefühle beiseite.
„Zwerg, wo bist du? Es geht los!", rief er und schaute sich nach Noemi um. Die stand bereits aufgeregt vor dem Eingang und wartete auf die beiden. Also folgten sie ihr.
Maxim sprach kurz mit dem Mann im Kassenhäuschen, dann schob er Leticia und Noemi auf den kleinen Gehweg, der sich vor ihnen erstreckte. Dort blieb er stehen und sah sich noch einmal um.
„Märchenpfad" stand in verträumt geschwungenen Lettern auf einem weiteren Holzschild am Wegesrand. Ein schmaler, verschlungener Weg führte geradewegs in einen Wald hinein. Entlang des Pfades hatten verschiedene Märchen der Gebrüder Grimm ein Zuhause gefunden und warteten in niedlichen Häuschen darauf, ihre Geschichte zu erzählen.
„Das sieht aus wie im Märchen", sagte Noemi leise, während sie neugierig die Umgebung erkundete.
„Echt toll hier", gestand Leticia, als sie den liebevoll angelegten Waldweg entlangschlenderten, runzelte dann jedoch die Stirn. „Sollte es mich irritieren, dass außer uns niemand hier ist?"
Er schmunzelte.
„Das ist schon richtig so."
Sie musterte ihn aus großen Augen.
„Nicht dein Ernst, oder?", sagte sie, als sie begriff. Maxim zuckte nur gleichgültig mit den Schultern.
„Klar. Ich wollte sichergehen, dass ihr nicht irgendwelche anderen Kinder im Weg rumstehen und die Sicht versperren."
Leticia schüttelte lächelnd den Kopf, bevor sie ihren Blick wieder schweifen ließ. Es dauerte nicht lang, bis sie das erste Häuschen im Märchenwald erreichten. Es war eindeutig, dass es sich um das Hexenhaus aus Hänsel und Gretel handelte. Es war aus großen, dunklen Platten gefertigt, die mit ihren kunterbunten Verzierungen stark an Lebkuchen erinnerten. Noemi stand bereits dort und schaute sich um, als plötzlich die Tür aufging und eine waschechte Hexe in einem grünen, bodenlangen Kleid mit einer Warze auf der Nase, schwarzer Zahnlücke und einem dicken Buckel heraustrat. Noemi wich im ersten Augenblick erschrocken zurück, bevor sie die Hexe in ein Gespräch verwickelte.
Im Laufe der Unterhaltung bat die alte Frau Noemi herein, um sie – wie es den Anschein machte – zu einem bereits ziemlich wohl genährten Hänsel in einen Käfig zu sperren, doch Gretel, die bereits im Hexenhaus wartete, konnte dies gerade noch so verhindern, indem sie die böse Hexe in ihren Ofen stieß und darin einschloss. Dann befreite sie gemeinsam mit Noemi Fake-Hänsel aus dem Käfig, bedankte sich bei Noemi für ihre Hilfe und verschwand.
„War das cool!", sagte Noemi fröhlich, als sie ihren Weg zur nächsten Station fortsetzten. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie den künstlich angelegten Teich erreichten, an dem eine hübsche, dunkelhaarige Prinzessin an einem runden Steinbrunnen stand und verloren hineinschaute. Auf der Kante des Brunnens saß ein Frosch. Auch hier wurde, Noemi wieder aktiv in die Geschichte des Froschkönigs bis zum Happy End eingebunden. Immer wieder, wenn sie Maxim mit ihren strahlenden Augen glücklich anschaute, glaubte er, vor Freude zu schmelzen. Ihr Glück erwärmte sein Herz auf eine Weise, die er zuvor nicht gekannt hatte und er wollte sich gar nicht erst ausmalen, wie es sich anfühlen würde, wenn sie mal traurig war.
Nach den Bremer Stadtmusikanten, dem gestiefelten Kater und Dornröschen erreichten sie schließlich ein kleines, idyllisches Restaurant, wo sie eine längere Pause machten. Direkt hinter einem Zaun befand sich ein Streichelzoo. Nach dem Essen blieben Maxim und Leticia noch ein wenig im Außenbereich des märchenhaften Restaurants sitzen, während Noemi sich mit den Tieren anfreundete. Maxim entging nicht, dass auch Leticias Augen verzückt glänzten, während sie ihre begeisterte Tochter beobachtete.
Nach dem Essen besuchten sie Schneewittchen und die sieben Zwerge, Rapunzel, das tapfere Schneiderlein, Aschenputtel und Frau Holle. Der Märchenwald endete schließlich nach mehreren Stunden mit dem Rotkäppchen, das Noemi mit Hilfe des Jägers vor dem bösen Wolf retten musste.
Als sie schließlich den Wagen wieder erreichten, war sie sichtlich erschöpft, aber unendlich dankbar, glücklich und zufrieden.
„Das war ein so cooler Tag! Danke, Mama!", schwärmte sie und schlang ihre Arme um Leticia. Die Brünette drückte die Kleine fest an sich, doch dann löste sie sich von ihr und deutete auf Maxim.
„Du musst dich bei Maxim bedanken. Das war allein seine Idee", verriet sie grinsend. Noemi lächelte und machte einen Schritt auf ihn zu, während er sie in seine Arme schloss und fest an sich drückte. Es fühlte sich unbeschreiblich an. Ihre Haare kitzelten an seiner Wange, während sie sich an ihn schmiegte. „Danke. Das war der schönste Geburtstag."
Er schloss die Augen und sog ihren Vanilleduft ihres Shampoos ein, versuchte, diesen schönen Moment für immer festzuhalten. Als sie sich schließlich von ihm löste, war er beinah ein wenig traurig. Müde kletterte Noemi ins Auto. Er grinste und schaute ihr dabei zu, wie sie sich selbstständig anschnallte.
Ein paar Stunden später saßen sie gemeinsam am Esstisch. Leticia warf Maxim ein verstohlenes Grinsen zu, während Noemi krampfhaft versuchte, die müden Augen offen zu halten. Immer wieder sank sie während des Essens erschöpft in sich zusammen, doch gerade, wenn es so aussah, als würde sie im Sitzen einschlafen, straffte sie die Brust und stocherte weiter mit ihrer Gabel in den Nudeln herum.
„Sollen wir ihr das Geschenk vielleicht erst morgen geben?", nuschelte Leticia an Maxim gewandt. Er schmunzelte.
„Die Geschichte brauchen wir ihr jedenfalls heute nicht mehr vorzulesen", raunte er zurück, bevor er sich einen weiteren Bissen des Pasta-Gerichts in den Mund schob und nachdenklich den Blick auf seinen Teller senkte. Eigentlich hatte er Noemi heute sagen wollen, dass er ihr Vater war, aber sie wirkte so müde, dass er an seinem Vorhaben zweifelte.
„Was ist?", hakte Leticia nach, die seinen bedrückten Gesichtsausdruck offenbar bemerkt hatte. Doch bevor er antworten konnte, wurde er von einem leisen Geräusch unterbrochen. Als er zu Noemi herüberschaute, schmunzelte er. Die Müdigkeit hatte scheinbar doch gesiegt, denn sie hatte die Augen geschlossen und ihre Gabel war in den Teller gefallen.
„Ich bringe sie ins Bett", lächelte er, legte das Besteck zur Seite und schob den Stuhl nach hinten. Als er aufgestanden war, hob er Noemi behutsam auf seinen Arm, um sie nicht zu wecken. Ihm entging Leticias verzücktes Leuchten in den Augen nicht, als er die Kleine an ihr vorbeitrug.
Gerade, als er sie vorsichtig aufs Bett legen wollte, schlug Noemi doch noch einmal die Augen auf. Er nutzte die Gelegenheit, ihr beim Umziehen zu helfen, bevor sie erschöpft in die Federn fiel. Er setzte sich zu ihr, beobachtete sie einen Moment schweigend, während sie sich mühsam seufzend zudeckte und sein Herz sich mit einer bisher unbekannten Wärme füllte.
„Schlaf gut, Zwerg", lächelte er versonnen, doch gerade, als er sie alleinlassen wollte, schlang sie völlig unerwartet ihre Arme um seinen Hals.
„Ich hab dich lieb."
Er schluckte hart, als er realisierte, was sie gerade gesagt hatte. Es fühlte sich unbeschreiblich an, diese Worte aus ihrem Mund zu hören. Dabei kannte sie ihn gerade einmal ein paar Wochen.
„Ich hab dich auch lieb", antwortete er etwas hilflos, während er sie fest an sich drückte und die Augen schloss. Er hatte nicht einmal gewusst, wie sehr er sich nach diesem Moment gesehnt hatte, doch jetzt, wo er da war, fühlte er sich an, als wäre er dort angekommen, wo er schon immer hätte sein sollen.
„Weißt du was?", fragte Noemi müde, als er sich von ihr löste und auf sie herabschaute. „Nein, was?"
„Ich brauche gar keinen Papa, ich habe jetzt dich."
Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Maxim, dass jetzt ein passender Moment war, Noemi zu sagen, dass er wirklich ihr Vater war. Doch dann schaltete sich sein Verstand wieder ein und verbot ihm, so unüberlegt auf sein Herz zu hören. Was sollte er schon sagen, wenn sie ihn fragte, wo er all die Jahre gewesen war? Er war nicht vorbereitet auf dieses Gespräch und-.
Ein leises Geräusch ließ ihn herumfahren. Leticia stand im Türrahmen und beobachtete ihn. „Schlaf jetzt", wollte er sagen, doch als er Noemi wieder anschaute, war sie bereits eingeschlafen. Schmunzelnd löschte er das Licht an ihrem Bett, dann schob er Leticia aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Noch immer konnte er all diese Gefühle und Gedanken nicht in Worte fassen. Ohne mit ihr zu sprechen, drückte er sich an Leticia vorbei und ging die Treppe hinunter. Sie folgte ihm.
„Ist alles okay?", fragte sie misstrauisch, als sie den unteren Treppenabsatz erreichten.
„Was soll nicht okay sein?"
Ganz schön niedlich, die kleine Noemi, oder? Aber finden wir es übertrieben, dass er einfach den gesamten Park gemietet hat, nur, damit er Zeit mit ihr verbringen kann? Also ich finde das schon leicht drüber. Was sagt ihr? Und wie hat euch das Kapitel sonst gefallen?
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